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Auszeit 2022 - Die Kaukasusreise

Etappe 5: Transsilvanien - Im Herzen des Ostbalkans

29. Juli 2022 – Zwei Grenzen und eine Felsenkirche

Heute steht der letzte Reisetag an und ich werde Rumänien erreichen, wo ich mir wieder etwas mehr Zeit nehme, um einige Orte in Ruhe anzusehen. Auf geht’s!

Von Edirne zur bulgarischen Grenze ist es nur ein knappe halbe Stunde. Der übliche gigantische Lkw-Stau wundert mich nicht mehr und die Grenzformalitäten gehen schnell. Das Knöllchen aus Sivas (s.o.) muss ich auch noch bezahlen, das geht hier wie an der Kasse im Supermarkt: „Zahlen Sie bar oder mit Karte?“. Ich zahle bar und bekomme auch noch 25% Rabatt, weil ich innerhalb von einer Woche bezahle, was für eine Kundenorientierung. Die überzähligen Rest-Lira verschenke ich an sammelnde Kids, die hier ihren lukrativen Devisenmarkt gefunden haben. Guten Morgen, Bulgarien!

Der Transit bis zur Rumänischen Grenze ist mit guten vier Stunden berechnet, eine Vignette brauchen Motorradfahrer nicht. Es geht über leere Landstraßen und weitgehend dünn besiedeltes Land Richtung Norden. Die Temperatur liegt irgendwo bei 34°C und die Vegetation sieht mehr als verdurstet aus. Nach der Hitzewelle der letzten Wochen werfen die Bäume und Sträucher schon ihre Blätter ab und haben auf Notfallprogramm umgeschaltet. Man hofft, dass man dieses Jahr von Flächenbränden wie im Sommer 2021 verschont bleibt. So vergehen staubige Stunden auf mäßig guten Straßen und ich erreiche kurz vor der rumänischen Grenze die sehenswerte Felsenkirche von Iwanowo, die ich über einen kleinen steilen Fußmarsch erreiche. So passiere ich das Land wenigstens nicht ganz eindruckslos.

Hoch oben im Fels haben Mönche im 13. und 14. Jh. eine kleine Kapelle gebaut. Sie gehört zu einem Kloster und weiteren religiösen Orten hier im Westen von Ludogorie am Rande der Donautiefebene. Der Eingang befand sich seinerzeit in fast 40 Meter Höhe und konnte über abenteuerliche Holzkonstruktionen erreicht werden, heute führt ein kleiner Weg mit tollen Aussichten hinauf zu der Felsenkirche. Im Innenraum befinden sich bedeutende Fresken, die nicht restauriert werden durften, sondern nur gereinigt. So erfordern es die strengen Regeln der UNESCO zum Erhalt historischer Originale. Ich bin begeistert vom guten Zustand und von den klaren Farben und bekomme sogar eine kleine Privatführung des Wärters. Beeindruckend und mulmig zugleich ist auch ein Riss, der mitten durch den Fels geht und die kleine Kirche „teilt“. Aufzementierte Abreißstreifen überwachen die fortschreitende Weitung des Felsspalts.

Wieder unten ist es auch nicht mehr weit zum Tagesziel. Die rumänische Grenze ist zügig passiert, ich darf als Mopedfahrer wieder mal die ganze Schlange überholen und wie schon in Bulgarien ist auch hier keine Vignette für Motorradfahrer erforderlich. In Giurgiu, dem rumänischen Grenzort angekommen brauche ich eine gewisse Zeit, um meine geplante Unterkunft zu finden, die Fassade sieht aus wie kurz vor dem Einsturz, ich habe dahinter nicht meine Pension vermutet. Allerdings ist es unerwartet hübsch im Hinterhof. Alles voller Blumen und mit Wein überwachsen. Das Zimmer ist prima und Bienchen hat einen sicheren Innenparkplatz, was will ich mehr? Leider gibt es schon wieder diese unsägliche Fifteen-Fifty-Nummer, als es um den Preis geht. Ich möchte intelligent beschissen werden und schlage dem Vermieter vor, über ein Internetportal zu buchen, dann kann ich auch eine Bewertung abgeben, worauf er einlenkt und wir finden einen angemessenen Preis. Dass das immer so sein muss, das trübt die gute Laune enorm. Egal, duschen!

