🇫🇷 Frankreich

Re-bonjour, ma chère!

Prägnanter als diese kleine Überschrift des Blogs kann ich es nicht ausdrücken. Es ist so, als ob ich eine alte Freundin besuche, die Freude über das Wiedersehen riesig ist und ich Entspannung und Zerstreuung in Altbekanntem finde. Und wäre das nicht genau so, würde ich mir alsbald Sorgen machen. 

Donnerstag 22. Februar 2024 - Unter gutem Stern in die Merowingerstadt

Noch am Nachmittag des Donnerstag breche ich auf. Mein Dreimonatsbefund attestiert mir eine Remission aller Metastasen in der Lunge und kann somit nicht besser sein. Nun kann ich es nicht erwarten, wieder unterwegs zu sein und auszuprobieren, wie das neue Reisen funktioniert. Die residualen Handicaps der vergangenen Eingriffe in mein Leib und Leben sind immer noch massiv, auch wenn die Grundfunktionen meines Körpers allesamt ihren Dienst tun. Spannende Fragen sind: Kann ich so lange Auto fahren wie früher oder sind mehr Etappen nötig als üblich? Und wie ist es mit dem Essen in Restaurants? Wenn ich meine Speisen nicht selbst zubereite, habe ich keinen Einfluss auf das, was ich serviert bekomme. Immerhin reise ich gerade nach Frankreich, in mein persönliches, kulinarisches Mekka und möchte wie immer die Genüsse der regionalen Küchen genießen. On verra... Aber wie auch immer, ich reise unter gutem Stern und bin mehr als dankbar dafür.

Das Ziel für den heute verbleibenden Nachmittag ist Trier, es liegt etwa auf halber Strecke nach Montréal in der Bourgogne. Dort freue ich mich, eine Freundin aus Südamerika wiederzusehen, die mitten im Nirgendwo der Bourgogne ihr neues zu Hause gefunden hat.

Die Fahrt auf den leeren Autobahnen ist unspektakulär, es regnet und aus dem Radio dudeln nostalgisch verklärt die Hits der Achtziger. Hochemotionale Hörerkommentare wie "Die beste Zeit des Lebens", "Das war noch richtige Musik" und "Damals war alles besser", veranlassen mich fast, den Sender zu wechseln. Aber zugegeben, ich mag sie ja auch diese Lange-her-Musik, deren Texte und Melodien ich immer noch fehlerfrei beherrsche und ich lasse es mir nicht nehmen, laut mitzusingen. Nein, außerhalb meines geschlossenen Autos würde ich das mit Rücksicht auf meine Mitmenschen niemals tun. So ziemlich jeden Song kann ich genau einer Zeit zuordnen und es sind tatsächlich einige dabei, die in die Zeit meiner ersten Frankreichreisen ab 1979 fallen. Auch wenn ich noch nicht ganz verstanden habe, warum immer gleich diese Sentimentalität mitschwingt, scheint es doch ein weit verbreiteter Effekt zu sein. 

Über diese Gedanken und meinen Gesang verpasse ich doch glatt die Ausfahrt in Trier. Umdrehen ist jetzt wenig hilfreich, denn ich bin schon satte zwanzig Kilometer weiter. Dann ändert sich halt jetzt mein Plan und die nächste größere Stadt wird mein Ziel. Es ist Metz in Frankreich. An einer Raststätte halte ich kurz an und buche mir ein Hotel in der alten Merowingerstadt, die auch schon lange auf meiner Reiseliste stand. Nicht gerade weit oben, aber immerhin. Es ist bereits dunkel als ich die Altstadt erreiche und unter Missachtung aller Durchfahrtsbeschränkungen auch mein kleines Hotel finde. Netter Laden. Es gelingt mir mit meinem guten Französisch alles Organisatorische zu regeln. "Vous parlez bien français!" so jedenfalls würdigt es die charmante Rezeptionistin. Ich bin stolz und weiß doch, dass es wohlwollende Höflichkeit ist. Das nötigste Gepäck ist schnell ins Zimmer verbracht, dann Auto parken und auf in die abendliche Altstadt. Trotz des kalten und nassen Wetters ist alles hübsch beleuchtet und die vielen Restaurants und Bars laden zum Verweilen ein. Ich kann mich nur für ein Restaurant entscheiden und wähle regionale Küche in der franko-deutschen "La Winstub". Nun ja, die Pfalz ist halt nicht weit und die angebotenen Speisen lassen erwartungsgemäß den nachbarlichen Einfluss erkennen. Bodenständige Tellergerichte und etwas fleischlastige Vesperteller dominieren die Speisekarte, dennoch, das Lesen macht Appetit. Ich bestelle eine Kleinigkeit mit viel Salat, da ich mit meinem Esshandicap keine Experimente wagen möchte. Lieber nutze ich die Zeit, mir nach dem Dinner das nächtliche, alte Metz anzusehen. 

Trotz der bewegten und langen Geschichte der Stadt, die einst sogar bedeutender und größer war als Paris, ist die Altstadt sehr übersichtlich. Alles liegt sehr nah beieinander, im Nordwesten strategisch gut von der Mosel begrenzt sind die Straßen und Gassen erstaunlich schmal. Ohne Plan lasse ich mich treiben und plötzlich, wie aus dem Nichts, stehe ich vor der monumentalen Kathedrale Saint-Etienne, einem gigantischen, ja fast bedrohlichen, Bauwerk. Eingefasst von den genannten kleinen Straßen und steilen Gassen thront sie sehr beengt auf ihrem unscheinbaren Kirchhügel, an den die Wohnhäuser wie angeklebt aussehen. Umgebende Vorplätze, die dem Gebäude gerecht würden, fehlen, es gibt keinen Raum, der Platz böte, einen angemessenen Betrachtungsabstand einzunehmen. Ich bin beeindruckt und habe erhebliche Probleme den nächtlichen Dom in eine fotogene Perspektive zu rücken. Ungewöhnlich und sehr imposant.

Von der Kathedrale aus streife ich weiter durch die vielen gelblich beleuchteten Gassen und Fußgängerzonen. Das Leben hier ist quirlig und lebendig. Meist junge und bunte Menschen füllen die vielen Cafés und Bars, die in allen Straßen zu finden sind. Mein Weg endet am hübschen Place Saint Louis mit dem bekannten Karussell, dem offensichtlichen Zentrum des Nachtlebens. Für mich die letzte Station meines Spaziergangs. In der "3.96 Kaffe" Bar mit ihrem schräg-sympathischen Publikum genieße ich eines der ungezählten internationalen Biere, es ist ein belgisches. Möge es mir zur Nachtruhe gereichen und mir ruhigen Schlaf bescheren, es ist schon recht spät und morgen geht es früh weiter. Gute Nacht!

23. - 26. Februar 2024 - Bourgogne

Nach einem guten Frühstück zu moderater Stunde bin ich zeitig auf dem Weg in die Bourgogne. Ganz ohne Klassiker. Kein Dijon, kein Hospices de Beaune, Côte d'or ist nicht dabei, keine Weintour und auch das Käseprogramm fehlt auf der Aktivitätenliste. Stattdessen der Besuch einer Freundin irgendwo im Nirgendwo. In Montréal. Das Nest mit dem gleichen Namen wie die kanadische Metropole liegt eine gute Autostunde nordwestlich von Dijon. Mit jedem Kilometer wird es ländlicher und unbewohnter, so dass ich mich mehrmals versichere, auf dem richtigen Weg zu sein. Es ist der richtige Weg und alsbald erreiche ich Angely und meine alte Freundin Tina aus Südamerika. Was für eine Freude und was für ein einladender Ort. Das Feuer im Ofen knistert und die wohlige Wärme lässt das kalte Winterwetter draußen. Ein Bergamottetee wärmt mich zur Begrüßung. Auf dem Boden ein großes Bisonfell und ein buntes kissenverziertes Sofa am Ofen machen die Wahl des Sitzplatzes schwer. Ich entscheide mich für das bunte Sofa und dann gibt es viel zu erzählen. Eine erste geführte Dorferkundung am Nachmittag erfrischt unsere Gemüter und wir werden vom Regen und anschließendem Sonnenschein überrascht, der einen wunderbaren Regenbogen über die grüne Bourgogne spannt. Mich beeindrucken die mittelalterlichen Gemäuer, die fast unversehrt von der Geschichte geblieben sind und bis heute fast alle bewohnt sind.

Ich habe schon immer mit dem Gedanken gespielt, irgendwann einfach ein Café in Frankreich zu eröffnen und in aller Genügsamkeit und Zufriedenheit den Lebensabend dort zu verbringen. Also, wenn das mit dem Reisen nicht mehr funktioniert, meine ich, oder wenn ich tatsächlich eines Tages mein Reisefieber kuriert haben sollte. Bin ich aber dann hier vor Ort, so wie heute, dann kratzt der Realismus doch massiv an der schönen Vision. Wer soll denn all den Kaffee trinken, damit ich mein bescheidenes Auskommen hätte? Nun ja, kommt Zeit, kommt vielleicht auch die Beantwortung dieser zentralen Frage. Andererseits fühle ich mich sehr bestärkt, als ich in den nächsten Tagen von Tina samt Familie gefragt werde, das Abendessen zuzubereiten, ich koche doch so gut. Was für eine Ehre, ich bin in Frankreich und Franzosen bitten mich für sie zu kochen. Mit der Geschichte könnte man glatt angeben. Vielleicht doch ein kleines Bistro in der Bourgogne? Mal sehen, was das Universum so für mich vorhält. On verra... 

