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Auszeit 2022
🇳🇿 Neuseeland - Die Nordinsel
Te Ika-a-Māui - Der Fisch von Māui
Der Maori Name der großen Nordinsel Te Ika-a-Māui bedeutet übersetzt "Der Fisch von Māui". In der Māori-Mythologie ist Māui ein Halbgott und Kulturheld. Der Legende nach fing Māui die Nordinsel mit einem magischen Angelhaken, während er mit seinen Brüdern fischen war. Der Kopf des "Fisches" wird oft als Wellington angesehen, der Schwanz als Northland und der Rücken als die zentrale Plateau-Region. Diese Geschichte symbolisiert die enge Verbindung der Māori mit der Natur und ihren kosmologischen Erzählungen.
12. Oktober 2022 - Ankunft auf dem Fisch von Māui
Der erste Teil der etwa dreieinhalbstündigen Überfahrt von Picton nach Wellington besteht aus einer langsamen Fahrt durch die verzweigte Insel- und Halbinselwelt des Marlborough Sounds. Außer ein paar (sehr) privilegierten Häusern gibt es in dieser unzugänglichen Gegend keine Siedlungen, viele Inseln sind sogar völlig unbewohnt. Bis wir auf die offene See hinausfahren genieße ich vom Oberdeck trotz heftigen Windes und Kälte diese einzigartige Landschaft, die der Mensch sich noch nicht Untertan gemacht hat. Dann wird es mir zu heftig und ich verbringe die restliche Fahrt gemütlich unter Deck. Die Einfahrt nach Wellington, das jetzt auch keine wirkliche Metropole ist, ist eine langsame Wiederannäherung an Zivilisation. Seit vier Wochen habe ich keine „Skyline“ mehr gesehen.
Auf die Plätze, fertig, los! Ausladen! Ich fahre im vergleichsweise dichten Verkehr direkt auf die Autobahn, dabei sind vorausfahrende Fahrzeuge äußerst hilfreich, was die korrekte Spurwahl und Vorfahrtsregeln angeht. Klappt brillant und ohne mich wirklich zu verfahren bin ich nach 30 Minuten schon wieder irgendwo auf gewundenen Straßen in den Rimutaka Ranges. Leider regnet es und ich fahre im völligen Nebel. Den ersten Campingplatz, den ich ansteuere, gibt es nicht mehr, dann muss ich bis zum zweiten. Es ist schon spät und ich hoffe, ich finde dort noch einen freien Platz. Es dämmert schon und in dieser Gegend um den Lake Wairarapa ist weniger als nichts los. Ankunft weit nach 19:00 h, ich habe aber Glück, ein Spot ist noch frei auf dem winzigen Platz. Mein Klingeln bemüht den etwas wortkargen Sohn des Besitzers an die Tür, ich bekomme alles was ich brauche, bezahlen kann ich morgen in der Frühe, wenn Mutti wieder da ist. Es regnet immer noch, mein Ohr ist immer noch zu und obwohl heute nichts passiert ist, bin ich müde. Bei Regengeprassel auf dem Dach schlafe ich immer sehr gut. Gute Nacht.
13. Oktober 2022 – Was nun? Keine Lust auf Regen.
Der Regen tropft immer noch mit gleicher Intensität auf mein Blechdach als ich wach werde. Draußen wird es mühsam heller, aber mehr als grau kann man das Tageslicht nicht nennen. Ich mag nicht unter meiner warmen Decke weg und drehe mich noch einmal um. Aber richtigen Schlaf finde ich nicht mehr, also stehe ich unwillig auf, vollziehe eine ausgiebige Katzenwäsche im ungeheizten Waschraum. Beide Zeigefinger sind dabei unangenehm nass geworden. Das Frühstück verschiebe ich auf später, begleiche meine Übernachtungsschulden und sehe zu, dass ich hier wegkomme, denn das Wetter soll gegen Nachmittag besser werden. Eine kurze Fahrt zu den geplanten Putangirua Pinnacles führt mich bei dem anhaltenden Sauwetter über Serpentinen durch einen Wald und an der Küste entlang. Die Straßen sind hier vom Meer halb weggespült, was der Sorge um den Rückweg durchaus Berechtigung verleiht, denn das ist eine Sackgasse. Kurz darauf finde ich den kleinen, ruhigen Parkplatz am Eingang zu den Pinnacles, das ist der richtige Ort und die rechte Zeit für mein Frühstück. Ich habe Hunger, Camperfrühstück erscheint mir als das Optimale, es ist lecker und die Bude wird warm vom Gasherd. Ich bin ganz alleine hier bis nach dem Frühstück, dann kommt ein Arbeiter des Department of Conservation (DOC), das sich in Neuseeland unglaublich gut um die Reservate und Naturschutzgebiete kümmert. Der Mann nagelt den umgefallenen, provisorischen Zaun einen halben Meter weiter fest in den schwindenden Parkplatzboden. Der kleine Fluss wird ihn morgen oder übermorgen sowieso wieder weggespült haben und eine erneute Befestigung notwendig machen. Der Mann hat einen sehr sicheren Arbeitsplatz.
Um den nicht enden wollenden Regen sinnvoll zu nutzen, mache ich es mir gemütlich im Camper, koche den ein oder anderen heißen Tee und hole viele Schreibschulden nach. Gegen Nachmittag lässt der Regen nach und es wird heller. Doch noch los? Ganz schön nass draußen. Ein riesengroßer Schweinehund liegt vor meiner Campertür. Regenfest anziehen und dann leise auf der anderen Seite aussteigen und den Schweinehund nicht wecken. Klappt. Ich schleiche mich über den matschigen Trampelpfad auf den Trail, der nach kurzer Zeit abbricht und vom Fluss weggespült ist. Jetzt muss ich weglos durch das Flussbett und zweimal nicht ganz einfach den Fluss queren. Beim zweiten Mal geht es nicht ohne große Stöcke, die ich mir suchen muss. Dann höre ich den Schweinehund von weitem jämmerlich heulen. Ob ich zurückgehen soll? Nein, kommt nicht in Frage, soll er doch heulen! Ich finde den Trail am Ufer tatsächlich wieder, zwei Wegweiser stehen noch schräg an der Abbruchkante. Ich entscheide mich für den Ridge-Trail zum Aussichtspunkt. Der River-Trail wird vermutlich unberechenbar sein, nicht überall kann man den Fluss überqueren und bei dem Regen kann da noch was aus den Bergen nachkommen. Allerdings heißt das nicht, dass der Ridge-Trail einfacher ist. Das Wort Regenwald ist zusammengesetzt aus den beiden Substantiven Regen und Wald. Und wenn man dort hinfährt, bekommt man die Etymologie dieses zusammengesetzten Hauptwortes physisch verdeutlicht. Die seltenen Wegmarkierungen führen mich auf schlammigen Pfaden steil bergauf, es ist extrem glitschig und ich halte mich an den großen Farnen und Baumstämmen fest. Dann kommt unmittelbar die satte Dusche der Traufe von oben, aber besser als eine Bauchlandung im Schlamm ist das allemal. Es folgen hochstufige Treppen, ich bin von innen mittlerweile genauso nass wie von außen. Irgendwo hier muss die Hälfte des Weges liegen und ich erreiche den Punkt, an dem alles egal wird. Das ist genau der gleiche Punkt wie in der Kindheit: Hose ist schon kaputt, T-Shirt ist hoffnungslos eingesaut und zu allem Überfluss werden die neuen Turnschuhe mit Sicherheit nie wieder sauber zu kriegen sein. Und genau in diesem Moment entscheidet man sich mit seinen Freunden z.B. für einen Wettbewerb im Schlammweitrutschen. Gut, ganz so doll habe ich es heute nicht getrieben, obwohl, noch bin ich ja nicht wieder unten.
Alles geht gut und ich erreiche den Aussichtspunkt nach einer Dreiviertelstunde. Die riesigen grauen Pinnacles stehen mir auf der anderen Talseite gegenüber. Imposant aber fragil präsentieren sich die erodierten Säulen aus zementiertem Schlick. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wann sie verschwunden sein werden, von Wasser, Wind und Erdbeben ausgelöscht. Ohnehin sind es äußerst junge geologische Formationen, die vor ca. 125.000 Jahren erst entstanden sind. Sie sind wie viele spektakuläre Orte Neuseelands auch Kulisse für den "Herrn der Ringe" gewesen. Es beginnt erneut leicht zu regnen und so reduziert sich mein Aufenthalt auf ein paar wenige Fotos und ein kleines Gespräch mit einer völlig eingedreckten, fünfköpfigen Familie, die hier Pause macht. Alle pitschnass und die Kids hatten immer noch voll gute Laune. Die Schokolade vom Schokobrot bis an die Ohren verteilt und den Rest der Kniffte hatten sie noch in den Schlammfingern! Yepp, diese Eltern machen gerade etwas so richtig richtig!
Ich steige noch vor der Familie ab, weil ich schneller bin und auf den engen Wegen nicht überholen möchte. Allerdings muss ich mich sehr konzentrieren, denn ein Ausrutscher kann üble Folgen haben in dem Morast hier. Noch immer laufen auf allen Wegen Wassergerinnsel bergab und von oben kommt neues Wasser durch das Blätterdach. Wie immer geht es recht schnell und mit weniger Keuchen abwärts und schon bin ich zurück im Flussbett. Die Übergänge sind dieselben wie auf dem Hinweg, meine Stöcke hatte ich mir an einem Busch abgelegt, um sie jetzt auf dem Rückweg wieder zu benutzen. Geschafft, ging leichter als zuvor. Dann bin ich auch schon zurück am Parkplatz und muss nun einigermaßen dreckfrei in den Camper. Schuhe aus, die nassen Klamotten wechseln, Heizung kurz an, war das toll! Und von dem Schweinehund ist weit und breit keine Spur mehr.