Der Ort selbst gibt nicht viel her, alles ist irgendwie eine unfertige Baustelle und macht einen tristen Eindruck. Die einzigen fertiggestellten Gebäude in Topzustand sind wie schon oft gesehen die Filialen deutscher Discounter. Hier stimmt alles bis zur sauber geschnittenen Rasenkante und rührigem Personal in Berufskleidung, das sich um die Beseitigung von Müll auf dem Gelände kümmert! Ich bin unsicher, ob es ein gutes Beispiel ist oder eher peinlich, dass die Deutschen mal wieder mit Perfektion glänzen müssen. Nachdenkenswert. An der Ecke finde ich ein Restaurant, für großes Essen ist es eh zu heiß, aber ein Häppchen muss sein.

Der restliche Abend füllt sich noch etwas mit der Bearbeitung von Fotos und Berichtsrückständen, dann schließt sich eine ruhige Nacht an.

30. Juli 2022 – Karpaten, Transfăgărășan, Bären und „Mad Dogs“

Guten Morgen! Heute steht das erste Highlight in Rumänien auf dem Plan. Zunächst die Durchquerung der Großen Walachei und dann über den legendären Transfăgărășanpass nach Siebenbürgen ins Olttal. Nun, was soll ich sagen? Das Synonym „Walachei“ im deutschen Sprachgebrauch für einen weiten, fernen Ort kommt nicht von ungefähr. Hier ist nicht viel und es geht einfach nur geradeaus. Langsam werden aber dann am Horizont die Karpaten sichtbar und die Straße steigt spürbar an. Alles wird etwas „alpiner“ und die Ortschaften bekommen mehr und mehr Bergdorfcharakter. Heute ist Samstag und leider sind die Straßen mit Wochenendausflüglern gefüllt, aber das werde ich jetzt ignorieren. In engen Kehren windet sich die schlechte Straße nach oben. Das große Hinweisschild „Atenție urși“ unten am Beginn der Bergstraße nehme ich nur am Rande wahr, doch wie ernsthaft es ist, erlebe ich zehn Minuten später. Tatsächlich begegne ich zwei mittelgroßen Braunbären, die entspannt am Straßenrand herumlungern. Ganz wohl ist mir im ersten Moment nicht, die Autos halten an und man fotografiert erst einmal. Ich halte Abstand und sorge schon einmal vor, dass ich im Zweifel flott umdrehen kann, doch die beiden Burschen sind friedlich und interessieren sich nicht wirklich für die Vorbeifahrenden. Also zügig durch und weiterfahren. Toll!

Mehrere stockdustere Tunnel folgen und es wird frischer. Vorbei am Vidraru Stausee, den ich wie alle Stauseen eher unattraktiv finde, zumal hier der Ausflugsbötchen- und Souvenirrummel tobt. Weiter geht es Richtung Pass. Das letzte Stück vor dem Passtunnel ist sehr eindrucksvoll und eröffnet herrliche Talblicke. Am Capra Wasserfall, der unmittelbar neben der Straße zu Tal fällt, knubbelt es sich und ein Verkehrskollaps ist nicht mehr weit, da jeder hier anhält, um ein paar Fotos zu machen. Nach einem weiteren Kilometer erreiche ich den Passtunnel, der den Gipfel unterquert und ins Olttal auf die Nordseite führt. Dieser Pass ist nur von Juli bis Oktober geöffnet, die restliche Zeit herrschen hier oben Schneemassen und Kälte. Auf der Nordseite am Bâlea-See ist der Andrang erwartungsgemäß immens. Hunderte von Ständen und Buden verkaufen hier alles mögliche, von kulinarischen Spezialitäten über Handwerk, Kleidung und Souvenirs bis hin zu dem üblichen touristischen Plastikschrott. Schade, dass Samstag ist. Dann begebe ich mich auf die herrliche Abfahrt der Nordseite. Zwar macht der Verkehr viele Überholmanöver nötig und die schlechte Straße nimmt etwas die Freude in den Kurven, aber trotzdem ist es ein Erlebnis hier zu Tal zu fahren.

