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Auszeit 2022 - Teil I - Die Kaukasusreise
🇦🇲 Armenien
Etappe 3: Bis zur iranischen Grenze
18. Juli 2022
Einreise Armenien und eine lange Fahrt nach Martuni
Heute erreiche ich Armenien, ein neues Land, über das ich ehrlich gesagt gar nicht soviel weiß. Es ist die letzte Etappe vor dem Iran, in den ich leider nicht einreisen kann, da meine Informationen falsch waren und ich nicht alle notwendigen Papiere zusammen habe. Sehr bedauerlich, aber machen wir das Beste draus. Der Grenzübergang ist ganz geschmeidig, die Beamten sind sehr freundlich, allerdings mit der Verzollung meines Motorrades sehr bürokratisch und kompliziert. Ein heiteres Gestempel und Getackere, am Ende unterschreibe ich etwas Unlesbares und werde mit dem Wort „Finish“ verabschiedet. Wenigstens muss ich nichts bezahlen, dazu habe ich nämlich auch schon andere Geschichten gehört. Flott noch das Moped bei den Wegelagerern hinter der Grenze versichern, ich zahle in gemischten Währungen und werde so meine monetären Restbestände los. Es reicht aber nicht und der Agent meint, es sei schon in Ordnung und erlässt mir glatte 10% des Versicherungsbetrages. Das lässt Rückschlüsse auf die Marge zu. Wieder dreimal was Unlesbares unterschreiben und weg bin ich.
Das Ziel ist heute die Stadt Sewan am Sewansee. Es soll sehr schön sein dort, schöne Landschaft und schwimmen kann man auch. So jedenfalls bestätigten das einige Georgier, wenn ich davon erzählte. Machen wir es kurz: Grausam! Der Ort Sewan ist ein Konglomerat von riesigen Industrieruinen, völlig kaputten Straßen und nagelneuen Straßen in Neubauvierteln, in denen keine Menschen sind. Betonbunker werden bezugsfertig in die Außenbezirke gegossen, ein riesiges Hotelgerippe steht wie ein Wahrzeichen auf einer Anhöhe. Viel zu nah ist die Schnellstraße am Strand, als dass man hier eine erholsame geschweige denn eine gemütliche Bleibe finden könnte. Heruntergekommene Strandbars mit vielversprechenden Beinamen wie Paradies oder Heaven wechseln sich ab mit quietschbunten Strandbedarf-Shops, in denen es nur Plastikmüll gibt, der ohnehin nicht länger als einen Kurzurlaub halten dürfte. Au Weia! Wohin jetzt? Denn diesen Frust tue ich mir nicht an, hier zu übernachten. Da bleibt nur, einfach weiterzufahren bis zum nächsten Durchgangshotel. Trotz der schönen Strecke, die sich die ganze Zeit am Seeufer entlangwindet, bin ich etwas besorgt, was meine Unterkunft angeht. Es ist schon spät, in zwei Stunden geht die Sonne unter und ich bin in der Einöde. Viele Hinweisschilder auf Hotels oder Campingplätze sind Relikte aus besseren Zeiten und führen ins Leere oder zu Ruinen. Erst siebzig Kilometer weiter, in Martuni am südlichen Ende des Sewansees finde ich mit Mühe ein Hotel. Ein einziges. Alle anderen kartierten Unterkünfte stehen leer oder existieren nicht mehr. Was soll’s, das Zimmer ist sehr gut und ein Restaurant gibt es auch, wenn auch etwas befremdlich, dass jede Gästegesellschaft ein eigenes Esszimmer bekommt. Das kenne ich so nur aus dem Oman und finde das mehr als einsam, alleine bei geschlossener Tür zu speisen.
Das war’s auch schon für heute, einige schöne Streckenabschnitte habe ich in meinem kleinen Kurzfilmchen gezeigt, das ihr auf Youtube unter „freibildzone“ findet. Morgen geht’s weiter und ich bin voller Zuversicht, dass es wieder toll wird.