Jetzt habe ich noch etwas Fahrerei, denn die wenigen Campingplätze sind voll oder unter Wasser oder geschlossen. In Martinsborough soll es was geben. Also noch 30 km, die Chancen stehen gut. Und es klappt, die Dame im Office ist super witzig und alles nach Wunsch, sogar einen Supermarkt gibt es in der Nähe. War doch ein herrlicher Regentag, der auch nicht mehr lange dauert, ich bin müde.
14. Oktober 2022 – Fahrtag mit kurzem Ausflug nach Mittelerde.
Das heutige Ziel ist weit, ich möchte Whakapapa im Tongariro Nationalpark erreichen. Das Wetter hat sich seit gestern nicht signifikant verbessert, der Himmel ist verhangen, es ist nasskalt, einzig der Dauerregen hat aufgehört. Kurzes Frühstück und los. Nach kurzer Fahrt erreiche ich die Rimutaka Ranges, heute allerdings mit besserer Sicht als vorgestern, eine abenteuerliche, steile Berglandschaft. Die Wälder rechts und links sind undurchdringlich, ein Meisterstück, diesen Highway Nr. 2 hier hindurch gebaut zu haben. Nicht weit von der Straße, im Kaitoke Park ist ein Wallfahrtsort für die Anhänger des Herr der Ringe Epos. Hier wurde von Peter Jackson der heilige Ort der Elfen inszeniert. Rivendell, in der deutschen Übersetzung heißt es Bruchtal. Ein großer Stein mit Tafel und ein Torbogen der Kulisse stehen noch, der Rest sind Tafeln mit Lageplänen von nummerierten Bäumen und Skizzen des Sets, wer wo gestanden oder gesessen hat. Alles andere im Film war Postproduction und hat es nie gegeben...
So bleibt der kleine Besuch auch kurz und ich setze meinen Weg fort nach Whakapapa. Der Verkehr auf der Nordinsel ist deutlich dichter, die Städte sind größer und häufiger. Deshalb habe ich mir eine Nebenstrecke südlich der Tararua Ranges ausgesucht. Winzige Bergstraßen führen mich über dreißig Kilometer durch Berge, Hochebenen und Flusstäler. Der Rest ab Waikanae ist Highway. Nicht so abwechslungsreich, aber ich komme gut voran. Die Straßen steigen auf den letzten einhundert Kilometern langsam wieder an, es wird kälter und der Himmel zieht sich komplett zu. Dann erreiche ich den Whakapapa NP und meinen schönen Campingplatz. Mein Kopf ist platt und ich mache mir nur noch einen entspannten Abend im Camper mit einem leckeren Salat und ein paar optimistischen Plänen für morgen. Das war’s...
15. Oktober 2022 – Naturerlebnis mit Heraklit
Als ich wach werde rauscht die Heizung noch. Ich musste heute Nacht etwas Wärme zuführen, denn hier oben geht's bei dem mäßigen Wetter mit den Nachttemperaturen wieder runter an den Nullpunkt. Lange geschlafen, mühsam mache ich mir einen starken Kaffee. Die Nachbarn sind alle schon abgereist, aber ich habe ja zwei Nächte gebucht, in der Hoffnung, dass es heute wenigstens etwas aufreißt. Nun ja, ganz ohne frische Luft kann ich den Tag nicht verstreichen lassen, also mache ich mich wanderfein für einen kleinen Spazierweg, wie es mein Wanderführer nennt. Der entspannte Rundweg zum Taranaki Wasserfall startet direkt an meinem Campground und soll anderthalb Stunden dauern, was auch die Wegweiser am Startpunkt bestätigen.
Ein schmaler, gut gepflegter Schotterweg führt über Wiesen schnell in einen kleinen Urwald. Wie üblich und gerade bei diesem Wetter ist alles pitschnass. Es tropft und plätschert, rinnt und fließt. Kein Schritt ohne dass es matscht oder man durch Pfützen muss. Herrlich! Ich lasse mich begeistern und verzaubern durch diesen tollen Wald und schon nach kurzer Zeit höre ich es rauschen. Der Wasserfall kann nicht mehr weit sein. Und tatsächlich oben von einer riesigen Lavawand, die hier erkaltet und erstarrt sein muss, stürzt das Wasser in einen Pool. Bezaubernd. Ein paar Idioten, die an irgendwelche besonderen Stellen klettern müssen, um Heldenfotos mit Bierflasche und Sonnenbrille zu machen, entweihen den Ort, sind aber Gott sei Dank gerade fertig mit dem Kaspertheater und verschwinden. Glück, hinsetzen, gucken, Seelenfrieden!
Das Wasser fließt da einfach runter. Seit Urzeiten. Immer gleich und immer anders. Unaufhörlich. Veränderung in jedem Augenblick. Ich denke an Heraklit: „Alles fließt.“ Ich bin wie gebannt und sitze eine gefühlte Ewigkeit still auf meinem Stein, ohne eine Veränderung wahrzunehmen, außer im Wasser selbst. Manchmal möchte ich den Wasserstrom anhalten und genau zusehen, was jeder einzelne Tropfen macht. Was der Kopf so alles denkt, wenn man ihn lässt...
Ich mache mich wieder auf und komme an den Abzweig zu den Tama Lakes. Zwei Stunden sagt der Wegweiser. Hmm! Könnte ich schaffen. Oder wird das mit dem Rückweg dann zu eng? Der Weg ist ja super ausgebaut. Ich geh mal ein paar Meter, ich kann ja umdrehen. Nee, falsch gedacht. Wenn ich einmal ein Ziel habe, dann will ich da auch hin und auf dem halben Weg abbrechen ist nur in Notfällen gestattet, sonst nicht. Der Trail führt wie gesagt gut geschottert durch karge Moos- und Flechtenvegetation. Dazwischen Gräser, eine Art Heidekraut und Krüppelgewächse in Symbiose mit Flechten und Moosen. Frühlingsfarben bedeutet hier oben etwas anderes. Knallige Farben sucht man vergeblich, stattdessen viele Pastelltöne. Orange, rot, grün gelb und ocker. Ebenso gibt es keine großen Blüten, die würden dem Wind nicht standhalten. Blüten sind winzig klein, manchmal mit dem bloßen Auge schwer zu erkennen. Sie sind hart und sitzen sehr fest auf den Pflanzen. Das ist wieder meine Lieblingsgegend, in der man eine Lupe braucht für den ganzen Mikrokosmos. Schön, dass der Weg so einfach ist und ich vieles um mich herum während des Wanderns aufnehmen kann. Über eine Stunde genieße ich dieses hyperempfindliche Bergparadies, dann erreiche ich den unteren Tama Lake in einem erloschenen Krater des Ngauruhoe. Traumhaft. Ich habe wieder mal keine Worte, auch wenn ich in den letzten vier Wochen schon so viele Gelegenheiten hatte, Worte für dieses unglaubliche Land zu finden. Féerique! Ja, das passt am besten.
Ich versuche noch etwas von dem Wunderland hier oben auf meinem Speicherchip festzuhalten, irgendwie komme ich mir dabei immer so hoffnungslos verloren vor. Ich versuch’s einfach...
Jetzt zwei Stunden Rückweg bis zum Camp, die Vulkane stecken immer noch alle in den Wolken, als gäbe es sie gar nicht. Während des flotten Abstiegs surfen meine Blicke über diese endlosen Lavafelder mit ihrer hartnäckigen, nimmermüden Vegetation. Die großen Tussockgrasbüschel am Wegesrand streichen mit ihren feinen Halmen an meinen Händen entlang, wenn ich nah genug an ihnen vorbeigehe. Das ist eine Art freundliche Kommunikation. Nette Gräser! Thanks for having me! Der mystische Regenwald bildet dann wieder das Gate in die Wirklichkeit. Ich erreiche nach insgesamt fünf Stunden die Straße in Whakapapa Village.
Die heiße Dusche im Camp ist und bleibt ein unbezahlbarer Luxus, Bude warm machen und jetzt kochen. Draußen wird es gerade dunkel. Sollte nur ein kleiner Spaziergang werden. Ein toller Tag! Platt!
16. Oktober 2022 – Von Vulkan zu Vulkan
Was mir gestern vorenthalten blieb, bekomme ich heute Morgen in aller Pracht präsentiert. Eine traumhafte Sicht auf die Vulkane. Die Wolken sind über Nacht verschwunden und ein klarer, blauer Himmel prangt über mir. Es ist kühl. Der heiße Kaffee und das Frühstücksbrot werden zu Fastfood. Camper einräumen und los. Ich biege vom Campingplatz nach rechts ab in die Sackgasse. Diese Straße endet nach atemberaubenden sieben Kilometern am Skilift. Hier oben ist noch Winterbetrieb. Die Skisüchtigen reisen in Flip-Flops und T-Shirt an, ziehen sich am Auto um und stiefeln dann in voller Skimontur zum Lift. Es liegt kein Krümel Schnee an der Basisstation, erst weiter oben, wohin der Skilift fährt, sind gute Schneeverhältnisse. Ganz kurz spiele ich mit dem Gedanken, mir spontan eine Ausrüstung zu leihen und ein paar Schwünge auf dem Vulkan zu machen. Warum? Weil ich’s kann? Gedanke verworfen, völlig dekadent! Stattdessen laufe ich ein Stück. Durch Lavagestein folge ich einem kleinen Wanderweg zu einem Sattel. Von hier aus kann ich den Ngauruhoe in voller Pracht bewundern. Mit dem Fernglas kann ich den Weg von gestern zum Lower Lake sehen. Unglaublich toll!