Und jetzt brauche ich noch eine vernünftige Bleibe für heute Nacht. Weiter unten gibt es jede Menge Unterkünfte, die eigentlich die Entscheidung schon wieder schwieriger machen, weshalb ich auch unentschlossener Weise noch bis Oberkerz fahre. Ich folge einem vielversprechenden Schild zu einer Pension, das am Straßenrand steht und lande in einem Dorf in einer Sackgasse mit Schotterstraßen. Hinter der letzten Einfahrt tut sich dann aber eine kleine Ferienoase auf. Alles picco bello, hübsche Häuschen, Blumen, Gartenzwerge und freundliche Menschen, die mich empfangen. Zig Motorräder parken ordentlich in einer Reihe und man denkt ich gehöre dazu. Heute ist nämlich ein großes Bikertreffen angesagt. Freie Zimmer gibt es noch, ich soll die Karre parken und schon stehen zwei große Gestalten neben mir und begrüßen mich aufs Herzlichste. Das bedeutet hier einen Zahnbecher voll mit Obstler und kräftiges Schulterklopfen. Ich bin ein weiteres Mal von der Gastfreundschaft begeistert, diesmal von der rumänischen. Am Grill auf der Campingfläche sitzt der restliche Club, der sich „Mad Dogs“ nennt und die Party scheint gut zu laufen, denn es geht bereits hoch her. Ein strubbeliger Straßenköter rennt hier tatsächlich herum, ob er das Maskottchen oder gar der Namensgeber für den Verein ist, kann ich nicht ergründen. Alle begrüßen mich herzlich und schnell bin ich Teil der bunten Runde. Wie so oft ist leider die erste Reaktion auf meine Nationalität die überflüssige Rezitation der erste Zeile aus dem Lied der Deutschen. Meine deutliche Ablehnung wird mit der rhetorischen Frage „Warum nicht?“ erwidert, auf eine weitere Diskussion verzichte ich. Ach Mensch, muss das denn immer sein?

Der Abend ist aber gerettet durch die Herzlichkeit der Gesellschaft, das gemeinsame Abendessen, Tanz und nette Konversation, soweit Promille und Sprachbarriere das zulassen. Was ich gleichermaßen sympathisch und amüsant finde, ist, dass diese „harten Jungs und Mädels“ dann en ensemble folklorische Gruppentänze tanzen. Zu passender Musik versteht sich. Leider setzt etwas später der angekündigte Regen ein und das Fest im Freien findet ein jähes Ende. Vielleicht auch gut so für mich, so komme ich noch vor Mitternacht in die Koje und kann erholsamen Schlaf nachholen. Morgen ist Ausschlafen angesagt und kein Reisetag. Ich freue mich. Gute Nacht!

2. August 2022 – Burg „Dracula“ war gruselig, Brasov ganz im Gegenteil

Die letzten zwei Tage Pause waren sehr erholsam. Nachdem die „Mad Dogs“ abgeknattert waren trat Ruhe ein in Casa Dușe. Es regnete sogar heftig, eine ersehnte Erfrischung für die Natur. Ich konnte mal wieder richtig ausgeschlafen und meine ganze Wäsche waschen. Fotos, Filme und Reiseberichte der letzten Woche habe ich auf den aktuellen Stand gebracht und auch Bienchen hat eine neue Birne bekommen und etwas frisches Öl. Insofern ist nichts wirklich Aufregendes passiert.

