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Auszeit 2022 - Die Kaukasusreise

Etappe 3: Georgien, Armenien und bis zur iranischen Grenze

9. Juli 2022 – Verkehrskoller und ein Gläschen mit dem Polizeichef

Ich kann es vorwegnehmen, es wird ein Pflichtprogramm heute. Das letzte Stück von Sümela bis zur georgischen Grenze ist hässlich. Die Schnellstraße ist direkt an den Strand gebaut, der Strand ist kaum nutzbar, meistenteils nicht einmal erreichbar. Rechts und links Gewerbe und Kleinindustrie und auf dem Highway selbst Lastwagenstau in Richtung Georgien und Russland. Bereits dreißig Kilometer vor der Grenze beginnen die ersten Schlangen von Lastwagen, die auf ihre Zollpapiere und die Abfertigung am Straßenrand warten. Und Schlange heißt hier 10 bis 15 Kilometer. So geht das bis zur Grenze. Die Fahrer grillen, liegen in der Sonne oder reparieren ihre Trucks. Auch ich konnte meine Reifendruckkontrolle durch einen kleinen Trick an der Tankstelle reparieren, prima, jetzt blinkt nix mehr im Display.

Augen zu und durch. Der Grenzübertritt hat eine knappe Stunde gedauert, die Beamten sind hier reichlich genervt und unfreundlich. Macht mir den Stempel in den Passport und geht mir nicht auf die Nerven! Noch Kfz Versicherung kaufen, paar Euros tauschen und dann rutscht mir alle den Buckel runter. Nix wie weg!

Der Verkehr in Georgien ist abenteuerlich, die Straßen noch abenteuerlicher! So wie die hier fahren hängen die nicht an ihrem Leben und die Autos sind eh häufig Schrott, da können die Schlaglöcher auch so bleiben. Die Straßen werden hier nur überasphaltiert und die Gullideckel bleiben auf dem Ursprungsniveau, das sind keine Schlaglöcher mehr, das sind Kaninchenfallen!

Ihr merkt schon, ich bin ziemlich genervt und da ich jetzt zu allem Überfluss auch noch in die Rush Hour in Batumi komme und mein Öl kocht und die Autobahn unterbrochen ist und durch die Stadt geleitet wird, habe ich nur ein Ziel: Nix wie weg hier. Ich will in den Kaukasus!

Nach langen Straßen und konzentrierter Fahrt erreiche ich am Abend Abascha. Ich brauche nur ein Hotel zum Schlafen und ein Häppchen, mehr nicht. Einchecken im Hotel Nike, ein Straßenrandhotel mit dem Charme aus russischen Zeiten. Egal. Die alte Frau ist nett und ich habe eine Unterkunft für die Nacht.

Aber dann wird es doch noch ereignisreich.

Ich suche ein Restaurant für‘s Abendbrot. Dort steht ein Schild „Restaurant“ und an der Tür steht „Open“. Das sind zwei notwendige und hinreichende Kriterien. Aber mich erwartet kein Restaurant, sondern ich platze in den Geburtstag von Aleksandre hinein. „Nimm Platz und sei unser Gast!“. Die Tafel ist reich gedeckt und ich werde verwöhnt mit exzellenten georgischen Spezialitäten, deren Namen ich weder sprechen, schreiben noch behalten kann. Wir trinken auf Frieden, Völkerfreundschaft, Freiheit und Unabhängigkeit. Immer volle Gläser, immer auf ex. Es ist pathetisch und kommt von Herzen. Was sind das für leidenschaftliche Menschen. Ich bin beeindruckt.

Am Hotel wartet die Polizei auf mich und bittet mich, mein Motorrad in der Polizeistation zu parken. Das ist ein ernstzunehmender Hinweis. Ich erwähne, dass ich schon ziemlich abgefüllt bin. Das wird lächelnd abgewunken: „No problem!“ Also hinter den Ordnungshütern mit Blaulicht her und Moped in der Polizeistation geparkt. Der Polizeichef war zufällig anwesend und hatte schon seinen Sohn als Dolmetscher auf dem Handy und bittet mich auf ein Glas ins Büro. Da kann ich nicht nein sagen. Wir plaudern über Familie und die Welt und er schenkt mir als Welcome georgische Spezialitäten. Zwei selbstgemachte Würste und einen Schokoladenlikör. Ich habe mich noch nie in einem Land so willkommen geheißen gefühlt wie hier. Unfassbar!

Nochmal Blaulichtshuttle zum Hotel und dann zwecks Ausnüchterung schnell ins Bett. Es war ein langer, anstrengender Tag.