19. Juli 2022
Alles wird besser, es geht nach Meghri
Nachdem es gestern eher wie ein Pflichtprogramm war, sollte es heute eine zwar lange, aber sehr schöne Tour werden. Die ersten Kilometer sind etwas beunruhigend, da die Straßen eine Katastrophe sind. Völlig zerstörte Beläge, Dreck, Staub, Schlaglöcher, Schotter, Sand und mittendrin Speed Bumps. Wozu man die bei diesen Straßen noch braucht ist mir ein Rätsel. Außerhalb der Dörfer ist es nicht viel besser, sollte sich das nicht bessern, werde ich drei Tage nach Meghri brauchen. Doch es bessert sich spürbar, als ich auf die Verbindungsstraße Yerevan-Meghri einbiege. Die Landschaft bis hierher war atemberaubend schön. Diese unendlichen, baumlosen Hochlandsteppen mit ihren üppigen Blumenwiesen und der seicht geschwungenen Topografie sind eine Augenweide. Immer wieder werden sie unterbrochen durch Felsenstrukturen, die von steinigen Ansammlungen bis zu tiefen Canyons reichen. Und mittendrin die Straße, die sich diesem Relief unterwerfen muss. Lange und kurvenreiche Serpentinen klettern zu den Pässen hinauf und an der anderen Seite wieder hinunter. Die tiefste Schlucht, die es zu überwinden gilt, ist die beim Kloster Tatew. Zwar wird sie überspannt von der längsten Freiseilbahn der Welt, aber das Vergnügen nützt mir nichts. Kehre für Kehre komme ich dem Grund der Schlucht näher, in dem sich auch die Teufelsbrücke befindet. Sie ist eine natürliche Brücke, unter der sich der Fluss Bazarcay mit seinem kristallblauen Wasser seinen Weg bahnt. Auf der anderen Seite geht es nicht minder steil wieder nach oben, bis ich am Ende das Kloster Tatew erreiche.
Ich gönne mir eine kleine Pause und genieße die Aussicht. Gute Entscheidung, denn die restlichen Kilometer bis nach Kapan sind recht anstrengend. Die Straße ist eigentlich nur eine kleinere Nebenstrecke und dem Verkehr – insbesondere dem Lkw-Verkehr – gar nicht gewachsen. Jedoch ist sie auch die einzige Verbindungsstraße zwischen Nord und Süd, da die große östliche Straße von russischen Soldaten kontrolliert wird und nicht jeder passieren darf. Alles Kriegsfolgen von 2020.
Hinter Kapan geht es noch einmal hinauf in die Berge, es wird sogar richtig frisch, dann folgt eine lange entspannte Abfahrt bis ans Ziel nach Meghri. Die ziemlich steile Anfahrt zum Guest House ist noch das i-Tüpfelchen, ich parke etwas unteralb, die Off-road Zufahrt ist nicht schaffbar, wer sich hier lang macht, rutsch zurück bis auf Los.
Ich bin am entferntesten Punkt meiner Reise angekommen, das Guesthouse „Khachats Toun Heritage“ ist ein historisches Kleinod. Direkt an der Kirche in Poqr Tagh, dem alten Teil Meghris gelegen, gibt es hier u.a. noch einen Erdofen zu besichtigen und wer Glück hat, kann diesen auch noch in Aktion erleben auf einer der vielen kulturellen und traditionellen Veranstaltungen.
Dieser Tage ist nichts Besonderes los, was Shahane – der Besitzerin – und mir viel Zeit gibt zu quatschen. Ich lerne über die Geschichte Meghris, die alltäglichen Besonderheiten der immer noch unruhigen politischen Lage. Dabei genieße ich einen starken armenischen Kaffee und die wunderschöne Aussicht von hier oben auf die grüne, oasenhafte Stadt in den Bergen. Zwei Tage Pause in herrlicher Umgebung.