In den folgenden Tagen besuchen wir die umliegenden Dörfer, gehen auf kleinen Märkten einkaufen und machen lange Spaziergänge, wenn das Wetter es zulässt. Wir unterqueren viele Stadttore, finden überwachsene Brunnen, bewundern alte Bogenbrücken und entdecken sogar eine geheimnisvolle Drachentür. Es ist eine andere Welt in dieser winterlichen Bourgogne. Das Leben ist zu dieser Zeit authentisch, keine touristischen Maskeraden. Franzosen sitzen in Bars bei plärrendem Fernseher und plaudern über Alltägliches. Folgen kann ich ihrer Konversation nicht, ich reime mir viel mehr etwas aus den verstandenen Fragmenten zusammen. Aber ich lese ihre ausdrucksstarke Gestik, das schließt die Lücke zwischen meiner zu geringen Sprachkenntnis und dem tatsächlichen Gespächsinhalt. Café und auch Alkoholika werden schon morgens ausgeschenkt, die Müllabfuhr zwängt sich akrobatisch durch die mittelalterlichen Gassen und kommt dann auch auf einen petit café in die Bar. Menschen gehen einkaufen. Die Tage vergehen sehr entspannt.

An einem Vormittag hat Tina eine ayurvedische Massage für mich organisiert. Im Dorf wohnt und arbeitet eine Frau, die professionelle Massagen und Aromabehandlungen anbietet. Es gibt nicht viel in diesen Mikrodörfern, aber ayurvedische Massagen. Unglaublich. Ich habe noch nie eine so entspannende und wirkungsvolle Massage bekommen. Ganze anderthalb Stunden knetet, biegt und dehnt mich Vanessa - so heißt die Meisterin - wärmt mich mit heißem Öl und lässt mich bei sphärischer Musik fast einschlafen. Ich bin begeistert. 

Und so gehen die schönen Tage ins Land und ohne dass ich es merke, ist es Montag und der morgige Aufbruch naht. Wir machen noch lockere Pläne, dass wir uns übernächste Woche in Montpellier treffen und dann eventuell gemeinsam zu Fuß den Vercors entdecken. Allerdings ist dort noch Winter und die Wanderwege werden vermutlich noch nicht begehbar sein. Warten wir's ab. 

27. Februar 2024 - Puy-en-Velay - Wo eine Jungfrau beim dritten Sturz starb

Heute ist Fahrtag, meine Reise geht weiter. Gepäck verstaut und herzlicher Abschied von meiner Reisegefährtin und Gastgeberin, à la prochaine! Ich verlasse die Stille Burgunds Richtung Süden und erfreue mich an den ungezählten kleinen Brücken über die Vielzahl an Flüsschen und Bächen. Die Ortschilder stehen in ganz Frankreich auf dem Kopf, damit protestieren die Jungbauern gegen die aus ihrer Sicht widersprüchlichen Auflagen des Staates. Es bedeutet "on marche sur la tête", auf Deutsch etwa soviel wie "hier läuft etwas völlig verkehrt!" Eine sehr kreative Aktion, die viel Aufmerksamkeit schafft, wie ich finde. Mein Weg führt mich weiter über einsame Landstraßen mit dem Tagesziel Puy-en-Velay. Die Route durchquert die üppgen Mischwälder und Heideflächen des Morvan. In den höheren Lagen sind überall noch Schneereste zu sehen und der Frühling hat gerade erst begonnen, zaghaft seine Kräfte zu entfalten. Die Wegeindrücke sind unspektakulär, auch später im Parc Naturel Régional Livradois-Forez ist die Landschaft noch nicht aus ihrem Winterschlaf erwacht. Es beginnt zu schneien, aber es ist warm im Auto und heute habe ich auch das nervige Radio gegen die eigene Musikauswahl getauscht. Was für ein Luxus.
Am späten Nachmittag erreiche ich Le Puy-en-Velay. Schon von weitem kann ich die Wahrzeichen der Stadt erkennen. Zwei prägnante Vulkanschlote, auf dem einen wacht die Statue de Notre-Dame de France über das Wohl der Stadt, auf dem anderen - im Volksmund nur "Gargantuas Köttel" genannt - präsentiert sich die über tausend Jahre alte Église Saint-Michel d'Aiguilhe, um die sich viele Mythen und Geschichten ranken. So hatte der erste bekannte Pilger des Jakobsweges entscheidenden Einfluss auf die Erbauung und auch eine Jungfrau hat zwei Bewährungsstürze in die Tiefe überlebt. Den dritten machte sie freiwillig und stürzte in den Tod. Das Wetter ist kalt, nebelig und wenig einladend für eine Stadterkundung. Nach der langen Fahrt freue ich mich auch viel mehr auf ein gemütliches Abendessen, heute gerne mit Käseauswahl. Und anschließend auf mein Bett. So soll es sein.

28. Februar 2024 - L'Aubrac - Eine Liebeserklärung wäre zu wenig

Die Nacht war erholsam und das Frühstück bemerkenswert gut. Besser kann der Tag fast nicht beginnen, nur das Wetter ist immer noch regnerisch. Also mache ich mich auf nach Südwesten ins Aubrac, einer meiner Lieblingsecken in Frankreich. Die unglaubliche Weite und die Menschenleere haben es mir angetan. Ich liebe die frische Luft und den Wind auf dem Hochplateau, die sanften, kargen Hügel mit ihren typischen großen Rindern. Anfang März ist immer noch Skisaison, die wenigen Touristen fallen aber kaum auf. An der Grenze von Haute-Loire und Lozère wird es eisig. In der Nacht war es nach dem Regen sehr windig und sehr kalt, was die ganze Landschaft spektakulär vereist hat. An den Ästen scheinen Messerklingen gewachsen zu sein und der kleine Pass bei Bugeac ist wegen Schneefalls gesperrt, was mich aber nicht abhält, es dennoch zu versuchen. Die Landschaft ist einfach zu reizvoll. Es klappt aber nicht. Auf 1400 m ist der Schnee dann doch zu hoch und da in der Gegend niemand unterwegs ist, kehre ich besser um, denn steckenbleiben will ich hier nicht. Der kleine Umweg über den Col de la Croix du Fau ist geöffnet und eine wunderschöne Alternative, zumal sich jetzt die Sonne zeigt. Ist das schön! Die Straßen können nicht klein genug sein, rechts und links nur noch weites Land. Typisch die großen Steinhaufen, auf denen die zum Teil riesigen Steine zusammengetragen werden, die bei der Bewirtschaftung des Landes im Wege liegen. Manche sind jedoch zu groß, dann setzt man einfach ein "Gipfelkreuz" obenauf und lässt sie liegen. Eine mystische Szenerie. Über Straßen, die keine Nummern mehr haben und "Chemin..." heißen, erreiche ich die Pont de Boukinkan, eine Steinbrücke über den Bes, die ich vor vielen Jahren zufällig gefunden habe und die ich seit dem ganz besonders mag. Auf keiner meiner Reisen ins Aubrac habe ich sie ausgelassen. Lieblingsort.

Ich steige wieder etwas an auf 1200 m und es wird kälter. Schnee bedeckt die Landschaft mit reinem Weiß, dann passiere ich die südliche Spitze des Cantal, das Département mit dem gleichnamigen, weltberühmten Käse, und erreiche kurz darauf die Stadt Laguiole.

Da ist sie. Die Forge de Laguiole, wo die für mich schönsten Messer der Auvergne gefertigt werden. Das sind die mit der abeille, der geschmiedeten Biene auf der Fliege, manche halten es für eine Fliege auf der Fliege, aber der Legende nach ist es ja die kaiserliche Biene Napoleons, die die Bewohner von Laguiole als Belohnung für ihre Tapferkeit in der Schlacht am Mont Thabor auf die Fliege ihrer Messer schmieden durften. Zum Verständnis, die Fliege nennt man den oberen Teil der Sicherungsfeder von Klappmessern. Und was macht man in der Schmiede, außer sich beeindrucken zu lassen von der außergewöhnlichen Kunstfertigkeit der Schmiede, Messerschleifer und Holzhandwerker? Richtig, man erfüllt sich Wünsche. Große oder kleine, das ist egal, es ist mehr als das Gefühl von Handschmeichelei, ein solches von Hand geschmiedetes und gebautes Messer zu führen. Einer der schönsten Gebrauchsgegenstände, die ich kenne. Ich erfülle mir heute auch einen lang gehegten Herzenswunsch, muss mich aber beeilen, bevor die Vernunft mir die Freude verdirbt. Vingt-quatre pièces, manche en genévrier, satiné, dans un coffret, s'il vous plaît. - Mein Herz war schneller als die Vernunft. 

Mit meiner "Herzensbeute" mache ich mich auf nach Nasbinals zum Hôtel & Restaurant de la Route d' Argent, dort übernachte ich heute direkt am Dorfplatz und werde am Abend auch das menu du jour probieren. Ich bin überrascht vom Ambiente und der Ausstattung. Für den Preis habe ich selten eine derart gute Bleibe in Frankreich gefunden. Kreuzchen auf der Empfehlungsliste. Mag es an der ausklingenden Wintersaison liegen, es soll mir recht sein. Es ist noch früh am Abend und der Himmel verfärbt sich orange. Ich fahre noch einmal zur kleinen Brücke, um einen Spaziergang zu machen. Vor dem Essen als Appetizer tut das gut, nach der ganzen Sitzerei im Auto brauche ich etwas Bewegung. Was für eine überwältigende Landschaft, was für ein Licht. Der Bes fließt leise unter den Brückenbögen hindurch, er tut das schon seit hunderten von Jahren. Und an diesem einen Tag der Ewigkeit stehe ich hier und bewundere die Dämmerung. Es ist eiskalt, windig und ich bin der einzige Mensch weit und breit. Die Zeit erscheint mir heute Abend monumental und gewaltig. Geradezu gigantesk und immensurabel, wenn ich es angemessen ausdrücken wollte. Sie ist gutmütig und hat keine Seele, sie schreitet voran und sie macht niemals Kompromisse mit den Sterblichen. Auch nicht heute Abend mit mir. Tick-tack, sie vergeht, jede Stunde, jede Sekunde, jeden Moment. Ich fühle mich angenehm hilflos.

