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🇹🇳 Tunesien

Ein Besuch bei den Karthagern und eine Ausflug in die Sahara

Dienstag 24. September 2024 - Ankunft im Orient

Heute ist Ankunfttag in Tunesien. Zum ersten Mal bin ich unterwegs im östlichsten Land der Maghreb-Staaten und bin sehr gespannt. Die erste Hälfte des Tages verbringe ich noch auf See, denn die Überfahrt von Salerno dauert über 24 Stunden. Dafür ist sie sehr bequem und vergleichsweise preiswert, bedenkt man die Kosten für Kraftstoff und Übernachtung, führe man selbst zur kürzesten Übersetzstelle nach Palermo. Gegen Mittag sind die ersten Vorboten Afrikas zu sehen, wir fahren bei bestem Wetter und ruhiger See in den Golf von Tunis ein. Die Sonne brennt unerbittlich auf das Oberdeck und gestaltet die verbleibenden Seemeilen bis in den Hafen von La Goulette etwas anstrengend. Dafür geht die Ausschiffung sehr schnell, die Fähre ist nur schwach gebucht zu dieser Jahreszeit. Auch an der Grenze und dem Zoll halten sich die Wartezeiten in Grenzen und witzigerweise ist es hier so, wie ich es in den meisten außereuropäischen Ländern erlebt habe. Die Prozedur der Zollanmeldung für mein Motorrad - und aller ausländischen Fahrzeuge - ist durch Nummern an verschiedenen Abfertigungshäuschen repräsentiert. Allerdings spielt die Reihenfolge kaum eine Rolle und jede(r) Offizielle sagt mir, dass ich fertig bin und ich könne jetzt abfahren. In keinem Fall stimmt das. Das Spiel zieht sich über sechs Stationen, wenn man den allerwichtigsten, bemützten Grenzbeamten an der Ausfahrtschranke mal dazuzählt. Merke: Pack Deine Papiere nicht ein, bevor du nicht öffentliche Straßen erreicht hast. Du wirst sie garantiert wieder auspacken müssen!

Der Weg ist frei, ich bin unterwegs zu meinem Hotel in der Medina von Tunis - La Médina de Sousse. Viel erinnert mich an Marokko. Der etwas chaotische Verkehr, die Hitze und der, wenn auch nicht immer angenehme Geruch von Zweitakterabgasen. Erstaunlich zuverlässig leitet mein Navi mich durch die labyrinthischen Straßen bis in eine Art schönen Hinterhof. Hier irgendwo muss mein Hotel sein. Aber die Gassen sind blockiert mit parkenden Autos und Karren, so dass ich einen typischen, winzigen Durchgang nutzen muss, um mein Ziel zu erreichen. Es klappt, zwischen Fußgängern dränge ich mich vor bis zu einem hübschen Eingang, Das ist meine Bleibe. Gute Wahl. Man erwartet mich schon und kümmert sich mit orientalischer Gstfreundlichkeit um meine Wünsche. Die allerdings sind sehr bescheiden. Einchecken, Moped wegschließen und duschen. Also parkt Bienchen jetzt sicher in der Vorratsgarage und im kühlen Dar - so nennt man die Innenhöfe der Riads - stehen schon erfrischender Saft, Wasser und Gebäck für mich zur Begrüßung. Wunderschön!

Ich beziehe mein Zimmer 15, das ist das besonders schöne auf dem Dach des Hauses, sagt jedenfalls der nette junge Mann, der mir hilft, mein Gepäck nach oben zu schleppen. Und tatsächlich, was für eine schöne Wohnung, mit Fenstern zu allen Seiten, den typischen, filigranen Holzgitter vor den Fenstern, die das Sonnenlicht gleichsam in kleine Strahlen sieben. Ein Bad aus Sandstein und Marmor und ein riesiges knarrendes Bett. 

Nun Teil zwei. Duschen. Anschließend mache ich mich sofort auf in die Souks von Tunis rund um die Ez-Zitouna-Moschee. Wie wohl ich mich fühle in diesen mir so liebgewonnenen, orientalischen Düften. Diese Mischung aus Kardamon, Zimt, Cumin und derzeit mit einem deutlichen Akzent von Rosenblättern. Ich atme alles tief ein und erwiedere die vielen Begrüßungen durch die Händler. Auf Verkaufsgespräche lasse ich mich jedoch nicht ein, mir fehlt das französische Vokalbular für "bedauerlicher Stauraummangel auf dem Motorrad". So vergeht der restliche Nachmittag sehr schnell und ein kurzes Nickerchen vor dem Abendessen soll mir guttun.