Und heute geht’s ein kleines Stückchen weiter. Nach Brasov möchte ich und auf dem Weg liegt das legendäre Schloss Bran, das den Touristen als Schloss Dracula verkauft wird. Einen Beleg dafür bleibt man den Besuchern schuldig und Vlad III, der das Vorbild für die Romanfigur liefert, hat die Burg wohl nie betreten. Zudem ist die ganze Saga nüchtern betrachtet auch kein Spaß, denn Vlad III war ein Menschenschlächter und sadistischer Hinrichtungsfanatiker. Für die Folterkammern in Schloss Bran werden deshalb zwei Euro Extra-Eintritt verlangt, dem abgestumpften Mob kann man das sehr gut verkaufen.

Ich habe mir extra eine kleine Nebenstrecke hier im Piatra-Craiului der Südkarpaten rausgesucht, eine herrliche Landschaft. Dann wird es wirklich gruselig. Die Automassen blockieren schon Kilometer vor Bran die Straße, Parkplätze gibt’s nicht genug, man wird rechts und links überschüttet mit Dracula-Action, Horrortouren und Fahrgeschäften. Unzählige Fressbuden und organisierte Märkte mit transsilvanischem Souvenir-Schrott verteilen sich auf jedem freien Quadratmeter. Schwitzende Menschenmassen wälzen sich lautstark durch den Ort wie erbrochene Lava. Links in der Hand ein Getränk oder die Bratwurst, rechts das Smartphone zwecks Dokumentation des Familienausflugs. Gruselig! Und mittendrin die endlose Warteschlange für die Eintrittskarten. Geschätzte Wartezeit anderthalb Stunden.

Die imposante Burg selbst wird da fast zur Nebensache, obwohl ich sie architektonisch ziemlich eindrucksvoll finde und sie sehr prominent auf dem Dietrichstein thront. Ein schönes Foto von unten soll mir reichen, dann bin ich auch wieder verschwunden. Das tue ich mir nicht an.

Die letzten dreißig Kilometer nach Brasov sind sehr schön und bevor ich mein Ziel erreiche mache ich noch einen kurzen Halt an einem herrlichen Aussichtspunkt auf die Altstadt von Brasov. Das Hotel findet sich dank moderner Ortungstechnik problemlos, das erstbeste ist wieder meines, das bedeutet mehr Zeit für Kronstadt (Brasov), der Nachmittag ist noch jung.

Ein planloser Spaziergang durch die sympathische Altstadt und ein Besuch der schwarzen Kirche folgen. Überall herrscht quirliges Treiben, jede Menge Restaurants, Bars und bunte Kneipen laden auf ein Schlückchen oder Häppchen ein. Viele Häuser sind sehr schön renoviert, viele warten noch auf Investoren. Irgendwie ist alles im Aufbruch und der Erfolg stellt sich sichtbar ein. Ich gönne mir auch den ein oder anderen Kaffee oder Drink und spät endet der Abend in einer ziemlich guten Weinbar bei überbackenem Camembert und einem frischen rumänischen Weißen, der sich echt sehen lassen kann! Ich bin überrascht.

Nicht weit ist der Weg zu meinem Hotel, ich freue mich aufs Bett. Gute Nacht!

3. August 2022 – Anreise zur Transalpina

Nach ruhiger Nacht und endlich mal wieder einem gescheiten Frühstücksbuffet sattle ich Bienchen und wir brechen auf gen Westen. Leider habe ich gestern Abend meinen Fleece in der Weinbar vergessen und die öffnet heute erst am Nachmittag. So lange will ich nicht warten und so trenne ich mich schweren Herzens von meiner uralten zotteligen Fleecejacke. Tja.

