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🇨🇱 Auszeit 2022 - Anden und Atacama

8. Februar 2023 - Wie der Kopf das Leben schwer macht

Gestern haben mich die Grenzbeamten völlig verrückt gemacht. In vierzig Kilometern sei die Straße sehr übel, ich möge aufpassen, sie sei völlig kaputt. Besser solle ich erst heute Morgen weiterfahren und wenn Schnee liegt sei sie besonders gefährlich. Da kommen mir Bilder in den Kopf, die ich nicht sehen will. Die halbe Nacht habe ich mir Sorgen gemacht, was da auf mich zukommen wird. Was ist wenn? Passt mein Zeitplan dann noch? Was ist, wenn ich umdrehen muss? Und Schlimmeres. Ich habe es kaum geschafft, in den Schlaf zu kommen.

Der Wecker klingelt, meine Sachen sind schon vorgepackt und ich habe mein Moped vor dem Frühstück beladen. Heißer Kaffee, Rühreier und Marmeladenbrot, dann Abschied von den netten Mädels des Hotels und auf Richtung Pazifik. Der Himmel ist dünn bewölkt, ein Schauer erwischt mich gleich nach der Abfahrt und ich weiß immer noch nicht, was mich erwartet in ein paar Kilometern. Dann ein Regenbogen. Eine Freundin hat mir vor vielen Jahren mal gesagt, wenn alles dunkel ist, kommt bestimmt ein Regenbogen und dann wird die Welt wieder schön. Und tatsächlich. So ist es auch heute. Ein kurzer Regenbogen taucht neben mir auf und der Regen hört kurz darauf endgültig auf. Der Himmel wir blau und die schreckliche Straße entpuppt sich als eine üble, aber harmlose Schlaglochpiste, auf der man halt aufpassen muss. Mehr nicht! Was wünsche ich mir mehr? Ein Stein fällt mir vom Herzen. Verdammtes Kopfkino!

Es geht die nächsten Stunden immer weiter runter Richtung Pazifik, es wird heiß und trocken. Die Berglandschaft ist atemberaubend, ich tauche langsam in die Atacama Wüste ein und so schaffe ich es heute bis Playa Blanca, südlich von Antofagasta. Letzte Serpentinen, dann sehe ich das Meer. Unglaubliches Kontrastprogramm. Die Hotelsuche ist etwas mühsam, ich wähle letztendlich das große am Stand, viel mehr gibt es hier nicht. Es ist leider eines der schlechtesten Hotels der ganzen Reise, denn es funktioniert nur wenig und die Preise sind übelste Arroganz. Ich mache das Beste draus - was bleibt mir anderes - und freue mich auf eine Nacht mit Meeresrauschen.

9.-10. Februar 2023 - Oceania Küs(s)te Wüste Atacama

Ein zweitägiger Wüstenritt entlang der Pazifikküste. Von Playa Blanca über Caldera nach Vicuña. Links im Dunst die abfallenden Anden, rechts die Wellen, die gegen den Fels anrollen. Hier trifft das mit über 7.000 Kilometern längste und ein erdgeschichtlich sehr junges Faltengebirge direkt auf den größten Ozean der Welt. Ich genieße diesen Wettbewerb der Naturgewalten und die frische Brise vom Pazifik verschafft mir angenehme Temperaturen auf dem Motorrad. Ereignisreich ist es ansonsten nicht in den zwei Tagen. Knapp eintausend Wüstenkilometer haben ihre ganz eigene Faszination. Ebenso eindrucksvoll ist es, wenn man bei 120 km/h von einem Lastwagen überholt wird! Die enorme Hitze, das grelle Licht und die lebensfeindliche, scheinbare Unendlichkeit fordern mich heraus. Im Grunde genommen muss ich es über zehn Stunden hier aushalten. Ich denke viel nach, rede im Helm etwas mit mir selbst und resümiere einzelne Erlebnisse meiner Reise. Dann Zwischenstopp im Ferienort Caldera. Es ist so wie ich es schon oft erleben konnte, die Menschen haben hier eine ganz eigene Auffassung von Urlaub. Es muss viel Musik und klassischer Touristenmarkt mit Plastik und Schund sein. Jede Kneipe hat ihre eigene brüllende Musik auf der Terrasse, Kinder bekommen blaues Eis und lila Zuckerwasser mit Fruchtaroma und wenn der Strand im Hafenbecken ist, ist das auch egal. Nun ja, Idylle ist halt ein interpretierbarer Begriff, aber heute gefällt es mir und ich verbringe nach Dusche und Umkleide den Abend auf der Promenade. Es gibt Empanadas, Salat und kühles Bier. Nachtruhe folgt.