Ich verweile bis das letzte Orange in dunkles Blau übergeht, dann fahre ich heim und schreite zu meinem ersten menu français, und das im Aubrac. Lieblingsküche! Erwartungsgemäß ist alles etwas fleischlastig, was zum einen meinem Fleischverzicht, zum anderen der Essbarkeit in meinem Zustand entgegensteht. Am Ende kann ich mir ein Daube de l'Aubrac mit einem Wahnsinns Kartoffelpüree nicht verkneifen. Das ist schon ein echter Hochgenuss, allerdings bezahle ich das mit erheblicher Anstrengung der Kaumuskulatur. Da ist noch viel Arbeit auf meiner Rehabilitationsliste. Doch der Koch meint es gut mit mir und es werden "Profiteroles à la glace vanille et sauce chocolat" zum Dessert gereicht. Happy End in Vollendung!

Die Église Sainte-Marie bimmelt mich kurze Zeit später leise in den Schlaf. Wenn ich heute Nacht träume, dann von einem schönen Land, von der Vergänglichkeit und von heißer Schokoladensauce. Mit Messer und Gabel. Ich träume vom Aubrac! Was für ein wunderbarer Tag.

29. Februar 2024 - Einmal Massif Central oder 140.000 t Popcorn

Das frühe Frühstück bei Sonnenschein in der kleinen Bar meines Hotels ist üppig. Nicht wie man es in Frankreich erwartet: Croissant, Butter, Marmelade, Kaffee und fertig. Mitnichten. Es wird gleich ein ganzer Topf starker Kaffee serviert und die gleiche Menge heiße, aufgeschäumte Milch. Eine fast schon übertrieben dicke Scheibe lokaler Schinken und natürlich Käse, es müsste eine Tome des Bauges sein, ich bin nicht ganz sicher. Ich lasse mir Zeit, die Morgensonne wärmt mir angenehm den Rücken, zum Finale der erfrischende Orangensaft, dann kann es losgehen. So fangen schöne Tage an. Das Enteisen der Autoscheiben hat die Sonne auch schon für mich erledigt, nur noch die Sitzheizung einschalten und irgendwie zieht Wohnzimmerstimmung in mein Auto ein. Langsam verlasse ich das beschauliche Nasbinals und tauche in Schneeweiß und Himmelblau ein.

Die Richtung ist Südost nach Marvejols, dann ein kleines Stück Autobahn, links ab über den Lot ins Tal des L'Urugent. Längst habe ich das Aubrac verlassen und tauche nun in die zerklüftete Landschaft der Grands Causses ein und später in den Parc National des Cévennes. Hier entspringen zahllose Flüsse und Flüsschen, die bekanntesten sind Lot, Truyére, Aveyron, Tarn und im Süden der Cévennes der L'Herault. Die Felswände rechts und links steigen immer steiler auf und die Straßen werden spektakulärer. Ich fahre durch die gestapelte, wilde Erdgeschichte des Massif Central, die zu einer Zeit begann, als Amerika noch an Europa grenzte und Gondwana sich erneut Mitteleuropa näherte. Das ist runde 500 Millionen Jahre her. Die Causses, das sind die Kalkplateaus, erhoben sich etwas später und die Flüsse fraßen tiefe Schluchten in das weiche Gestein, allen voran der Tarn, der die eindrucksvollsten Canyons dieser Gegend schuf. Und da ist es wieder, dieses Zitronengefühl, von dem ich ja schon früher berichtete. Ich in mitten dieser faszinierenden Erdgeschichte, in mitten permanenter Veränderung, die mit dem winzigen Zeithorizont eines Menschen nur bei äußerst genauer Betrachtung wahrnehmbar ist. Hier fällt ein Stein aus der Wand auf die Straße, dort bricht eine kleine Landzunge ab und wird leise vom mächtigen Tarn fortgespült. Ein kleiner Riss im Asphalt, Rinnsale von Wasser, die aus dem Gestein austreten und nicht zuletzt sind auch all jene unbeliebten Straßensperrungen wegen Erdrutsch oder Deformation nur Indikatoren für Tektonik. All das ist geologische Veränderung in jeder Sekunde in jedem Augenblick. Hätte man im Kambrium begonnen, jedes Jahr von derselben Stelle 1 Foto zu machen, hätten wir heute einen erdgeschichtlichen Dokumentarfilm mit Überlänge. Er würde 7,5 Monate dauern. Ich gönne mir jetzt die Absurdität, das bei vollem Kino in Masse Popcorn umzurechnen - es wären ca. 140.000 Tonnen! Entgrenzt denken macht doch irgendwie immer wieder großen Spaß. Wie sagte schon Erasmus von Rotterdam sehr treffend: "Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit."

Es gibt nicht viele Straßen in dieser Gegend, das verhindert allein schon die Topografie, es ist ohnehin mehr als eindrucksvoll, was hier an Verkehrswegen in den Fels gehauen wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass ich auf meinem Weg in den Süden viele Orte passiere, die ich schon oft besucht habe oder wo ich auch die ein oder anderen Tage verbracht haben. Sainte Enimie oder auch Gorges du Tarn Causses ist einer dieser besonderen Orte. Winzig klein und schön gelegen am Tarn. Ein paar Cafés, eine Handvoll gute Restaurants und eine alte Brücke über den Tarn. Hier treffen sich fünf Straßen, deren richtige Wahl man sich genau überlegen muss, denn sie treffen sich nie wieder. Alle Unterkünfte sind noch bis Ende März geschlossen, es ist Winter. Ich verweile ein wenig bei der Brücke am Ufer des rauschenden Tarn, einer von wenigen Orten, an denen man das Wasser problemlos erreichen kann. Dann muss ich weiter, der Weg ist noch weit und schön. Meine richtige Straße ist die D970, immer dem Tarn folgen Richtung Le Rozier. Auch wenn ich nicht zum ersten Mal hier entlangfahre, ist die Landschaft überwältigend. Unter blauem Himmel passiere ich Schluchten, Bergdörfer, atemberaubende Gebirgsformation, Höhenzüge mit senkrechten Wänden, einspurige Tunnel mit Huppflicht und immer wieder tief unten der mäandernde mal blaue, mal grüne Tarn.

Bei Meyureis habe ich die Hochebene Causse Méjean halb umrundet und drehe nun nach Süden ins Département Herault. Bei Arboras leiten mich die letzten Serpentinen ins flachere Umland von Montpeyroux bis nach Saint-Jean-de-Fos, wo der l'Herault hinter der Pont du Diable endgültig die Ausläufer des Haute Languedoc verlässt. Für mich ein ganz besonderer Ort. Deshalb nehme ich mir die Zeit für einen Café am hübschen Dorfplatz. Ich nehme Platz gegenüber dem einzigen, uralten Krämerladen, der uns all die Jahre versorgte, seit wir vor 45 Jahren zum ersten Mal unten am Fluss zelteten. Anlass genug, einen Moment innezuhalten und mich über die lange Zeit zu freuen, die ich schon lebe. Nein, es wird jetzt nichts in Popcorn umgerechnet, der Moment ist mir zu wichtig dafür und der Café war irgendwie feierlich.

Ganz nebenbei habe ich mir gerade eine Übernachtung in Carnon Plage bei Montpellier gebucht, das ist mein endgültiges Reiseziel für heute. Aber ich bin noch ganz in Gedanken und von den Bilder aus all den Jahren vereinnahmt. Die Erinnerungen an ungezählte Besuche dieses schönen Ortes machen mir Freude. Ein Menschenleben ist ganz schön lang, wenn es nur nicht so kurz wäre.

Die Sonne neigt sich schon etwas und bei dem ersten warmen Abendlicht fahre ich in Villeneuvette ein, ein Siebzig-Seelen-Dorf nicht weit von Clermont l'Herault. Hier schaue ich immer vorbei, wenn es auf dem Weg liegt. Im Jahre 1979 war das der Ort meiner ersten Frankreichreise überhaupt. Die alte Tucherei war damals schon geschlossen und es gab eine Chevalerie in dem Ort. Man erlaubte uns, hier zu zelten und wir erkundeten das Umland auf langen Wanderungen, aber das ist eine andere Geschichte. Verändert hat sich seitdem nicht viel. Der Brunnen auf dem schattigen Place Louis XIV plätschert wie eh und je, die uralten Platanen spenden wertvollen Schatten und die alte Eisdiele gibt es immer noch. Ich denke gerade an Vanilleeis, aber im Winter ist sie leider geschlossen. Vielleicht wäre es auch ein Schokoladeneis geworden. 

Das waren ganz schön viele bewegende Eindrücke für einen einzigen Tag und so reiße ich die letzten Kilometer bis nach Carnon einfach runter, die Strecke ist ohnehin unspektakulär. Das kleine Hotel in dem völlig verbauten Touriort ist nett und das benachbarte einzige Restaurant bietet noch ein leckeres Abendessen an. Was für eine herrlich Tour vom verschneiten Aubrac bis ans lauwarme Mittelmeer. Ein kleiner Strandspaziergang beschließt meinen tollen Tag. 

Auch wenn es alles andere als vernünftig oder ökologisch vertretbar ist, werde ich morgen für vier Tage einen Abstecher nach Berlin machen. Es ist Geburtstag. Der dreißigste Geburtstag meines Sohnes. Ein wichtiges Fest in Kreuzberg und viele Wiedersehen und noch mehr Geschichten, die zu erzählen sind. Ich freue mich!