Da ich noch keine Dinar tauschen konnte, wähle ich das Restaurant im Hotel fürs Dinner, was trotz der tollen Karte aber zum halben Desaster wird. Nun, was ist passiert? Fisch ist für mich immer eine gute Wahl, er ist hier frisch, hat einen guten Nährwert und ist bequem essbar für mich. Und das alles auf einem vermutlich fantastischen Gemüse-Couscous. Leider war dieser kunstvoll orientalisch gewürzt und damit habe ich mir meinen gesamten Geschmackssinn für heute Abend ruiniert. Zu scharf. Nein, nicht für normale Menschen, sondern für mich. Es ist dieser seltene Moment, in dem ich es bedaure, nicht normal zu sein. Est quid est.

Der Abendspaziergang durch die belebten bis chaotischen Gassen und über die kleinen Marktplätze verschafft mir noch Entspannung und Zerstreuung. Bienvenue Tunisie! 

Mittwoch 25. September 2024 - Ein bisschen Carthago und Entspannung Richtung Mekka

Nachdem ich nun so intensiv das Leben der Römer erforscht habe, widme ich mich nun ihren Erzfeinden. Die Karthager - oder auch Punier, wie die Römer sie nannten - waren zu ihrer Blütezeit vor dem Jahre 0 die unumstrittene Seemacht im Mittelmeerraum. Das lag daran, dass sie die besten Schiffbauer dieser Zeit waren und Erkenntnisse über Technik und Aquadynamik besaßen, die noch heute Grundlage des modernen Schiffbaus sind. Mit den Ruinen der einstigen Großmacht ist das aber so eine Sache. Karthago ist ein Stadtteil von Tunis und überall in diesem Stadtteil sind die Spuren der Phönizier zu finden. Ohne Guide und viel Zeit nicht zu machen. Also beschränke ich mich auf jenen berühmten Gründungshügel von Byrsa. Wer in der Schule gut aufgepasst hat, erinnert sich bestimmt noch an die Sage mit der Ochsenhaut und der schlauen Prinzessin Elissa (römisch: Dido), die vom zynischen König Iarbas so viel Land zugestanden bekam, wie von einer Ochsenhaut umspannt werden könne. Also schnitt sie eine Ochsenhaut in sehr feine Streifen und umspann damit den gesamten Hügel von Byrsa. Karthago war gegründet!

Den ganzen Vormittag verbringe ich mit der Besichtigung der sehr überschaubaren archäologischen Stätte. Es ist schön leer und an der ein oder anderen Ecke verweile ich und denke mir mal wieder aus, wie sich das Leben damals (ein zugegeben sehr weit gefasster Zeitraum von fast neunhundert Jahren) hier gestaltete. In jedem Falle waren es sehr kriegerische Zeiten, betrachtet man nur die Landkarte. Das Karthagische Reich bestand im Wesentlichen aus zersplitterten Küsten und zerstreuten Inseln im Mittelmeer. Das muss man erst einmal zusammenhalten. Genug der Einzelheiten, ihr könnt das selbst nachlesen, ich musste meine Erinnerungen aus meinem Lateinunterricht auch gehörig auffrischen.

Am frühen Nachmittag nehme ich ein bequemes Taxi zurück ins Hotel und freue mich auf die Medina von Tunis. Allerdings ist dort schon das meiste geschlossen, weshalb ich es mir im Café Panoramique auf dem Dach gemütlich mache und die Aussicht bei einem Thé à la Menthe genieße. Direkt nebenan ist die Große Moschee, die berühmte Ez-Zitouna-Moschee, angeblich das älteste Gebäude von Tunis. Mir ist nach etwas Ruhe und die finde ich im Orient immer am besten in den Moscheen. Dort ist das hektische Leben ausgeschlossen, dort ist alles langsamer und beschaulicher. Moscheen sind Orte der Ruhe und für alle Menschen immer geöffnet. Was für ein großartiges Geschenk. Ich ziehe meine Schuhe aus und suche mir ein gemütliches Plätzchen auf dem Boden und dann lasse ich einfach alle Hektik und den Lärm der Straßen von mir abfallen. So wie alle das machen in der Moschee. Sie schlafen, wandeln umher, sitzen einfach nur da oder sie beten ganz allein für sich. Und jeder lässt den anderen sein. 

Als der Muezzin zum Abendgebet ruft ist es für mich Zeit zu gehen, da gehöre ich nicht hin, obwohl es niemanden stören würde. Der Heimweg fordert noch einmal mein ganzes Orientierungsvermögen, es funktioniert, ohne dass ich mich verlaufe. Am nahen Nachtmarkt haben die Straßenküchen schon längst geöffnet und ich suche mir was leckeres Essbares aus. Eine undefinierbare, grünliche Suppe mit weißen Bohnen und Gemüse. Der Koch schlägt mir noch ein rohes Ei in die Schale, das in der heißen Suppe stockt. Eine Prise Salz noch und ein satter Schuss Olivenöl. Ich bin überrascht, wie gut das schmeckt. Und satt werde ich von der Portion alle Mal. 