Am nächsten Tag wiederholt sich der Ablauf, unterbrochen vom Besuch der Mano del Desierto. Irgendwie ein belangloser Ort, Besucher verirren sich nur wenige hierher, aber es war mir ein Bedürfnis, ein Foto zu machen. Die Hand mahnt die Menschen, mit der Zerstörung der Umwelt aufzuhören. Schaue ich mir den unfassbaren Müll in der Landschaft Südamerikas an, steht dieses Kunstwerk genau an der richtigen Stelle. Möge es in nicht allzu ferner Zeit endlich verstanden und befolgt werden.

Und noch einmal folgt die Atacama-Wüste bis nach Vicuña. Die gleiche Wüste, die gleiche Weite und die gleiche Hitze, nur die Selbstgespräche haben die Themen gewechselt. Fünf Stunden später in Vicuña finde ich schnell eine wunderschöne Unterkunft mit Patio und herzlich lieben Gastgeberinnen, die mir den Aufenthalt zur Freude machen. Am Abend gibt es zufällig eine privat organisierte Sternenbeobachtung mit einem gewissen Ivan, irgendwo außerhalb der Stadt. Tolle Idee, das mache ich! Es ist zwar auf Spanisch und ich verstehe kaum die Hälfte, aber der Anblick der Sterne tut gut und verschafft mir wertvolle Erholung. Auf dem Heimweg hat noch eine sehr schräge Karaokebar am Plaza geöffnet, für mich eine Einladung zum Gute-Nacht-Bier. Nein, gesungen habe ich nicht, das konnten die Chilenen (etwas) besser. Mehr passiert nicht. Die Nacht ist angenehm kühl, der Schlaf erholsam.

11. Februar 2023 - Ein Tag Pause im Patio

Ich habe mich entschieden, eine Pause in Vicuña einzulegen. Nach drei Tagen heißer Wüste bin ich ziemlich platt und da ich sehr flott durchgekommen bin, ist mein Zeitplan deutlich im Plus. Diesen fahrfreien Tag habe ich mir verdient. Er beginnt natürlich mit spätem Aufstehen, einem bemerkenswerten Früchtefrühstück, dann reihen sich unsortierte Notwendigkeiten aneinander wie Sachen putzen, kleinere Reparaturen, Fotobearbeitung, ein Hörnchen mit Eiscreme - nein, nicht die blaue Sorte, und zum Café gibt es einen Karamell-Schichtkuchen am Plaza. Der weitere Nachmittag lässt sich bei über 35°C am besten mit „wenig Bewegung“ beschreiben. Gegen 19:00 Uhr sinkt die Temperatur angenehm unter dreißig Grad, so dass ich mir um acht Uhr ein nettes Restaurant fürs Dinner aussuche. Während auf dem Plaza lautstark der Carnival fortgesetzt wird, genieße ich mexikanische Küche. Ich bestelle hervorragende Tacos mit salsa picante und einen Salat. Schopp de Rubia dazu, köstlich und der Ruhetag ist ein voller Erfolg gewesen!