Ich finde Vulkane einfach eindrucksvoll. Sie sind de facto nicht berechenbar, fatal für jedes organische Leben, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen und aktiv werden. Und doch, sie schaffen nach der Zerstörung die Basis für einzigartige Vegetation wie kaum ein anderer geologischer Prozess. Ich bin unglaublich gerne in ihrer Nähe, weil ich durch nichts näher an der Genese unserer Erde sein kann. Mich faszinieren heiße Kamine, Schwefelfelder und tiefe rauchende Krater. Der höchste Vulkan, den ich (fast) bestiegen habe, ist der Tungurahua. Er ist über 5.000 Meter hoch. Das war 1984, heute ist er nach weiteren Ausbrüchen meines Wissens nach nicht mehr begehbar. Leider mussten wir damals unterhalb der vereisten Schwefelfelder, kurz vor dem Gipfel, wegen schlechten Wetters umkehren. Den Momotombo habe ich brodeln sehen, wegen der giftigen Dämpfe mussten wir schnell wieder absteigen. Und der Ätna war kritisch als ich ihn besuchte. Meine Unterkunft in El Paso auf La Palma gibt es seit 2021 nicht mehr, sie ist unter Lavamassen begraben und die Zeit für den Kīlauea habe ich mir seinerzeit leider nicht genommen. Aber trotz aller Faszination, ich bin nie lange anwesend. Zuviel Respekt habe ich vor den Dimensionen und dem Potenzial dieser tektonischen Zeitgenossen.
Doch wenn ich den Ngauruhoe und den Ruapehu heute verlasse, ist mein nächstes Ziel wieder ein Vulkan. Der meistbestiegene Neuseelands, der Mt. Taranaki oder auch Mt. Egmont. Ich bin gespannt.
Noch lange sehe ich die schneebedeckten Gipfel von Tongariro im Rückspiegel. Die Fahrt führt mich ein Stück durch langweilige Gegend bis Taumarunui, dann biege ich links ab auf den Highway 43, „The Highway of the Forgotten World“. Die gewundene, weltberühmte Straße entlang des Tangarakau Rivers ist etwas ganz besonderes. Die Landschaft wirkt tatsächlich wie „vergessen“, es gibt kaum Häuser oder größere Siedlungen, an den steilen Hängen weiden Schafe und Rinder und in Whangamomona scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Hier hat man eine eigene Republik ausgerufen. Den Einreisestempel kann man im Hotel des gleichnamigen Ortes bekommen. Die abenteuerliche Eisenbahnlinie, die schon längst außer Betrieb ist, begleitet mich den ganzen Weg. Die Schilder an den Bahnübergängen weisen nur noch auf gelegentlichen Draisinenverkehr hin. Irgendwann endet der Asphalt, ich fahre ab hier Schotterpiste durch das Tangarakautal und den Tangarakau Gorge selbst. Weiter oben muss ich durch den Moki Tunnel. Einspurig und noch durchfahrbar mit meinem Camper. Dieser Tunnel wurde von Hand gehauen und ist heute immer noch die einzige Verbindung der beiden angrenzenden Täler und das Nadelöhr des ganzen Highways 43. Über drei Pässe klettert die Bergstraße. Den Tahore, den Whangamomona und den Pohokura Sattel. Das unglaublich intensive Grün an den Hängen veranlasst mich, oft stehenzubleiben. Das sieht aus, als ob jemand eine gigantische Buckelpiste mit grüner Auslegeware beschichtet hat. Nur schöner.
Manchmal kann ich schon den Taranaki in der Ferne sehen. Der Gipfel ist schüchtern in Wolken gehüllt. Später tut sich mir eine riesige Tiefebene auf, in der irgendwo der Ort Stratford liegt, wo ich übernachten werde. Gegen 18:00h erreiche ich mein Ziel dann auch und mache es mir auf dem schönen Campground gemütlich. Ich bin gespannt auf morgen, ob das Wetter mitspielt. Bis dahin!
17. Oktober 2022 – Schöne Pools und schlechtes Wetter
Zwar weckt mich die Sonne heute Morgen, aber das heißt ja noch nichts. Draußen ist es schon warm und ein kurzer Blick in den Himmel bestätigt meine Vermutung: Vulkane machen ihr eigenes Wetter! Der Gipfel ist unsichtbar. Eine geschlossene Wolkendecke umgibt den Krater und verhindert jede Sicht auf den perfekten Kegel. So kann ich mir Zeit lassen fürs Frühstück und mache mich erst gegen Mittag auf den Weg zum Dawson-Parkplatz. Das ist der Parkplatz, der am nächsten an den Berg heranführt und von dem aus ich mehrere Wanderungen zur Auswahl habe. Doch was nützt mir das? Der Vulkan bleibt im Nebel, ja es beginnt sogar leicht zu nieseln. Klamotten an und trotzdem los. Wenigstens ein bisschen durch den Urwald und dem größten Vulkan Neuseelands etwas nahe sein. Ziel sind die Wilkies Pools, nichts Spektakuläres, aber ganz hübsch. Alles andere ist Unfug, im Nebel muss ich keine Kraftakte um ihrer selbst Willen veranstalten. Vom Gipfel kommt bei diesem Wetter sehr viel Wasser hinab, was die weglosen Flussquerungen schon etwas spannend gestaltet. Dennoch bleibt es ein harmloser, kleiner Spaziergang. Nun ja, so ist das eben.
Zurück in Stratford scheint nach wie vor die pralle Sonne, noch tanken, dann zurück zum Camp. Im Abendlicht löst sich dann die ganze Wolke um den Egmont auf und es ist klare Sicht. Nur ist leider die Aussicht vom Camp aus sehr beschränkt und die Zeit zu knapp für eine zweite Fahrt an den Berg. Dann mache ich mir halt Abendbrot, bearbeite Fotos und schreibe noch etwas für Euch. Netz gibt es heute nicht, aber bestimmt morgen...
18. Oktober 2022 – Da muss ich noch einmal entlang...
Nun, der Wetterflopp von gestern ist überwunden, aber irgendwie habe ich das Bedürfnis, den Forgotten World Highway noch einmal zu fahren. Das ging mir vorgestern alles zu schnell. Kurze Routenänderung und nach einem kurzen Frühstück geht es los. Getankt habe ich gestern schon, denn auf dem Highway 43 ist auf 150 Kilometern keine Tankstelle. Der Mt. Taranaki bleibt auch heute Morgen verhüllt - dann eben nicht!
Ohne Navi finde ich den Weg zurück zum Highway 43, dann wird es leer. Den letzten Holzlaster lasse ich freundlich passieren, jetzt bin ich alleine unterwegs. Das Grün scheint seit vorgestern sogar noch prächtiger geworden zu sein, ich halte heute an jeder Fotoaussicht und in Whangamomona mache ich Pause und bestelle mir einen Cappuccino mit Muffin. Die Jungs im Hotel-Café sind super nett und ich schlürfe meinen Kaffee ganz alleine draußen vor dem legendären Holzhotel. Ich überlege, ob ich nicht einfach hier bleiben soll, aber das Risiko, heute Abend der einzige Gast hier zu sein, ist mir zu groß. Das wäre dann ein einsame Veranstaltung und nicht schön. Also fahre ich irgendwann weiter. All die Orte der Hinfahrt passiere ich nun in umgekehrter Reihenfolge, es ist wie ein schönes Wiedersehen. Ich komme mir schon fast zu Hause vor.
Dann biege ich nochmals ab auf eine Nebenstrecke, die mein Navi nicht kennt, die Straße wird zur Schotterpiste und für die nächsten zwanzig Kilometer fahre ich den Farmern quasi durch die Hinterhöfe. Obwohl es ein reiner Fahrtag ist heute, sind die Wegeindrücke unglaublich schön. Zeitig erreiche ich Waimoto und kann so noch einkaufen gehen bevor ich auf einem netten Campingplatz einchecke und den Tag mit einem Camper-Dinner beende. Po pai!
