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🇧🇷 🇵🇾 Auszeit 2022 - Brasilien und Paraguay

22. Januar 2023 - Grenze gibt’s im Supermarkt und weltbester Zoll

Heute steht etwas mehr auf dem Plan, denn ich will nach Brasilien einreisen und ich möchte Sarandi erreichen, was allerdings eine Tour von 630 Kilometern ist. In Sarandi wohnen Freunde, die ich vor exakt zwei Monaten auf der Carretera Austral getroffen habe und mit denen ich verabredet bin zu einem Grill- und Bierabend (ja, sowas machen Mopedfahrer ab und zu ganz gerne). Also früh raus - wie ich das hasse - dann ein gutes Frühstück, das vorhalten muss und los geht’s. Wer eine Landschaftsbeschreibung wünscht, lese bitte einfach den Vortag noch einmal, es ändert sich nichts.

Francesco, das ist der eine der beiden Freunde, hat mir schon die entscheidenden Tipps für die Grenze gegeben, denn die gibt es nicht wirklich. Man kann auch einfach so rüberfahren von Uruguay nach Brasilien. Aber da ich ja mein Bienchen ausstempeln muss und in Brasilien einstempeln muss, muss ich zum Zoll. Wenige Kilometer vor der Grenzstadt Rivera steht auch ein riesiges Schild „Aduana“ auf der Straße samt Polizeisperre. Die Auskunft des durchgekochten Azubis auf dem heißen Asphalt ist, ich möge bitte ins Siñeriz Shopping Center fahren, dort kann ich mein Moped abmelden. Prima, die Info, wo das ist, habe ich ja schon, also hin da. Das ist aber nur die Migraciones und nicht der Zoll. Gut, dann eben nur Pass stempeln, einmal Uruguay und am nächsten Schalter einmal Brasilien. Der Grenzer hier spricht mich auf Deutsch an, er habe in Duisburg studiert und in Essen, meiner Geburtsstadt, gearbeitet. Der Plausch dauert länger als die Einreiseformalitäten, ich bin mal wieder der bunte Hund und alle Kollegen werden informiert, wo ich herkomme usw. Die Warteschlange der anderen Reisenden hinter mir auch, die finden das aber weniger aufregend. Und Moped, Einfuhr, Zollbescheinigung? Die sinngemäße Antwort: „Nö, is egal, kommst auch so wieder aus Brasilien raus.“ Tja, ich verlasse mich drauf. Dann immer noch etwas angefressen zurück bis vor die Stadt zum durchgekochten Azubi. Wie gesagt, der Zoll muss meine Ausreise aus Uruguay noch dokumentieren. Moped abstellen und hinein ins Office. Ich hatte mir unterwegs schon ein paar passende Worte für eine angemessene Mängelrüge bereitgelegt und geübt, die ich auch der diensthabenden Dame sogleich vortrage. Allerdings kontert die junge Frau mit einem derart charmanten Verständnis, dass ich meine Beschwerde sogleich bereue, aber dafür ist es jetzt zu spät. Sie nimmt sich meiner Papiere an, auf den Reisepass verzichtet Sie, da sie mich ja jetzt kenne und sie glaube mir, dass ich die Wahrheit sage und Bienchen auch mein Motorrad ist. Das entscheidende Papier wird zackig freigestempelt, eine Kopie macht sie mir unaufgefordert zu meiner Sicherheit und dann nimmt sie sich als Entschädigung noch etwas Zeit für einen netten Plausch über meine Reise. Ich kompensiere mein deutsches Korrektheitsgepolter durch ein kleines Loblied auf die freundlichen Uruguayos und die tollen Umgangsformen an den Grenzen - und das ist nicht gelogen. Selten so freundliche Beamte getroffen. Und jetzt machen wir noch ein Erinnerungsfoto, dann ist der ganze Ärger weg, good Karma!

Die Sprache der Verkehrsschilder ändert sich auf Portugiesisch, ich bin in Brasilien! Was für ein Gefühl. Ich finde Grenzübertritte ja immer furchtbar aufregend. Der Eintritt in ein fremdes Land. Alles anders, alles neu, alles ungewohnt, anderes Geld, andere Sprache. Nichts ist deutsch und funktioniert aber trotzdem. Da zerbröseln so manche tief verwurzelte Vorurteile zu Staub. Auch wenn ich ein großer Europafan bin, eigentlich schade, das mit unserem grenzfreien Schengenraum. Hier in Südamerika geht Grenze noch so richtig wie früher. Ich genieße es.