20./21. Juli 2022
Meghri
Wie gesagt, ich brauche eine Pause. Ausschlafen, nichts tun und in der Sonne sitzen, schreiben, waschen, lecker essen und quatschen. Nun ist es leider so, dass ich das Granatapfeltal in Nrnadzor nicht besuchen darf, da die Region von den Russen gesperrt wird. Zuviel Menschen haben dort unter dem Vorwand kultureller Reportage gefilmt und dann politische Propaganda aus dem Material gemacht. In Nrnadzor gibt es die angeblich besten Granatäpfel der Welt und viele andere Früchte von außergewöhnlicher Qualität. Das schöne Tal ist eine Sackgasse und liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu Aserbaidschan entfernt und da der jüngste Krieg von 2020 noch immer unverheilte Wunden hat, sind auch die territorialen Begehrlichkeiten in den Grenzregionen noch nicht verschwunden und die Akzeptanz des vereinbarten Friedens noch nicht in allen Köpfen etabliert. Tja, nach der verhinderten Einreise in den Iran die zweite Enttäuschung. Bleibt noch die wunderschöne armenische Kirche Meghru Vank oberhalb von Khachats Toun, ich bin begeistert von den Fresken und nehme mir die Zeit, eine Weile dort zu sitzen und die Stille zu genießen.
Abgesehen davon, dass Meghri ohnehin nicht mit Touristenströmen gesegnet ist, kommen nicht viele Menschen hier herauf. Die Nächte sind warm, am besten schlafe ich in den Morgenstunden, alles in allem zwei wunderbare Tage hier am Aras.
22. Juli 2022
Das Kloster von Noravank und ein Grundsatzgespräch
Bevor ich Meghri verlasse und mich wieder in Richtung Norden aufmache, drehe ich noch eine Runde an der iranischen Grenze. Hohe Wachtürme sind weithin sichtbar, Militärpräsenz und nach wenigen Kilometern an jeder Straße Schlagbäume. Außer zum armenisch-iranischen Grenzübergang kommt man hier überhaupt nirgendwohin. Stacheldraht, Elektrozäune und Hunde sichern das Ufer des Aras bereits auf armenischer Seite. Mir erscheint das alles absurd, wenn ich die Menschen betrachte, die hier leben. Was macht das mit ihnen, die Präsenz dieser martialischen Machtabgrenzung täglich zu spüren. Auch wenn es einfach ist, als Armenier bzw. Iraner zum Shoppen „mal rüberzufahren“.
Schweren Herzens mache ich noch ein Erinnerungsfoto und drehe um Richtung Yerevan, das Ziel für heute oder morgen. Je nachdem, wie weit ich komme. Es geht die gleiche Strecke zurück, die ich gekommen bin, die einzige Alternative von Kapan nach Goris ist ebenfalls von den Russen gesperrt, aus den gleichen Gründen wie oben bereits beschriebenen. Subjektiv geht es viel schneller zurück als die Herfahrt dauerte, dennoch ist Yerevan in einer Tagesetappe nicht zu erreichen. Am späten Nachmittag mache ich in Areni Zwischenstopp und besichtige bei Abendsonne noch das Kloster Noravank in den Bergen. Was für ein exponierter Ort für diese kleine Kirche. Ich kann es immer noch nicht ganz nachvollziehen, was Menschen bewegt, derartige Mühen auf sich zu nehmen, an solch kaum zugänglichen Orten Kirchen und Klöster zu bauen.
Eine ganze Weile verbringe ich in Noravank, bevor ich in Areni ein kleines Weingut entdecke, das auch Zimmer vermietet. Das Abendbrot besorge ich mir im Supermarkt, denn ich bin der einzige Gast und ich habe es abgelehnt, dass nur für mich die ganze Küche angeschmissen wird. Stattdessen serviert mir der Junior mehrere seiner Hausweine zum Probieren. Der Weiße gefällt mir sehr gut und begleitet mit ein paar Gläschen mein einfaches Abendessen. Es schließt sich ein spontanes Gespräch mit dem alten Herrn an, er spricht gut Englisch und wir reden über die Geschichte und den politischen Alltag seit dem Zerfall der Sowjetunion. Zur Ukraine sind wir uns einig und überhaupt, das ganze Unheil liegt in der Vermischung von Kultur, Religion und politischen Interessen und dem damit verbundenen Missbrauch im Dienste des Machtgewinns und der Manipulation der Massen. Das sehr bewegende Gespräch endet mit beidseitiger Sprachlosigkeit und einvernehmlichem Kopfschütteln. Für mich ein weiterer Beweis unter hunderten für meine These, dass die Menschen dieser Welt in ihren ganz persönlichen Werten und Bedürfnissen überhaupt nicht weit voneinander entfernt sind und dass weder der ethnische, noch der religiöse Hintergrund dabei eine fundamentale Rolle spielen. Was für ein anregender Abend. Gute Nacht.