19. Oktober 2022 – Ein Duett, Glühwürmchen und faule Eier
Die Larven der Langhornmücke leuchten im Dunkeln und ziehen Insekten an, die dann gefressen werden. Die Werbung für die Waitomo Glowworm Cave und der ganze Hype leuchten ebenfalls auf tausenden Hochglanzfotos und Plakaten. Es zieht neugierige Besucher an, die dann ausgesaugt werden. Ein riesen Brimborium mit Visitor Center, Empfangshalle, Café und natürlich Souvenir-Shop ist an den Highway 37 gebaut. Der Eintritt hat sich gewaschen - wie alle Eintrittspreise in Neuseeland - und es gibt nur geführte Touren. Ich lasse mir also kurz an meiner Kreditkarte saugen und erstehe ein Ticket für die nächste Tour. Zwei sympathische Māori, eine Frau und ein Mann, begleiten uns für die nächste Stunde durch die Limestone-Höhle. Der Name Waitomo bedeutet übersetzt „Wasser“ und „Tiefes Loch“. Warum sehen wir ein paar Minuten später des Weges. Rechts vom Pfad durch die schwach beleuchtete Höhle tut sich ein kreisrundes dunkles Loch von etwa zwei Metern Durchmesser auf, das wie ein Exponentialtrichter in die Tiefe stürzt. Es ist über fünfzig Meter tief und am Grund ist - wer hätte es gedacht - Wasser! Nach vielen geologischen Erläuterungen und netten Anekdoten erreichen wir die sogenannte Kathedrale, den größten Raum des Höhlensystems. Ich habe schon größere gesehen, aber schön ist er trotzdem, weil der Limestone halt weiß ist. Jetzt wird das Licht gelöscht und die beiden Māori singen im Stockdunkeln ein Duett für uns. Ein traditionelles Māori-Lied vorgetragen mit zwei beeindruckenden Stimmen. Es ist sehr emotional und wunderschön. Niemand quatscht, es ist völlig still. Nur der Gesang und die feucht kühle Luft sind wahrzunehmen. Es ist wichtig, diese Lieder zu singen, erklären uns die beiden ganz ernsthaft im Anschluss, denn sie bewirken, dass wir alle wieder lebendig aus der Höhle herauskommen. Ich bin nicht sicher, ob mich diese Information jetzt wirklich beruhigt.

Zum Schluss kommt der Höhepunkt, für den alle den Weg nach Waitomo gemacht haben. Eine nicht einmal zehnminütige Bootsfahrt durch ein dunkles Gewölbe. Die Glowworm-Cave! Hier sind jedes Licht und jedes Geräusch verboten, da die Glühwürmchen ansonsten die Beleuchtung abschalten. Winzige bläuliche Lichtpunkte hängen an der Höhlendecke. Wir gleiten unter einem spärlichen Teppich von vielleicht ein oder zweitausend Lichtern entlang. Die Guides ziehen die Boote lautlos an Seilen, dann erreichen wir einen Tunnel, der uns wieder hinaus ans Tageslicht führt. Nun ja, Fazit: In den Prospekten sieht das immer aus wie ein Flug unter der Milchstraße und das ganze künstlich auf zwei Stunden aufzublasen, dient wohl eher der Rechtfertigung, die satten Eintritte aufrufen zu können. Aber vielleicht sehe ich das auch alles zu eng, nur weil ich diese ganze Spaßkirmes drum herum so überflüssig finde.
Die nächsten paar Stunden sind entspannte Fahrt nach Rotorua, einer Stadt in einem der größten Geothermalfelder Neuseelands. Die Überlandfahrten hier auf der Nordinsel sind nicht so begeisternd wie auf der Südinsel. Es ist viel mehr Verkehr, es gibt viel mehr Ortschaften und die Landschaft ist bei weitem nicht so abwechslungsreich. Nichtsdestotrotz ist es schön und ich genieße die Fahrt bis zum Campground am Stadtrand von Rotorua. Als ich die Tür vom Camper öffne weht ein süßlich sanfter Gestank nach faulen Eiern vom Geysir-Park herüber. Die Luft ist warm und feucht und hier soll ich es zwei Nächte aushalten? Nun ja, wird schon gehen. Ich richte mich also häuslich ein, dusche erst einmal und dann sehe ich einem gemütlichen Camper-Abend entgegen. Heute gibt’s Tagliolini mit Pesto und zeitige Nachtruhe.
20. Oktober 2022 – Tanzbären sind Missbrauch der Schöpfung
Ich will das doch immer ganz positiv sehen. Es gelingt mir aber einfach nicht immer. „Man muss doch auch das Gute an der Sache sehen.“ „Alles hat auch seine guten Seiten.“ „Sieh das doch nicht immer so negativ!“ „Du musst alles schlecht reden.“ Ich höre schon die Kritiker...
Bären sind unglaublich imposante, starke und für den Menschen ungefährliche Tiere, wenn man sie einfach in Ruhe lässt. Ein Tanzbär dagegen ist ein Bär, der qualvoll gebrochen wurde, gegängelt, geputzt, gekämmt und dem ein buntes Hütchen aufgesetzt wird, wenn er an der Stange tanzen muss, weil das Publikum bezahlt. Kommse rein! Kommse ran! Hier tanzt der Bär! Bis er stirbt.
Ein Geothermalfeld ist ein unglaublich imposantes, geologisches und für den Menschen ungefährliches Phänomen, wenn man sich dort zu verhalten weiß. Wenn nicht, dann fernbleiben. Ein Geothermal-Park ist ein thermales Feld, das eingezäunt, überbrückt und asphaltiert wurde und in dem Blechkisten stehen, in denen die Hipster-Speisen für das angeschlossene Restaurant erhitzt werden. Die Aussicht auf eindrucksvolle thermische Expositionsfelder ist durch große Solarpanels verschandelt, weil man Strom für die farbige Beleuchtung der Nachtshow braucht. Ja, diese Naturphänomene werden nachts bunt beleuchtet, in die sprudelnden Wasserlöcher sind hitzebeständige bunte Lampen eingelassen, damit man auch noch Midnight-Special-Tours anbieten kann. Kann mir mal einer sagen, was das soll? Das ist doch was für Menschen, die beim Sex eine Lichtorgel brauchen. Und dieser Vergleich erscheint mir noch deutlich zu harmlos.
Satte Eintrittspreise, nur geführte Touren, die freundliche Māori Guide singt keine Lieder, aber erzählt uns, was alles verboten ist. Keine Fotos oder Soundaufnahmen im Kiwi-Nacht-Museum (kann man noch verstehen), Fotos aus dem Geothermal-Park dürfen nicht veröffentlicht werden. Dagegen der Showroom für die verkäufliche Māori-Kunst darf gerne fotografiert und publiziert werden. Die Objekte hier werden von Māori Kunststudenten traditionell hergestellt und sind von unglaublicher Schönheit. Die Preise reichen umgerechnet bis an mehrere zehntausend Euro.
Ach ja, ich war ja eigentlich in einem Geothermalgebiet. Irgendwie hat es heute für die Begeisterung nicht gereicht. Vor vierzig Jahren war ich im Yellowstone am Old Faithful und in den Norris Basins. Vor fünfundzwanzig Jahren war ich auf Island am Strokkur und an dem „Geysir“, der allen anderen Springquellen auf der Erde seinen Namen gab. Das war anders. Da gab es keine richtigen Absperrungen. Die Menschen blieben respektvoll weit entfernt und bewunderten die Ereignisse. Handys gab es nicht! Keine Selfies! Nicht einmal jeder hatte einen Fotoapparat. Unvorstellbar, oder? Aber diese Menschen, und das behaupte ich steif und fest, haben unendlich viel mehr von der Natur mitgenommen als der komplette Verein dieser hedonistischen Nimmersatts auf unserem ganzen Planeten. So, genug gekotzt im Paradies!
Ich habe mich dann abgesetzt von der geführten Gruppe und bin alleine durch den Thermalpark gelaufen. Das ist erlaubt. Und siehe da, plötzlich ist keiner mehr da. Soll mir recht sein. Ich entdecke viele graue blubbernde Schlammlöcher. Das ist nicht gering konzentrierte Schwefelsäure! Die vernichtet jede organische Substanz, übrig leibt anorganischer Schlamm. Die bunten Farben an den wässrigen Löchern werden oft durch Schwermetalle erzeugt. Wer in Chemie aufgepasst hat, alle Nebengruppenelemente rauf und runter.
Es beginnt zu regnen und ich mache mich auf den kurzen Rückweg, selbst in der Stadt blubbert es noch in den Straßengräben oder der ein oder andere kleine See sprudelt wie warmes Mineralwasser. Camperabend bei Regen - auch schön!
21. Oktober 2022 – Hobbiton Traumfabrik
Der heutige Tag steht ganz im Zeichen der Herren Beutlin, Gamdschie, Tuk, Brandybock und der ganzen anderen Gefährten. Die filmische Heimat der Helden des Tolkienschen Jahrhundertwerkes liegt am Wegesrand: Hobbiton, auf Deutsch Hobbingen. Ist es ein Muss, wenn man nach Neuseeland reist und den "Herr der Ringe" so verschlungen hat wie ich? Oder ist es nur die Besichtigung einer cineastischen Kulisse? Traumfabrik! Ich bin im Zwiespalt.
Als ich den "Herr der Ringe" gelesen habe, war Peter Jackson gerade 19 Jahre alt. Etwa genauso alt wie ich. Das war 19 Jahre bevor seine Dreharbeiten begannen. Ich gehöre glücklicherweise noch zu der Generation, die das Privileg für sich beanspruchen kann, ihre eigenen Bilder im eigenen Kopf geschaffen zu haben. Lange Jahre habe ich mich deshalb geweigert, den Film anzusehen. Nicht weil er schlecht wäre, ganz im Gegenteil, aber ich wollte meine eigenen prägenden Bilder bewahren. Langstreckenflüge änderten das dann mit der Zeit. Sechs Stunden Kino aus Mittelerde, da vergeht die Flugzeit im Handumdrehen. Und mittlerweile vermischen sich meine Bilder mit denen von Peter Jackson. Sei’s drum, ich schau mir das heute mal an.