12. Februar 2023 - Das Finale der Farben auf 4800 Metern

Diesen Umweg mache ich noch. Zum letzten Mal reise ich über die Anden nach Argentinien, aber nicht einfach so, sondern auf einem ganz besonderen Weg. Über den Paso Agua Negra, den höchsten Grenzpass Südamerikas. Die Passhöhe liegt auf 4780 Metern, hier wird die Luft schon spürbar dünn, aber die Strecke ist nicht nur aufgrund der Höhe atemberaubend.

Aus Vicuña startend lege ich schnell die ersten achtzig Kilometer zurück. Es geht durch das schöne Elqui-Tal vorbei an Obstfeldern und wachsenden Bergen bis zum chilenischen Grenzposten. Noch ist alles asphaltiert. Der Papierkram an der chilenischen Grenze geht zügig, trotz der vielen anderen Motorradfahrer, der Pass ist sehr beliebt. Bis zum argentinischen Grenzposten liegen nun etwa 130 Kilometer vor mir und über 2500 Höhenmeter, die ich mit Bienchen bezwingen muss. Der meiste Teil ist gut befahrbare Schotterpiste entlang des Río de la Laguna. Der Embalse la Laguna macht mit seinem strahlenden Blaugrün den Auftakt, begleitet von den Pastellfarben der riesigen Berge, die hinter jeder Kurve neue faszinierende Ansichten bieten. Ich fahre langsam, nicht nur wegen des Schotters, sondern um dieses unglaubliche Farbenspiel genießen zu können. Der Anstieg ist nicht sehr steil, aber Höhenmeter für Höhenmeter spüre ich die immer dünner werdende Luft. Mein Navi zeigt mittlerweile 3500 Meter ü. NN. und es steigt weiter. Anhalten, absteigen, ein Stückchen laufen für die beste Fotoperspektive versetzen mich schon in schnelleres Atmen. 4300 Höhenmeter sind erreicht und die Panoramen sind an Farbenpracht nicht zu überbieten. Es beginnen nun die engeren Kehren bis zur Passhöhe. Bienchen macht fleißig ihren Job und ich merke den Leistungsverlust durch die dünne Luft bei der Beschleunigung deutlich. Dann sind wir oben. 4778 Meter über dem mittleren Meeresspiegel. Immer noch ragen rechts und links hohe Gipfel auf, die sehr nah an die Sechstausendergrenze heranreichen. Ein unfassbar tolles Gebirge. Ich bin mehr als nur beeindruckt. Es sind mal wieder die Dimensionen und die unvorstellbare Macht der Natur, die in ihrer Schaffenskraft hier ein Manifest präsentieren. Völlig surreal!

Jetzt beginnt Argentinien und ich setze meine Fahrt talwärts weiter fort. Wieder enge Kehren, die Blicke in alle Richtungen ermöglichen. Die letzten kleinen Felder von Büßereis säumen die Piste, das meiste ist bereits abgeschmolzen. Erst im nächsten Winter wir neues gebildet. Dennoch ein wunderbarer Anblick, so etwas habe ich noch nie live gesehen. Der Río del Agua Negra begleitet mich nun hinunter, ein zwei Mal muss ich ihn durchqueren, Gott sei Dank ist er nicht so tief, denn etwas glatt ist das Flussbett schon. Die Farben werden weiter unter nun durch immer mehr Grün angereichert, die Vegetation nimmt langsam zu. Dann endet die Schotterpiste, am kleinen Grenzposten gebe ich meine Registrierungsnummer ab, die ich auf chilenischer Seite bekommen habe und in Las Flores erledige ich noch rasch die Zollanmeldung. Das waren nun dreieinhalb Stunden über einen der schönsten Andenpässe. Was für eine Wahnsinnspiste, was für ein Ritt!

Der Rest des Tages ist vergleichsweise trivial, eine Pause an einem Kiosco im Nirgendwo, spät erreiche ich San Juan und finde ein prima Hotel stadtauswärts mit Garten, Pool und gutem Essen. Die Nacht wird nicht traumlos sein, dazu waren die Eindrücke zu bewegend. Gute Nacht.