Dann Kilometer abreißen, noch kann ich den Plan einhalten und die angekündigte Ankunftszeit halten. Die Wegeindrücke sind auch am dritten Tag unverändert, es wird aber noch üppiger, was den Bewuchs der Straßenränder angeht. Es ist heiß, das Thermometer beharrt auf 36°C und die Straßen sind verformt wie schwarzes Knetgummi. Etwas Vorsicht ist angesagt, die Spurrillen sind bisweilen zehn Zentimeter tief. Alles gelingt und pünktlich erreiche ich Sarandi. Francesco holt mich ab, was für eine Freude, ihn wiederzusehen. Ein Hotel hat er mir auch schon besorgt, ich muss mich nur noch kurz duschen und etwas umdekorieren, dann Treffpunkt vor dem Hotel. Ein paar Freunde tauchen auf, wir werden bekannt gemacht und auf zum Asado mit Bier. Irgendwo am Stadtrand großes Come together mit der Familie, auch hier werden wir alle bekannt gemacht, ich verliere den Überblick. Fast jeder kann hier etwas auf Deutsch sagen, ich bin ein willkommener Anlass die brache Sprache aufzufrischen. Was für ein Spaß. Wir erzählen tolle Geschichten, wer wann wo in Deutschland gearbeitet hat und wer vor hundert und mehr Jahren von wo nach Brasilien ausgewandert ist. Einige Vorfahren waren Wirtschaftsflüchtlinge als es Europa dreckig ging und Brasilien für jede Arbeitskraft dankbar war. Andere sind rechtzeitig vor den Nazis geflohen und nach dem Krieg in Brasilien geblieben, wo sie mittlerweile Familie und Freunde hatten. Dann kommt noch ein Schuss Italiener dazu, denn unseren Nachbarn ging es seinerzeit nicht anders. Das nennt man dann Einwanderergeschichte oder –geschichten, je nach dem. So ganz nebenbei werden große Holzplatten mit Asado, Kartoffelsalat und Knoblauchbrot serviert und ein kaltes, leckeres Bier namens „Eisenbahn“ ausgeschenkt. Was für ein herrlicher Abend, ich fühle mich mal wieder sowas von herzlich willkommen, ich bin gerührt.

Es wird Mitternacht, wir verabschieden uns mehrmals und irgendwie wünscht sich jeder, dass wir alle noch etwas mehr Zeit gehabt hätten. Noch ein paar Fotos, dann muss aber jeder nach Hause, morgen ist Arbeitstag für die meisten. Auch ich werde noch ins Hotel gebracht und dann endet ein wunderschöner Abend mit tollen Menschen irgendwo in Südbrasilien. Gute Nacht Ihr Lieben!

Nachtrag: ...und alles stand einen Tag später in der lokalen Dorfpresse... :-)

23./24. Januar 2023 - Der heiße Weg nach Foz do Iguaçu

Die Wege sind weit und die Highlights nicht so dicht gepackt wie in Patagonien. Die Hitze ist extrem und eine Herausforderung für Mensch und Maschine. Mensch bin ich, Maschine ist Bienchen. Dennoch ist es außergewöhnlich diesen Teil Südamerikas zu durchreisen: Das endlose argentinische Patagonien, die weiten heißen Ebenen der Pampa, das grüne Land in der Region Río de la Plata und die Vorboten des fernen Regenwaldes im südöstlichen Brasilien. Hier besuche ich ein weiteres Sehnsuchtsziel, die Wasserfälle von Iguaçu. Die anschließende Passage durch Paraguay ist ein gewisses Kontrastprogramm und die Wiedereinreise nach Argentinien beginnt mit einer Multimediashow in den Ruinen von San Ignacio. Mit über 1300 km und bis zu 42°C folgen dann nicht nur zwei sehr lange, sondern auch zwei der heißesten Etappen der ganzen Reise. Die bergige Landschaft in der kleinen westlichen Provinz Tucumán kündigt die ersehnten Anden an, es kühlt deutlich ab.