23. Juli 2022
Yerevan hätte ich mir sparen sollen...
Der Tag beginnt mit einem grandiosen Frühstück und der Besichtigung des ältesten Weinkellers der Welt. Oder besser, der ältesten Weinhöhle der Welt. Hier in Areni hat man nachweislich die ältesten Funde der Winzerei entdeckt. Damals vergor man Trauben in Tongefäßen in der Erde. Diese Zubereitung stand im engen Zusammenhang mit Begräbnisritualen, da sind sich die Archäologen einig. Datieren konnten die Wissenschaftler diese kleine Höhlenansiedlung auf 4000-3800 v.Chr., also etwa 6000 Jahre alt. Unglaublich!
Und dann geht’s auf nach Yerevan. Unmittelbar am letzten Zipfel der iranischen Grenze, dann an der geschlossenen Grenze der Türkei entlang Richtung der Hauptstadt von Armenien. Lange Zeit begleitet mich auf der linken Seite der gigantische Berg Ararat, er steht in der Türkei. Nach den biblischen Überlieferungen soll einst Noah mit seiner Arche hier gestrandet sein, das war ganz bestimmt so, betrachtet man nur diesen Riesen von Berg mit über 5100 Metern und dem immer schneebedeckten Gipfel. Ein bleibender Eindruck!
Da es heute nicht so weit ist zum Ziel, habe ich noch einen Abstecher nach Garni eingebaut, zur „Symphony of Stones“. Riesige Basaltschichten sind vom Azat in Jahrtausenden freigelegt worden. Die perfekt penta- und hexagonal kristallisierten Säulen entstanden aus der Lava des Ararat. Ein Spaziergang am Fuße der bis zu fünfzig Metern aufragenden Formationen ist ein echtes Erlebnis und führt einem das Potential eines großen Vulkans sehr deutlich vor Augen. Oder man heiratet einfach mal wieder darunter – zumindest für’s Familienalbum.
Und dann kommt Yerevan. Irgendwie läuft es nicht rund. Es beginnt mit ein paar Rotzlöffeln, die kurz vor Yerevan mit drei Eimern Wasser am Straßenrand lauern und sie mir bei voller Fahrt entgegenschütten. Hatte ich auch noch nicht! 25 Liter Wasser frontal bei 80 Sachen aus der Deckung, das knallt ganz schön! Kurz umgedreht die Dorfstraße rein und die Brüder in Abwesenheit zusammengeschissen, so dass es alle mitbekommen. Die Feldarbeit wurde kurz eingestellt und eine Frau schien den Sachverhalt verstanden zu haben und entschuldigt sich stellvertretend. Ja, schon gut! Zur Strafe für die Täter gibt’s hoffentlich drei Wochen einhändiges Ziegenmelken oder irgendetwas in der Art...