13. Februar 2023 - Freundliche Polizisten und Grenzchaos

Jetzt noch zwei Etappen, dann ist meine Südamerikarunde fast geschlossen. Nach gutem Frühstück geht es in San Juan zeitig los, ich möchte heute so weit wie möglich nach Chile einfahren. Wunschziel ist Los Andes. Die Straße bis Mendoza ist etwas ausgefahren und sehr wellig, es geht nicht ganz so schnell voran. Dennoch erreiche ich zügig die Ruta 7, den Einstieg in den Hauptpass nach Chile. Rechts thront eindrucksvoll der Aconcagua, der mit 6961 Metern höchste Berg Südamerikas (und außerhalb Asiens), allerdings ist es heute sehr diesig, weshalb ich nicht anhalte und auch kein Foto habe. Die Straße ist eng und gewunden, überholen ist kaum möglich und wenn doch, dann stehen dort die Ordnungshüter. So’n Mist. Ich werde rausgewunken und sehr freundlich belehrt, dass es extrem gefährlich sei zu überholen und schweres Verkehrsvergehen und überhaupt... Während dessen überholen etliche Autos an derselben Stelle und die aufgesetzte Empörung der beiden Polizisten bringt mich zum Lachen. Ich soll mehrere hundert US-Dollar in der Polizeizentrale bezahlen, dafür zwei Stunden nach Mendoza zurückfahren usw. Nee, Freunde! Jetzt wird verhandelt. Die Strafe wird auf ein Viertel reduziert und nicht in US$ sondern in Pesos ausgestellt, dann kann ich nämlich mit billigem Schwarzgeld bezahlen, andernfalls wäre es echt teuer. Ich darf auch weiterfahren und soll das Knöllchen bei der nächsten Bank bezahlen und nicht in Mendoza. Normalerweise bezahlt man als Tourist nicht und reist einfach aus, fertig. Eine Nachverfolgung bekommen die hier nicht auf die Reihe. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, was es für Konsequenzen hat, sollte man irgendwann mal nach Argentinien zurückkehren. Das könnte unter Umständen ziemlich übel werden. Die Banken waren heute leider schon geschlossen, bis morgen warten mache ich nicht. Also in Uspallata auf der Wache den netten Chef-Polizisten Leandro V. bequatscht, er möchte doch bitte morgen früh für mich zur Bank gehen und das Knöllchen bar bezahlen. Ich werde hineingebeten, bekomme wahlweise Limonade, Kaffee und Wasser angeboten und man hört mir aufmerksam zu. Die Empfehlung, doch einfach ohne zu bezahlen abzuhauen, da ich Ausländer sei, finde ich bemerkenswert, schlage ich aber aus, weil ich wie gesagt ja vielleicht mal zurückkommen möchte. Dann, meint er, solle ich wirklich besser bezahlen. Ich lasse mir viele wichtige Stempel, seinen Namen und seine Unterschrift geben als Quittung und vertraue dem guten Mann das Bargeld an. Ob er nun das Ticket verschwinden lässt und sich ein schönes Wochenende mit seiner Liebsten macht oder tatsächlich das Geld einzahlt, ist mir ziemlich egal. Entgegen ihres Rufes sind die Polizisten alle äußerst freundlich, was viel wert ist. Leandro lächelt zum Abschied und ich reise mit gutem Gewissen weiter.

