Wälder, Dünen, Mythen
🇸🇪🇱🇻🇱🇹🇪🇪 Baltikum
Das Baltikum. Irgendwie unbekannt, wenig prominent, leise. Vielleicht ist es das, was mich an den drei Ländern gereizt hat. Lettland, Estland und Litauen. In dieser Reihenfolge werde ich die ehemaligen Sowjetrepubliken in den nächsten vier Wochen erkunden. Ich bin gespannt. Immerhin verspricht die Literatur tolle Wälder und Dünenlandschaften, pitorestke Städtchen und nicht wenige Mythen, die mich ehrlich gesagt am meisten neugierig machen. Und wenn dann auch noch kein geringerer als Thomas Mann sich hierher zurückzog, um einen kontemplativen und kreativen Ort zu finden, an dem er arbeiten konnte, spricht das für sich. Und jetzt geht's los...
Samstag, 24. Mai 2025
Sonnige Anreise und wie ein Stadttor Glücksgefühle weckt
Die ersten Tage einer Reise sind naturgemäß oft reine Anreisetage. Man verlässt sein Zuhause, hat oft zuviel Gepäck dabei und kommt dennoch nicht von der Sorge los, etwas vergessen zu haben. Und dann, ja dann lässt man mit jedem Kilometer langsam den Alltag hinter sich. Wie kleine Steinchen aus einer Mauer bröckeln und sie bis zum Einsturz bringen können, fallen die Alltragssorgen auch aus meiner Festungsmauer der Komfortzone – bis auch sie einstürzt und die Sicht auf das wahre Leben freigibt.
Meine Anreise nach Travemünde besteht heute aus gut dreihundert Kilometern, die meinen Alltag zerfallen lassen sollen. Da ich wegen des drohenden Regens am Nachmittag, früher losgefahren bin als nötig, hatte ich viel Zeit. Warum nicht ein Abstecher nach Lübeck? Dort war ich noch nie. Die Sonne scheint und der Umweg ist nicht der Rede wert. Schon von weitem begrüßen mich die vielen spitzen Kirchtürme, die über den roten Backsteinbauten der Altstadt herausragen. Noch über die Puppenbrücke, die den Stadtgraben überspannt und das berühmte Holstentor präsentiert sich stolz in seinem eindrucksvollen Backsteinrot. Ich bin spontan beeindruckt und ein auffällig bekanntes Glücksgefühl erfüllt mein Herz. Was ist das? Woher kenne ich das? Und wieso erzeugt ein Gebäude – wenn auch ein außergewöhnliches – ein Glücksgefühl?
Ein Parkplatz für Bienchen ist schnell gefunden, es ist erfreulich wenig Besucherverkehr hier. Die kleine Parkanlage mit ihren Wiesen vor dem imposanten Stadttor ist Spielplatz für Kinder, Menschen sitzen im Schneidersitz auf dem Rasen und plaudern oder amüsieren sich und die weißen Bänke rechts und links werden gerne von älteren Menschen besetzt, die Entspannung und vielleicht einen Pausensitzplatz suchen. Wie einladend und menschlich dieser Ort doch wirkt, wenn nichts verboten oder reglementiert ist. Dieser Ort gehört ganz offensichtlich den Bürgern und Gästen Lübecks. Es gefällt mir außerordentlich gut.
Nun, da ist ja noch dieses Glücksgefühl. Es lässt mir keine Ruhe, woher ich das kenne und warum zweifelsfrei der Anblick dieses Wahrzeichens es auslößt. Am treffendsten lässt es sich dadurch beschreiben, dass ich mich reich fühle. Als sei ich plötzlich zu großem Reichtum gekommen. Als schenke mir jemand großzügig Geld. Vielleicht eine Goldmünze oder noch besser einen großen Geldschein. Zudem kommt dieses Gefühl noch aus meiner Kindheit – es ist eindeutig diese kindliche Freude darüber, welche maßlosen Mengen an Weingummis, Wassereis und Lakritze man sich dafür am Büdchen (ich bin im Pott aufgewachsen) kaufen kann.