Aber nicht genug, es geht weiter mit der Betankung meines Motorrades am Stadtrand von Yerevan. Die Tankprofis übernehmen das. Abgesehen davon, dass ich nicht wissen möchte, was Bienchen so alles verbrennen muss, ist die Technik hier nicht die modernste und das Personal eher wichtigtuerisch als kompetent. Und so überfüllt der Vollpfosten von Tankwart meinen Tank, weil er mit Quatschen beschäftigt ist und die demontierte Abschaltautomatik an der Pistole nicht im Griff hat. Es sprudelt und schießt plötzlich eine Fontäne von mehreren Litern Benzin aus meinem Tank über das ganze Moped und auf die glühend heiße Maschine. Es zischt und stinkt beißend nach Benzin und mein einziger Gedanke ist: „250 bis 500°C!“ Das ist der Zündpunkt für Benzin und das haben die Krümmer nach 200 km allemal. Die Katastrophe kann sich jeder ausmalen, sie ist Gott sei Dank nicht eingetreten. Der Tankwart schlurft los, um Wasser zu holen und der Tankstellenchef bedrängt mich, schnell meine Maschine wegzufahren, da eine Russenlimousine hinter mir wartet betankt zu werden. Ich bin stocksauer und falte den Kollegen auf Deutsch zusammen. Habe ich ja heute schon geübt. Die Russenkiste habe ich weggestikuliert, der tankt heute woanders und mein Moped wird jetzt erst einmal von den Burschen saubergeduscht. Dass der Tankstellenkasper nach dem Bezahlen überhaupt ein knirschendes „Sorry“ über die Lippen bringt, erstaunt mich. Natürlich habe ich den verspritzten Liter Benzin auf der Tankuhr mitgezahlt. Egal, ich bin heilfroh, dass Bienchen nicht abgefackelt ist und mache, dass ich wegkomme. Dann fährt mich fast eine Oma aus der Seitenstraße über ‘n Haufen, ein Stück weiter legt ein Depp von Taxifahrer entgegen alle Gepflogenheiten schon bei Gelb eine Vollbremsung hin. Ich komme so gerade noch drum rum und der restliche Verkehr fährt dann noch ein Bisschen bei Rot an dem wartenden Taxi vorbei. Au Weia!
Jetzt Hotel. Auch das ist nicht so einfach zu finden, denn Hinterhöfe sind hier als Straßen auf Stadtplänen eingezeichnet, da muss man erst einmal drauf kommen. Ich klingle, ältere Frau öffnet, versteht aber gar nichts, auch keine simple Gestik. Sie holt älteren Mann, der versteht ein paar Worte, kann aber meine Zeichensprache deuten und er kann mit einem Smartphone umgehen. So gibt er meinen Wunsch fernmündlich an eine dritte Person weiter. Dieser lautet: Eine Person, eine Nacht, wie teuer? Am Ende des langen Telefonats hängt er ein und es kommt kein erwartetes Ja oder Nein, sondern eine quälend mühsame Antwort, es täte ihm leid, aber es sei alles voll. Der Laden war wie ausgestorben und die Türen der leeren Zimmer standen offen. Die haben keinen Bock für eine Nacht zu vermieten. Sollen sie doch gleich sagen... Geht schneller.
Im Hostel gegenüber ist es auch nicht einfacher, die schrecklichen Details erspare ich Euch. Ich bekomme ein Zimmer, aber alles ist furchtbar kompliziert. Der Hauslakai klopft sogar an meine Tür als ich die Sachen gerade raufgeschleppt habe und möchte sofort bezahlt werden, er kann aber nicht wechseln. Ich solle doch Kleingeld besorgen. Ich habe ihn auf Deutsch gefragt, ob er noch ganz bei Trost ist, bei 39€ auf Fünfzig rauszugeben sei ja nun nicht unverhältnismäßig. Und plötzlich geht’s. Parken darf ich vor der Garage. Ich darf es vorwegnehmen, es funktioniert aber nicht, weil abends nämlich die aufgespritzte Tussi von Chefin mit ihrem zerschrammten weißen China-SUV auftaucht und vor ihrer Garage parken will. Die Riesenkarre kriegt sie aber nicht gerade eingeparkt und steht halb auf der Straße. Beim Rückwärtsfahren in der Fahrschule war sie vermutlich krank oder gerade bei der Botox-Behandlung. Unfassbar!