10. Juli 2022 – Endlich Kaukasus. Wow!

Ich brauche ein paar Tage Ruhe und möchte diese gerne in den Bergen im Kaukasus verbringen. Nichts wie weg aus dem Kaff hier. Moped bei der Polizei abholen. Leise davonschleichen sonst wird wieder gesoffen. Packen und dann schnell auf den Weg nach Mestia. Auch ohne GPS ist die Strecke ganz gut zu finden, nach etwa einer Stunde wird es gebirgiger, der Verkehr lässt nach und es geht aufwärts. Immer weiter. Die ersten Gipfel lassen sich sehen, die Fahrt macht jetzt richtig Spaß. An einem Aussichtspunkt halte ich an, dort steht schon ein Motorrad aus Freudenstadt. Es gehört Heinrich und wir quatschen etwas. Kurz darauf hält ein weiterer Biker, es ist Pavol. Was für eine Freude. Alle wollen nach Mestia und heute Abend trinken wir ein Bierchen zusammen. Dann fahren wir weiter, jeder in seiner Geschwindigkeit, so dass wir uns unterwegs verlieren, aber in Mestia werden wir uns zwangsläufig wiedertreffen.

Die Strecke ist faszinierend, immer neue Täler und immer neue Gipfel die sich für kurze Zeit zeigen und dann wieder verschwinden. Hinter jeder Kurve eine neue Sicht und die Straße geht einigermaßen, so dass ich gut vorankomme. Foto hier, Pause und Panoramakino dort, überall fließt Wasser aus den Bergen herab, so habe ich mir das vorgestellt.

Am Nachmittag erreiche ich Mestia, ein hübsches Touridorf mit viel Kultur und öffentlichem Leben. Überall stehen die typischen alten kaukasischen Wehrtürme, die zur Verteidigung der bewohnenden Familien dienten. Im Hintergrund ruht imposant der Berg Gistola mit über 4800 Metern Höhe und die Sonne scheint. Herrlich. Ich setze mich in ein Café mit Wifi und suche mir ein Hotel. Mit Balkon und Aussicht am ruhigen Dorfrand. Klappt! Der Laden ist zwar ausgestorben, aber was soll’s. Ich mache mich zivilisationstauglich und Pavol und ich treffen uns am Dorfplatz im Restaurant. Heinrich kam nicht mehr dazu, dafür ein anderer Deutscher, der gerade aus dem Iran heraufgekommen ist. Das war eine herbe Enttäuschung für mich, zu erfahren, dass die Grenzen zum Iran doch geöffnet sind. Die Informationen, die ich vom Auswärtigen Amt und der Iranischen Botschaft in Berlin hatte, waren, dass die Landgrenzen wegen Corona für den Privatverkehr weiterhin geschlossen sind. Stimmte nicht! Ich habe es natürlich sofort durchgerechnet, es ist abgesehen von den erhöhten Kosten leider ein ziemlicher Organisationsaufwand, alle Papiere und Dokumente inklusive CDP jetzt zu besorgen, um doch noch in den Iran einreisen zu können. Die Zeit würde mir davonlaufen und bis ins Landesinnere ist es nicht zu schaffen. Ich bin etwas frustriert und ärgere mich über mich selbst, dass ich trotz der offiziellen Auskünfte nicht hartnäckiger nachgeforscht habe. Damit muss ich jetzt leben. Wer weiß, ob ich hier noch einmal mit dem Motorrad hinkomme.

Es beginnt heftig zu regnen, das Filmfestival auf dem Dorfplatz wird abgebrochen und meine Regenjacke liegt unbenutzt im Hotel. Dann wird der Abend halt länger, zu erzählen haben wir genug, bis der Regen aufhört. Spät nutzen wir ein trockenes Zeitfenster um zu unseren Hotels zu kommen. Gute Nacht, gute Reise und vielleicht treffen wir uns ja unterwegs noch einmal wieder.

11. Juli 2022 – Unterwegs nach Stepanzminda

Was gestern noch so schön aussah ist heute Mist. Netz funktioniert nicht, also kann ich hier nicht schreiben oder planen. Hotel leer, Frühstück gibt’s also nicht. Ein paar trockene Kuchen stehen im Frühstücksraum rum, die standen gestern schon da. Ein Glas löslicher Kaffee, aber keine Tassen. Für den Preis? No! Auschecken! In dem Laden werde ich depressiv!

Ich fahre nicht wie Pavol weiter nach Ushguli, mit vollem Gepäck und meinen Kompromissreifen ist mir das zu riskant. Ich müsste außerdem alleine zurück, denn die Ostroute nach Kutaissi geht für mich nicht. Achtzig Kilometer Off-road ist mir dann doch eine Nummer zu heftig. Also heißt mein nächstes Ziel Stepanzminda. Das ist zwar Kilometerfresserei, aber da muss ich heute durch.