Auf dem Heimweg begegne ich noch einem herrenlosen, angebundenen Schafbock. Mitten in Tunis. Der Zusammenhang erschließt sich mir nicht. Vielleicht wurde er ja vergessen, dann hätte jemand jetzt keinen Bock mehr, aber das könnte nur ich sein, denn ich muss jetzt dringend ins Bett. Es war ein langer Tag. Gute Nacht!

Donnerstag, 26. September 2024 – Auf nach Süden und fast ein Kolosseum

Die ersten zwei Tage in Tunesien sind verbracht und der Aufschlag ist mehr als gut gelungen. Das Riad hier in der Medina von Tunis war ein Volltreffer und heute gehe ich meine erste Etappe an, die mich nach El Djem führt. Ich möchte mir das große Amphitheater ansehen, eines der südlichsten Bauwerke römischen Ursprungs. Über Wetterkonditionen brauche ich mir die nächsten Wochen keine Gedanken zu machen, es wird trocken sein und es wird heiß sein. Heute habe ich das Privileg, Autobahn fahren zu dürfen, nicht weil das so schön ist, sondern weil bei der Geschwindigkeit die Lüftung in den Motorradklamotten am besten funktioniert.

Die Landschaft rechts und links ist eintönig, eine Olivenplantage reiht sich an die nächste und bis sich die Spuren der Metropole von Tunis in der Landschaft verdünnen, vergehen die ersten anderthalb Stunden. Leider bestehen diese Spuren überwiegend aus Müll. Aus sehr viel Plastikmüll. Verweht und gleichmäßig verteilt, auf dem hellbraunen Sandboden nicht übersehbar. In den Zäunen flattern farbenfrohe Tüten und Folien wie Gebetsfahnen ohne Botschaft. Auf der Erde präsentieren sich die schwereren Abfälle, wie leuchtend bunte Kanister, Kisten und Dosen aller Materialien, Größen und Formen. Ein Frevel, dem ich leider in allen Schwellenländern dieser Welt begegnet bin, die ich bereist habe. Es ist schmerzhaft und schwer zu ignorieren.

Am frühen Nachmittag erreiche ich El Djem, nachdem ich mich durch etliche Péages gequält habe, dort wird man für umgerechnet zehn oder zwanzig Cent angehalten und wartet in der Schlange bei 35°C. Nun ja, schön, dass es so preiswert ist.

Mein Navi leitet mich mal wieder durch winzige Gassen und plötzlich stehe ich direkt vor dem riesigen Amphitheater, völlig distanzlos, an der Ecke sind kleine Teebars und ein paar wenige Souvenirläden. Ich lade mich ein zu einem heißen Thé à la menthe und einem leckeren Salade tunisienne und lasse mich vom Durcheinander in der Straße vorzüglich unterhalten.

Es ist noch schön früh am Nachmittag und so checke ich im erst besten Hotel ein. Es ist einer der Standardkästen mit dieser gewissen Neigung zum kitschigen Protz. Typischerweise zeigt sich das in der Überdimensionierung von Treppen, Türen und einem derart weitläufigen und hochglanzpolierten Foyer, bei dem die Architekten jede Chance auf Gemütlichkeit verspielt haben. Nun, alle Menschen hier sind dafür überaus freundlich und sehr hilfsbereit, Bienchen parkt sicher im Hof und ich beziehe mein großes, schon vorgekühltes Zimmer. Angekommen.

Frisch geduscht und stadtfein ist es nun Zeit für meinen Besuch im Kolosseum, also dem von El Djem. Ich bin begeistert. Anders kann ich das nicht sagen. Ja, ich war in Rom, Nimes und auch in Verona, das ist noch eine Hausnummer imposanter, aber hier ist es still und irgendwie geheimnisvoll. Nichts ist abgesperrt oder unzugänglich und zudem sind kaum Besucher unterwegs. Folglich finde ich schnell eine Ecke des Monumentes, in der ich mich niederlasse und den Ausblick genieße. Ich sehe all das, was in den Geschichten beschrieben wird. Unterirdische Gänge, die mit senkrechten Schächten bis in die Arena reichen. Dort sind sie mit schweren klappbaren Gittern verschlossen. Vielleicht wurden auf diesen Wegen die leblosen Körper der Verlierer effizient beseitigt. Ich sehe lange, geschlossene Tunnel, durch die möglicherweise Tiere gezwungen wurden, die an den ungleichen Kämpfen teilnehmen mussten. Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt, ich lenke mich aber von den Zeugen solcher leider historisch belegter Perversionen menschlicher Degenerierung ab und stelle mir lieber irgendwelche Tanzdarbietungen oder Theateraufführungen vor, ja, die hätte ich gerne mal miterlebt. In weiße Tunica und rote Stola gewandet und in der unteren Loge Platz genommen hätte ich vielleicht Vergils Aeneis gelauscht oder mich mit Satiren von Horaz amüsiert. Und die Tänzer wären bunt gewesen und die Musik laut. Man reiche mir noch mehr Trauben... Wie die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert. Und plötzlich kommt irgendwoher Musik. Wie passend. Es ist der Muezzin, der zum frühen Abendgebet ruft und auch für mich ist es an der Zeit, den Rückweg anzutreten.

