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Es war kein gewöhnlicher Tag...

🇮🇹 Pompeji

 

"Interim e Vesuvio monte pluribus locis latissimae flammae altaque incendia relucebant,
quorum fulgor et claritas tenebris noctis excitabatur."

(Gaius Plinius Caecilius Secundus, Epistulae 6.16)


Inzwischen erstrahlten vom Vesuv an vielen Stellen weite Flammenfelder und hohe Feuerbrände,
deren Blitzen und Leuchten durch die Dunkelheit der Nacht gesteigert wurden.
(Plinius der Jüngere, Epistulae 6.16)

Mittwoch, 18. September 2024 - Es war kein gewöhnlicher Tag...

Heute besuche ich die Überreste von Pompeji, dem prominentesten Ort, den der Vesuv mit seinem großen Ausbruch im Jahre 79 n. Chr. völlig zerstörte. Jahre später und auf Wunsch seines "lieben Freundes" Tacitus beschreibt Plinius der Jüngere in mehreren Briefen, wie sich die Katastrophe aus seiner Sicht abgespielt hat. Plinius wohnte damals etwa zehn Kilometer vom Vesuv entfernt in Miseno, einer Halbinsel am südwestlichen Ende des Golfes von Neapel.

"Eine Wolke erhob sich – wer sie aus der Ferne sah, wusste nicht, aus welchem Berg; Dass es der Vesuv war, wurde erst später erkannt -, an deren Aussehen kein anderer Baum mehr als die Pinie gemahnte."

Ich löse eine Eintrittskarte für drei Tage, um mir eine Stadt anzusehen, in der innerhalb eines halben Tages jedes Leben ausgelöscht wurde. 

An der Porta Nocera beginne ich meinen Weg ohne jeden Plan durch schmale Gassen und sehe mich um in den Häusern der einfachen Bürger. Bescheiden, verwinkelt und oft ohne Fenster. Hier ist eine Feuerstelle zu sehen, dort lehnen Amphoren an der Wand. Manche Häuser sind am Eingang mit Thermopolia ausgestattet, das sind in eine Theke eingelassene Gefäße, in denen Essen warm gehalten und an Laufkundschaft verkauft wurde. Die ersten Schnellimbisse. Die Straßen mit ihren hohen Bordsteinkanten sind gepflastert aus massiven, grauen Steinen, in die die beschlagenen Karrenräder im Laufe der Zeit tiefe Rinnen graviert haben. Über regelmäßig eingebaute Trittsteine erreichten die Pompejianer trockenen Fußes die andere Straßenseite, denn die Abwässer wurden seinerzeit noch auf die Straße entleert und machten sie dadurch unbegehbar.

Kleine Gassen münden in größere Straßen. Ich erreiche die Via dell'Abbondanza, die Hauptstraße zum Stadtzentrum, dem Foro. Je weiter ich voranschreite, umso mehr säumen mondäne Häuser und Villen den Straßenrand. Viele haben Namen, andere werden nur nach ihrer Funktion oder Gestaltung beschrieben, wie das Haus des Bäckers oder das Haus des Chirurgen. Ich merke mir all die Namen nicht, sie sind unwichtig. Im Augenblick der Vernichtung, gab es keine Standesunterschiede mehr, kein reich und arm, kein gut und böse.  

"(...) die Wolke erhob sich, wie in einem überlangen Stamm, hoch hinauf und verzweigte sich in zahlreiche Äste, ich glaube, dass sie, durch aufkommenden Wind emporegerissen, dann bei dessen Abflauen kraftlos geworden oder aber vom eigenen Gewicht beschwert sich ausbreitete, zuweilen weiß, zuweilen schmutzig und befleckt, je nachdem, ob sie Erde oder Asche emporgetragen hatte."

Mich fasziniert das, was geblieben ist. Die Farben, die Formen und die Muster. Das, womit die Menschen sich umgaben, was sie offensichtlich als schön, geschmackvoll, schick oder modern empfanden. Rot und Gelb schmücken am häufigsten die Wände, kleine Figuren zieren die Gärten und in den Villen sind noch viele Wandbilder erhalten, vor denen ich manchmal minutenlang stehe. Vielleicht hat ja einst mein Begleiter Plinius - der zu der Zeit schon hohes Ansehen genoss - hier mit irgendeinem Freund seiner Schreibkunst trefflich geplaudert. 

"Das war großartig und näher betrachtenswert für einen wirklich gebildeten Mann." 

Über vier Stunden verbringe ich in den Stadtruinen und bin völlig überfordert, das Gesehene angemessen zu würdigen. Meine Admiration ist mein Schweigen, mit dem ich versuche, das wertzuschätzen, was die Menschen von Pompeji schufen und hinterlassen mussten. Mein Abend ist ruhig und zugleich bewegt von den Bildern und Eindrücken. 