Parkplatzeinweiser, alles durchorganisiert, Schilder, welcome, happy staff, corporate identity, Popcorn, merchandising... Die Touris mit Vollbart, Hüten, Kutten und Ring an Kette um den Hals, die sehen alle selbst aus wie Hobbits. Ich habe Lust, nachzufragen, ob sie pelzige Füße haben. Ok, skip the Tourikirmes und skip die 54 € Eintritt. „Awesome“ ist das überstrapazierte Adjektiv der Guide, aber trotz der interessanten Infos zum Making off verdrücke ich mich, ganz einfach um das ganze Ambiente in Ruhe aufnehmen zu können.
Es ist schon phänomenal gestaltet, hier stimmt jedes Detail. Irgendwie scheint das auch mit etwas Liebe geschaffen worden zu sein. Zumindest technisch wird mir klar, was das für ein Aufriss ist, den zahlenden Zuschauern eine Traumwelt zu inszenieren. Das hat unbestritten was von Droge!
Die Bilder der Hobbithöhlen und wer wo gewohnt hat und wer wo was gesagt hat, ist mir unbekannt, die ganze Geschichte - Tolkiens Geschichte - ist mir umso näher. Schön, dass ich hier war, aber mit „meinem“ Herrn der Ringe hat das nichts zu tun! Auch wenn Peter ein wirklich bewundernswerter Geniestreich gelungen ist.
Der Tag endet etwas in Gedanken in der Nähe von Thames auf einem überteuerten Campingplatz. Salat und Schokoriegel zum Nachtisch. Gute Nacht.
22. Oktober 2022 – Kauri und Himmelfahrt an der Ostsee
Das Wetter hat sich etwas gebessert und nach einem kleinen Frühstück fahre ich los. Es geht zum Cookson Kauri einem Riesenbaum im Coromandel Forest Park. Knappe zwei Stunden dauert das Ganze, glaubt man den Wegweisern. Der schmale Weg windet sich durch wunderschönen Regenwald, ich bin recht früh unterwegs und deshalb mal wieder ganz alleine. Der Frühling ist unaufhaltsam und er wird geradezu „ausgerollt“. Ich lasse mich von tausend Winzigkeiten ablenken. Wunderschöne Sporophylle mit Sporangien, das sind die nur teils oder nicht assimilierenden Farnwedel, die der Fortpflanzung dienen und nicht der Versorgung der Pflanze. So viele Gewächse hier gehören letztendlich zur Gruppe der Farne, nicht nur die echten Farne, die ich sehr sicher erkenne. Doch bevor ich mich auf taxonomisch dünnes Eis begebe, gebe ich mich lieber dem Staunen des Ahnungslosen hin, denn alles, was ich aus der Nähe betrachten kann, ist der Wegesrand. Weiter als einen Meter kann man nicht wirklich in den Urwald eindringen. Allein die Vorstellung, was da draußen noch so alles wächst, macht mich mehr als neugierig. So vergeht die Zeit mit Foto hier und Foto da. Nein dort. Und da auch! Boah, ist die schön und das habe ich ja noch nie gesehen.
Das letzte Drittel des Weges offenbart sich als ein übler Anstieg über Stufen, der so richtig in die Oberschenkel geht. Zu allem Überfluss auch noch in Wellen, was bedeutet, der Rückweg wird nicht wesentlich leichter. Aber irgendwann ist jeder Weg zu Ende, so auch dieser. Auf den allerletzten Metern steht er dann plötzlich vor mir. Der riesige Cookson Kauri. Ich bleibe vor Ehrfurcht einfach stehen. Vermutlich mit offenem Mund und großen Augen. Ein kleiner Holzbalkon erlaubt eine Annäherung bis auf wenige Meter. Direkt vor dem gewaltigen Stamm. Weiter geht es nicht, das Gelände ist hier ein extrem steiler Urwald. Ich bin sprachlos beim Anblick dieses Giganten, und dass er auf diesem steilen Hang überhaupt Halt findet. Sein Stamm ist so makellos und rund und seine Rinde erscheint so gleichmäßig. Die ersten Äste zweigen erst bei fünfzehn oder zwanzig Metern ab. Sie sind selbst so dick wie Bäume. Er mag 1500 Jahre oder älter sein, Kauri werden so alt. Als Abel Tasman Neuseeland entdeckte, war dieser Kauri mit Sicherheit schon über eintausend Jahre alt. Unfassbar! Lange stehe ich in Gedanken vor diesem Wunder, bevor ich den Versuch wage, ein paar Fotos zu machen. Ich denke gerade, was ist das für ein Verhältnis von Zeit, einen tausendfünfhundert Jahre alten Baum mit einer zweihundertstel Sekunde fotografisch abzulichten? Damit dokumentiere ich 0,1 Billionstel seiner Lebenszeit. Oder anders veranschaulicht, hätte ich an jedem Tag seines Lebens ein Foto gemacht, hätte der Film daraus die Länge aller drei Episoden des "Herr der Ringe". Aspergermodus aus.
Den ganzen Rückweg versuche ich immer noch das Alter dieses Baumes wirklich zu begreifen. Hoffnungslos, ich gebe auf. Stattdessen lasse ich mich lieber wieder von den unzähligen perfekten Farnen ablenken. So langsam verstehe ich die Māori und die Bedeutung des Koru in ihrem Leben! Ein paar Mal quere ich noch den Wainora River, dann bin ich wieder unten. War ziemlich anstrengend und alles nur um diesen einen Kauri Baum zu sehen. Ganz schön besonders der Baum!
Jetzt die Schotterpiste zurück und dann links abbiegen zur Küste. Eine lange kurvige Fahrt durch weiteren Urwald folgt, bevor ich an meinem Tagesziel in Hahei ankomme. Hier gibt es schöne Strände und die Cathedral Cove, ein großer höhlenartiger Felsdurchbruch am Meer. Doch mich trifft der Schlag, wer schon alles hier ist und was hier für ein Rummel herrscht. Wo kommen die alle her? Die Straßen waren doch leer! Ich fühle mich wie Himmelfahrt an der Ostsee. Der Campingplatz ist eine Freizeitstadt und mit fast fünfzig Dollar der teuerste der ganzen Reise und Mindestaufenthalt ist zwei Tage. Es ist langes Wochenende, erfahre ich von der netten Frau an der Rezeption. Aha! Jetzt wird da auch ein Schuh draus. Wahnsinnswetter plus Montags-Feiertag plus Wochenende. Mit etwas Jammern lässt die Rezeptionsdame sich breitschlagen, mir nur eine Nacht zu verkaufen, schließlich sind sie nicht ganz ausgebucht. Wenigstens etwas, sehr nett.
Der Stellplatz ist in der letzten Ecke auf einer Wiese, das kann nicht besser sein. Umziehen und dann mal sehen, wo diese Cathedral Cove ist. Bisschen forschen und fragen, einfach am Strand entlang, bis zum Einstieg in den kleinen Wanderweg. Dauert zwei Stunden hin und zurück und ist alles asphaltiert. Was? Asphaltiert? Ja, ganz toll gemacht, sehr bequem. Nun ja, ich bin gespannt. Zum zweitem Mal heute geht es steil über Treppen nach oben, dann wieder ganz nach unten, dann wieder steil bergauf. Unterwegs kommt mir reichlich Volk entgegen mit Badetaschen Sonnenschirmen und weiterem Strandbesteck. Hier sind viele Abzweige zu anderen kleinen Stränden. Zwischendurch genieße ich immer wieder die herrlichen Ausblicke auf die vielen vorgelagerten Inseln. Der letzte Abschnitt führt steil bis ganz nach unten ans Meer. Ich habe noch die Treppen vom Kauri Trail in den Knochen und muss gleich das ganze Ding wieder zurück? Au Weia... Als erstes sehe ich an dem kleinen hübschen Strand eine junge Frau, die Taxi-Tickets verkauft. „Buy on the Beach“ heißt ihre Geschäftsidee. Sie verkauft Wassertaxi-Tickets. Wie einen Colt hat sie in der Gürteltasche einen Kreditkartenleser. Klar, Cash ist out! Der leicht zu erratende erste Gedanke, der sich sofort in meinem Kopf festsetzt, verschafft mir ein gehöriges Maß mehr an Freude, mir die Höhle anzusehen.
Das Wasser rauscht von zwei Seiten in den Felsdurchbruch, der Hoho Rock steht in etwas Entfernung imposant in der Brandung, die Bäume auf seiner Spitze verdeutlichen seine Größe. Jetzt bei Ebbe kann man die Cove gut durchschreiten, bei Flut steht sie unter Wasser. Die frische Meeresluft tut gut, ein paar Fotos von der eindrucksvollen Szenerie, dann wird es recht kühl, denn wir sind an der steilen Ostküste und die Sonne ist schon lange hinter dem Berg verschwunden.