Überholt in Argentinien habe ich heute nur noch legal, glücklicherweise war nicht viel Lkw Verkehr. Später am neuen Grenzübergang auf der Passhöhe bei Portillo erwartet mich dann aber leider das große Grenzchaos. Eine sowas von überhaupt nicht organisierte Grenze habe ich auf meiner ganzen Reise nicht erlebt. Im Batch-Verfahren werden zwanzig Autos in die riesige Halle eingelassen, alle Insassen steigen aus und rennen wild zu irgendwelchen Schaltern, um ihren Papierkram zu erledigen. Die Schalter sind aber nicht alle besetzt, keiner weiß Bescheid, welcher Schalter für welchen Service ist und die Nummernreihenfolge an den Boxen stimmt eh nicht. Formal reise ich in Chile ein bevor ich in Argentinien ausgereist bin, ja, das geht hier. Ich sage nach ewigem Warten an Schalter Nr. 4 der Frau hinter dem Fenster, wo ich Stempel auf mein Zollpapier haben möchte und obwohl sie mir einreden will, dass ich falsch bin bei ihr, macht sie mir ein paar bunte Stempel an die gewünschten Stellen, um mich loszuwerden. Diese lege ich selbstbewusst dem Zoll vor und der beginnt zu arbeiten. Geht doch! Als Krönung muss ich noch mein ganzes Gepäck abladen und öffnen, reinsehen tut der Affe von Zöllner aber nicht, weil er mit seinem Handy beschäftigt ist. Alles wieder aufsatteln und nix wie weg! Das hat mich jetzt zwei Stunden gekostet. Als ich ankam waren 24 Autos vor mir in der Schlange, das habe ich gezählt!

Auf herrlichen Serpentinen fahre ich nun die „Los Caracoles“ hinunter in die Tiefe. Leider ist die Straße dermaßen kaputt, dass der Spaß etwas verloren geht, dennoch sehr eindrucksvoll. Immer weiter abwärts bei steigenden Temperaturen führt nunmehr die chilenische Ruta 60 bis nach Los Andes, einem unattraktiven Kaff am Highway. Zum Schlafen reicht es, ich bin trotz der Verzögerungen sehr weit gekommen, morgen sind es deshalb nur noch knapp zweihundert Kilometer bis zum Ziel. Abendbrot und die kühle Nacht für den erholsamen Schlaf nutzen.

14. Februar 2023 - Die letzte Etappe nach Valparaíso

Ein komisches Gefühl, heute morgen aufzustehen und zu wissen, es ist abgesehen von der Fahrt zum Containerhafen, die letzte Motorradetappe meiner Südamerikatour. Check-out ist komfortabel um 12:00 Uhr, ich lasse mir viel Zeit, denn es sind nur 140 Kilometer bis Valparaíso. Ronny hat mir eine gute Hoteladresse gegeben, Boutique, Dachterrasse, Meerblick, betrieben von einem Hamburger Motorradfahrer, guter Preis und Frühstück ist inklusive. Das ist doch etwas, worauf man sich freuen kann.

Alles gesattelt, Navi an und wundersamerweise zeigt es über 230 Kilometer. Streckenvermeidungen prüfen, Modus auf Motorrad ändern, neues Ziel eingeben, nichts hilft. Irgendwas weiß mein Navi mehr als ich, nun gut, dann los. Es geht in einem weiten Bogen nördlich in Richtung La Ligua, die Strecke ist toll, gesäumt von Kakteen und Schluchten, es ist kaum Verkehr. Was für eine Überraschungsroute zum Abschluss! Ich genieße die sonnige Fahrt und bleibe oft für ein paar Fotos stehen. Irgendwie habe ich gar keine Lust anzukommen, ich möchte weiterfahren. Hinter La Ligua taucht dann der Pazifik auf und von den Bergen herab kann ich während der Fahrt das ewige Spiel der Wellen beobachten. Dann wird es mühsam, denn es beginnen die beliebten Badeorte der Chilenen. Mein Navi übertreibt jetzt und leitet mich über sämtliche Promenadenstraßen von Zappallar bis Concón, Viña del Mar bis nach Valparaíso. Nicht schön. Wie kann man hier Urlaub machen? Plastikterror, Blechlawinen, Musik wird in dieser Dichte zu Lärm und in der Bucht drängeln sich Frachtschiffe auf Reede. Aber ich beschrieb diese chilenischen Urlaubspräferenzen ja bereits an anderer Stelle.