Mein kleines Abendbrot ist eine Pizza zum Mitnehmen, die ich gemütlich und in aller Ruhe im kühlen Zimmer verspeise. Ich gehe heute früh zu Bett, denn ich schlafe etwas vor für Morgen. Denn es wird heiß und der Weg ist weit. Gute Nacht!

Freitag, 27. September 2024 - Über den Salzsee bis an den Wüstenrand

Wie angekündigt wird es heute heiß und es ist weit. Das Etappenziel ist Tozeur nördlich des Chott el Djerid, einem riesigen, ausgetrockneten Salzsee, der über einen 40 Kilometer langen Damm durchquert werden muss. Der erste Teil bis nach Kebili ist unspektakulär, danach wird es einsam und unverkennbar beginnt hier endgültig die Wüste.

Die letzten Siedlungen liegen hinter mir und der Verkehr nimmt rapide ab. Hier fährt nur entlang, wer nach Tozeur oder zur algerischen Grenze muss. Das Thermometer beharrt auf 37°C und das Sonnenlicht wird weiß und hart vom Salz des Sees reflektiert. Irgendwie erinnert mich das an die brutalen Hitzeetappen in der argentinischen Pampa vor anderthalb Jahren. Bisweilen glaube ich, ich müsse heute etwas zu Ende bringen, was ich seinerzeit in Südamerika begonnen habe. Absurd und doch hat es so viel gemeinsam. Ich liebe diese extremen Klimazonen, diese scheinbar lebensfeindlichen Gegenden, die so viel Faszination in sich bergen, wenn man sie nur auf sich wirken lässt. Nicht für jede oder jeden ist es nachvollziehbar, wieviel Schönheit in den feinen Farben liegt. Was diese Farben uns berichten und wieviel die erodierten Gesteinsschichten zu erzählen haben, die völlig bar jeder verhüllenden Vegetation einen Teil unserer Erdgeschichte preisgeben. Man muss ihnen nur zuhören und sich Zeit für sie nehmen.

Auf halber Strecke halte ich an und erst jetzt bekomme ich die ganze Gewalt der fast senkrechten Sonne zu spüren. Der Nachmittag ist gerade erst angebrochen und ich stehe mitten in einem Salzsee am Rande der Sahara. Hier gibt es keinen Schatten. Nie. Das Thermometer ist auf 40°C gestiegen, alles ist knochentrocken und meine Haut beginnt schnell zu brennen, nachdem ich meine Jacke ausgezogen habe. Ich gehe den Damm hinunter, bis ich das Salz anfassen kann. Es ist hart und die groben Kristalle sind scharfkantig. Mein Mund (der ja eh schon perma-trocken ist) beginnt ebenfalls zu brennen, als würde er gerade heißluftgetrocknet. Ich bekomme kaum den Text für die kleine Videobotschaft gesprochen und muss trinken. Alles ist warm, alles ist aufgeweicht und mit dem Wasser aus meiner dunkelblauen Reserveflasche am Koffer würde ich mir jetzt den Mund verbrennen. Unglaublich. Noch dreißig Kilometer bis Tozeur steht auf dem Meilenstein. Ich muss weiter.

Tozeur ist nicht unsympathisch, aber zunächst erscheint es laut und staubig. Der Weg zum ersten Hotel ist etwas kompliziert und treibt mich wieder in kleine Gassen, bei denen ich überlegen muss, ob ich da im Zweifel auch wieder rauskomme. Bienchen ist kein Mofa. Am Ende finde ich, was ich finden wollte, die Preisverhandlung ist nur begrenzt erfolgreich, aber zumindest wehre ich den Wucherversuch ab und erziele den offiziellen Preis, den ich auch über das anbietende Internetportal hätte berappen müssen. Was soll's? Der Monsieur ist richtig nett und öffnet sein ganzes Riad. Ich kann mir ein Zimmer aussuchen, die Ruhe im Innenhof - dem Dar - ist erstaunlich und ich entscheide mich für das obere kleine Terrassenzimmer. Bienchen wird vor einem kleinen, bewachten Hotel geparkt, hier kennt jeder jeden und wenn alle wissen, was dem Gast des Freundes gehört, ist auch Bienchen sicher. Das kenne ich aus Marokko, Türkei und Armenien schon. 