"Finem ergo faciam." - "Deshalb will ich [für heute] Schluss machen."

Donnerstag, 19. September 2024 – Das gesellschaftliche Leben von Pompeji

Die Bilder von gestern haben mich nachhaltig beeindruckt und sind auch immer noch in meinem Kopf. Heute bin ich gespannt auf Teil II: Das sind das Foro Civile, der Tempel des Apollo und des Jupiter und die Villa dei Misteri.

Fluch und Segen zugleich in Italien ist, dass vieles nicht so richtig funktioniert bzw. nicht so genau genommen wird. Für mich ist diese Tatsache heute Segen, denn ich darf den zentralen Sektor von Pompeji ein zweites Mal betreten, obwohl das 3-Tages-Ticket nur einen Besuch je Sektor zulässt. Als mein Ticket von der Zugangskontrolle abgelehnt wird, brabbel ich irgendwas italienisch klingendes von settore due, solo di passaggio und semplicemente, dann gehe ich mit sehr freundlicher Suggestion und gekrönten Fingerspitzen nach oben über ins Englische, woraufhin der nette Signore Controletti mir das Behindertenportal öffnet und mich einlässt. Ob er nun überfordert war oder ich sehr überzeugend– schließlich war ich sieben Jahre Schauspieler – es ist mir egal, in diesem Land funktioniert das eben so. Hier wird über alles endlos diskutiert, ich glaube, immer so lange bis absolut niemand mehr Lust hat, und dann lässt man die Dinge halt laufen, wie sie sind. Ein sehr einfaches, aber etabliertes Prinzip.

Und plötzlich bin ich wieder mit Plinius in der Stadt, in der man endlich erkannt hat, dass zu fliehen, die einzige Option ist - für viele zu spät.

Jetzt erst sieht man ein, dass man sich aus der Stadt entfernen müsse; Es folgt uns eine kopflose Menge und was in Angstzuständen schon fast der Klugheit gleichkommt, diese Menge bevorzugt die fremde Entscheidung gegenüber der eigenen, und sie drängt und stößt uns, die wir vorangehen, in einem großen Zuge vorwärts. 

Ohne Stadtplan gehe ich bekannte Wege, es vermittelt mir das Gefühl, ich kenne mich aus – ich besuche einen bekannten Ort. Links am Amphitheater entlang, wo einst Pink Floyd ihr berühmtes Konzert in Pompeji gaben. Vorbei an der Casa della Nave Europa mit dem schönen Innenhof, dann die Via dell‘Abbondanza hinauf. Im fernen Fluchtpunkt der prächtigen Straße kann ich schon den Centauro erkennen, der allerdings originär nicht zu Pompeji gehört, er ist ein fremdes – wenn auch passendes – Kunstwerk von Igor Mitoraj, das das Foro Civile würdig schmückt.

Etwas abgelegen erreiche ich durch die Porta Ercolano die Villa dei Misteri, eines der reichsten Häuser von Pompeji. Hier finde ich sehr gut erhaltene Frescos mit Darstellungen des Alltags in den gehobeneren Kreisen der pompeijanischen Gesellschaft. Aber das Schöne an diesem abgelegenen Ort ist die Ruhe, denn nicht so viele Besucher kommen hierher und für Tagesgäste ist es zu zeitraubend. Umso mehr genieße ich die schönen Gärten und die Kühle der schattigen Innenräume. Ich nehme mir die Zeit und stelle mir mit Inspiration durch die muralen Zeitdokumente das Leben vor zweitausend Jahren vor. Aber die so oft bei derartigen Betrachtungen gestellte, naive Frage, ob es damals denn besser war, bleibt natürlich auch heute unbeantwortet oder genauer bemerkt, ich habe sie mir erst gar nicht erst gestellt. Sie ist wirklich naiv, denn was interessiert es die Geschichte, ob ein – wenn auch neugieriger Tourist – es damals lebenswerter fand oder nicht. Wer kann das auch nur annähernd bewerten? Ich nicht. Also lasse ich meine Gedanken mir zur Freude schweifen und trödle im beginnenden Abendlicht nach Hause.

Freitag, 20. September 2024 – Kleine Wäsche und die Sonne von Pompeji

Heute ist ein Tag Pause, ich muss noch ein paar Sachen waschen und ein kleiner Einkauf für das Abendessen ist auch noch nötig. Dabei komme ich zufällig – aber sowas von zufällig – an der Konditorei vorbei und die Sonne von Pompeji lacht mich an, dass ich nicht nein sagen kann. Mit der Prospektive auf diese strahlende Belohnung ist der Waschtag im Handumdrehen erledigt und schon steht der Perkolator auf der Gasflamme und verkündet durch sein leises Fauchen: Der Espresso ist fertig!