Navi auf „Motorrad“ eingestellt und auf kleinen Nebenstraßen immer am südlichen Rand der Karpaten entlang. Trotz einiger rumpeliger Abschnitte ist es eine herrliche Fahrt mit wenig Verkehr und schönen Aussichten. Eigentlich ist es ja nur die Anreise zum Einstieg in die berühmte Transalpina, aber die kann ich mir ja auch beschaulich gestalten. In Novaci mache ich Schluss für heute, mir tut der Hintern weh und morgen Früh starte ich dann frisch auf den Urdele-Pass und die Transalpina.

Nach etwas Rumkurven finde ich sogar ein gutes Hotel am Ortsrand mit Bergblick, Restaurant und Swimmingpool. Herrlich. Terrassenabend, kleines Dinner und jetzt bei offenem Fenster den Zikaden lauschen. Bis ich einschlafe. Nacht!

4. August 2022 – Passstraßen und tolles Stadtleben

Oh, wie gut hat die Nacht getan mit Zikaden und Stille am Rande der Berge. Auch das Frühstück war ein guter Einstieg in den Tag. Für heute habe ich nicht viele Kilometer geplant, aber dafür eine umso spannendere Bergfahrt über den Urdele Pass und im weiteren Verlauf über die Transalpina. Der Pass ist nicht so ausladend und raumgreifend wie die weiten Kehren der Transfăgărășan, aber nicht weniger eindrucksvoll. Seine Haarnadelkurven sind kürzer und teilweise deutlich anspruchsvoller. Auch der Verkehr heute am Donnerstag ist praktisch nicht vorhanden, die Temperaturen liegen deutlich unter 20° C und Bienchen und ich klettern hinauf über die Baumgrenze auf über 2000 Meter. Was für eine Freude. Der starke Wind der letzten Tage hat nachgelassen, heute ist die Bergwelt still und ich kann nicht nur tief durchatmen, sondern auch diesen unverwechselbaren Geruch wahrnehmen, den Berge in dieser Höhe haben. Hoch oben halte ich an, mache den Motor aus und genieße genau das für eine lange Weile. Im Süden sehe ich die flache Walachei, blicke ich nach Norden schaue ich auf die Gipfel der Südkarpaten. Ich war noch nie hier und ich könnte diese Berge umarmen. Kurve für Kurve erlauben Sie mir die Durchfahrt und begleiten mich auf der anderen Seite langsam wieder ins Tal. Es wird waldiger und die Straße windet sich entlang von Flussläufen in schmalen Tälern hinab Richtung Mühlbach. Ich biege allerdings vorher rechts ab und mache noch einen kleinen Ausflug durch einige Bergdörfer bevor ich die letzten Kilometer nach Sibiu auf der Landstraße zurücklege.

Am frühen Nachmittag erreiche ich Sibiu oder auf Deutsch Hermannstadt und finde auch schnell ein richtig freundliches Art-Hotel in der Altstadt. Kleine erfrischende Dusche und ein Powernap und dann mache ich mich auf ins Leben von Sibiu. Wie Brasov ist die Stadt auch sehr quirlig und bunt. Überall hübsche und einladende Restaurants, Bars und Kneipen und auch die historischen Gebäude sind wunderbar restauriert und allesamt sehr eindrucksvoll. Die alte Kirche erinnert mich mit ihrer kunstvollen Dachbedeckung sogleich an die Hospices de Beaune und die winzigen verwinkelten Gassen können einen gedankenverloren werden lassen. An der berühmten Lügenbrücke nehme ich einen kleinen Aperitif in einer Bar, denn ich habe Hunger und werde mir anschließend eines der zahlreichen Restaurants fürs Dinner aussuchen. Heute ist der Drink besser und während ich ihn so wegnippe, beobachte ich all die Menschen, die auf der Brücke irgendwelche Wahrheiten sprechen, auf dass sie Bestand haben und keine Lüge sind. Denn dann, so will es die Legende, würde die Brücke einstürzen oder die entlarvten Lügner würden von ihr hinabgestürzt.

