🇹🇷 Auszeit 2022 - Die Kaukasusreise

Etappe 4: Die schöne unbekannte Nordtürkei

25. Juli 2022 – Coming home, zurück in der Türkei

Heute verlasse ich Georgien. Nach gutem Frühstück mit grausamem Kaffee verkaufe ich den niederländischen Hausgästen meine verbliebenen Armenischen Dram und dann geht’s los. Wunderbare einsame Strecke durch das Hochland entlang des Dschawacheti-Nationalparks zur kleinen Grenze am Karzachi-See. Auch hier habe ich Glück, die Grenzer sind allesamt sehr nett und hilfsbereit. 30 Minuten und ich bin durch. Es ist fast ein Gefühl von „nach Hause kommen“. Ich war so lange in der Türkei und was den Verkehr und die Straßen angeht, bin ich heilfroh, dass ich Armenien und Georgien so gut überstanden habe. Allerdings habe ich noch ein ganz schönes Stückchen vor mir, bis ich dieses große Land durchquert haben werde. Die nagelneue Autobahn, die sich auf türkischer Seite an die winzige Grenze anschließt, ist reichlich überdimensioniert, mag das verstehen wer will. Mir soll es recht sein, ich komme super gut voran. Unterwegs treffe ich noch einen entgegenkommenden Franzosen aus Paris. Ein kurzer Schnack, ich habe ihm meine Karte von Georgien geschenkt, denn er kannte keinen einzigen von den schönen Orten, die man besuchen sollte in dem kleinen Land.

Nach zwei Stunden flotter Fahrt bin ich schon mitten im Hochland Ostanatoliens. Ich genieße die unendliche karge Weite und die pastellfarbenen Berge und Ebenen. Alles spielt sich zwischen 1500 und 2200 Metern ü. NN. ab, weshalb auch die Temperaturen angenehm frisch sind.

So vergeht der Tag auf der Straße und ich erreiche tatsächlich Erzincan, eine nette Durchgangsstadt. Prima Hotel, gutes Restaurant gefunden und in der kleinen Hotelbar gibt es gutes deutsches Weißbier. Jetzt noch ausschlafen und meine Knochen regenerieren. Nacht!

26. Juli 2022 – Next Stop: Boğazkale

Die Etappe heute gleicht der von gestern. Etwa gleiche Dauer und die Landschaft genauso eindrucksvoll, wenn man diese karstige Weite so wie ich mag. In Sivas winkt mich noch die freundliche Polizei raus, irgendwo sei ich zu schnell gefahren, das Knöllchen muss ich bei der Ausreise an der Grenze bezahlen. Irgendwie ist die Konversation lustig. Der Beamte beantwortet meine Frage nach englischer Sprachkenntnis mit „yes“, womit sich aber sein Vokabular auch schon erschöpft. Den Rest macht Google Translator und der Taschenrechner, auf dem das zu erwartende Bußgeld mit rund 20€ eingetippt und mitgeteilt wird. Witzigerweise war ich der langsamste, der unter der aufwändigen Blitzerkirmes durchfuhr, aber bin der einzige, der angehalten wird. Vielleicht bin ich ja einfach nur zu langsam gefahren oder die anderen haben ein Abo. Sei’s drum, kommt ins Erlebnistagebuch.

Viel mehr passiert auch nicht, ich erreiche Boğazkale gegen 16:00 Uhr, genug Zeit zum Ausspannen und für ein gemütliches Abendessen im netten Hotel. Die Ruinen von Hattuşaş schließen gleich, ich nehme mir morgen früh Zeit für diese ganz besondere antike Stadt.

Jetzt bin ich müde und genieße die stille Nacht.

27. Juli 2022 – Hattuşaş, Reneklode und eine einst griechische Stadt

Der Plan, in einer Etappe von Boğazkale nach Istanbul zu reisen, wird verworfen. Zuviel schöne Orte und Landschaften liegen auf dem Weg, es wäre eine Schande, sie der Geschwindigkeit zu opfern. Und einer dieser Orte ist Safranbolu, mein heutiges Tagesziel. Doch der Reihe nach.

Wie geplant besuche ich heute morgen zunächst die riesige antike Stadtanlage von Hattuşaş. Aufgrund der Größe darf man hier mit dem Fahrzeug hindurchfahren und an den einzelnen Punkten parken und sie erkunden. Es ist leer und ich genieße die steile Fahrt, denn Hattuşaş ist wie die meisten antiken Städte auf einen Hügel gebaut. Es hat so etwas von Safaripark, obgleich es hier kein freilaufendes Großwild gibt. Löwen gibt es allerdings schon, als Wächter des nach ihnen benannten Löwentors. Es ist eines der fünf bekannten Tore in der damals über sechs Kilometer langen Stadtmauer. Ebenso das Königstor und das Sphinx-Tor. Unter letzterem befindet sich eine sehr lange Poterne in der Stadtmauer, deren Zweck nicht ganz klar ist, zumal die Mauer selbst kaum der Verteidigung dienen konnte, dafür ist sie viel zu flach. Noch viele weitere Rätsel gibt diese Stadt der Hethiter den Archäologen auf. Hieroglyphen und Inschriften, die keine Schriftverwandtschaften haben und ein großer grüner Steinwürfel, über den nichts bekannt ist, nicht einmal wann und wie er an den Ort des Fundes gelangt ist. All das darf ich in Ruhe und fast alleine besichtigen und endlich sind mal Besucher anwesend, die sich für die Attraktion interessieren und nicht für Selfies. Die Tochter einer italienischen Familie steht auf einer alten Mauer und liest laut wie ein Stadtausrufer historische Fakten aus einem Reiseführer vor. Die Familie wandelt in der Nähe, hört gespannt zu und findet die originalen Orte aus dem Vortrag. Herrlich. Was für ein spannender Start in den Tag.