Gepäck ins Zimmer, Klamotten aus und in den erfrischenden Pool. Alle Qualen sind vergessen und die Welt um mich herum fühlt sich wieder wohltemperiert an. Den Abend verbringe ich mit etwas Bewegung durch die Straßen und dem ein oder anderen Thé. À la Menthe versteht sich. Irgendwie schmeckt der hier bei der Hitze immer noch besser als zu Hause, auch wenn der zu Hause frisch aus dem Topf geerntet ist. Ich denke, das ist der orientalische Authentizitätsbonus. Ich finde ein nettes Restaurant am Place Fontaine de Tozeur und bestelle eine tolle Suppe - genauer gesagt habe ich zwei bestellt - denn sie macht satt und schmeckt mir sogar. Ein Salat füllt noch Vitamine auf und dann genieße ich nur noch die nächtliche Terrasse meines Riads. Ich begleiche meine Schreibschulden und genieße die wohlige Wärme bei orientalischer Stimmung. Leckere Gerüche aus den Küchen der Medina wehen herüber, einige Hunde bellen in der Ferne, eine Katze schleicht übers Dach. Dann übermannt mich endgültig die Müdigkeit und ich widme mich meinen Träumen. Es folgt ein tiefer, langer Schlaf! 

Samstag, 28. September 2024 - Bummeltag und Regeneration

Heute ist nicht viel passiert, außer dass ich es mir habe gut gehen lassen. Ausschlafen, langes Frühstück, ein kurzer Besuch der Souks, kleine Wäsche - das bedeutet nur Socken - und vereinzelte Nahrungsaufnahme mit vielen heißen, süßen Tees. In einem Straßencafé habe ich eine nette Unterhaltung mit einem Tunesier, der Verwandte in Deutschland hat und ganz gut Deutsch spricht. Er arbeite auf Djerba für die Pauschaltouristen, findet das aber alles doof. Hier in der Gegend um Tozeur ist nichts los, alle wollen nur kurz in die Sahara Quad fahren, das war's. Aber irgendwo muss das Geld ja herkommen, beklagt er und man habe ja nur den Tourismus. Der Rest sei nicht einträglich. Und jetzt beginne ja die Saison wieder, im Sommer ist es zu heiß für Europäer, er freue sich endlich wieder arbeiten zu können. Dann verabschiedet er sich sehr nett und macht einen überaus geschäftigen Eindruck. Er steigt auf sein völlig desolates Mofa und knattert davon. Was war das denn jetzt? Ich denke nach, schlürfe meinen heißen Tee zu Ende, komme aber zu keinem Ergebnis. Irgendwie eine merkwürdige Begegnung.

Einmal Pool bei 37°C, dann die Tour für morgen ins GPS getackert, Mittagsschläfchen. Tee und schon wird es wieder dunkel. Auf den Straßen erwacht das pure Leben, sämtliche Läden öffnen und lassen alles erstrahlen, was irgendwie Licht emittiert. Männer sitzen auf Plastikstühlen aufgereiht am Straßenrand, als erwarten sie eine vorbeiziehende Parade oder etwas ähnlich Aufregendes. Sie spielen Domino, trinken ihren Tee und brüllen kreuz und quer Text über die Straße, wobei mir nicht klar wird, wer mit wem kommuniziert. In meinem Suppen-Restaurant werde ich kurz darauf schon freudig erwartet und bestes Essen wird mir serviert. Ich bin wie schon gestern voll auf begeistert.

Noch ein kontemplatives Stündchen auf der schönen Dachterrasse. Das war mein Bummeltag. Morgen bin ich wieder mit Bienchen verabredet und es geht in den tunesischen Norden. Gute Nacht!

Sonntag, 29. September 2024 - Wüstenfahrt nach Norden

Heute verlasse ich den heißen Süden wieder Richtung Norden. Ich habe mir eine kleine Bergroute gelegt, das bringt hoffentlich etwas Ablenkung von der doch eher monochromen Wüstenstrecke. Ziel ist Sbeïtla nahe der algerischen Grenze, dort sind noch gut erhaltene römische Ruinen zu finden mit schönen Bädern und Mosaiken aus byzantinischer Zeit. Aber dazu komme ich wohl erst Morgen.