Das Abendessen war sehr gut und bevor ich mich zur Nachtruhe begebe lasse ich den Abend auf den Treppen am Sagturm in einer Bar bei einem erstklassigen Drink ausklingen. Das Leben ist auch um Mittenacht noch in vollem Gange, alle Gassen und Lokalitäten sind beleuchtet und haben Stühle auf die Straße gestellt. Ich spaziere langsam in mein kleines Hotel, denn ich bin müde und freue mich über den schönen Tag heute. Gute Nacht!

5. August 2022 – Die kürzeste Etappe und die schönste Stadt Rumäniens

Vermutlich fahre ich heute die kürzeste Etappe der ganzen Reise. Von Sibiu nach Sighisoara sind es 94 km, über Nebenstrecken werden daraus ungefähr 110 km, aber mehr als zweieinhalb Stunden Fahrzeit lassen sich damit nicht füllen.

So kann ich mir also alle Zeit der Welt lassen und zunächst einmal das sehr gute Frühstück im Hotel genießen. Die Check-out Zeit ist 12:00 Uhr, also sehr komfortabel, und ohne mich irgendwie zu beeilen fahre ich gegen 11:00 Uhr in Sibiu los. Nach 20 km rechts abbiegen und es beginnt eine wunderschöne Fahrt durch grünes Auenland und durch kleine Dörfer. Pferdegespanne sammeln Heu von den Weiden und die Kinder am Straßenrand spielen Abklatschen mit mir. Nichts hier ist imposant oder hipster oder aufregend. Niemand macht hier ein Selfie, einen Vlog oder heiratet vor laufender Kamera. Das ist einfach nur grün, das ist einfach nur Hinterland, das ist einfach nur das ländliche Rumänien. Ich bin im Glück! Bienchen und ich gleiten entspannt durch die Sonne. Ich atme das Blau des Himmels und das Grün der Felder, ich rieche frische Mahd und Kuhmist. So oder so ähnlich habe ich mir das ländliche Rumänien immer vorgestellt und jetzt bin ich mitten drin.

Dann wird es waldiger und wie aus dem Nichts taucht Sighisoara (Schäßburg) auf. Ich komme von Süden und fahre direkt in die historische Altstadt ein. Dem Parkpolizisten sage ich, ich hätte ein Hotel gebucht, man öffnet mir die Schranke und ich darf auf den alten Burgberg hinauffahren. Alles andere wäre auch inakzeptabel gewesen. Wie immer ist das erstbeste Hotel gerade recht und fertig. Bienchen darf innerhalb der Burgmauern parken, es ist 13:00h und der ganze Nachmittag gehört mir!

Kostümwechsel und kurz in die Maske, einzige Requisite Fotoapparat und auf ins mittelalterliche Schäßburg, das als die schönste Stadt Rumäniens gilt - sagt man. Erstes Ziel ist die alte Bergkirche, dann habe ich auch schon die anstrengenden Orte hinter mir. Der über 100 m lange überdachte Anstieg, die Scara acoperită, zur alten Bergkirche ist mühsam, aber oben angekommen wird man mit schönen Ausblicken belohnt. Die Kirche selbst ist leider nicht so beeindruckend, weil von den kunstvollen Innengemälden nicht mehr viel übrig ist. Immerhin ist diese Kirche im 15. Jh. aufgebaut worden, ihre Grundmauern sind aus dem 13. Jh, also noch erheblich älter. Auf dem gleichen Wege, wie ich aufgestiegen bin, geht’s auch wieder hinunter in die Burgstadt, dann lasse ich mich durch die Altstadt und ihre vielen bunten Gassen treiben. Die Anzahl der touristischen Souvenirshops hält sich in Grenzen und ich bin fasziniert von den alten Gemäuern und farbenfrohen Fassaden. In zwei Stunden habe ich die Gassen abgeschritten, inklusive Nebenwegen und der äußeren Stadtmauer. Zeit also für eine erfrischende Limonade im Schatten, hier weht heute nämlich kein Lüftchen.