Ich frage die Frau mit dem Colt, was das Taxi denn kosten soll und stelle mich schonmal auf einen schmerzhaften Preis ein, der dann gegen erneute Oberschenkelschmerzen abzuwägen sein wird. Es ist nicht so schlimm, eigentlich noch moderat. Ich erstehe ein Ticket und schon knattern ihre Kollegen mit dem Boot heran, lässig rückwärts auf den Strand auflaufen und die Landungsbrücke runter. Sie reicht aber nicht, um trockenen Fußes einzusteigen. Die Burschen natürlich barfuß, nur mit schicken Bahama-Shorts bekleidet, Rastalocken und braungebrannt - und das im Frühling! Dazu dieses unwiderstehliche, smarte Après-Surf-Lächeln im Gesicht, als ob man gerade mit der letzten Big-Wave in die vorgeheizte Strandbar gespült worden sei! So, alle einsteigen und in einem choppy ride, wie man hier sagt, die Buchten entlang bis zum Strand der Freizeitstadt, in der ich heute Nacht zu Gast bin. Och, ich finde die Idee mit dem Taxi echt gut!
Nach einer schönen heißen Dusche mache ich es mir in meinem Camper bequem und freue mich jetzt darauf, die Füße hochzulegen. Nacht zusammen.
23. Oktober 2022 – Campingmesse am Piha Beach und am Abend Rotlicht
Das Ziel heute ist einer der Lieblingsstrände der Auckländer, der schwarze Strand von Piha. Tja, und genau das ist auch das Problem, denn ich habe ja gestern erfahren, dass heute ein langes Wochenende ist und Auckland ist eine große Stadt. Ergo, es werden viele Menschen die gleiche Idee haben wie ich. Dann schauen wir uns das mal an. Zunächst kämpfe ich mich durch die Autobahnwirren des Nadelöhrs Auckland, dann Richtung Westen zum Strand. Auckland ist von vielen alten Vulkanhügeln umgeben, so muss ich denn auch über wilde Serpentinen und durch Urwald bis ich die Westküste überhaupt erst sehen kann. Und genau ab hier kommt zum langen Wochenende und den Großstadtausflüglern noch ein Bewertungsfaktor für mein Reiseziel hinzu: Es ist alles ausverkauft in dieser Gegend. Überall, wo man eine Villa, ein Haus oder nur ein Häuschen hinbauen kann, steht auch eins. Meist mit einem Gatter verschlossen und immer mit einem großen Schild „Privatbesitz“ und „Parken verboten“. Und genau das ist das Problem, abgesehen von dem völlig blickdichten Urwald ist es unmöglich irgendwo anzuhalten, um die Aussicht zu bewundern. Das sind alles kleine Filetstückchen der besserverdienenden Auckländer, die hier in Massen ihre Wochenenden verbringen. Dass die sich das alle einst beim Erwerb ihrer Luxusobjekte so gedacht haben, wage ich zu bezweifeln. Also weiter runter zum Strand. Der Verkehr mutiert jetzt langsam zur Blechlawine und unten angekommen trällert überall Musik und auf den weiten Grünflächen und dem endlosen Strand frönt man den Freizeitaktivitäten. Mein geplanter Campingplatz könnte bei unscharfem Hinsehen auch die Außenfläche einer größeren Campingmesse sein. Hölle! Dass ich hier nicht übernachten werden, dürfe klar sein. Trotzdem gönne ich mir einen Spaziergang am schwarzen Strand, bei dem ich mir fast die Füße verbrenne. Schwimmen ist wegen der Gezeiten gerade lebensgefährlich, ansonsten ist es tatsächlich ein schöner Strand.
Also kurze Planänderung, ich werde jetzt einfach in Richtung des nächsten Zieles fahren, mal sehen wie weit ich komme. Vorbei am Big Bay von Auckland mit herrlichem Weitblick, das war die vorerst letzte Aussicht für heute. Irgendwo gibt es dann auf dem Highway 1 noch einen völlig schwachsinnigen Mautabschnitt von 7,5 Kilometern, den man im Voraus oder nachher ausschließlich online bezahlen kann. Es kostet 2,40 NZ$, das sind etwa 1,60 €, es spart 9 Minuten Fahrzeit, die Strafe bei Verspätung kostet 40 NZ$, bei Mietwagen 80 NZ$. Ich hab keine Ahnung welcher Praktikant im Verkehrsministerium sich so einen unsäglichen Unsinn ausgedacht hat. Ich nehme die nächste Ausfahrt und entscheide mich für kleine Straßen an der Küste entlang.
Nun, das ist es auch schon für heute, es ist alles wenig spektakulär, einsame Routen durch tolle Landschaften habe ich heute keine gefunden und so lande ich am schönen Bream Bay, wo es wieder voll ist. Siehe oben, langes Wochenende! Am dritten Campingplatz in Ruakaka klappt es, die Chefin hat nach Feierabend auf mein Klingeln hin noch einmal aufgeschlossen und war dennoch super freundlich. Ein Stellplatz direkt am Strand, was will ich mehr? Pünktlich zum Sonnenuntergang taucht der Beam Bay dann noch in tolles rotes Licht, so ist es ja doch noch ein schöner Tagesabschluss geworden. Füße hoch!
24. Oktober 2022 – Das aufgeteilte Paradies und am Ende bin ich da, wo ich hin wollte
Heute ist Montag und auch die letzten Wochenendausflügler reisen heute fast alle ab. Ich merke das am Gegenverkehr, der ist heftig. Jeder Dritte zieht ein Boot oder einen Wohnwagen hinter sich her, wie gut, dass ich in die Gegenrichtung unterwegs bin. Natürlich ist es heute nicht mehr so weit zum Tagesziel, weil ich ja gestern schon ein gutes Stück nach Norden vorgefahren bin. Deshalb habe ich mir gestern Abend noch eine extra Route über viele Campingplätze gelegt, ich hoffe, einen schönen zu finden, auf dem ich mehrere Nächte bleiben mag. Das Ziel heißt nämlich Bay of Islands. Ein landschaftliches Highlight mit vornehmlich Wassersportmöglichkeiten, aber auch Inselwandern ist hier möglich, was schon eher nach meinem Geschmack ist.
Nun, was soll ich sagen? Das Paradies ist aufgeteilt. Die Landschaft ist wirklich sehr schön, aber jeder zugängliche freie Fleck ist Privatbesitz oder irgendein Freizeitbusiness. Die öffentlichen Zugänge zum Wasser sind sehr gepflegt angelegt, dort trifft sich dann die Urlaubs- und Freizeitgesellschaft zum kollektiven Wasserspaß. Die Buchten stehen voll mit Segelschiffchen und Motorbooten, die paar Orte sind geleckte Flaniermeilen mit allen gewerblichen Varianten des touristischen Zeitvertreibs. Meine Campingroute breche ich nach Nummer vier ab. Alle Plätze mit netter Ufer- oder Strandlage sind irgendwie Rummelplätze. Nun, ich wollte ja unbedingt hierher und wer A sagt muss auch... Nö! Wer A sagt, kann auch sagen, dass A scheiße ist! Ich genieße noch so weit es geht die hübschen Ausblicke in die weite Bucht, nehme die kleine Fähre von Okiato nach Opua und mache einen Abstecher zu den Haruru Wasserfällen.
Danach fahre ich weiter Richtung Norden, irgendwann muss es doch auch wieder leerer werden, denke ich mir. Und das wird es dann auch. Der Rückreiseverkehr des langen Wochenendes reißt allmählich ab, die Sonne zeigt sich und trotz etwas langweiliger Landschaft ist es eine schöne Fahrt mit der ein oder anderen Sichtung der Tasmanischen See und des Pazifiks. Neuseelands Nordinsel ist hier im Norden nicht mehr sehr breit, da ist das möglich. Ich werde jetzt versuchen den letzten guten Campingplatz mit etwas Infrastruktur zu erwischen und hoffe, er ist schön. Dann kommt das Schild „Camping 300 m - Turn right“. Mach ich. Die reichlich tätowierte Frau an der Rezeption begrüßt mich im feinsten Kiwi-Akzent, herrlich, das kann nur gut werden. Und da ist es wieder, das erlösende Gefühl, wenn man einen Pfad wiedergefunden hat, der zuvor verloren gegangen ist. Zusammengefasst: Leerer Wiesen-Campingplatz im Hinterland, Bucht vor der Tür, Amenities neuseeländisch perfekt und gewohnter fairer Preis.
Camper abstellen, es ist noch nicht so spät und ich laufe noch rüber zur Bucht. Stilles blaues Wasser plätschert am Ufer, es ist Ebbe. Draußen sehe ich vereinzelt Angler in ihren Bötchen und ganz in der Ferne das Ende der Bucht und den Pazifik. Ein Angler kommt gerade lautlos in seinem Kajak zurück, zwei Möwen begleiten ihn, ein herrliches, kitschiges Bild. Ansonsten sind hier nur ein paar Möwen, die mir Gesellschaft leisten. Mehr will ich doch gar nicht. Das war jetzt ein ganz schön langer und zäher Ritt bis hierher. Hoffen wir mal, dass es die letzten Tage meiner Reise so bleibt. Mehr passiert nicht, gute Nacht für heute.