Doch was kommt heraus wenn ich die Assoziationen zusammenfasse: Ein mittelalterliches Stadttor, ein großer Geldschein und erfüllte Kinderwünsche?
Ich wähle eine der weißen Bänke in der Sonne und genieße das nette Treiben im Park, während ich immer wieder neu Bilder kombiniere, die zu den Assoziationen passen. So, als ob ich ein gesperrtes Zahlenschloss Ziffer für Ziffer verstelle, bis die korrekte Zahlenfolge den Verschluss aufspringen lässt. Und ganz plötzlich habe ich das richtige Bild gefunden und damit des Rätsels Lösung: Mein Onkel schenkt mir zum Geburtstag fünfzig Mark! Ich bin jetzt Besitzer einer dieser begehrten, großen braunen Banknoten. Ich muss unweigerlich lachen. Ein witziger Spaß irgendeiner lange vergessenen Hirnwindung und was bleibt mir jetzt anderes übrig, als mir auch die Freude des Konsums zu machen. Nein, nicht für Weingummis, sondern für eine sehr leckere Ramen beim Koreaner auf der Altstadtpromenade. Herrlich!
Satt – und immer noch glücklich – mache ich mich auf zum Hafen von Travemünde, zum Skandinavienkai. Wie immer an der endlosen Lkw-Schlange und den Pkws vorbei bis vorne zum Gate. Dorthin wo die ganzen anderen Biker schon stehen und auf's Boarding warten. Die Zeit wird mit Reise- und Benzingesprächen überbrückt und geht es ganz schnell. Wir rollen in den tiefen Schiffsschlund, Mopeds verzurren, Kabine suchen, duschen, Bier und in die Koje. Ich freue mich auf eine erholsame Überfahrt nach Trelleborg und meine Träume für diese Nacht dürften feststehen.
Sonntag, 25. Mai 2025
Dem Regen entkommen
Habe ich herrlich geschlafen! Jetzt geht die Anreise durch Schweden weiter. Und die ist heute bis Linköping geplant. Dort werde ich übernachten, weil ich mir morgen früh die schönste Schleuse des Götakanal ansehen möchte.
Unser Schiff legt erst um 9:15 Uhr in Trelleborg an, da bleibt noch Zeit für ein gemütliches Frühstück. Auf Schwedisch heißt das Frukost und es hat nichts mit dem deutschen "froh" zu tun, sondern mit "früh". Froh wäre auch unpassend, denn der Spaß kostet satte 16,50 EUR für Durchschnitt mit Selfservice. Aber wer nach Schweden reist, sollte nicht auf die Preise schauen und vorher gespart haben. Nach ISO-4217 wird die Schwedische Krone mit SEK abgekürzt und das bedeutet in Wahrheit "Sehr exklusives Königreich" oder "Schweden entleert Konto"! Egal, es schmeckt mir, dann laufen wir in Trelleborg ein!
Das Entladen gelingt mir außergewöhnlich geschickt, denn ich finde eine kleine passierbare Lücke zwischen den vielen Lastwagen im Ladedeck und spare mir so die elende Warterei, bis diese Riesen Trucks alle herausrangiert sind. Das ist auch gut so, denn mal wieder ist es ein wackeliger Wetterpoker zwischen nass und trocken heute. Innerhalb der ersten Stunde will ich dem Regen davongefahren sein – Mopedtouren machen nämlich nur bedingt Spaß, wenn die Klamotten ganz langsam immer nasser werden. Und außerdem ist heute ja Bienchens Premiere in Schweden, da soll die Sonne scheinen – den Aufkleber habe ich Nerd im Gepäck… 🇸🇪 😄
Sei's drum, der Anfang war erwartungsgemäß etwas nass, eine Umleitung verwirrte zusätzlich mein Navigationssystem, aber ich erreiche dennoch zügig die E22, als es auch schon aufhört zu regnen – so hatte ich mir das gewünscht. Jetzt kann es schön werden! Und tatsächlich, als ich wieder auf die Nebenstrecken abbiege wird die Landschaft bunter und weitläufiger. Rechts und links tauchen leuchtend gelbe Rapsfelder auf und präsentieren sich im harmonischen Kontrast mit dem saftigen Frühlingsgrün der Wiesen. Die typisch roten Holzhäuser Schwedens gleichen Inseln inmitten der Flächenkontraste der Agrarflächen. Das perfekte Klischee vom Pippi-Langstrumpf-Land. Alles sieht aus wie aus dem bunten Katalog eines Reisebüros und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Südschweden ist eine einzige Ferienhausanlage.