5. März 2024 - Ein Wahrzeichen Frankreichs, blaugrüne Mäander und geföhnte Pizza

Gestern Abend bin ich von einem wunderbaren Geburtstag aus Berlin nach Südfrankreich zurückgekehrt und spät in Montpellier gelandet. Direkt am Flughafen habe ich mir ein sehr nettes Hotel gebucht, so hatte ich noch etwas Zeit, die Tour für heute zu konkretisieren. Es geht in die Provence, dort ist das Wetter zur Zeit am besten und dort war ich noch nicht so richtig. Doch zunächst ist da das erste Kreuzchen der heutigen Fahrt: Die Pont d'Arc in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. 

Die natürliche Bogenbrücke Pont d'Arc kennt vermutlich jeder, der sich irgendwie schonmal mit Reisen in Frankreich beschäftigt hat. Sie schmückt nicht selten die Hochglanztitelseiten der Reisemagazine und Touristikbroschüren und im Sommer ist hier tatsächlich die Hölle los. Kanu fahren, Rafting, schwimmen, baden, Pommes, Eis und Urlaub machen. Heute im ausklingenden Winter ist es fast menschenleer. Die sonst teuren Parkplätze sind verwaist, aber man könnte auch einfach auf der Straße stehenbleiben für ein paar Fotos, es ist kein Verkehr. Der Fußweg von der schattigen Westseite ist breit und sogar rollstuhlgeeignet, er endet direkt am kleinen Strand und bietet einen wunderbaren Blick auf das Naturmonument. Unter dem etwa fünfzig Metern hohen Steinbogen fließt die ruhige Ardèche seit Millionen Jahren, das heißt seit dem Zeitpunkt, als ihre Mäander an dieser Stelle den Kalkstein durchbrachen und in weiteren Epochen der Erdgeschichte den einzigartigen Bogen schufen. Wenig später mache ich noch einen kleinen Spaziergang zum Ufer auf der Ostseite, auch von hier aus ist es ein ehrfurchtseinflößender Anblick. Es ist still und alles fließt langsam. Ich setze mich auf einen Baumstumpf und betrachte das Wasser, wie es die Flussbiegung durchfließt. Einem Tanz gleich kreisen kleine Strudel in ständiger Drehung durch die Kurve, um sich nach der Passage der Pont d'Arc sogleich wieder aufzulösen. Die beschauliche Physik des Dissenses von rheologischen Gesetzen mit dem Chaos. 

Und jetzt immer an der Ardèche entlang mit ihren wunderschönen Schluchten und Bögen. Ich weiß nicht, wie oft ich bis jetzt stehengeblieben bin und wie oft ich mir dieses ewige Naturschauspiel aus immer anderen Perspektiven angesehen habe. Noch hundert mal könnte ich es tun und es würde nicht langweilig. Ich atme die frische Luft des nahen Frühlings. Ganz wenige Bäume und Blumen haben es bereits gewagt, ihre Knospen zu öffnen, die Sonne scheint warm von einem Südfrankreichhimmel wie ich ihn kenne: Blau! Dieses schöne Spiel geht so weiter bis Aiguèze, dann biege ich östlich ab und erreiche die Provence.

Die Provence ist eine der französischen Regionen, wo ich eher selten war. Dennoch habe ich viele schöne Erinnerungen an unsere Motorradtouren und sehr gute Erinnerungen an die hiesige Gastronomie und Küche. Und so ist mein Ziel auch heute ein Ort, den ich schon zweimal besucht habe, die Gegend um Montbrun-les-Bains im Département Drôme. Leider ist die untere einzige Durchgangsstraße eine Großbaustelle, was das mittelalterliche Dorf für eine Übernachtung natürlich unattraktiv macht. Zudem sind die meisten Hotels im Winter einfach geschlossen. Es ist schon später Nachmittag und ich greife auf eine alte Adresse im Nachbardorf Reilhanette zurück. Es ist ein kleines Hotel mit Ausblick auf die bezaubernde Landschaft und die fernen Berge. Tatsächlich ist dort noch etwas frei und ich checke ein. Einziges Problem, auch hier hat das Restaurant im Winter geschlossen. Das bedeutet, ich esse heute "extern" oder "fast food". Es ist in Frankreich nicht anders als überall, es gibt immer irgendwo eine Pizza. Für mich heute in Sault.

Die Wegzeit von Pizza-Beschaffung bis zum Verzehr im Hotel ist zu lang, als dass die belegte Teigspeise bei Ankunft noch so heiß wäre wie ich es gerne mag. Das zeitgleich erstandene aber kalte Bier ist bei Ankunft in meinem Zimmer noch von akzeptabler Temperatur. Kurz nachdenken. Campingkocher habe ich dabei, aber keinen Spiritus. Toaster im Frühstücksraum ist verschlossen. Dann die rettende Idee: Der Föhn! Schnell ist der Steinofenersatz installiert und auf Stufe 3 bei geringer Entfernung zum Backgut bekomme ich mein Abendessen tatsächlich auf Esstemperatur. Gut, ich muss jedes Stückchen einzeln erhitzen, aber bei meiner derzeitigen Essgeschwindigkeit passt das Timing gut zusammen. Der Haartrockner ist ein sehr neues Gerät, was mir die Röstaromen diverser Kopfbehaarung erspart, aber auch das neue Gerät kommt schnell an seine Leistungsgrenze und schaltet bisweilen ab. Die Abkühlungspausen sind meine Essensintervalle.

Eine witzige Beschäftigung und auch für mich eine völlig innovative Zubereitung von Speisen. Dass ich meine heimische Küche deshalb umrüste auf manuelles Heißluftgaren ist jedoch unwahrscheinlich. Ich genieße jedenfalls meine Pizza, nennen wir sie "Pizza napolitaine soufflée à chaud", und mein kühles Bier, dann versinke ich in der absoluten Stille der Nacht. Das letzte, was ich höre, ist ein Käuzchen, dann schlafe ich ein. Gute Nacht.

6./7. März 2024 - Die tiefste Schlucht Europas, große Zahlen und Fischsuppe

Ein Tag, der mit Frühstückskino beginnt, wird bestimmt kein schlechter. Ich nehme direkt am Fenster Platz und lasse mir das Frühstück schmecken. Die geföhnte Pizza von gestern war nicht so nachhaltig sättigend, so dass ich heute Morgen richtig Hunger habe. Doch dann werde ich unruhig und möchte los, ich fahre heute in die Provence. Aus zwei Gründen ist meine Wahl auf diese Gegend gefallen. Zum Einen ist derzeit im Südosten Frankreichs das schönste Wetter und zum Anderen war ich noch nie so richtig in der Provence. Immer nur auf Durchreise und mit zu wenig Zeit für Land und Leute. 

Und so habe ich heute noch einmal den verschneiten Mont Ventoux auf der Reiseroute, diesmal mit Blick von Osten. Als ich das Tal des Jabron und seiner vielen Zuflüsse erreiche, verschwindet die weiße Spitze des Berges, der durch seine einzige steile Gipfelstraße auch von der Tour de France bekannt ist. Bei Noyers-sur-Jabron kann ich ein letztes Mal den Schnee auf den Bergketten bewundern, dann wird es wärmer und die Schneegipfel entfernen sich mehr und mehr. Mir ist auch nicht mehr nach Schnee zumute, die sanfte Wärme - zumindest in der Sonne - gewinnt zunehmend meine Sympathie. Die Bäume mit den ersten weißen und rosa Blüten am Straßenrand kündigen den Frühling an und dann kommt bald meine Lieblingsjahreszeit, der Sommer. So vergeht der Reisetag gemächlich, der ein oder andere Café war auch dabei und auf der kurzen Strecke hatte ich genügend Zeit zu verweilen und nicht zu eilen. So erreiche ich am frühen Nachmittag den Lac de Sainte-Croix, ein schon unnatürlich blauer Stausee des Verdon, der mir mit seinem plötzlichen Auftauchen ein leises Wow entlockt. Die Farbfläche dominiert das gesamte Landschaftsbild, insbesondere bei der klaren, frischen Luft. Kein Zweifel, hier werde ich übernachten, denn für die Erkundung der Verdonschlucht ist es heute schon zu spät. Gegenüber vom Ort Bauduen finde ich ein sehr nettes Hotel mit Restaurant, das mir nach kleiner Verhandlung auch ein Balkonzimmer mit Seeblick anbieten kann. Den Rest des Tages verbringe ich mit Sattsehen am Blau des Sees und später einem excellenten Ziegenkäsesalat. Und ein toller Tag verdient auch einen tollen Abschluss, heute heißt der Crème Brûllèe.

Wie sollte es anders sein, ich habe herrlich geschlafen, gleich erwartet mich ein gutes Frühstück und dann werde ich den ganzen Tag damit verbringen, die Schluchten des Verdon zu entdecken. Um eine Unterkunft für heute Abend muss ich mich nicht mehr kümmern, das habe ich gestern Abend schon getan. Für die nächsten drei Tage habe ich eine Ferienwohnung auf einem Landgut in der Nähe von Aups gebucht. Aber dazu später.