25. Oktober 2022 – Wo sich die Ozeane treffen und Riesendünen wandern
Vor über einem Monat war ich am Slope Point, dem südlichsten Punkt von Neuseeland und heute steht der Ausflug nach Cape Reinga auf meinem Zettel, dem nördlichsten Punkt von Neuseeland. Der Weg ist nicht allzu weit, er führt mich durch wenig besiedeltes Weideland und kleine Wälder. Der „Far North District“, die nördlichste Verwaltungszone von Northland ist hier so schmal, dass ich auf beiden Seiten den Ozean sehen kann. Im Westen die Tasmanische See und im Osten den Pazifik. Es ist heute sehr windig und ich bin langsam unterwegs, zudem bleibe ich öfter mal stehen, um die riesigen Sanddünen im Westen aus der Ferne zu betrachten oder nur das grüne Land zu genießen. Die letzten Kilometer winden sich dann noch einmal durch dichten Wald hinauf auf die alten Vulkanberge, dann bin ich da. Am Cape Reinga. Ich steige aus und mache mich auf zum Leuchtturm, die Sicht ist traumhaft schön. In der Tiefe auf der pazifischen Seite sehe ich die kleine, menschenleere „Sunday Bay“, die von der regelmäßigen Brandung geglättet und gepflegt wird. Zum Baden kommt hier niemand her, das ist zu weit und so präsentiert sich alles völlig unberührt. Auch mir ist es zu weit, bis nach ganz unten zu steigen, ich begnüge mich mit dem Ausblick vom Leuchtturm. Da stehe ich nun fast am nördlichsten Ende von Neuseeland. Der wahre geografisch nördlichste Punkt ist nur über einen Trail zu erreichen und liegt etwa dreißig Kilometer östlich von hier. Aber so genau nehmen wir das heute mal nicht. Ich schaue hinunter auf die beiden Ozeane. Eine lange Spur von Strudeln und kleinen Schaumkronen ist erkennbar, und zwar genau dort, wo sich die beiden Gewässer treffen und vermischen. Das ist etwas Besonderes, sagen die Infotafeln, da die Gewässer unterschiedliche Temperaturen und Salzgehalte haben. Ich könnte mir das stundenlang ansehen, was die Weltmeere da machen. Doch ein paar nette aber lärmende Inder treiben mich weiter auf den kleinen benachbarten Vulkanhügel. Von hier aus schaue ich nun auf die Tasmanische Meeresküste, auf den leuchtenden Te Werahi Beach. Herrlich!
Zeit für die Rückfahrt, denn ich möchte noch zur riesigen Te Paki Düne. Ein Stückchen Schotterpiste, dann endet die Straße direkt an der Rückseite der berghohen Sanddüne. An einem völlig abgerissenen Omnibus kann man sich bunte Sandboards ausleihen und die steile Seite der Düne hinuntersurfen. Ich ziehe es vor, in den Bereich zu steigen, wo das alte Vulkangestein aus dem Sand emporsteigt. Hier liegen bis zu faustgroße scharfkantige Basaltstücke herum, die mit ihrer schwarz-auberginen Farbe das Komplement zum gelben Sand bilden. An einigen prominenten Stellen gibt die Düne sogar den Blick frei auf die vulkanischen Hügel unter ihr. An einer anderen Stelle finde ich einen tollen Blick auf die scharfe Grenze von Sand und Vegetation. Irgendwann wird die Düne auf ihrer stetigen Wanderung das grüne Land unter sich begraben haben.
Den Sand aus den Schuhen und den Klamotten schütteln und nun geht’s zurück zum schönen Campingplatz, wo ich eine zweite Nacht verbringen werde. Die warme Sonne scheint noch als ich zurückkomme. Es gibt Salat in meinem grünen Camper-Vorgarten, später sieht man einen schönen Sternenhimmel und ich habe eine geruhsame Nacht.
26. Oktober 2022 – Tane Mahuta darf nicht krank werden!
Reiserichtung Süd, entlang der Küste, mit der kleinen Fähre nach Rawene bis ins Waipoua Nature Reserve. Dort ist er zu Hause, seit zweitausend Jahren. Tane Mahuta heißt er und ist der Sohn von Ranginui und Papatuanuku, von Vater Himmel und Mutter Erde. Er wird auch „Lord oft the Forest“ genannt, ist der größte lebende Kauri Neuseelands und gehört zu den größten Bäumen der Welt. Im Waipoua Reserve wachsen die meisten und die größten Kauri. Allerdings sind sie sehr bedroht durch die Dieback Krankheit, ein invasives, mutagenes Pathogen ungeklärter Herkunft, das u.a. Wurzelfäule hervorruft und seit 2006 massive, wachsende Schäden bei den Kauri angerichtet. Sie besitzen trotz ihrer gigantischen Größe nämlich nur sehr feine und zarte Wurzeln, die nicht einmal betreten werden dürfen. Die Wälder sind deshalb weitgehend gesperrt, es gibt nur noch wenige künstliche Wege mit Boardwalks. Schuhe und Equipment müssen in sehr aufwändigen Stationen vor und nach dem Betreten des Waldes gereinigt und desinfiziert werden, wer Wege verlässt, muss mit drakonischen Strafen rechnen und mit dem Auto anhalten oder aussteigen ist aktuell bis auf zwei freigegebene Parkplätze im ganzen Nationalpark verboten. Auch das eine unvermeidbare Entwicklung durch Globalisierung. Aber was erzähle ich Euch, Corona ist das aktuelle Dieback des Menschen.
Trotz dieser ernsten und tragischen Situation zugleich möchte ich aber die Faszination, die diese Riesenbäume auslösen, nicht zu kurz kommen lassen. In den Wäldern stehen abertausende von Kauri. Nicht alle sind Baumriesen und auch nicht jeder Kauri schafft es bis zu einer Höhe über 50 Meter wie der Tane Mahuta. Jedoch sind sie alle sehr hoch und leben wie die meisten großen Pflanzen in Symbiose oder Vergesellschaftung mit den unterschiedlichen Zeitgenossen. Das spannende ist in diesem dichten Regenwald, dass man die Riesen-Kauri nicht sieht, bevor man ihnen nicht sehr nahe gekommen ist. Dieses grüne Dickicht ist wörtlich undurchschaubar. Und dann steht man vor einem dieser Giganten und das Staunen nimmt kein Ende. Wie schon oben beim Cookson Kauri beschrieben, erscheint die Rinde sehr glatt und gleichmäßig. Die Stämme sind oft perfekt rund und stehen lotrecht. Erst sehr viel weiter oben verzweigen sie sich und schaffen die Grundlage für ganze Ökosysteme in ihrer mächtigen Krone. Hier ein kleiner Eindruck, von welchen Größenordnungen ich spreche. Das ist der zweitgrößte Kauri Neuseelands, der „Te Matua Ngahere“ (Father of the Forest).
Links: Bäume in der Baumkrone (Ausschnitt); Rechts: Der Te Matua Ngahere (Ganzes Foto)
Ich lasse mich heute auf den beiden einzigen kurzen Walks im Waipoua Park begeistern und bereichern. Begeistern, weil die Dimensionen einfach unvorstellbar sind, wenn man es nicht mit eigenen Augen sieht. Gutgemeinte Zahlenwerte der Informationstafeln sind da wenig hilfreich, ein Stammvolumen von 244 m3 löst bei mir keine Emotionen aus. Und bereichern, weil ich so wenig über diese Bäume wusste und soviel gelernt habe. Aber vor allen Dingen, weil ich sehen kann, wie wichtig die Kauri sind im Zusammenhalt des komplexen Ökosystems Wald, nicht nur hier im Waipoua. Und außerdem mag ich diese Bäume, sie sind mir sympathisch. Warum? Weiß ich nicht, aber das ist ja auch nebensächlich.
Die Übernachtung im Waipoua fällt auch flach, jedes Business ist aus oben genannten Gründen geschlossen. Zwar könnte ich selbst auf dem einzigen Naturcampingplatz einchecken, aber ich brauche Infrastruktur, weil ich mich langsam auf die Rückgabe des Campers und meine Weiterreise vorbereiten muss. Und das tue ich jetzt auch dreißig Kilometer weiter auf einem schönen Waldcampingplatz. Lasst Euch noch von den Kauri verzaubern, ich sage Euch Gute Nacht und bis Morgen.
27. Oktober 2022 – Letzte Etappe und das Kauri Museum
Es wurde tatsächlich noch einmal etwas frisch heute Nacht, dafür aber gibt es ein warmes, sonniges Erwachen mit Vogelgezwitscher, Frühlingsduft und dem rauschenden Bach hinter meinem Campervan. Fenster auf, Türen auf, Luft rein, Wasser aufsetzen! Die Auswahl fürs Frühstück ist genau rationiert, die Reste müssen bis morgen alle konsumiert sein. Es gibt zwei wachsweiche Eier, aufgebackene Sesambrötchen und Roquefort. Dazu meinen Jeds No. 3 „strong“ Instantkaffee der Spitzenklasse mit Milch und Zucker und hinterher ein Glas frischen Orangensaft. Bei einem solchen Frühstück sitzen schnell die ersten Spatzen in meinem Fenster, die ganz forschen kommen zur Tür herein und picken die Sesamsaat vom Boden auf.
Was steht auf dem Programm? Nun, die etwas verkürzte Fahrt zum letzten Campingplatz und meinen Camper abgabefein machen. Dann will ich mal los. Landschaftlich sind die gut einhundertfünfzig Kilometer wenig reizvoll, ganz hübsch grün, das ist es aber auch schon. Am Straßenrand finde ich zufällig eine Tankstelle mit Gasfüllstation. Anhalten, die leere Flasche vollmachen, dann habe ich das auch erledigt. Ich unterhalte mich noch etwas mit dem netten Tankwart, während meine Gasflasche sich langsam füllt. Er findet es toll, dass ich von soweit herkomme und vor COVID waren unglaublich viele Deutsche hier, nachher nicht mehr. Ich frage ihn, wohin denn die Kiwis so verreisen. Er zuckt ratlos mit den Schultern als wäre es eine blöde Frage. Dann fragt er nicht ganz ohne Genugtuung, warum ein Neuseeländer denn verreisen solle, man habe doch alles hier auf den Inseln. Ich kann ihm nur zustimmen, aber dann gesteht er mir mit einem Lächeln, dass er schon fünfmal mit seiner Familie in Kanada war, weil er die Weite und die Wildnis dort so sehr mag. Dann ist die Flasche voll.