Wenn man sich so landläufig "Wüste" vorstellt, denkt man zunächst an das Klischee makellos oranger oder gelber Dünen ohne jede Vegetation, brennende Sonne und vielleicht noch an ein paar dekorative Dromedare. Mitnichten ist das die Haupterscheinungsform von Wüste. In den zugänglichen und befahrbaren Gebieten ist sie meist schroff, oft steinig und felsig untersetzt mit erodierten Gesteinsschichten oder gar kleinen Bergen, die der Sand über Jahrtausende rundgeschliffen hat. Ja, natürlich ist sie sandig und natürlich ist es gnadenlos heiß hier, aber diese Romantik von Tausendundeiner Nacht, dafür muss man größere Herausforderungen annehmen und erst einmal tief in die Wüste vordringen. Am besten per Kamel oder mit geeigneten Allradfahrzeugen und einem ortskundigen Führer. Für mich bleibt es heute bei langen geraden Pisten, glücklicherweise mit wenigen Sandverwehungen, denn die können ungeübte Sandfahrer wie mich unter Umständen zur Umkehr zwingen. 

Bei Tamaqzah steigt die Straße in Serpentinen leicht an bis nach Tamerza. Rechts und links sind viele kleine Oasen zu sehen, die aber nur aus der Ferne betrachtet so hübsch und erfrischend aussehen. In Wirklichkeit sind auch Oasen sehr karg und die Vegetation muss trotz ausreichender Wasserzufuhr mit den harten Lebensbedingungen der Wüste kämpfen. Hier in den Schluchten von Mides und Tamaqzah haben sich kleine Palmenhaine etabliert, die den Schatten der Canyons nutzen, um ihren Wasserhaushalt effizient zu regeln. Viele verfallene Häuser und Dörfer sind hier zu finden und werden vornehmlich als historisch vermarktet. Ich denke, sie sind der Beleg für das harte und entbehrungsreiche Leben in dieser Gegend, das für viele Siedler alles andere als das Klischee von grüner Oase mit plätschernden Wassern war. Ich fahre weiter.

Ab jetzt ist die Fahrt eher eintönig. Nach nur wenigen Kilometern ändert sich die Landschaft und es wird zum einen flacher und zum anderen grüner. Rechts und links gibt es Feldwirtschaft und auch die spärliche Besiedlung nimmt zu. Die Ortsdurchfahrten sind alle gleich, am Anfang und Ende Bodenwellen, um den Verkehr zu verlangsamen und in den Orten viel Lärm und Bewegung. Hier und da ein kleiner Markt und zahllose Bars und Cafés. Zwei Drittel sind verlassen oder geschlossen. So bin ich nach knappen dreihundert Kilometern sehr froh, als ich Sbeïtla erreiche, das ich aber nur passiere, da mein Hotel und auch die Ruinen, die ich besichtigen möchte, nördlich der Stadt liegen. Und mehr als meinen Balkon und den Pool brauche ich auch heute nicht mehr.

Montag, 30. September 2024 - Zweimal Römer ganz für mich

Nach einem guten Frühstück beginnt für mich der Tag mit der Besichtigung der Ruinen von Sufetula. Kamera, Wasser und dann zu Fuß die lange Straße entlang bis zum Eingang. Es ist kein Publikumsverkehr, mag es an der Jahreszeit liegen oder daran, dass die Stätte doch etwas fern der Touristenrouten liegt, es soll mir recht sein, ich werde sehr nett empfangen und berappe mein moderates Eintrittsentgelt. Man hätte auch einfach so in die Ruinen gehen können, denn sie sind nicht bewacht, aber das tut man nicht, denn sie sind sehr gut gepflegt und dafür bezahlt man halt. Irgendein selbsternannter "Chef des ruines", wie er sich nennt, will mir noch eine kompetente Führung durch die Gemäuer anbieten, aber ich lehne ab, ich möchte meine Ruhe haben. Und die habe ich auch, denn ich bin tatsächlich der einzige Gast. Das hatte ich selten und ich genieße es. 

Ohne so ganz genau die historischen Hintergründe des alten Sufetula zu kennen, beginne ich am Triumphbogen des römischen Kaisers Diokletian, den ich gestern schon bei der Anfahrt bewundern durfte und wandle dann nordwestlich zum anderen Ende des Areals. Schön sind die weiten gepflasterten Straßen, die mit dem Gras in den Fugen sehr verlassen wirken. Die Sonne steht noch sehr flach und taucht die alten Sandsteine in ein schönes Orangegelb. Etwas versteckt und nicht so ganz ohne Plan zu finden sind die Becken der großen Bäder, die mit wunderschönen und gut erhaltenen Mosaiken verziert sind. Anders als üblich darf man hier fast alles betreten, sogar in die Bäder kann man hineinsteigen - man muss es ja nicht tun. 