Zur Entdeckung der Gorges du Verdon kann ich eigentlich nicht viel sagen. Es gibt zwei Straßen, jeweils eine auf der linken und eine auf der rechten Seite des Flusses, das bedeutet in anbetracht der senkrechten bis zu 700 m hohen Wände, dass sie meist hoch oben über dem Fluss entlangführen. Der Grund der Schlucht ist nur zu Fuß zu erreichen, spektakuläre Wanderungen locken jedes Jahr tausende von Touristen an, was auch jetzt im Winter an der reichlich vorhandenen Infrastruktur abzulesen ist. Ich werde natürlich auf der einen Seite entlangfahren und auf der anderen zurück. Ein kleiner Teil der D23, der Route des Crêtes, ist noch wegen Schnee und Instandsetzung gesperrt, dennoch sind die erreichbaren Aussichtspunkte ein Muss. Es ist kein Verkehr auf den Panoramastraßen, ich kann einfach überall anhalten, wo es mir gefällt und diese atemberaubende Landschaft in mich einsaugen. Selten habe ich so gigantische Wände gesehen oder in derart schmale Tiefen von vielen Hundert Metern geblickt. Bestenfalls fallen mir die Taraschlucht (Montenegro), der Grand Canyon (USA), der Copper Canyon (Mexiko) und der Fish River Canyon (Namibia) ein. An manchen Straßenbiegungen und Abbruchkanten stehe ich einfach nur minutenlang und bin völlig überfordert, die Dimensionen dessen, was mein Auge wahrnimmt, zu begreifen. Die physikalischen Grundgrößen Länge, Masse und Zeit treffen hier in direkt proportionalen Größenordnungen zusammen, die nicht wirklich vorstellbar sind. Ok, 700 Meter ist vorstellbar, aber senkrecht? Das ist knapp zweimal die Höhe des Berliner Fernsehturms. Jetzt die Masse. Ich weiß nicht, wer sich überschlagsmäßig 5-8 Mrd. Tonnen ausgewaschenen Kalkstein vorstellen kann. Ich nicht. Und wieviel sind 66 Mio. Jahre? Das ist die Zeit, die der Verdon brauchte für seine gesamte Erosionsarbeit? Kaum vorstellbar.

Lieber schalte ich wieder um auf Landschaft, konzentriere mich auf die Farben der gewaltigen Steilwände und auf den blaugrünen Verdon weit unten in der Schlucht. Auf meinem Gesicht spüre ich die Aufwinde aus der Tiefe, auf denen die mächtigen Gänsegeier über mir dahingleiten. Egal, von wo ich diese überwältigende Landschaft betrachte, ich bin sprachlos, wie immer an Orten, an denen die Natur ihre ganze Kraft und Gewalt entfaltet. Niemals werden Menschen so etwas Großes schaffen und niemals wird der Mensch die Natur und die Evolution in die Knechtschaft zwingen. Die Heilung der Kratzer, die der Mensch der Erde zufügt wird ein paar Millionen Jährchen brauchen, dann ist alles wieder heile. Das geht ganz flott. Und dann macht die Natur einfach in Ruhe weiter. Vermutlich ohne die kleinen Plagegeister Menschen. Mich beruhigt der Gedanke sehr und umso mehr genieße ich das, was ich heute sehen darf.

Ich weiß nicht, wo die Zeit geblieben ist, fast der ganze Tag ist schon rum, die Eindrücke sind einzigartig und wollen jetzt erst einmal verarbeitet werden. Und wo könnte das besser gehen als in einer gemütlichen, ruhigen Ferienwohnung. Ich bin gespannt. Noch ist es etwa eine Stunde Fahrt bis dorthin, aber Langeweile kommt nicht auf, mir gefällt die Provence bis jetzt richtig gut und das schöne Wetter tut das Seinige zum Genuss dazu. Ich stelle mir gerade den Frühling hier vor, wenn die Obstbäume alle blühen und sich das winterliche Braun wieder in frisches Grün kleidet. Ich erreiche Aups, dann links ein paar Kilometer Richtung Villecroze und da bin ich. "Gite L' Oliveraie De Plérimond" steht auf einem kleinen, roten Schild, ich biege in einen Feldweg ein, der zwischen riesigen Pferdekoppeln, Wein- und Olivenbergen hindurchführt und an einem Gatter endet. Drei neugierige Pferde begrüßen mich und spekulieren auf das Öffnen des Gatters, denn draußen ist das Gras höher und vermutlich leckerer. Die Glocke am Tor muss ich manuell bedienen, bei der Stille ist der Klang weit zu hören und dann kommt Corinne, die Besitzerin. Was für ein freundlicher Mensch! Reithosen an, dreckige Hände von der Landarbeit, etwas Schweiß steht auf ihrer Stirn und das Lachen steckt mich an. Bonsoir...ça va... j'ai une réservation... usw. Corinne zeigt mir meine Ferienwohnung und ich bin hin und weg. Das hätte ich mir nicht träumen lassen.

Was für ein schöner Ort. Landhaus, alles harmonisch durcheinander und liebevoll eingerichtet. Der Ausblick auf die Weiden und die Olivenhaine wird mir die nächsten Tage ein Ort der Ruhe sein. Im Kaminofen ist schon Brennholz für den kühlen Abend vorbereitet und in der urigen Küche koche ich mir heute zur Feier des schönen Tages eine Bouillabaisse. Darauf habe ich mich den ganzen Tag gefreut. Ich bin an einem wunderbaren Ort. Ich bin angekommen in der Provence.

8. - 14. März 2024 - Savoir vivre, Naturwunder und Lebensqualität

Das Wort "eigentlich" ist eine Einschränkung. Und eigentlich wollte ich nur bis Sonntag hier auf dem Landgut L' Oliveraie de Plérimond verbringen, wenn - und jetzt kommt die Einschränkung - es mir nicht so außerordentlich gut gefallen würde. Kurzum, ich habe spontan bis nächsten Freitag verlängert. Es mag diese Ruhe sein oder die Landschaft, die mir gut tut, oder die hier lebenden netten Wesen. Als Erste sind da natürlich Corinne und ihr Mann, die mich mit Kaminholz, Olivenöl und menschlicher Wärme versorgen. In der Wiese leben sechs Hühner mit zwei Küken und ein bunter Hahn, die mich jeden Morgen pünktlich wecken. Etwas entfernt auf den Koppeln sehe ich die Pferde umhergaloppieren, sie kann ich nicht hören, aber Pferde machen ja auch nicht so oft Geräusche. Und zu guter Letzt ist da noch der alte Hund. Er macht auch keine Geräusche, dafür ist sein wachsamer Freund, der Münsterländer zuständig. Der Alte trottet immer nur hoch zu mir ans Ferienhaus, wenn ich zu Hause bin, und dann legt er sich schweigend vor meine Tür in die warme Sonne und passt auf mich auf. Ich fühle mich sehr behütet und umsorgt, ein wirklich lebenswerter Ort.

 

Da ich ja nun keine Eile mehr habe voranzukommen oder neue Ziele zu planen, kann ich mich ganz entspannt um das kümmern, was ich gerne mache und wofür Menschen vorzugsweise dieses schöne Fleckchen in der Provence besuchen. Wandern! Ich denke, für den Anfang ist ein Abstieg hinunter zum Verdon und wieder hinauf, das rechte Maß, meine Leistungsfähigkeit für Outdooraktivitäten zu überprüfen. Wanderzeug habe ich natürlich dabei, so dass an einem sonnigen Tag mein Ziel "Chalet de la Maline" heißt. Es ist einer der beliebtesten Etappenpunkte am Verdon und in der Saison deshalb auch meist hoffnungslos ausgebucht. Heute ist kein Mensch hier oben, zumal die Zufahrtstraße von einer Richtung noch wegen Schnee gesperrt ist.

Mein Wandergepäck beschränkt sich heute auf Jacke, Kamera, Wasser und Brotzeit, denn ich habe keine Ahnung, wie flott ich die Tour schaffen werde. Angegeben ist der Weg insgesamt mit drei Stunden und ich gehe mal davon aus, dass ich die eine oder andere Pause mehr benötigen werde als gewöhnlich. Die Sonne scheint als ich das Chalet de la Maline von La Palud-sur-Verdon aus erreiche und es ist angenehm warm. Bestes Wanderwetter. Der Verdon selber liegt überwiegend im Schatten, deshalb auch die Jacke im Gepäck. Schuhe noch einmal nachschnüren und los.

Der schöne und gut gepflegte Wanderweg verläuft im ersten Teil sanft absteigend und hält traumhafte Ausblicke auf diesen Teil der Schlucht bereit. Immer wieder stehen bleiben, gucken und staunen. Ich atme die frische Luft ein und mit jedem Zug die Ursprünglichkeit und Wildnis dieser Landschaft. Dann gehe ich weiter. Kleine Eidechsen huschen vom Sonnenbad auf dem Weg ins Gebüsch, sobald sie mich herannahen hören. Ich bleibe wieder stehen und mache Fotos, bin aber völlig überfordert, die unvorstellbaren Dimensionen und die Verhältnismäßigkeit dieser Topografie darzustellen. 

Der mittlere Teil des Weges hinab zur Passerelle de l’Estellier ist steiler und teilweise mit Treppen und Seilsicherungen ausgebaut. Gelegentlich bieten kleine gesicherte Balkone oder natürliche Vorsprünge eine baumfreie Sicht in die Tiefe. Hier irgendwo liegt auch der mit 700 Metern tiefste Punkt der Schlucht, wo ganz genau der ist, habe ich mir allerdings nicht vorher angesehen. Aber was sind bei diesem gigantischen Canyon schon Zahlen? Auf, auf, ich muss weiter, es ist noch ein Stückchen bis unten. Nun folgen Serpentinen über losen Schotter, die Hälfte habe ich geschafft.

Eine gewisse Sorge beschleicht mich, ob ich mich nicht überfordern werde mit dem Rückweg. Schließlich mache ich im Moment beachtliche Schulden auf meinem Höhenmeterkonto und einen Plan B für den Aufstieg gibt es nicht. Nun ja, diese gesunden Zweifel kenne ich von vielen Touren, zuletzt aus Neuseeland, wo ich mutterseelenallein 6-Stunden-Touren zu den Gletschern absolviert habe, aber damals kannte ich meine Reserven noch sehr genau. Heute steht meine persönliche Leistungserfahrung bei Null. Ich entscheide mich dennoch, bis nach unten zu wandern, bis zum Einbruch der Dunkelheit werden ab dort immer noch mehr als vier Stunden Zeit für den Aufstieg verbleiben. Selbst bei Annäherung an meine Leistungsgrenze halte ich das Risiko für beherrschbar. 