Nur noch eine Stunde habe ich vor mir, ich bin sehr früh dran. In der Nähe ist das Kauri Museum. Ein sehr populäres Museum, das die Geschichte der Holzwirtschaft um die Kauri Bäume dokumentiert und die damit eng verbundene Geschichte von Waipoua, einem der Zentren der kommerziellen Holzverarbeitung. Ich mache den Abstecher, Zeit habe ich genug. Erwartungsgemäß ist es nicht besonders erheiternd, was hier gezeigt wird. Das Museum selbst ist ziemlich aufwändig gemacht und sehr groß. Es ist eine komplette Sägemühle nachgebaut, die sich bewegt, viele verschiedene Hölzer sind ausgestellt, ebenso echte Baumscheiben von fast tausend Jahre alten Bäumen. Es gibt viele fotografische Zeitdokumente und ein komplettes Handelshaus mit eingerichteten Büros und szenischen Darstellungen. Dann kommen Luxusartikel wie edelste Schränke, Sekretäre und Klaviere bis hin zu Luxusseglern komplett aus Kauriholz. Eine gigantische Bernsteinsammlung mit fußballgroßen Stücken schließt sich an. Alles vom Kauri. Ich könnte noch endlos mehr aufzählen.
Was ich so schlimm an derartigen Museen finde, ist die Ignoranz und Kritiklosigkeit, mit der Geschichte dargestellt wird. In diesem Falle die der Kauri Holzwirtschaft. Kein Wort von der Zerstörung eines riesigen Ökosystems und der irreversiblen Veränderung von Landschaften, unter der Neuseeland heute massiv zu leiden hat. Ja, Bäume fällen ist ok und auch nicht schädlich, wenn es mit Sparsamkeit, Sinn und Sachverstand geschieht. Und vor allen Dingen, wenn man sinnvolle Dinge mit dem gewonnenen Rohstoff herstellt oder tut. Aber das ist leider viel zu selten der Fall. Das ganze wirklich liebevoll gestaltete und sehr informative Museum ist der lückenlose Beweis, dass persönlicher und unternehmerischer Profit durch Ausbeutung von Ressourcen an erster Stelle steht. Der Erfolg der Kauri Holzwirtschaft wird gemessen am Reichtum, den eine vergleichsweise kleine Oberschicht dadurch erzielt hat. Ich bin dann auch relativ schnell durch gewesen.
Es ist Ebbe am Red Beach als ich auf meinem letzten Campingplatz ankomme, ein schönes Plätzchen gibt es auch noch und mein erster Weg ist rüber zum menschenleeren Strand. Noch einmal lasse ich mir den Wind des Pazifiks kräftig durch die Haare pusten und genieße die rauschende Brandung der abfließenden See. Ich beobachte ein paar lärmende Rotschnabelmöwen, die nur in Neuseeland leben und denke einfach an nichts. Herrlich!
Und jetzt geht es an den Hausputz, mit dessen Einzelheiten ich Euch nicht langweilen werde. Er dauert eine gute Stunde, ein paar noch gute Dinge und Reste stelle ich in die Campingküche zum Verschenken, es dauert keine Stunde, dann sind sie alle weg. Prima, nichts in den Müll geworfen. Ich koche Ration Nr. 2, Tagliolini al Pesto, dazu Mineralwasser. Lecker! Noch flott ein Hotel für eine Nacht in Auckland gebucht, dann ist es Zeit für die Nachtruhe. Morgen zum Abschluss dann mehr aus Neuseelands heimlicher Hauptstadt.
Ich träume heute Nacht bestimmt von wunderbaren sechs Wochen Camperleben und 6.194 Kilometern durch das Land der langen weißen Wolke. Gute Nacht!
28. Oktober 2022 – Good Bye New Zealand!
Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, heute Morgen zum letzten Mal in meinem Camper aufzuwachen. Zum letzten Mal die Vorhänge raffen und mit den Druckknöpfen befestigen, zum letzten Mal das Bett wieder in die gemütliche Sitzecke umbauen und zum letzten Mal Kaffee kochen und Brötchen aufbacken. Die Sonne scheint auf meinen Frühstückstisch, ich gebe den letzten Würfel Zucker in meine Kaffeetasse und rühre um. Im Baum lärmen die Tuis. Nicht, dass sie das nicht jeden Tag täten, aber heute wirkt es mehr. Wie in den ersten Tagen, als ich noch nicht wusste, dass es Tuis sind. Ist das Sentimentalität? Nein, das trifft es nicht gut genug. Es ist eher so, als ob man einen wunderschönen Traum hatte und ihn nicht morgens vergessen hat. Es stimmt einen zunächst traurig, dass er vorbei ist, aber dann erinnert man sich, dass Sonntag ist. Ja, das beschreibt es besser.
Die Fahrt nach Auckland läuft mechanisch ab, trotz ziemlicher Verkehrswirren finde ich mein Ziel auf Anhieb. Ich stelle mein weniges Gepäck nach draußen, die nette Frau von der Rental Reception nimmt meinen Camper ohne Beanstandung ab. Sie ist sehr nett und checkt mich ruckzuck ohne jeden Papierkram aus. Ich esse meinen letzten Apfel während ich auf das Taxi warte, das mich kurz darauf nach Auckland Downtown bringt, wo ich mir bis morgen ein Zimmer mit Aussicht gebucht habe. Und dieses Zimmer ist der Hammer! Ich kann schon um elf Uhr einchecken. Dreiundzwanzigster Stock, ein komplettes Apartment mit Wahnsinnsaussicht auf Hafen, Tower und Harbour Bridge. Nach einem Kaffee auf dem kleinen Balkon, nehme ich mir ausgiebig Zeit für eine Gesichtsrenovierung und wasche und sortiere meinen Kram für den Trip morgen. Waschmaschine kann alleine laufen und ich werde mich jetzt aufmachen und mir Auckland Downtown ansehen.
Was kann ich sagen in der kurzen Zeit? Sicher wenig Repräsentatives, aber ich habe schon einladendere und warmherzigere Metropolen gesehen. Ziehen wir mal das Wetter ab, es beginnt gerade ekelig zu nieseln, das ist alles etwas lieblos hier. Die Geschäfte haben geöffnet oder geschlossen, scheinbar je nach Bock, nette Bars sind eingeklemmt zwischen Tiefgarageneinfahrt und Entsorgungsrampe eines Büroturms. Die zahlreichen kleinen Imbissbuden aller Nationalitäten haben um 18:00 h schon geschlossen und passen nicht wirklich in die Nachbarschaft von Gucci und Versace - oder umgekehrt. Viele Großbaustellen in der Stadt haben nach Corona ihre Arbeit wieder aufgenommen und tragen auch nicht zur Gemütlichkeit bei. Ich laufe die berühmte Queens Street bis zur Waterfront, Puls und Blutdruck bleiben aber unverändert. Allerdings fallen mir die Menschen auf, bzw. ihre Bekleidung. Von Flipflops mit Boardshorts bis Daunenweste und Pudelmütze sieht man jeden Style. Irgendwie ist das alles furchtbar durcheinander, frei nach dem Kindertraum: Komm, wir machen eine ganz tolle Farbe und mischen den ganzen Tuschkasten! Was kommt raus? Richtig! Und genau so sieht das hier auch auf den ersten Eindruck aus.
Ich gebe den kleinen Seitengassen noch eine Chance. In der Vulcan Lane und Nachbarschaft wird es hübscher, viele kleine Restaurants und Kneipen reihen sich aneinander. Dann bleibe ich doch am besten gleich zum Dinner. Ich suche mir den Franzosen aus, mir ist heute danach. Das Ambiente ist - sagen wir mal - liebevoll amateurmäßig, die Mädels und Jungs vom Service dafür umso netter. Auch ohne Reservierung bekomme ich einen Tisch und es folgt neben der herzlichen Bedienung (auf Französisch!) ein richtig gutes Formule du Jour. Bei der respektablen Weinkarte werde ich sogar etwas wehmütig, zwei Châteaux kenne ich persönlich von meinen Frankreichreisen. Ich bin beeindruckt. Statt eines kulinarischen Epos streue ich Euch ein paar Bilder ein. Bon Appétit!
Draußen nieselt es immer noch, ich gehe die steile Wyndham Street hoch nach Hause, bleibe aber im Little Culprit hängen, einer beliebten Bar. Die zwischen der Tiefgarage... Ihr wisst schon. Ein ganz winziges Schlöckchen Talisker lässt meine kleine kulinarische Premiere ausklingen und jetzt gehe ich in mein Turmzimmer und schlafe wegen der tollen Aussicht vermutlich mit offenen Augen! Zum letzten Mal Gute Nacht aus Neuseeland.
Die Reise nach Neuseeland endet hier. Es war schön, mit Euch zu reisen!