Durch den Bogen des Antoninus Pius betrete ich das große Forum und den Kapitolstempel von Sufetula. Imposant nicht nur die alten Gebäude, sondern auch die Stimmung so ganz alleine mit der Geschichte zu sein. Ich setze mich eine Weile in den Schatten und lasse die schönen Farben und Steine auf mich wirken. Große Säulenkapitel zieren die Treppe, sie stehen jetzt am Boden, denn die Säulenelemente sind mit der Zeit wohl abhandengekommen, sie sind begehrte Bauelemente für nachfolgende Epochen gewesen, als Sufetula schon verfallen war und als Baumateriallager ausgebeutet wurde. Weiter geht es noch einmal über schöne Mosaike in der Byzantinischen Basilika von Saint Vitalis wo auch das große Bad der Basilika zu bewundern ist. 

So vergehen Stunden im Fluge und ich verlasse Sufetula durch ein Loch in der Mauer, das erspart mir anderthalb Kilometer Heimweg zum Hotel. Und jetzt wartet Bienchen schon auf die Fahrt nach Thugga.

Über El Kef - auch hier gibt es ein altes Fort und römische Relikte, aber die lasse ich aus - und über El Hech erreiche ich Thugga nach knapp drei Stunden angenehmer Fahrt. Die Gegend ist leicht bergig, die Straßen sind kurvig und es wird merklich grüner. Die Temperaturen sind mit 26°C sehr moderat und so genieße die schöne Fahrt und erreiche mein Hotel in Thugga gegen fünfzehn Uhr. Es ist auch wieder eines dieser etwas überdimensionierten Hotels, die hier so etwas wie Business Standard sind. Mir soll es recht sein, Zimmer mit Balkon, preiswert und Bienchen parkt sicher im Hof. 

Das alte Thugga der Römer erreicht man nur mit dem Fahrzeug und da ich heute keine Lust mehr auf Motorradfahren habe, nehme ich mir ein Taxi für die gut zwölf Kilometer und verabrede die Abholung um halb sechs an selber Stelle. Dann steht heute zum zweiten Mal "Römer" an. Diesmal auf einem Hügel und genau wie heute Morgen, es ist menschenleer, wir sind zu dritt in den Ruinen unterwegs. Auch jetzt ist mir der genaue historische Hintergrund nicht bekannt - das kann ich mir nicht alles merken.

Es beginnt mit dem schönen Amphitheater, das heute noch für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. Bergab passiere ich über alte Pflasterstraßen Tore und Bögen, es gibt viele kleine Tempel, sogar anonyme, bei deren Widmung man sich nicht ganz sicher ist, wie beim Dar Lacheb Tempel. Eindrucksvoll die mondänen Bäder, insbesondere das Licinius Sura Bad gleich neben dem Antonian Bad. Durch einen Tunnel setzte ich meinen Weg fort zum Tempel des Juno Caelestis, der mit Olivenhainen umgeben ist, die immer noch bewirtschaftet sind. Die Sonne geht bereits unter und mit den letzten roten Strahlen erreiche ich den Tempel des Saturn mit einem herrlichen, finalen Ausblick bis nach Téboursouk, wohin mich gleich mein Taxi zurückbringen wird - wenn es kommt. 

Die Ruinen sind schon abgesperrt, ich verlasse als letzter das Gelände und muss noch über einen kleinen Zaun klettern. Und tatsächlich, das Taxi kommt. Zwar ein anderes als verabredet, aber das ist mir egal. Der Preis stimmt auch und jetzt werde ich nur noch mein Dinner genießen und mich anschließend nach so viel Römergeschichte in tiefen Schlaf sinken lassen. Gute Nacht.

Dienstag, 1. Oktober 2024 - Im grünen Norden am Mittelmeer

Mein Weg führt mich heute zurück ans Mittelmeer. Ich war etwas schneller unterwegs als geplant und habe nun ein paar Tage übrig zum Ausspannen. Dieses Geschenk nehme ich gerne an, denn es war spürbar anstrengender zu reisen als ich es gewohnt bin. So habe ich mir Tabarka ganz im Nordwesten ausgeguckt, es ist eine etwas touristischere Ecke Tunesiens, aber jetzt im September hält sich der Ansturm in Grenzen, was ich an den vielen und preiswerten Vakanzen der Hotels sehe. 