Spektakuläres passiert heute nicht mehr. Ich genieße meine entspannte Fahrt und gewöhne mich an die strengen Geschwindigkeitsbegrenzungen, die hier so gut wie von allen eingehalten werden. Die größeren Landstraßen sind alle paar Kilometer mit Blitzern vermient und abschnittsweise liegen auch die sagenumwobenen Messschläuche auf dem Asphalt. Und wenn ich "paar Kilometer" sage, dann ist das nicht übertrieben. Periodische Abstände von fünf(!) Kilometern sind üblich. An den kleineren Straßen gibt es keine Blitzer, dafür stehen hier auffällig viele Hinweisschilder auf kreuzende Elche, die aber mehr meine Hoffnung schüren, einem Exemplar dieser imposanten Hirschart zu begegnen, als dass es meine Aufmerksamkeit im Straßenverkehr schärfte.
Gegen 15:30 Uhr erreiche ich regen- und elchfrei mein Hotel in Linköping [sprich: ˈlɪnˌɕøːpɪŋ]. Einchecken und Bienchen kommt in die sichere Garage – dann kann ich das ganze Gepäck drauflassen. Auf mich wartet eine heiße Dusche, eine Brotzeit und das gemütliche Bett. Gute Nacht!
Montag, 26. Mai 2025
ABBA, Lieblingstöpfe und die legendäre Juno
Linköping ist eine kleine Stadt, im Norden ist es im Spätmai schon sehr früh hell und an einem Montagmorgen ist die Fußgängerzone vor meinem Hotel wie ausgestorben. Aus dem Bett kann ich Sonnenlicht und einen schwedischblauen Himmel sehen. Mein kleines Fenster ist noch von der Nacht geöffnet und mit der frischen Luft kommt auch die Stille in mein Zimmer. Es ist diese Stille, die es nur im Urlaub gibt. Die Stille, an der man merkt, dass man nicht zu Hause ist. Es ist diese Alles-ist-gut-Stille. Und als ob das nicht schon Glücksgefühl genug wäre, klingt aus irgendeinem quäkenden Cassettenrecorder Musik. Es muss ein Cassettenrecorder sein, denn es ist Musik von ABBA – und ABBA kommt immer aus dem Cassettenrecorder! Ich finde, das Universum trägt zwar gerade etwas dick auf, aber zuviel des Guten kann eben wunderschön sein. Was für ein Morgen!
Ein gutes Frühstück, auschecken ist bis Mittag erlaubt und ein vielversprechendes Tagesprogramm habe ich heute auch. Ich werde gleich zu einer der schönsten Schiffstreppen des Götakanals fahren und anschließend über schöne Straßen nach Stockholm. Beginne ich aber zunächst mit heißem Kaffee zum Frühstück. Und was soll ich sagen, wenn der Koch das Rühreibuffet in meinen Lieblingstöpfen serviert, ist das an Kochkultur nicht zu überbieten. Überhaupt ist hier alles sehr liebevoll und mit Freude am Detail gestaltet. Die Speisen sind wohlsortiert und angerichtet und mit informativen Schildchen versehen. So auch die Milch – sie enthält Milch! Nun ja, ich amüsiere mich.
Bienchen ist schnell gepackt und Bergs Slussar – so heißt der Schleusenort – ist nur 11 Kilometer entfernt. Es geht los.