Die Art und Weise meiner Reise hat sich in den letzten drei Wochen sehr geändert. Die alte Philosophie „one thing a day“ ist hinfällig geworden, da ich innerhalb eines Tages nicht mehr von einem Highlight zum nächsten gelangen kann. Zudem sind die Etappen deutlich länger geworden, nicht selten fahre ich 500 Kilometer und mehr pro Tag. Weniger ist bisweilen auch gar nicht möglich, da es keine Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Da übernachtet man auch schonmal in einem Motel am Highway - war gar nicht schlecht! Ihr habt ja auch gemerkt, dass ich nicht mehr täglich etwas schreibe, es wäre schlichtweg langweilig, denn es passiert nichts unterwegs. Nicht einmal Kurven gibt es.

Dennoch bleibt es faszinierend, eine derartige Weite und Eintönigkeit zu erleben. Ich bekomme ein gewisses Gefühl dafür, wie groß und weit dieser Kontinent tatsächlich ist. Nach dem Besuch bei Francesco und Rubinho am letzten Sonntag wurde es richtig tropisch und unglaublich grün. Die Provinzen Río Grande do Sul und Paraná ganz im Süden Brasiliens sind echte Vorboten des Regenwaldes. Hier sprießt und wächst es an jeder Ecke. Wenn das Land nicht irgendwie bewirtschaftet wird, wuchert es wild in die Höhe und wird undurchdringlich. Es ist überall Wasser und Feuchtigkeit und es gibt nur die typische rote Erde. Die Klamotten sind immer feucht, sei es vom Schweiß oder von der Luftfeuchtigkeit oder von beidem. Der Fahrtwind ist wirklich heiß auf der Haut, kühlt aber sehr wirksam durch Verdunstungskälte in meiner Jacke. Nur stehenbleiben darf ich nicht, dann steht das Wasser innerhalb von Minuten in meinen Stiefeln. An beiden Waden habe ich schon Hitzeflecken und nach jeder Fahrt fühle ich mich als wäre eine Packung Prittstifte in meinen Klamotten ausgelaufen. Man gewöhnt sich an so manches...

Am Dienstag in Foz do Iguaçu angekommen war dann auch wie immer eine heiße Dusche angesagt. Ich traf noch Steven, einen amüsanten Belgier, der genau die gleichen Prioritäten hatte wie ich. Ein kleiner Ausflug zum Dreiländereck, wo der Río Iguaçu in den großen Río Paraná mündet. Klar, hier ist Kirmes, aber es ist ein besonderer Ort. Den Rest des Nachmittags widmen wir uns dem Pool. Wenig bewegen, intrakorporale Flüssigkeitskühlung auf Gerstenbasis und warten auf erfrischende abendliche Temperaturen von 29°C. Mehr geht nicht, herrlich.

25. Januar 2023 - Cataratas do Iguaçu

Heute dann das ultimative lang ersehnte Rendezvous mit den Wasserfällen von Iguaçu. Es sind die größten der Welt. Hier stürzt der Río Iguaçu auf drei Kilometern Länge teils in Terrassen über einhundert Meter in die Tiefe. Obwohl die Gegend um die Fälle natürlich touristisch extrem erschlossen ist, wuchert rundherum ein undurchdringlicher Urwald. Durch das ganze organisatorische Theater muss auch ich unvermeidbar hindurch: Ticket mit Zeitfenster, Schlangestehen, Parkbus, Reisegruppen, fliegende Händler mit Plastikmüll, Marktschreier für irgendwelche überflüssigen Raftingtouren usw. Aber irgendwann stehe ich an irgendwelchen Aussichtspunkten und erblicke diese gigantischen Wasserfälle in ihrer ganzen Schönheit und Imposanz. Das Tosen hält sich in Grenzen, die schäumenden Wasser stürzen eher sanftmütig über hunderte von einzelnen Katarakten in die Schlucht. Sie alle haben Namen, aber das interessiert mich wenig. Vom grünen Urwalddach tröpfelt es permanent herunter und die aufsteigenden Wassernebel aus der Tiefe kommen einem Dampfbad gleich. Meine Schirmmütze ist durchgeschwitzt, mein Lieblingshemd klebt patschnass auf der Haut, aber all das ist egal, ich bin an den Iguaçu-Fällen! Zwei Stunden lasse ich mich beeindrucken von dem Naturschauspiel, dann kehre ich mit Bildern im Kopf zurück, die ich vermutlich erst in einiger Zeit begreifen werde. Unfassbar!