Wie ich von kleineren Plakaten erfahren habe, gibt es heute ein Orgelkonzert in der Biserica Mănăstirii. Schöne Idee fürs Abendprogramm. Pünktlich finde ich mich in der Kirche ein und bin gespannt auf die Musik. Es ist Urzeiten her, dass ich das letzte Orgelkonzert besucht habe, ich bin beeindruckt und es macht Freude zuzuhören. Leider macht der Pfarrer aus dem Konzert eine Messe und so verlasse ich die Vorstellung schon nach Beethovens Adagio assai. Die Musik hat mir sehr gefallen, auch wenn es alles etwas sakral war.

Ich finde, der Tag war wunderschön und er sollte mit einem ebenso schönen Dinner beendet werden. Etwas abseits vom Burgplatz gibt es ein Restaurant mit vier Sternen, was für Sterne keine Ahnung, aber vier hört sich erst mal gut an. Ein frischer Sekt als Aperitif und dann der musikalischen Eröffnung des Abends angemessen ein Tournedo Rossini. Perfekt! Die Sonne beleuchtet den Burgberg in warmem Rot und ich bin froh hier zu sein. Es wird schon dunkel und der Heimweg durch die beleuchtete Altstadt hat fast romantische Züge. Ein Schokoeis, dann kann ich besser schlafen. Stimmt nicht, aber beruhigt das Gewissen. Nacht!

6. August 2022 – Mal wieder Wochenende an schönen Orten

Die Aktivitäten zwischen dem erstem Augenaufschlag und dem Anlassen der Maschine unterscheiden sich auch heute weder in der Reihenfolge noch im Zeitbedarf von denen der Vergangenheit. Beginne ich also mit dem Anlassen der Maschine. Es ist 10:30 h und ich verlasse Sighisoara wieder durch das schöne Burgtor. Mein Navi führt mich präzise aus dem Ort hinaus und bringt mich auf die richtige Straße in Richtung Kreuzburg. Allerdings werde ich nicht bis dorthin fahren, sondern bei Bicaz nach Norden abbiegen. Die Vorablektüre zu Kreuzburg hat mich nicht so sehr begeistert und nach Brasov, Sibiu und Sighisoara wäre ich sicher etwas enttäuscht. Die ersten Kilometer durch die Tiefebene sind recht ereignislos bis ich bei Sowata langsam die Ostkarpaten erreiche. Das Gelände steigt an, es wird waldiger und die Straßen winden sich stetig in die Höhe. Am Lacul Roșu, dem Roten See, auf knapp 1000 Metern wird es dann plötzlich voll. Alle Parkplätze sind überfüllt, die Straßen verstopft mit Autos und auf dem See tummeln sich schon zig Paddelbötchen. Auf jedem freien Quadratmeter in dem engen Tal stehen Fressbuden und Souvenirstände. Die hilflosen Parkplatzordner sind machtlos und musikalisches Gedudel kräht aus jedem zweiten Standlautsprecher. Unterschiedliches Gedudel, versteht sich, wir sind ja schließlich nicht in Las Vegas, wo das gleichgeschaltet ist. Mit dem Motorrad komme ich zwar etwas fixer durch das Chaos, aber bis zu der gigantischen Bicaz-Schlucht ändert sich nicht viel. Und so kann ich mich nur in die Blechschlange einreihen und versuchen, diese extrem enge und hohe Schlucht trotzdem zu genießen. Wie schon letztes Wochenende auf dem Transfăgărășan ist auch heute halb Rumänien im Ausflugsmodus und die Menschen hier zieht es nach draußen. Es wird gegrillt, gechillt, gewandert, geangelt und das Auto darf nie fehlen. Meine Erkenntnis für die nächste Reise ist, am Wochenende am besten irgendwo an einem völlig unattraktiven Ort ausruhen und an den Werktagen die Highlights besuchen!