Das war’s für heute.

Samstag, 21. September 2024 – Der geplatzte Tag bei fast 39°C

Heute kommt es anders als erwartet. Auf meinem Zettel steht Herculaneum, ein Highlight meiner Pompeji-Tour und deshalb besonders bedauernswert, dass ich es streichen muss. Denn schon in der Nacht hat sich ein aufdringlicher Husten bemerkbar gemacht und ich fühlte mich am Morgen ziemlich schlapp. Das Fieberthermometer meldet fast 39°C, was ich nicht ignorieren kann. Gut, das Immunsystem funktioniert, was mich sehr erfreut und beruhigt, aber eine Tour nach Herculaneum ist nicht das, was ich jetzt zu tun habe. Kurzer Gedanke an Corona, aber den verfolge ich nicht weiter, es würde nichts ändern. Bettruhe ist mein Mittel der Wahl, halte ich es doch so wie immer und vertraue auf meine eigenen Heilkräfte, auch wenn die in den letzten anderthalb Jahren sehr beansprucht wurden. Ich verschlafe den kompletten Tag, denn Morgen muss ich einigermaßen fit sein, ich muss nach Salerno. Aber so weit bin ich noch nicht.

Das Fieber bleibt beharrlich, mit Mühe mache ich mir noch eine Kleinigkeit zum Abendessen und versuche anschließend weiterzuschlafen. Und es klappt, gegen zwei Uhr nachts beginnt mein Fieber langsam zu sinken...

Sonntag, 22. September 2024 - Im Zeichen der Vitamine

Zwar fieberfrei, aber noch nicht wirklich fit, packe ich meine sieben Sachen zusammen und belade mein Motorrad. Es sind nur etwa achtzig Kilometer bis zur Hafenstadt Salerno, von wo aus Morgen mein Schiff nach Tunesien ablegt. Aber diese achtzig Kilometer haben es in sich. Denn es ist Sonntag. Und was macht der Italiener gerne am Sonntag? Richtig, er macht sich schick und setzt sich mit Kind und Kegel ins geputzte Auto für einen Ausflug. Für mich ist heute eigentlich nur ein ganz normaler Reisetag. Es soll über die Traumstraße von Amalfi gehen. Etwas müde noch von gestern bin ich in erster Linie auf der Suche nach Vitaminen. Was kann mir Besseres passieren als das Wegeangebot am Straßenrand? Bei herrlicher Aussicht die erste Dosis spremuta d'arancia. Dann weiter im quälend dichten Verkehr, am Ende ist die Traumstraße eine Albtraumstraße. Alles drängt sich, alles zwängt sich, alles leckt Eis, schlürft Kaffee oder steht mitten auf den engen Straßen im Weg. Und wofür? Richtig, für ein Selfie mit der neuen dickrahmigen Brille, die jetzt alle tragen. Ob sie kleidsam ist? Völlig egal, ist modern - ziehen der Italiener und die Italienerin an. Basta!

Ich erreiche Salerno und finde mein hübsches B&B auf Anhieb. Supermarkt für Vitamine, Banco für Geld, dann Bett, die Restviren wegschlafen. Das war's für heute! Gesunde Nacht!

Montag, 23. September 2024 - Auf See nach Tunesien

Der zweite Teil der Reise beginnt. Nach einer erholsamen Nacht bleibe ich fieberfrei und komme auch wieder gut zu Kräften. Viel ist heute nicht zu erledigen, Frühstück, Tanken, Warten. Drei Stunden vor dem Auslaufen ist Check-In, da bin ich gerne pünktlich, denn ich kenne weder den Hafen von Salerno noch diese Linie. Und wie es so ist, wenn man Puffer einbaut, es klappt alles wie am Schnürchen. Papiere sind vollständig, keine Schlange am Schalter, nette Frau im Office und schon ist der Ladekleber am Moped angebracht. Das herrliche Wetter und der ein oder andere Cappuccino verkürzen mir das lange Warten, dann geht alles sehr schnell. Ich werde hineingewunken in den Bauch des Schiffes, alles wird flott und freundlich verzurrt und meine Kabine ist natürlich auch schon bezugsfertig. Mein zu Hause für die nächsten 26 Stunden. 

Ich mache es mir gemütlich auf dem Sonnendeck und schaue dem Treiben im Hafen zu. Erinnerungen an Hamburg und Valparíso kommen mir in den Kopf, was waren das für schräge zwei vergangene Jahre. Jetzt reise ich wieder und auch wenn es nicht mehr das gleiche ist, ich bin sehr glücklich und dankbar, dass es noch geht. Also, heute auf nach Tunesien. Ich bin gespannt.

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