26. Januar 2023 - Fahrt durch Paraguay

Früh morgens geht es weiter. ich will auf argentinischer Seite nach San Ignacio, doch eine endlose Menschenschlange am Grenzübergang veranlasst mich, meine Pläne zu ändern. Ich entscheide mich, durch Paraguay zu fahren. Ob das die bessere Option ist, sei mal dahingestellt, die Grenze ist mitten in der Stadt Foz do Iguaçu und ist mehr als chaotisch. Eine kilometerlange Autoschlange blockiert hoffnungslos die Zufahrt. Irgendein Guide auf einem Moped - wo auch immer der herkommt - leitet mich über Fußwege, durch Straßengräben und Absperrungen, Wiesenböschungen hinauf zu einem abenteuerlichen Hintereingang der Grenze. Alles mit dem Motorrad versteht sich, da zahlt sich ein Geländetraining aus. Es ist eher ein riesiger Bazar als eine Grenze. Völlig unübersichtlich. Ich könnte auch einfach so nach Paraguay einreisen, aber lieber tue ich es korrekt und kämpfe mich schwitzend durch diverse miefige Kleinstbüros bis ich einige bunte Papiere mit Stempeln zusammen habe und mehrere Beamte mir deuten, ich könne jetzt weiterfahren. Jetzt noch über den Paraná, der die natürliche Grenze zwischen Brasilien und Paraguay ist und dann schnell raus aus der paraguayischen Ciudad del Este, der „Stadt des Ostens“. An der Ruta 6 links und jetzt immer geradeaus.

Die Fahrt nach Süden ist komisch. Alles ist monokulturell zerstörtes Agrarland und rechts und links der Straße prangen umso penetranter unzählige, riesige Werbetafeln von Chemieunternehmen aus aller Herren Länder, die ihre Produkte für die vermeintlich erfolgreiche Landwirtschaft anbieten. Deutsche Hersteller sind sehr prominent vertreten, glückliche Bauern mit Kindern auf dem Arm lächeln im Sonnenuntergang von den Werbeflächen herunter, im Hintergrund totgespritzte Monokulturen. In Wahrheit wirbt man hier mit gewaltigem Einsatz, um erst gar keine Zweifel an der Wirksamkeit und der Sinnhaftigkeit von Biozid- und Düngereinsatz aufkommen zu lassen. Ein einziger Blick auf die endlosen toten Böden genügt aber, um das Scheitern der konventionellen Methoden zu erkennen. Bitter!

Die Ausreise aus Paraguay ist dann fast wie eine kleine Erleichterung und geht auch recht flott. Ich bin zurück in Argentinien. Nur noch wenige Kilometer bis San Ignacio, denn in der Grenzstadt Posadas möchte ich nicht übernachten. Da ich noch Zeit habe, mache ich einen Spaziergang zu den Ruinen, einer alten Mission. Heute Abend geschlossen, aber um halb neun gibt es eine Multimedia-Show, sie ist kostenlos und die ersten einhundert Menschen werden eingelassen. Das ist doch nett. Ich überbrücke die Wartezeit mit einem Salat zum Abendbrot und dann wird die kleine Warteschlange eingelassen. Zwar verstehe ich nicht alles, aber es geht natürlich um die Geschichte der Mission. In der Dunkelheit projizieren große Beamer bewegte Bilder auf Wassernebel, während pathetische Stimmen die historischen Ereignisse kommentieren und dramatische Musik die schemenhaften Bilder begleitet. So wandern wir fast eine Stunde durch den dunklen Park, was für eine nette Veranstaltung. Noch ein nächtlicher Drink in der nahen Bar und abkühlen im hübschen Patio meines Hotels. Eine fette Kröte hüpft heran und glotzt mich freundlich an. Wir reden nicht miteinander, sondern sitzen uns nur still gegenüber und teilen die erholsame Stille der Nacht. Es folgt Tiefschlaf - bei mir zumindest.

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