Der letzte Wanderabschnitt ist erfreulich unanstrengend und ich kann "rollen lassen". Zeit für viele einzigartige Wegeindrücke und Wahrnehmungspausen, denn der Weg mit seinen Wurzeln und groben Steinen ist trotz der Kräfteschonung nicht geeignet, unachtsam zu gehen. Stolpern könnte hier folgenschwer sein. Also halte ich mich, ähnlich wie beim Motorradfahren, an die Regel "Gehen oder Sehen". Dann bin ich unten an der Brücke. Der Verdon fließt an dieser Stelle in dem engen Bett beängstigend schnell und ich sehe deutliche Spuren vom winterlichen Hochwasser, das gut und gerne einen Meter über dem heutigen Pegel lag. Gewaltig! Und wenn ich den Kopf hebe, was für ein sensationeller Blick nach oben. Senkrechte Wände in Millionen Jahren erschaffen, allein von Tektonik und Wasser. Mehr als "Ich und das Universum" fällt mir dazu nicht ein. Tiefer Atemzug, Herzschlag, Sekundenglück!

Für meine Brotzeit ist es zu schattig und zu kühl hier unten, also trete ich den Rückweg an bis ich wieder in sonnenbeschienene Höhe komme. Jetzt Brotzeit. Eine Stulle und eine Banane habe ich mir in meine Wanderdose gepackt und die lasse ich mir nun schmecken. Anschließend geht es mir besser. Noch besser müsste ich sagen, denn ich fühle mich nach dem ersten Aufstieg zur Pausenstelle munter und fit. Ein Viertelstündchen in der warmen Sonne gönne ich mir noch, anlehnen und Augen zu. Vogelgezwitscher, das Rauschen des Verdon und eine sanfte Brise, mehr spüre ich nicht. Was für eine satte Portion Lebensqualität. Ich nehme sie sehr dankbar an. Weiter! Es geht stetig bergauf, das Geröllfeld muss ich nun wieder hoch, die Treppen und die gesicherten Stiege ebenfalls. Immer nur kleine Schritte machen, Gelenke und Bänder nicht überlasten! "Zwei schonende Schritte heute sind ein Schritt mehr im Alter", wie mein Wandermentor "Gulli" immer sagte, aber das ist eine andere Geschichte. Ich bin überrascht, wie leicht der Aufstieg geht. Die Spucke geht mir bisweilen aus und ich muss öfter einen Schluck aus der Wasserflasche nehmen, das war's aber auch schon. Luft und Muskelkraft reichen dicke, einzig das Gleichgewicht ist irgendwie verändert und meine Balance im Einbeinstand ist nicht so gut. Aber das bekomme ich auch noch hin. Eidechsen, Aussichten und die gute Luft sind die gleichen wie beim Abstieg. Ein riesiger Gänsegeier, der schon seit einiger Zeit über mir kreist, ergänzt die Szenerie. Was für ein majestätischer Vogel. Kein einziger Flügelschlag, keine abrupten Flugmanöver, nur wenn er sehr tief über meinem Kopf hinwegfliegt zischt es leise als rausche ein Garbe Weizen im Wind. Dann ist das Chalet de la Maline mit seinen grünen Fensterläden schon wieder ganz nah über mir und der Weg verliert bereits an Steigung. Keine zwanzig Minuten später habe ich es geschafft, ich bin wieder oben und das mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, dass mein Stolz sich eher in Grenzen halten möchte. Es folgt ein langer, besinnlicher Blick zurück in diese sagenhafte Schlucht, die ich in den letzten Stunden erwandert habe. Nein, heute bin ich stolz, aber noch mehr bin ich glücklich über die Rückkehr meiner Leistungsfähigkeit. Was für ein toller Tag! 

Die restlichen meist sonnigen Tage füllen sich eher ohne größere Anstrengung. Ich schlafe mich morgens aus und gleite bei ausgedehnten Frühstücken mit mehreren Tassen Kaffee in den Vorfrühling. Seit die Sonne wieder vom blauen Himmel scheint, muss ich tagsüber auch den Kaminofen nicht mehr bemühen, um Behaglichkeit zu schaffen. So habe ich mir das vorgestellt und so gefällt mir das. 

Abgesehen von den notwendigen Dingen wie Einkaufen und kleineren Mailkorrespondenzen, lasse ich mich von den hiesigen Gepflogenheiten leiten. Ich stelle mich auf die Öffnungszeiten von Märkten und Sehenswürdigkeiten ein und versuche mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen den Alltag der Franzosen zu verstehen. Manche Beobachtungen sind so einfach, dass sie sogar alle Klischees bedienen, andere sind rätselhaft und für mich vielleicht nie zu ergründen. Ich will zwei Beispiele geben. Zunächst das einfache: Die Märkte in Frankreich sind, was Art, Auswahl und Sortenreichtum der Lebensmittel angeht, ganz besonders, und dass die französische Küche auch nicht gerade zurückhaltend ist, was die Zubereitung von Fleisch angeht, wissen wir auch. Aber wie leicht ich das hier live beobachten kann, ist eine wahre Freude. Von November bis März werden in dem Dorf Aups jeden Donnerstag frische Trüffeln feilgeboten. Das ist für unsereins schon etwas Besonderes, betrachtet man nur die Preise von 900-1200 Euro pro Kilo. Ein frischer Tischtennisball großer schwarzer Trüffel (Tuber melanosporum) wiegt etwa 40g und reicht für vier Personen, was bedeutet, dass man seine geladenen Gäste schon sehr lieb haben muss. Nun, und solche kulinarischen Kostbarkeiten werden wie selbstverständlich verkauft. Der warenkundige Franzose fasst die Trüffeln an, prüft die Festigkeit und riecht sehr genau an den braunen, erdigen Klumpen. Ich tue das auch, es ist schon ein echtes Erlebnis, aber in Ermangelung geliebter Tischgäste verzichte ich auf den Kauf. Dann am Gemüsestand steht neben mir eine ältere Frau mit einem in beeindruckender Handschrift angefertigtem Einkaufszettel: Lapin, côtes de veaux, boudine, jambon, pâte, petit salé (Kaninchen, Kalbskotelett, Blutwurst, Schinken, Pastete, gepökeltes Schweinefleisch). Fleisch pur, alles echte Klassiker und mir fallen zu jedem Posten spontan mehrere Rezepte ein, das ist gelebte cuisine française traditionnelle.

Jetzt das zweite schwierige Beispiel meiner Beobachtung: Am Place General Jean-Baptiste Girard stehe ich beim Dorfspaziergang zufällig an einer Häuserecke, die auf den ersten Blick schmucklos und belanglos wirkt. Bei genauem Hinsehen entdecke ich eine ganz besondere Konstellation. Im Parterre befindet sich ein geschlossenes Restaurant, in der ersten Etage sitzt außen auf einer Fensterbank ein weißes Kaninchen und darüber auf einem Sims schläft eine Taube. Ich mache mir Gedanken, warum das so ist. Nun, das Restaurant hat möglicherweise nichts anzubieten, da das Kaninchen sich auf der Fensterbank vor dem Koch in Sicherheit gebracht hat. Der Koch hatte deshalb am Morgen seine Frau mit einem Einkaufszettel auf den Markt geschickt, frisches Kaninchen zu kaufen. Die gute Frau hat sich aber wie oben bewiesen am Obststand verirrt, wo sie keine der beauftragten Einkäufe erstehen konnte. Und die Taube? Ganz einfach, sie schläft deshalb so ruhig, weil "volaille" nicht auf dem Zettel stand. Ich bin mit der Deutung nicht ganz sicher, ein Rest Rätselhaftigkeit bleibt irgendwie.

Alle weiteren Beschäftigungen meiner Zeit in der Provence sind am besten mit "unzusammenhängend" zu beschreiben. Ich schaue mir im Nachbarort Villecroze den alten Eingang zu den Tropfsteinhöhlen an, die saisonbedingt leider geschlossen sind. Ersatzweise schaue ich bei einer Partie Pétanque auf dem Dorfplatz zu. Pétanque, nicht zu verwechseln mit dem boule lyonnaise, ist ein traditionelles französisches Kugelwurfspiel, das hier in der Provence seinen Ursprung hat. Ein Stückchen weiter unternehme ich anderentags einen Spaziergang zum Wasserfall "Sillans-la-Cascade". Und auf all meinen Wegen fallen mir die vielen Töpfereien und Keramikwerkstätten auf, was mich neugierig macht, und ich muss erfreut feststellen, dass es kein Tourischrott ist, der hier gefertigt wird, sondern zum Teil beachtenswertes und kreatives Kunsthandwerk. Eine ernsthafte Standhaftigkeitsprüfung für mich und meine Kreditkarte.

Es ist schon spät, das Pétanque ging in die Verlängerung und die hübsche Schüssel hat Appetit auf Salat gemacht. Also noch schnell zum Intermarché, den Einkaufszettel von Madame l'épouse du maître ignoriere ich ganz bewusst, es gibt Grünzeug. Und so schön wie die Tage hier beginnen, so sollen sie auch enden. Ich freue mich auf Kaminfeuer und Kontemplation. Bonne nuit!

15./16. März 2024 - Altbekannte und verschimmelte Orte

Die Zeit in der Provence ist zwar um, aber neue Ziele für die nächste Woche habe ich noch keine. Jedoch ist es egal, wohin in Frankreich ich von hier aus reisen werde, das Haute Languedoc, die Cévennes und das Massif Central als Region werden immer irgendwie auf oder an meinem Weg liegen. Obwohl ich schon so oft dort war, es reizt mich immer wieder und gleichermaßen, neue Orte zu entdecken wie alte wiederzusehen.