Der Parkplatz ist riesig, aber heute ist er zu meiner Freude leer. Ein paar versprengte Touristen, meist Fahrrad fahrende Rentner, machen Pause, sonst ist hier kein Mensch. Ich gönne mir einen kleinen Spaziergang an den Schleusenbecken entlang. Über die Wehre führen öffentliche Holzstege und niemand ist zu sehen, der irgendetwas verbieten würde. Nicht einmal Schilder mit gleicher Intention sind zu finden. Wie herrlich ist das denn? Das überschüssige Ausgleichswasser rauscht über die Schleusentore in die tieferen Becken, alles ist sehr gepflegt und beschaulich. Ich hocke mich auf die Wiese unter einen Baum und lasse dieses Idyll auf mich wirken. Es ist das altbekannte Seelentanken an schönen Orten dieser Welt. Enten legen sich neben mich in die Wiese und schlafen und die Sonne spiegelt sich im großen See, der hier nur Roxen heißt.
Wie aus dem Nichts, fast lautlos, erscheint ein kleines weißes Schiff auf dem Roxen und hält auf die Schleuse zu. Es ist die alte Juno. Was für eine Überraschung! Die Juno ist eine Legende. Sie ist das älteste Passagierschiff der Welt, auf dem man auch überachten kann. Was ist das für ein Tag heute? ABBA, Lieblingstöpfe und jetzt noch die Juno. Das kleine Schauspiel beginnt. Wasser rauscht lauter, alle sechs Schleusenkammern werden geflutet, denn die Juno will die Treppe nach oben steigen in den höher gelegenen Götakanal. Die Schiffsmannschaft erledigt das Schleusen selbst, routiniert und in aller Ruhe, obwohl es eine äußerst knappe Angelegenheit ist. Viel mehr als eine Elle wird der Abstand auf beiden Seiten nicht messen. Das ist nautische Maßarbeit! Und während die Besatzung noch schleust und die Passagiere das Ereignis von Land aus minutiös ablichten und dokumentieren, mache ich mich auf den Weg von meinem Baum zurück zu Bienchen. Es geht nach Stockholm.
Mit diesem schönen Erlebnis mache ich mich auf den Weg in die schwedische Hauptstadt. Ich habe mir eine Tour durch schöne Gegenden gelegt, abseits der Hauptstraßen. Schon kurz hinter Berg beginnt es beschaulich zu werden. Entlang des Roxen führen kleine leere Straßen mich durch Wälder und an vereinzelten Bauernhöfen vorbei. Die typische skandinavische Landschaft mit ihren riesigen Findlingen und dem ganzen Geschiebe der Eiszeit ist einzigartig. Die Farben des Frühlings sind frisch und grün. Sie mischen sich mit dem Rot, Gelb und Orange der ewigen Moose und Flechten. Die Straße windet sich geschmeidig um diese eiszeitlichen und mittlerweile bewaldeten Felshügel herum, dass es eine Freude ist. Die Sonne wärmt schon ganz gut und die Wälder rechts und links halten den kühlen Wind fern. So vergeht die Zeit und ich weiß nicht einmal wo ich entlanggefahren bin, geschweige denn, dass ich auch nur einen Ortsnamen hätte behalten können. Bis auf einen: Torp, was soviel wie „kleiner Bauernhof“ oder „Siedlung“ bedeutet.