In Valparaíso selbst wird es dann bunt, überall sind die Wände mit tollen und weniger tollen Graffitis verziert. Die kleinen Straßen werden steiler, kein Wunder in der Stadt der vierzig Hügel (in Wahrheit sind es mehr). Mein Hotel liegt im beliebten Bezirk Cerro Alegre, die Anfahrt ist abenteuerlich steil, viel Musik, viele Menschen, Restaurants, Cafés und kurz vor dem Ziel versperrt mir eine Straßenoper den Weg. Eindrucksvoll! Dann bin ich endlich da. Constanza hat schon auf mich gewartet und heißt mich herzlich willkommen. Gepäck vierte Etage, och nee. Aber es lohnt sich. Das ganze Ambiente ist eine sehr eigenwillige, kreative Mischung aus Art-Hotel, moderner Stahl-Holz-Architektur und warmen Farben in den schönen Zimmern mit Aussicht. Die Dachterrasse als Kontrapunkt eher pragmatisch, viele blühende Kakteen und Sukkulenten, Barhocker aus Bewehrungseisen und die Theke ist der Mirador auf die Bucht von Valpo, wie die Einheimischen ihre Stadt gerne nennen. Wir kombinieren diese herrliche Aussicht mit einem Erfrischungsdrink, es ist recht heiß heute. Was will ich mehr, so oder so ähnlich habe ich mir mein Finale der Tour vorgestellt.

Einchecken, duschen, Outfit gesellschaftsfähig gestalten, dann kommt Niels nach Hause, kühles Bier wird gereicht und es gibt viel zu plaudern. Natürlich auf Deutsch, das war selten in den letzten Monaten. Wohlfühlort! Am Abend sitze ich noch lange allein auf der Dachterrasse während die Lichter der Stadt das Sonnenlicht ersetzen und ich denke über so viele Ereignisse nach, die mich in den vergangenen Monaten herausgefordert, bewegt, begeistert, geärgert oder besinnlich gemacht haben. Aber ein Gefühl ist größer als alle anderen, ich bin überaus dankbar, dass ich bis hierher alles so gut geschafft habe und dass alles so glatt gelaufen ist. Wunderbar!

15.-19. Februar 2023 - Chill-out mit Dachterrasse in bunt

Das Programm für die nächsten fünf Tage heißt Chill-out. Keine Termine, keine Verabredungen, keine Besichtigungen, nichts! Nichts ist geplant, ich mache nur das, wozu ich Lust habe und das ist in erster Linie ausruhen. Es ist eine ganz besondere Art von Müdigkeit, die ich nach so vielen Kilometern verspüre. Der Körper hat sich nach ein paar durchschlafenen Nächten flott regeneriert (die Betten sind ein Traum), aber der Kopf hat Mühe mit der Verarbeitung des Erlebten. In den vergangenen zwei Monaten hat sich schon ein gewisser mentaler Annahmeschluss bemerkbar gemacht. Nur noch ganz besondere Ereignisse und Eindrücke fanden Einlass in den Langzeitspeicher. So manches Highlight habe ich am Wegesrand liegen gelassen, weil der Kopf zu müde war. Und zwischen all den Hotspots, die auf meiner Landkarte angekreuzt sind, wurde die Anzahl der Ruhetage immer mehr. Gut, wenn das so ist, warum nicht? Niemand hetzt mich, ich darf alles in der Geschwindigkeit machen, die mir angenehm ist. Wer schneller reist, ist kein Gewinner und wer langsamer reist, ist kein Verlierer. Einzig wer seinen Modus findet und ihm treu bleibt, tut sich viel Gutes.