Nachdem ich auf dem Weg heute schon den Frühling versucht habe "einzusammeln", komme ich am Ende der Tagesetappe an einen dieser neuen Orte: Roquefort-sur-Soulzon. Ja, es ist jener Ort Roquefort mit dem Käse! Mir präsentiert sich ein kleines, nicht sonderlich hübsches Städtchen, in dem einst ein paar Bauern Käse aus Schafsmilch in verschimmelten Höhlen reiften. Das ist über 150 Jahre her, der "Roquefort" war geboren. Er erlangte über anderthalb Jahrhunderte zu recht Weltruhm. Sein Geschmack ist mehr als edel. Er wurde oft imitiert, aber nie erreicht und ich kann Euch sagen, er schmeckt umwerfend gut. Jetzt werden viele von Euch sagen, kenne ich, den kann man doch in jedem gut sortierten Supermarkt kaufen. Das ist richtig, aber man kann nicht alle Varianten in Deutschland kaufen. Da gibt es milde Sorten mit bröckeliger Krume und cremigere mit feiner Schärfe. Und mein persönlicher Favorit ist seit heute die extra cremige und intensive Variante "Caves Baragnaudes". Den habe ich noch nie gegessen und mich sofort verliebt. Eine Gaumenfreude erster Güte. Das Interessante ist, dass die Varianten einzig durch die Reifung in unterschiedlichen Kellern hergestellt werden. Daher auch die Benamung nach dem Keller, wobei "Caves Baragnaudes" einen bestimmten Bereich der riesigen Reifehöhle beschreibt. Andere Bereiche heißen "Cave des Templiers" oder einfach nur "1863", was der originäre Höhlenabschnitt ist, in dem seit 1863 Käse gereift wird. Die Führung durch die unterirdischen Labyrinthe war sehr eindruckvoll und erzählte nicht nur über den Käse selbst, sondern auch über Geologie, Klima, Flora und Mikrobiologie in den Höhlen. Ein kleines Highlight.

Es geht nach der Käsetour nur noch ein kleines Stückchen weiter bis nach Millau, wo ich heute zweckübernachte, weshalb es auch nichts besonderes zu berichten gibt. Ein kleiner Spaziergang am Abend und der kulinarische Ausklang heute ausnahmsweise mal thailändisch. 

Am nächsten Morgen muss ich früh los, da ab 8:00h pünktlich das Parkverbot vor dem Hotel beginnt, ein häufiges Dilemma in Frankreich bei Hotelbuchungen in der Innenstadt. Es regnet noch leicht, aber das gibt sich als ich aus dem Loch von Millau rauskomme und meine weitere Fahrt Richtung Parc naturel régional des Volcans d'Auvergne fortsetze. Das ist die Gegend der Auvergne, wo es meine Lieblingskäse Salers, Cantal und Saint-Nectaire gibt. Außerdem freue ich mich auf die stillen Berge rund um das Vallée de la jordanne und le Puy Mary. Ich mache zufällig eine Pause mit Brotzeit am Col du Perthus und entdecke eine Steinbank mit einem großen Kreuz. Hier bin ich vor zwölf Jahren auf meiner ersten Motorradtour nach Andorra nur wegen einer Reifenpanne vorbeigekommen. Und heute treffe ich diesen Ort zufällig wieder. 

Mit entspannter Reisegeschwindigkeit passiere ich das Vallée de la Jordanne, weil der Col le Puy Mary noch gesperrt ist, dann über Lavigerie ins lange grüne Tal bis zum Col de Serre. Ab hier geht's abwärts und ich ende, wie sollte es anders sein, wieder an einem altbekannten Ort, dem Lac des Moines. Das kleine Hotel am See kenne ich schon, hier gibt es preiswerte Zimmer mit bodenständiger Vollpension. Meine spontane Entscheidung, zwei Nächte zu buchen, liegt am Wetter. Morgen ist es noch trocken, da werde ich wandern gehen und am Montag soll es regnen, da kann ich auch Auto fahren. Deshalb noch schnell zum nächsten Intermarché und eine Wanderkarte besorgen, weil ohne ist man in Frankreich ziemlich aufgeschmissen, aber dazu morgen mehr.

Der restliche Abend ist sehr gemütlich, ich plaudere noch viel mit den beiden Austauschstudenten aus Chile, die hier den Service machen, dann wird das Hausmacher-Drei-Gänge-Menü serviert, inklusive lokaler Käseauswahl. Wie könnte es besser sein? Eine ruhige und stockdustere Nacht bereiten mir erholsamen Schlaf. Gute Nacht.

17. März 2024 - Wandertag auf Französisch

Heute habe ich mir ja vorgenommen, etwas zu wandern. Das Wetter soll ganz gut werden, ich brauche Bewegung und ich habe meinen Aufenthalt im Hotel extra dafür verlängert. Doch zunächst ein gutes Frühstück während dem ich meine neue Wanderkarte studiere. Es gibt viele Möglichkeiten, ich suche mir einen Rundweg aus mit ein Bisschen See und Wald und Steigungen. Nach der Karte sollten es etwa drei Stunden werden, lassen wir uns überraschen. Ich packe mir noch eine kleine Brotzeit zusammen, die Wandersachen habe ich mir gestern Abend bereits zurechtgelegt, so bin ich in kurzer Zeit abfahrtbereit. Meine neuen Wanderschuhe passen prima, die restliche Kleidung ist regengeeignet, dann kann es losgehen.

Zu den Wanderwegen in Frankreich muss man sagen, dass sie nicht so zuverlässig gekennzeichnet sind, wie der verwöhnte Alpenwanderer es aus Deutschland oder Österreich kennt. Zudem sind die Wege in Frankreich nicht so frequentiert wie die populäreren Pfade der Mittelalpen. Das bedeutet, sie sind sehr viel ursprünglicher und wilder. So manchen Weg finde ich auch erst nach genauem Studium der Karte oder ich bin verunsichert, weil die Wege so "unbewandert" aussehen. Das Spiel kenne ich schon aus den Cévennes, wo ich auf wunderschönen, aber abenteuerlichen Wegen unterwegs war.

Kurze Fahrt zum Lac de la Crégut, dort stelle ich mein Auto ab, schnalle mein Bündel auf und gehe los. Der Einstieg ist leicht zu finden, mein Wanderzeichen ist ein weiß-roter Doppelstrich. Das Wetter ist leider doch nicht so schön wie vorhergesagt, aber das ist dann eben so. Sofort bin ich in dichtem Wald, durch die Äste kann ich ab und zu den nahen See erahnen, mehr sehe ich aber nicht. Dafür wecken überall große Baumpilze meine Aufmerksamkeit, ich schaue sie mir näher an. Sie sind steinhart und sehr fest an ihre Wirtsbäume angewachsen. Sie fühlen sich mehr an wie ein Stück Holz als wie ein weicher Pilz. Sie wachsen immer waagerecht, so dass sie eine Art Vordach bilden, mit dem sie ihre Sporen auf der Unterseite trocken und damit zerstäubungsfähig halten. Wenn Bäume umfallen und als totes Holz am Boden liegen, dann wachsen dort oft ebenfalls Baumpilze. Im Verhältnis zum Stamm nun um neunzig Grad verdreht. So kann man sehr leicht an der Größe der Baumpilze abschätzen, wie lange der Baum dort schon auf dem Boden liegt.

Nach ein paar Irrwegen und ungewollten Umwegen komme ich nicht ganz dort aus dem Wald heraus, wo ich es erwartet hätte. Das Ortsschild der kleinen Siedlung "La Banut" hilft mir bei der Ortung auf der Wanderkarte. Jetzt erinnere ich mich auch, wo ich den Wanderweg verloren haben muss. Was soll's? Ich wollte doch heute Bewegung. Von der nahen Weide beobachten mich ein paar Aubrac-Rinder sehr aufmerksam und neugierig. Hübsch sind sie mit ihren runden Hörnern und ihrem etwas zotteligen, rotbraunen Fell. Die Karte sagt, ich muss jetzt einfach am See entlang, dann treffe ich automatisch wieder auf meinen Rot-weiß-Wanderweg. Ich bin gespannt. Das Wetter wird schöner, sehr zaghaft kommt ab und zu sogar die Sonne zum Vorschein. Die frische Luft tut mir gut. Ich finde, das ist genau der richtige Zeitpunkt für eine Brotzeit, zumal ich zufällig eine Bank mit Tisch am Seeufer finde.

Mitte März ist hier niemand, manchmal ist es geradezu gespenstisch, durch das grüne, dick bemooste Unterholz zu gehen. Wie gesagt, die Wanderwege in Frankreich sind ursprünglicher und überwachsener als im Alpenland. Meine Brotzeit ist verspeist und zehn Minuten Augen zu sind der Erholung genug, ich will weiter. Ich verlasse das Seeufer und steige wieder in die beschriebenen moosigen Winterwälder ein. Als ich den Weg für ein paar Fotos verlasse laufe ich wie auf weichen Matrazen und fasse ich die Moose an, ist es als greife ich in ein nasses Kissen. Es riecht erdig feucht, ich nehme tiefe Atemzüge, schließe meine Jacke und wandere weiter. Das letzte Stück ist einfach, es führt in Wellen wieder an einem See entlang, dann noch ein seichter Anstieg und ich bin zurück an meinem Auto. Das waren nun runde vier Stunden und ich freue mich über meine Kondition, für die das keine große Herausforderung war. Da ist schon eher das Tragen von Gepäck ein Aufgabe, an der ich noch zu arbeiten habe. Aber das bekomme ich auch noch hin.