Zur Ablenkung jetzt ein kleiner Stadtrundgang, ich bin gespannt. (Eine Stunde vorspulen) Die Stadt hat äußerlich nix zu bieten, Gott ist das schrecklich. Der prominente Platz der Republik ist etwa ein Hektar Asphalt mit Betonumrahmung, der Wasserdruck in den Pools reicht nur für einen von drei Springbrunnen und irgendwie könnte hier alles mal feucht durchgewischt werden. Der viel umschwärmte Cascade Complex ist uncharmant, mir erschließt sich das architektonische Konzept nicht, das ist irgendwie alles sozialistisches Klotzwerk. Alles ist dunkelgrau und schwarz und verdreckt und verrußt (verrusst wäre auch nicht falsch, aber das ist ein anderes Thema).
Dennoch, ein echtes Highlight habe ich gefunden. Es gibt sehr viele kreative Bars, Pubs und Musikkneipen. Auch die Restaurants sind sehr einladend, leider konnte ich nur eins ausprobieren, aber das war richtig toll. Bei den Bars hatte ich mehrere Möglichkeiten, da ist es fast schon schade, dass ich nicht länger hier bin.
Mein liebes Yerevan, Du hast noch große Aufgaben vor Dir. Viel Erfolg!
24. Juli 2022
Ade Armenien und noch einmal kurz Georgien
Früh raus und als hätte es gestern noch nicht gereicht haben sie mir über Nacht die Fernsteuerung für meine Helmkamera vom Moped geklaut. Saubande! Es ist Sonntagfrüh und scheinbar Straßenreinigungstag. Tankzüge mit Wasserwerfern fahren die großen Straßen entlang und bespritzen alles mit meterhohen Fontänen von Wasser. Als Mopedfahrer unmöglich zu überholen, ich wäre in Sekunden klatschnass. Noch gefährlicher ist aber dieses schmierige Dreck-Wassergemisch auf der Fahrbahn. Mein hinteres ABS reagiert bei einer Bremsung vor einer roten Ampel sofort, ich wähle trockene Nebenstraßen, was für eine Sauerei und sauber wird’s davon auch nicht in der Stadt.
So, das war’s mit Pechsträhne, jetzt wird’s wieder schön. Angenehme Temperaturen und die Straßen nach Georgien sind gut befahrbar. Die Grenzzeremonie ist kurz, die Beamten sind sehr freundlich und nach 25 Minuten bin ich in Georgien auf dem Weg nach Wardsia. Es ist genug Zeit für einen Besuch des prächtigen Tals und der Höhlen und eine nette Unterkunft finde ich auch. Abendbrot gibt’s an der großen Tafel. Drei Niederländische Rentner unterwegs mit den Öffentlichen (Respekt!), eine zurückhaltende Russenfamilie und ich. Lecker ist es, bis auf den Wein und den Chacha (traditioneller Tresterbrand), den hätte ich im organisch-chemischen Praktikum sauberer fraktioniert bekommen! Ich entsorge die Getränke unauffällig und simuliere den Konsum selbiger (sieben Jahre Schauspielerfahrung!). Aceton und kurzkettige Ester, nein danke! Davon abgesehen saufen die hier eindeutig viel zu viel. Die Trinkrituale sind dermaßen institutionalisiert, wie ich es noch nirgendwo anders erlebt habe. Jeder banale Anlass ist gerade recht und wird pathetisch zum temporären Sinn des Lebens avanciert und dann hoch die Tassen. Immer ein ganzes Glas, immer auf ex, sonst erzürnen die Götter der Leberzirrhose. Nach dem fünften Becher beginnt dann jeder Satz mit „My friend...“, die Glaubwürdigkeit stelle ich mal in Frage, denn schon am nächsten Morgen beim Bezahlen beginnt dann wieder dieses ewige Gerangel um das Missverständnis zwischen fifteen und fifty. Ich muss mir endlich angewöhnen, nach der ersten Preisverhandlung sofort zu bezahlen, allerdings werden dann gerne mal die Leistungen reduziert. Wie man’s macht, kann es verkehrt sein. Glücklicherweise sind nicht alle Gastgeber so hinterlistig, die meisten sind fair.
Die anschließende stille Nacht ist kühl und stockduster in den Bergen, eine Wohltat.

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