Eine wichtige Sache muss ich in diesen Tagen aber doch erledigen, ich brauche eine Vollmacht für die Verschiffung meines Motorrades. Ronny wird das nämlich erledigen müssen, weil der nächste Container erst auf See geht wenn ich schon längst nicht mehr im Lande bin. Für umgerechnet sechs Euro bekomme ich bei einem Notar das gewünschte Papier. Die Vorlage, die ich habe, wird von den freundlichen, einheitlich rot gekleideten Mädels im Notariat abgetippt und mit meinen Daten ergänzt. Anschließend muss ich unterschreiben und das Dokument mit meinem rechten Daumenabdruck siegeln. Das habe ich auch noch nicht erlebt. Fertig. Sieht schick aus!

Einkaufen, schreiben, Wäsche waschen, Fotos aussortieren, spazieren gehen, hier und da eine Kleinigkeit vom Zuckerbäcker mit gutem Café und immer wieder die Berge rauf und runter durch die bunten Gassen und über unzählige Treppen. Als kleine Unterstützung fahren hier sogenannte Ascensores, das sind kleine historische Zahnradkabinen, die die Menschen bequem auf den Berg bringen und auch wieder hinunter. Leider sind diese aber oft von Touristenhorden blockiert, die scheinbar noch nie Aufzug gefahren sind, keine Ahnung! Da laufe ich doch lieber als ewig Schlange zu stehen.

So vergehen die Tage mit besinnlichem Nichtstun und kontemplativen Stunden auf der Dachterrasse. Meine Motorradsachen muss ich auch noch separieren, was am Montag auf den Container geht und was ich in meine Reisetasche packe. Aber lange dauert das auch nicht. Und einmal koche ich sogar. Mein Lieblingssommergericht: Italienische Sommernudeln! Nach diesem kulinarischen Erlebnis schleppen mich Constanza und Niels nachts noch in ihre Lieblings-Karaokebar. Nun ja, diese frohe Lebensart ist nett mit anzusehen, musikalisch war es für mich dann doch eher schmerzhaft. Das gute Bier hilft auch nicht, so dass ich gerne mein gemütliches Bett vorziehe und durch die nächtlichen Gassen nach Hause schlendere.

Heute ist Sonntag und die sechs Tage vergingen wie im Fluge. Es war eine herrliche Entspannung, Regeneration und ich habe mal wieder sehr nette Menschen kennengelernt, die mir das Leben angenehm gestaltet haben. Danke dafür und wer auch eines Tages mal in Valpo stranden sollte, merkt Euch das PazZHOtel in Cerro Alegre.

Mit einem kühlen Rosé, wo anders als auf der Dachterrasse, endet der vorletzte Tag meiner dreimonatigen Südamerikatour. Die Möwen lärmen wie jeden Abend, das wird mir fehlen. Morgen früh wird Bienchen verschifft, dann geht es auf den langsamen Heimweg. Ich bin gespannt.

20. Februar 2023 - Ein Abenteuer geht glücklich zu Ende

Ich habe wenig geschlafen. Vielleicht weil der heutige Tag doch ein besonderer ist. Meine Sachen stehen fix und fertig gepackt neben dem Bett, Bienchen ist sauber und wartet unten vor der Tür. Noch ist es kalt und dunkel, zartes Orange am östlichen Horizont kündigt den neuen Tag an. Oben auf der Dachterrasse höre ich das Klappern von Geschirr, Niels macht Frühstück. Wir sind um sieben Uhr verabredet. Eindeutig zu früh. Mir ist kalt. Die erste Tasse heißer Kaffee verbessert meinen Zustand, dann nehmen wir uns Zeit für das gemütliche Frühstück. Unmerklich wird der Himmel heller und nur zu dieser Stunde kann man in 160 Kilometern Entfernung schemenhaft den Gipfel des Aconcagua erkennen. Auf dem Foto vor orangem Himmel der linke der drei Berge.

Constanza kommt dazu und auch wenn es zur morgendlichen Stunde keine gute Idee ist, Selfies zu machen, bleibt uns nichts, denn wir haben kein gemeinsames Foto. Dann wird es halt ein etwas verschlafenes Gruppenbild, warum nicht? Der malerische Hintergrund wird’s ausgleichen. Ich habe viel Zeit, es ist nicht weit bis San Antonio zum Containerhafen und wir setzen das Frühstück fort wie jeden Morgen.