Und nun merkt man, dass Stockholm nah ist. Es wird zunächst bewohnter, die Straßen werden breiter und voller, am Horizont taucht die städtische Silhouette der Hauptstadt auf, auch wenn diese keine so prominenten Erkennungsmerkmale hat wie viele andere Hauptstädte. Mein Navi leitet mich souverän durch die etwas chaotische Straßenführung und dennoch biege ich einmal falsch ab, was mir schon die erste Stadtrundfahrt beschert. Die Menschen laufen in T-Shirts, Shorts und Flip-Flops herum und spielen in Badehose Beach-Volleyball im Park. Andere haben Mützen auf und dicke Fleece-Jacken an. Unglaublich! Über viele Brücken muss ich fahren, denn Stockholm besteht aus zahllosen Inseln, was mein erstes Bild der Stadt sehr eindrucksvoll gestaltet. Ich erreiche mein Hotel etwas außerhalb der Innenstadt, aber dafür zu einem bezahlbaren Preis. Was hier an Übernachtungspreisen aufgerufen wird, grenzt an Wegelagerei – das sind teilweise halbe Monatsgehälter in Deutschland. Glücklicherweise kann ich heute selbst kochen, es gibt Suppe und Salat. Daran schließt sich eine erholsame Nacht an. Morgen ist Fahrpause, ich freu mich schon.
Dienstag, 27. Mai 2025
Stockholm – Nobelpreis und Himbeerkuchen
Heute ist Stockholm-Tag. Städtetage sind für Motorradfahrer immer problematisch. Da weiß man nie, was man anziehen soll. Den feinen Zwirn hat man natürlich nicht im Gepäck, dafür ist kein Platz, man ist eher pragmatisch unterwegs. Und überhaupt ist für Mopedfahrer das Anziehen nachrangig. Viel wichtiger ist das Ausziehen. Das Ausziehen der durchgeschwitzten Klamotten, insbesondere der Ausstieg aus den dicken Boots. Also, bequem und ein Regenjäckchen und auf geht's. Aus Preisgründen liegt mein Hotel etwas außerhalb zwischen den Lagerhallen der Lebensmittelgrossisten und bis zur nächsten Haltestelle ist es eine halbe Stunde Fußweg. Dafür bin ich aber zehn Minuten später mit der Regionalbahn mitten in der City.
Als erstes springe ich in den erst besten roten Stadtrundfahrtbus – erst einmal einen Überblick verschaffen, Audio-Guide inklusive. Allerdings entwickelt sich die Fahrt zu einer Qual durch den chaotischen Verkehr, denn die Innenstadt von Stockholm ist eine einzige Baustelle. Nach Dreiviertel der Fahrt reicht es mir und ich setze das Sightseeing zu Fuß fort. Ist auch schöner, da sich die Sonne mittlerweile durchgesetzt hat und etwas wärmt. Die prominentesten Orte der Stadt liegen alle mehr oder weniger fußläufig in der Innenstadt. Zur Not nimmt man halt ein Wassertaxi auf eine Insel oder zur anderen Seite des Ladugårdslandsviken
Mein Weg führt mich vorbei an der Insel Helgeandsholmen mit dem Riksdagshuset, entlang des Stockholms ström, wo sich auch der Königspalast befindet – man erkennt ihn an den Massen von Japanern, die zum Fotografieren von geschmiedeter Krone und Königswappen am Haupttor ausgeschüttet werden. Gleich gegenüber an der Insel Skeppesholmen liegt die weiße Af Chapman eines der drei ältesten Vollschiffe der Welt.
Nur wenige Minuten weiter biege ich ein in die berühmte Gamla Stan – die Altstadt. Hier verliert sich meine Orientierung. Ich bewundere die engen Gassen und schmalen Häuser, lasse die winzigen Lädchen auf mich wirken und stehe plötztlich auf einem kleinen, sehr schönen Platz vor der Schwedischen Akademie. Ein respekteinflößendes Ambiente. Hier wird also jedes Jahr der Literaturnobelpreis vergeben. Ich bin beeindruckt. Und was könnte jetzt anderes folgen, als im nächst besten Café in der Sonne mich niederzulassen zu einem Kaffee und einem Stück Himbeerkuchen.
Der Rückweg orientietrt sich am Hinweg und endet im Kungsträdgården, einem äußerst beliebten Ort der Stockholmer. Ein Blick hinauf zu Karl XII, er weist in Richtung U-Bahn. Es ist Zeit für den Heimweg. Noch schnell ein Einkauf im Supermarkt, dann fahre ich zurück ins Hotel, ich muss ja noch packen. Und morgen geht's weiter zur Fähre...