Aber zunächst Frühstück, noch bin ich ja in Thugga und das ist 135 Kilometer von Tabarka entfernt. Nach dem guten Frühstück belade ich flott mein Motorrad, das schattig vor der Tür genächtigt hat. Am Haus sind emsige Instandhaltungsarbeiten im Gange, die Fassade wird gestrichen. Oder besser überstrichen. Alles stinkt bestialisch und beißend nach Diesel und nicht, wie man erwarten könnte, nach frischer Farbe. Auffällig ist auch, dass mehrere Arbeiter intensiv damit beschäftigt sind, mit viel Wasser vor dem Haus den Asphalt sauber zu schrubben. Irgendwie versuchen sie etwas die Straße hinunterzuspülen. Langsam dämmert es mir, die Brüder haben anscheinend die Farbe mit Diesel verdünnt und dabei vermutlich rumgeschlabbert. So erklärt sich auch der penetrante Geruch nach dem Kraftstoff. Ich fasse es nicht, was hier so alles normal ist. Und warum? Richtig, weil es geht! 

Ich verabschiede mich von den Arbeitern, die sorgsam um Bienchen herumgearbeitet haben. Sie sind alle sehr nett und wünschen mir nach kurzem Plausch eine gute Reise. Dann fahre ich vorsichtig die kleine, steile Hotelstraße hinunter, wenn da noch Diesel drauf verteilt ist, könnte es glatt werden. Alles geht gut und nach wenigen hundert Metern biege ich schon rechts ab, durchfahre sehr kleine Gassen und gelange so schnell auf die Landstraße nach Bou Salem. Ähnlich wie gestern ist es eine sehr grüne und unbefahrene Strecke, die bis auf 600 Höhenmeter ansteigt, was sehr angenehme Fahrtemperaturen mit sich bringt. Auch die Ortsdurchfahrten von Fernana und Aïn Draham sind ganz spannend, denn dort ist Markt und da fährt man mit dem Fahrzeug einfach durch. In Babouch wird es etwas beklemmend, dort ist Militär aufgefahren, bewaffnete Kontrollposten mit schwererem Geschütz richten die Rohre gegen die ankommenden Autos, wir sind hier nur drei Kilometer von der algerischen Grenze entfernt. Ich sehe zu, dass ich flott weiterkomme. Die Straße schlängelt sich immer mehr, eigentlich eine schöne Motorradstrecke, wenn da nicht dieser blankgefahrene Asphalt wäre. Beim Einbremsen in die Kurve schlägt das hintere ABS fast jedes Mal an und wenn ich während der Fahrt mal mit der Schuhsohle den Straßenbelag "fühle", macht der eher einen sehr glatten als griffigen Eindruck. Also vorsichtig fahren und Schräglage auf Europa verschieben.

Und weil die Tour so flott voranging, erreiche ich mein Hotel schon gegen 14:00 Uhr. Ich kann früh einchecken und mache es mir auf meinem Balkon gemütlich und genieße die schöne Aussicht auf Tabarka, das Fort Génois und das blaue Mittelmeer. Ein kleiner Spaziergang in die Stadt tut gut, begeistert mich aber nicht besonders. Wenig überraschend auch hier, dass alles ziemlich heruntergewirtschaftet ist. Bars und Restaurants sind geschlossen oder verfallen und zeugen von besseren Zeiten, als hier offensichtlich noch lukrativer Touristenbetrieb herrschte. Im kleinen Hafen liegen zwei Holzsegelschiffe im Stile alter Handelsschiffe und warten auf Ausflugsgäste. Es sieht alles etwas trostlos aus. Im Park - es muss mal ein schöner gewesen sein - sind die Bänke dem Zerfall überlassen und wenn sie alles Holz verloren haben, bleiben drei eiserne Katzen übrig. Eine Allegorie auf die nicht mehr beherrschbare Überbevölkerung von Straßenkatzen und -hunden, denn wenn es in Tabarka irgendetwas im Überfluss gibt, dann Katzen und Hunde.

Ich widme mich meinem ursprünglichen Zweck des Spaziergangs und besorge ein paar Snacks im Supermarkt, denn noch weiß ich nicht, ob das Dinner im Hotelrestaurant für mich essbar ist. Den Rest des Tages widme ich der Entspannung und der schönen Aussicht aufs Meer. Der Muezzin ruft noch zweimal, dann ist Zeit für das Dinner. Es werden auf meinen Wunsch aus dem einzigen Halbpensionsangebot nur Bouillabaisse, Salat und Nachtisch gereicht, die überladene und wenig einfallsreiche Platte von gemischtem Grillfleisch, die ich am Nachbartisch begutachten kann, spare ich mir. Satt werde ich allemal und schlecht geschmeckt hat es nicht. 

Draußen ist es schon lange dunkel und als die glitzernden Licher eines nach dem anderen erlöschen und Ruhe in der Stadt einkehrt, gehe ich zu Bett, ohne mir den Wecker zu stellen. Auch das ein kleines Privileg. Gute Nacht!