Zurück im Hotel noch etwas ausruhen, dann schreite ich zum verdienten Menu du jour mit einem schönen bunten Nachtisch. Das habe ich mir heute verdient und die erholsame Nacht ebenfalls, bevor es morgen früh weitergeht. Gute Nacht!

18.-20. März 2024 - Take the long way home...

Die letzten Tage meines Frankreichausfluges brechen an und ich bin noch etwas unentschieden, welchen Weg nach Hause ich nehmen werde. Sicherlich nicht den schnellsten. Da gibt es doch noch zwei Orte auf meiner ewigen Bucket List, die ich schon immer mal besuchen wollte. Das Kloster Le Mont-Saint-Michel und die Felsenküste der Normandie. Das wäre doch was. Kurz die Kilometer überschlagen und durch die verbleibenden Tage teilen. Passt. Eine Übernachtung in Châtellerault liegt strategisch sehr günstig, dann lerne ich auch mal das Städtchen kennen, für das sich unser Sohn vor zwölf Jahren im Auslandsjahr entschieden hat. So schnell geht Planung.

Nach dem gewohnt französischen Frühstück plus Käse, was für französische Frühstücke eher unüblich bist, verlud ich mein Gepäck wieder ins Auto, dessen freier Laderaum durch die vielen Einkäufe schon spürbar reduziert war. Der neue kleine Autokühlschrank nimmt zusätzlich noch Platz in Anspruch, ist aber unverzichtbar wegen der frischen Leckereien. Er tut seinen Dienst sehr gut und wird richtig kalt. Dennoch stinkt das ganze Auto nach Käse, der selbst durch die dicken Verpackungen hindurch seinen Duft verströmt. Ich richte mich gemütlich hinter dem Steuer ein, programmiere kurz die Route ins Navi ein, Sitzheizung an und ade schöner Lac des Moines, es war mal wieder schön bei Dir.

Die Sonne lässt sich zu dieser frühen Stunde kaum sehen, im Gegenteil, sogar der ein oder andere Tropfen fällt vom bewölkten Himmel. Dennoch genieße ich die Fahrt auf den winzigen Nebenstraßen mit ihren vielen uralten Brücken, die alle als Bogenbrücken gebaut sind. Die Dörfer sind wie ausgestorben, kaum eine Menschenseele finde ich auf der Straße, ganz zu schweigen von Infrastruktur wie Kaufläden oder Cafés. So geht das die erste Stunde und mit der Überquerung der Dordogne verlasse ich das Département Cantal. Die Landschaft wird flacher und topografisch eintöniger, weshalb ich mich ab hier für die Autobahn entscheide. Auch die guten Straßenkarten des französischen Reifenherstellers und Küchensterneverleihers weisen in dieser Region keine landschaftlich wertvollen Strecken mehr aus. Zwischen dem Nationalpark der tausend Kühe (franz.: Parc naturel régional de Millevaches en Limousin) und dem Périgord-Limousin komme ich also flott voran und erfreue mich auch für den Rest der Fahrt mehr an guter Musik als an schönen Wegeindrücken. Gegen halb fünf nachmittags erreiche ich Availles-en-Châtellerault, das kleine Dorf, in dem damals unser Sohn ein Jahr lang sein kleines Dachzimmer mit Domblick bewohnte. Ein besonderes Gefühl hier zu sein, leider sind die Gasteltern von damals nicht zu Hause, ein Café und ein Plausch wären bestimmt nett gewesen. 

Den Abend verbringe ich im nicht weit entfernten Châtellerault. Ich mache einen Spaziergang durch die eher schmucklose, aber sympathische Stadt, die eine lange industrielle Geschichte hat, worauf sie sehr stolz ist. Leider ist heute Montag und die meisten Locations haben geschlossen, also bleibt es bei den Blicken von außen. Trotz der Sonne, die am Nachmittag noch rauskam, ist es jetzt wieder recht frisch, so sollen mir ein schmackhaftes Dîner am Platz und anschließend ein heißer Tee im Hotelzimmer den Abend beschließen.

Am nächsten Morgen das übliche Frühstücks-Zeremoniell, Café crème, Croissants, Pain etc., es geht zeitig weiter in die Bretagne. Die Strecke ist wie schon gestern wenig erwähnenswert, es ist flach und grün hier im Nordwesten Frankreichs und die weißen Charolais Kühe sind in der Überzahl. Die niedrige Seehöhe erlaubt dem Frühling hier bereits eine üppige Blüte, so dass viele Dorfdurchfahrten mit rosa und weißen Bäumen gesäumt sind. Am frühen Nachmittag erkenne ich am Horizont die Spitze des Klosters von Le Mont-Saint-Michel. Der markante Felsen im Tidebereich des Wattenmeers und der Mündung der Sélune ist unverkennbar und schon so etwas wie ein Wahrzeichen Frankreichs. Dementsprechend ist auch die Infrastruktur gestaltet, schließlich kommen hier pro Jahr dreieinhalb Millionen Menschen her, um den kleinen Klosterberg zu besuchen. Unfassbar. Heute allerdings ist so gut wie nichts los. Die Parkplätze sind leer, die kostenlosen Bus Shuttles ebenfalls. Leider wird gerade restauriert, weshalb große Gerüste mit weißen Planen das erwartete Gesamtbild des Klosterberges etwas verunstalten. Ja, ja, auf meinen Bildern ist das natürlich nicht zu sehen, dank der Nachbearbeitung mit künstlicher Intelligenz. Natürlich mache ich einen Besuch in der mittelalterlichen Klosterstadt. Ein beschaulicher Ort, aber selbst heute ist es erforderlich, den vergleichsweise marginalen Tourirummel und den ganzen Konsumschrott auszublenden. Es gelingt mir, mir vorzustellen wie hier Menschen seit dem frühen Mittelalter lebten. Eine lange und wechselhafte Geschichte hat diesen Berg begleitet, bis Victor Hugo im 19. Jahrhundert für eine Restaurierung und eine Renaissance des damals verfallenen Ortes sorgte. Von oben, vom Klostereingang lasse ich noch ein wenig meine Blicke schweifen über das Wattenmeer der Normandie bei Ebbe, dann mache ich mich auf den Rückweg. Der Spaziergang zurück zum Parkplatz durch die erfrischende Seeluft tut mir gut und es sind tatsächlich nur sehr wenige Menschen unterwegs. Eine tolle Jahreszeit. diesen gewöhnlich sehr überlaufenen Ort zu besuchen. 

Jetzt sind es noch flotte 240 Kilometer bis Étretat, dort möchte ich übernachten. Ich nehme wieder den schnellsten Weg via Autobahn, passiere die Pont de Normandie, die riesige Hängebrücke bei Le Havre. Hier mündet die Seine in den Ärmelkanal. Noch am frühen Abend erreiche ich mein Ziel und in der Wintersaison klappt sogar die Hotelsuche in der Altstadt beim ersten Versuch. Das architektonisch typische und sehr beeindruckende, mittelalterliche Hotel hat noch ein preiswertes Dachzimmer für mich und gegenüber wird später "Menu du jour" serviert, was möchte ich mehr? Zunächst aber zieht es mich an den herrlichen Kiesstrand von Étretat, von wo aus ich die berühmten Felsbögen der Kalksteinklippen bewundern darf. Ein gewaltiger Anblick und im Hintergrund das laute, fast klirrende Rauschen der Kieselsteine, das im Rhythmus der Wellen alles übertönt. Die diffuse Sonne hinter den dünnen Wolken kann ihr Abendrot zwar nicht in aller Pracht entfalten, erfreut mich aber mit einem wunderschönen Orange, das sich langsam im Meer verdünnt und auflöst. Dann wird es dunkel und frisch. Ich habe Hunger.

Das Dîner gegenüber meines Hotels war gemütlich und lecker. Nichts pompöses, eine heiße Bouilabaisse, warmer Camembert de Normandie und als letzten Gang meiner Reise lasse ich mir noch einmal "Profiteroles à la glace vanille et sauce chocolat" servieren, zuletzt gab es dieses Dessert vor drei Wochen in Nasbinals. Nach diesen Genüssen steige ich die uralten Treppen meines Hotels hinauf bis ins Dachzimmer, dann folgt eine geruhsame Nacht.
Der Mittwoch beginnt um acht Uhr, heute "erledige" ich das restliche Stück bis nach Hause. Auf eine weitere Übernachtung habe ich keine Lust mehr, ich habe in den letzten vier Wochen so viele wunderschöne und tolle Orte besucht, die möchten jetzt erst einmal verarbeitet werden. Bevor ich aber Étretat verlasse, gehe ich noch einmal zum Strand. Ich habe das Bedürfnis, mich zu verabschieden, so wie man es tut, wenn man eine schöne Zeit mit einem Bekannten verbracht hat und sich jetzt wohl die nächsten Jahre nicht mehr wiedersehen wird. Ein letzter Blick zur Falaise d'Aval im frühen Morgenlicht, dann fahre ich nach Hause.

Unabhängig von den vielen tollen und neuen Eindrücken in einem meiner Lieblingsreiseländer, kann ich als kleines Fazit dieser Test-Reise sagen, dass meine Kondition erstaunlich gut ist und ich mehr als glücklich bin, dass es absolut keine gesundheitsbedingten Showstopper für mich gab. Es könnte nicht besser sein, auch wenn größere Reisen - soviel ist mir klar geworden - noch ein gehöriges Maß an Fitness und Kraft mehr verlangen. Das ist jetzt der nächste Meilenstein. Und bis dahin, schön, dass Ihr ein wenig mitgereist seid, ich hoffe, es hat Euch genauso viel Spaß bereitet wie mir. Wenn ich wieder unterwegs bin, sage ich Bescheid! 

À bientôt!

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