Mittwoch, 28. Mai 2025
Ja, das muss sein...
Reisetag mit später Fähre. Da muss ich mir noch Zeitvertreib in Stockholm ausdenken. Schweden hat zwei weltberühmte Exportartikel und da ich keine Lust habe, auf die größte Filiale eines Möbelhauses gehe ich lieber ins Museum der erfolgreichsten Popgruppe der moderneren Musikgeschichte: ABBA. Auch wenn ich nicht der größte Fan dieser Musik bin, gehört sie untrennbar zur Jugend meines Jahrgangs. Die Ausstellung ist bunt und aus allen Ecken klingen die Ohrwürmer der 70er. Viele Exponate, insbesondere Kostüme und Plateauschuhe kommen mir bekannt vor. Damals Kult, heute museumsreif. Die ganze Zeitreise dauert eine gute Stunde und in dieser Stunde bin ich vierzehn Jahre alt, von pubertärer Akne und chronischem Geldmangel geplagt, aber die Songtexte konnte ich auswendig und die letzten Kröten wurden für die Eintrittskarte in die Disco zusammengekratzt. Damals ging ich ja noch in die Disko… Dann bin ich wieder in der Gegenwart – eiine erfrischende Abwechslung!
Prima, der Vormittag ist um, jetzt mache ich mich langsam auf den Weg zum Hafen. Der ist etwa fünfzig Kilometer entfernt. Zum Zeitvertreib mache ich neunzig daraus, denn mein Schiff nach Lettland legt erst am Abend um halb zehn ab. Einen kleinen Schauer ignoriere ich, später am Hafen zeigt sich wieder die Abendsonne über den Schären von Nynäshamn. Was für ein wunderschönes Bild, mit dem sich Schweden verabschiedet. Dann geht es wie immer recht zügig. Wir parken mit den Motorrädern auf Deck 2, tief im Kielboden, wo die Schiffswände schon schräg sind. Kabine mit Aussicht, die Sonne geht endgültig unter und wir legen ab in eine helle nordische Nacht.
Ich bin gespannt auf Lettland.
Donnerstag, 29. Mai 2025
Von Steilküsten, Wasserfällen und dem Stern des Meeres
Ich bin um fünf Uhr wach, der Schiffsdiesel stampft immer noch ruhig vor sich hin und draußen ist es hell. Es war die ganze Nacht nicht richtig dunkel. Kein Wunder, schließlich ist es Ende Mai und wir sind am 58. Breitengrad unterwegs. Land kann ich durch mein Bullauge noch nicht erkennen, aber das liegt vielleicht am etwas trüben Wetter. Im Restaurant wird in Kürze das Frühstück serviert, so jedenfalls verkündet es die sehr laute Ansage über die Kabinenlautsprecher. Ich habe Hunger. Hübsche Sachen anziehen lohnt sich so kurz vor der Ankunft nicht mehr, also steige ich in meine nicht mehr ganz geruchsneutralen Motorradklamotten und stiefel ans Buffet. Es gibt für moderate lettische Preise alles, was das Herz begehrt, Zeit zum Frühstücken ist ausreichend und der schöne Fensterplatz an Backbord macht den Start in den neuen Tag perfekt.
Pünktlich um 7:30h läuft die Stena Scandica in Ventspils ein und macht fest. Da unsere Mopeds ja tief unten auf Deck 2 stehen, sind wir die letzten, die den Schiffsbauch verlassen dürfen. Draußen ist es sehr frisch und leicht bedeckt und Ventspils ist zu so früher Stunde noch wie ausgestorben. Um so schneller lasse ich das Städtchen hinter mir und dann wird es schön. Der erste Eindruck von Lettland ist eine Mischung aus Mecklenburg-Vorpommerscher Ostseeküste und Finnland. Mecklenburg-Vorpommern, weil alles flach ist und die riesigen Rapsfelder die Farbe der Landschaft bestimmen. Finnland, weil die lichten Wälder, die ich druchfahre, genau wie in Finland, hauptsächlich aus Kiefern, Fichten und Birken bestehen. Und noch etwas ist wie in Finnland: Ich verstehe kein einziges Wort der lokalen Sprache, nicht einmal einen Reim kann ich mir auf die Wörter auf den Straßenschildern machen. Das kann ja lustig werden.