Wie schon befürchtet ist meine ursprüngliche Idee, hier irgendwo zu übernachten, auch schnell verworfen. Der Rummel würde mir nicht gut tun. Es ist erst früher Nachmittag und ich fahre einfach weiter Richtung Vatra Moldoviței. Um später nicht auf den letzten Drücker eine Verzweiflungsunterkunft nehmen zu müssen, halte ich die Augen auf nach Wegweisern zu abgelegeneren Hotels, denn direkt an der Straße möchte ich nicht schlafen. Und so finde ich dann auch in einem Seitental eine nette Ferienunterkunft mit Fischteich, Swimmingpool und kleinem Restaurant. Knapp drei Kilometer entfernt von der Hauptstraße mit herrlichem Bergblick. Was will ich mehr?

Nach kurzer Verpuppung in der Dusche vollziehe ich meine Metamorphose vom verdreckten Biker zum gepflegten Feriengast und nehme sodann Platz auf der sonnigen Terrasse und genieße den Bergblick im Duett mit einem frischen Bier. Viel mehr passiert auch nicht mehr heute. Mir sind vorhin schon die Augen zugefallen und ich werde heute mal früher schlafen gehen. Morgen geht’s weiter zu den Klöstern des Nordens, aber das ist schon die nächste Geschichte. Gute Nacht!

7. August 2022 – Weiter als geplant – heute bis Satu Mare

Da ich gestern schon weiter gefahren bin als geplant, ist es heute nicht mehr weit zum ersten Besichtigungsstopp. Dem Kloster von Vatra Moldoviței. Es gibt unzählige kleine und große Klöster hier in den Bergen Nordostrumäniens. Eines der schönsten steht eben in der kleinen Stadt Vatra Moldoviței. Das besondere an den alten heiligen Gemäuern sind die Malereien. Sie sind nicht nur im Inneren der Kirchen zu finden, sondern auch an den Außenwänden. Von den intensiven Farben und der Detailverliebtheit der Künstler vor vielen hundert Jahren kann man sich bis heute faszinieren lassen, denn sie sind teilweise in hervorragendem Zustand, wie Ihr auf den Fotos sehen könnt. So verbringe ich eine ganze Weile im Garten um die Klosterkirche und kann mich gar nicht satt sehen an den bunten Wandbildern. Aber ich muss weiter, ich hab noch ein Stückchen vor mir heute.

Das geplante Übernachtungsziel Sighetu Marmației direkt an der ukrainischen Grenze ist eine Pleite. Es wurde im Netz als kulturelles Zentrum und innovatives Szenestädtchen Nordrumäniens angepriesen. Ich spüre irgendwie nichts davon. Der zentrale Platz ist wegen eines Festes gesperrt, was mich spontan noch auf ein kulturelles Event hoffen lässt, aber die Hotels sind größtenteils verrammelt, an manchen sind Telefonnummern angeklebt und das Fest entpuppt sich als eine größere Hüpfburg und ein paar Softeisbuden. Ich habe mir dann vorgestellt, in voller Mopedmontur in einer lila Draculahüpfburg alles zu geben, aber das Bild dazu in meinem Kopf sah irgendwie albern aus. Weiter! Zeit, Strecke, Wetter und die sichere Chance auf ein Hotel werden abgewogen, das Ergebnis ist Satu Mare. Auf geht’s auch wenn es schon wieder viel weiter ist, als ich geplant hatte. Oder doch hier bleiben? Nein, das mit der Hüpfburg ist nichts für mich.

Ich erreiche Satu Mare mit der untergehenden Sonne und das Hotel am Platz ist gut. Ziel für heute erreicht. Es gibt leckeres Essen und coole Bars in der Stadt, ein paar Ecken kenne ich noch von einem Arbeitsaufenthalt in 2016, und dass ich noch einmal hier zu Gast bin, hätte ich auch nicht gedacht.

Weiter zum Rückweg über Polen und Tschechien.  ➡️