Schon 11:00 Uhr, ich muss noch tanken. Einmal voll, Luft checken und bezahlen. Als Proviant bekomme ich eine ganze Handvoll Pflaumen, genauer Reneklode, die grünen Edelpflaumen. Sind die lecker! Ich verstaue die Wegzehrung vorsichtig und dann folgen gute 300 Kilometer Landschaft. Ihr vermutet es schon, die gleiche wie gestern. So ist es auch, obgleich das letzte Stückchen über eine winzige gewundene Straße am Südrand des Pontischen Gebirges durch tiefe Täler und schöne Wälder führt. Einzig der Asphalt ist wieder übel. Aufgeweichter Teer stinkt und glänzt in der Nachmittagshitze. Hier hat man mit Splitt gespart und ich weiß nie wie weich das Zeug ist. Eine Probebremsung lässt das vordere ABS sehr schnell reagieren, also werden zig Kilometer zu einem konzentrierten Eiertanz. Was soll’s, ich hab Zeit. Für die gute Aussicht muss ich dann halt stehenbleiben, Augen von der Straße geht nicht.

Die letzte Stunde ist flott und ich erreiche Safranbolu gegen 16:30 h. Das erst beste Hotel am Platz ist meins, die sind alle schön hier und die Zeit für Unterkunftsoptimierung spare ich mir lieber für den Stadtrundgang. Die mittelalterlich anmutende Stadt geht auf griechische Siedler zurück, die ihre Häuser als kleinkastiges Fachwerk erbaut haben, das die ganze Stadt prägt. Da Safranbolu an einer der zahlreichen Varianten der Seidenstraße liegt, gibt es hier eine große alte Karawanserei mit Brunnen und Ställen, die heute zu einem Luxushotel umgebaut ist. Gegenüber von meinem Hotel das große Hamam, dahinter befindet sich der Basar der Unterstadt. Überall duftet es nach Aromen, Seifen und Parfum. In anderen Gassen dann nach Essbarem wie Gebäck, Nüssen und Süßigkeiten. Dazwischen der übliche Tourikram, erfreulicherweise aber kaum Plastik. Wein überrankt die kleinen Gassen und spendet Schatten, der Muezzin ruft pünktlich zum Gebet, die erste Musik erschallt aus den Cafés und Restaurants. Ein sehr leckeres Abendessen ist schnell gefunden. Es gibt gefüllte Weinblätter aus dem Ofen mit frischem Joghurt. Es ist schon dunkel und man geht über zum fröhlichen Teil des Abends. Türkische Livemusik in einem reinen Café-Pub. Hier gibt es nur besten türkischen Kaffee in allen möglichen Variationen. Ein Stück weiter Gesang und oben am Hamam Geige mit Akkordeon. Ich setze mich hin, wo Platz ist und bestelle mir noch ein Bier vor dem Schlafengehen.

Hier könnte man glatt länger bleiben, aber es besteht die Gefahr des übermäßigen Konsums edler Nahrungsmittel. Morgen geht’s weiter, gute Nacht!

28. Juli 2022 – Edirne statt Istanbul

Ich genieße das wunderbare Frühstück im Garten meines kleinen Hotels. Zwischen Oliven, Mirabellen und dem Geplätscher eines Springbrunnens nehme ich im Schatten Platz und harre der Dinge. Der freundliche Chef serviert selbst. Er trägt spitze schwarze Lackschuhe und eine zu große schwarze Hose. Das weiße Hemd ist gestärkt und frisch gebügelt, seine weißgrauen Haare sind streng nach hinten gekämmt und in Sorge des ausbleibenden Wachstums sind die Haare auch schon länger nicht mehr geschnitten worden. Alles im Dienste des Gastes. Sein Lächeln ist echt und auch wenn er kein einziges Wort „ausländisch“ spricht, er liest die Wünsche von den Augen ab und sein Lächeln ist eine Freude.

Nichtsdestotrotz, es ist schon zehn Uhr und ich muss los. Herzliche Verabschiedung und dann Richtung Bosporus. Noch immer bin ich gespalten zwischen einer Verschnaufpause in Istanbul und dem flotten Ritt nach Rumänien, wo ich einiges auf der Besichtigungsliste stehen habe.

Ich lasse es bis auf den letzten Moment ankommen. Die Unlust auf das zu erwartende Verkehrsgerödel am Goldenen Horn liefert dann den Knock-out für einen weiteren Aufenthalt in Istanbul. Also Kurs auf die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke und dann auf dem kürzesten Wege nach Edirne. Gegen 17:30 h erreiche ich die Grenzstadt und die Hotelsuche gestaltet sich etwas schwierig. Am Ende lande ich in einer günstigen Straßenrandpension. Zum Schlafen reicht es, die Gastgeber sind sehr nett, eine türkische Familie aus Hamburg, arbeitet halb hier, halb in der deutschen Hansestadt. Was für ein Leben.

Duschen und dann ein richtig leckeres Abendessen irgendwo in der nahen Innenstadt und tatsächlich finde ich auch noch eine gute Bierbar. Auf beides habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut.

Spät wird es nicht, ich bin ziemlich platt und will nur noch schlafen, die letzten vier Tage stecken mir ganz schön in den Knochen. Auch das Reisetagebuch wird verschoben. Man muss Prioritäten setzen. Schlaft gut.

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