Ich genieße die Fahrt abwechselnd durch die blühenden Rapsfelder und dann wieder durch kleine Wälder. Der Himmel wird heller, so dass ich in den nächsten Stunden durchaus auf Sonne hoffen kann. Mein erster Halt ist die Steilküste von Jūrkalnes. Auf Lettisch: "Jūrkalnes Stāvkrasts". Stāvkrasts heißt also Steilküste. Das erste Wort wäre gelernt! Ob das nun wichtiger ist als Danke, Bitte oder Guten Tag, sei einmal dahingestellt, aber mit Sicherheit bekomme ich alle Aufmerksamkeit, wenn ich beim nächsten Besuch im Café die Anwesenden mit einem selbstbewussten "Stāvkrasts!" begrüße.
Die Tour setzt sich so beschaulich fort wie sie begonnen hat. Gegen Mittag erreiche ich den Ort Kuldīga. Hier ist der breiteste Wasserfall Europas zu bestaunen – die Ventas Rumba. Direkt vor der roten Brücke von Kuldīga fällt die Venta auf einer Breite von 250 Metern knappe zwei Meter in die Tiefe. Ein einzigartiges Landschaftsbild und man kann bis vor den Wasserfall in die flache Venta hineinlaufen. Flieder blüht, große Forellen versuchen den Katarakt zu überspringen und auch die Sonne hat sich mittlerweile durchgesetzt. Lange Zeit sitze ich an den Holzstegen und in der Uferwiese – ein wirklich schöner und ursprünglicher Ort. Genügend Zeit noch für einen Cappuccino im hübschen Brückencafé. Das mit dem "Stāvkrasts" habe ich nicht ausprobiert...
Mein Weg dreht nun wieder nach Norden, denn ich möchte am Nachmittag Kap Kolka erreichen, das ist mein Tagesziel. Die üppige Zeit erlaubt mir noch ein paar Pausen an schönen Orten, sogar ein Spaziergang am menschenleeren Strand der Kurländischen Meerenge gönne ich mir. Seelentanken! Hier ist alles tiefenentspannt und langsam. Ich bin alleine mit Wind, Meer und den Dünen und entkomme immer mehr meinem Alltag – vielleicht habe ich ihn ja schon abgehängt.
Und dann sind da noch die vielen kleinen Kirchen. Sie sind irgendwie anders. Weniger protzig und weniger ehrfurchtsgebietend. Manche wirken einladend, andere haben etwas Mystisches. Ganz besonders beindruckt mich die Kolkas Jūras Zvaigznes Dievmātes Romas katoļu baznīca, was übersetzt bedeutet Römisch-katholische Kirche Unserer Lieben Frau vom Meeresstern in Kolka. Sie wurde in den 90er Jahren aus dem 150 Kilometer entfernten Sakas Grīņi hierher umgesiedelt, weil die vielen einheimischen Katholiken hier am Kap Kolka nie eine eigene Kirche hatten. In ihrem schwarzen Holz wirkt sie geheimnisvoll und ihr schöner Name „Stern des Meeres“ (lettisch: Jūras Zvaigzne) ist insbesondere eine Würdigung der Seefahrer und Fischer. Und mit diesem eindrucksvollen Bild endet meine erster Tag in Lettland.
Das kleine Hotel in Roja ist eher pragmatisch als romantisch, aber ich habe alles, was ich mir wünsche, und das ist eine schöne Aussicht, ein gut sortierter Supermarkt und vor allen Dingen eine riesengroße Badewanne – ihr wisst schon, eine, bei der auch die Knie unter Wasser sind, wenn man drinliegt...
Bis Morgen (Līdz rītdienai)