Drei Etagen muss ich meine Sachen runtertragen, ein letztes Mal verzurre ich mit Routine meine große Tasche als führe ich heute irgendeine weitere Etappe zu irgendeinem weiteren Highlight im großen Südamerika. Komisch. Helm auf, Handschuhe an, Aufsitzen, Bienchen an, wir machen es kurz: Auf Wiedersehen Ihr Lieben, es war sehr schön bei Euch!

Es ist immer noch kalt in den Bergen, das Thermometer zeigt nur 14°C und das ist nur mit einem T-Shirt unter der Jacke richtig kalt, ich bin anderes gewohnt. Erst als ich San Antonio erreiche vertreibt die Sonne den Morgendunst und es wird warm. Wie vor drei Monaten suche ich mir den Weg durch die Containerburgen. „Hamburg Süd“ steht stumm der Name der historischen Reederei auf den Containern. Es ist wie ein kleiner Empfang, wie ein erste Markierung, dass dies der Weg nach Hause ist. Immer in Häfen begegne ich diesem Zwiegefühl von Kommen und Gehen, von Auf-und-davon und der Sehnsucht nach Heimaterde. Fernweh und Heimweh sind gleichsam die Faust'schen Seelen in meiner Brust, die nie ein Einvernehmen finden werden. 

Ronny ist schon am Treffpunkt, zwei Biker auch, einer ist angekommen, einer verschifft genau wie ich. Es ist exakt derselbe Ort, an dem ich im November losgefahren bin. Die ganze Papieroper ist unspektakulär und völlig problemlos, Ronny macht seinen Job souverän, die Landesgrenzen Südamerikas sollten sich eine Scheibe davon abschneiden. In der großen Halle warten jede Menge Motorräder auf die Reise nach Europa, darunter einige Bekannte von unterwegs. Wir stellen unsere treuen Bikes dazu. Zwei Spaniern binde ich noch eine Visitenkarte zum Gruß an den Lenker, sie werden sich in Hamburg sicher an mich erinnern. Das war’s. Ich trenne die Kontakte von Bienchens Batterie und versetzte sie in den Tiefschlaf. Gute Reise meine treue Gefährtin, wir sind gemeinsam 17.459 Kilometer gereist, es war ein unglaubliches Abenteuer! Wir sehen uns in fünf Wochen in Hamburg wieder.

Ich werde noch zum Busbahnhof gebracht, tschüss, Ronny, danke für alles und vielleicht bis zu einem nächsten Mal! Warten muss ich nicht lange, um 12:00h fährt der Expressbus nach Santiago. Was für ein komisches Gefühl, gemütlich Bus zu fahren. Ich schaue aus dem Fenster, muss mich nicht um den Verkehr kümmern, die Landschaft wird etwas bergiger und zieht langsam an mir vorbei. Auf den Richtungsschildern lese ich die Namen vieler Orte, die auch Ziele meiner Tour waren. Die restlichen Gedanken sind völlig unsortiert, es ist alles noch zu frisch.

Eine gute Stunde später in Santiago erwartet mich die übliche Affenhitze, vom Busbahnhof zum Hotel sind es kaum zweihundert Meter. Gott sei Dank. Nicht schön hier die Gegend, aber für eine Nacht optimal. Einchecken, ein Nickerchen, ein Häppchen und die letzte Geschichte von Bienchen und mir zu Ende schreiben. Hier endet meine Motorradtour in Südamerika. Danke, dass Ihr mit mir gereist seid, ich hoffe, ich konnte Euch etwas abgeben von den Erlebnissen und Ereignissen, den schönen und den anstrengenden Momenten, den Bildern und Eindrücken. Vor allem aber steht meine Botschaft: Ihr könnt das auch!

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