Es ist eine schöne Fahrt zurück aus den Bergen und unten fängt es jetzt richtig an zu schütten. Kurze Pause an einer trockenen Bushaltestelle, dann muss doch die Regenpelle raus. Igitt! Das Wetter ändert sich nicht bis Tblissi, die Straßen und Landschaften geben (bei dem Wetter) wenig her. Also kann es nur heißen, soweit wie möglich zu kommen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit bin ich schon auf der Georgischen Heerstraße, etwa 100 Kilometer vor Stepanzminda. Hier ist Lastwagenrallye nach Russland. Voll, laut, Dreck ohne Ende und gefährliche Überholmanöver wo es eben geht. Die knallen mit über hundert Klamotten die Berge runter und haben eiernde Räder. Kein Witz! Nicht eine der ganzen Schrottkarren hier würde auch nur im Ansatz irgendwelche mitteleuropäischen Sicherheitsprüfungen bestehen. Mindestens die Hälfte der Laster hier sind ausgemusterte deutsche Fahrzeuge, jetzt mit georgischen, türkischen oder russischen Kennzeichen.

Ich bin platt und nehme das nächst beste Hotel am Straßenrand. Es gibt gutes Essen, die Leute sind sehr nett und das Bett ist himmlisch. Gute Nacht.

12. Juli 2022 –Stepanzminda und der Kasbek bleibt verhüllt

Die restlichen 80 Kilometer nach Stepanzminda sind ganz beschaulich, wenn auch nicht so überwältigend wie nach Swanetien. Unterwegs mache ich einen kleinen Stopp, um mit der Seilbahn auf den Sadzelepass zu fahren. Der Wind weht heftig und die Aussicht auf die umliegenden Gipfel ist toll. Ich merke die dünne Luft sehr deutlich, immerhin ist das hier um die 3000 m hoch. Wieder unten mache ich mich auf die letzten Kilometer, die LKW Schlangen setzen sich weiter fort. Kein Wunder in der faktischen russischen Diktatur, wenn man keine vernünftigen Handelsabkommen und Transportabwicklungsprozesse hat.

Mein kleines Guest House liegt auf der Westseite des Tals, also der Seite der Morgensonne. Sehr nett empfängt mich die Besitzerin, das Zimmer ist hübsch mit schöner Aussicht und zur Begrüßung bekomme ich erst einmal hausgemachte Chinkali, das sind sehr leckere gefüllte Teigtaschen. Sie sind traditionell an der Seidenstraße verbreitet, im Himalaya heißen sie dann Momos.

Heute passiert nichts mehr, ich richte mich gemütlich ein und schaue immer wieder hinauf zum verhüllten Kasbek und der Dreifaltigkeitskirche. Früh geht’s ins Bett, ich habe etwas Schlaf nachzuholen.

13. Juli 2022 – Stepanzminda, kleiner Wandertag

Es sollen Tage der Ruhe und des Ausgleichs werden, was bedingt geklappt hat. Die Landschaft ist wunderschön, der Kasbek ist mehr als imposant. Heute mache ich mich auf, die Dreifaltigkeitskirche zu besuchen. Ich kann von meinem Guest House aus losgehen, es dauert circa anderthalb Stunden, dann erreiche ich die kleine Kirche auf dem grünen Gipfel. Der Weg ist etwas anstrengend, aber ganz schön. Es sind wenige Menschen unterwegs und die kleine aber wunderschöne Gergetier Dreifaltigkeitskirche ist ein Kleinod. Im Innenraum, in dem das Fotografieren verboten ist, sind dicht an dicht Bilder von Heiligen aufgehängt, deren Namen ich aber nicht lesen kann. Alle Texte sind ausnahmslos in Mchedruli oder Assomtawruli. Dennoch wirken die großen Porträts der Heiligen auch ohne das Wissen um ihre Namen sehr eindrucksvoll. Viele der Besucher beten hier vor ausgewählten Bildern und berühren danach jeden Bilderrahmen mit der Hand oder küssen die Glasscheibe. Sehr bewegend zu sehen mit welch tiefer Verbundenheit zu den Heiligen und mit welcher Ehrfurcht die Menschen ihren Glauben leben. Ich kann nur die Ruhe in der Kirche genießen und den Duft der vielen Bienenwachskerzen, die von den Besuchern mit einem Wunsch verbunden hier gegen einen kleinen Obolus angezündet werden.

Der große Kasbek hat immer noch seine Wolkenmütze auf als ich den Rückweg antrete. Ich gönne mir ein kleines Nachmittagsschläfchen bevor ich hinunter ins Tal laufe zum Abendbrot.

14. Juli 2022 – Stepanzminda, heute nix, nicht einmal ein Foto

Irgendwie bin ich ganz schön platt, ich bin jetzt ziemlich genau zwei Monate unterwegs und die Hitze der letzten vier Wochen war schon kräftezehrend. Hier in den Bergen sind die Temperaturen niedriger und die Nächte sind kühl, so dass ich gut schlafen kann. Und genau darauf freue ich mich. Das Frühstück ist um neun Uhr, eine komfortable Uhrzeit, da kann ich ausschlafen.

Das erste, was ich mache nach dem Aufstehen, ist einen Blick aus dem Fenster werfen, und zwar aus dem nach Westen, von wo aus ich den großen Kasbek sehen kann. Oder besser sehen könnte, wäre sein Gipfel nicht ständig von einer Wolke verhüllt. Auch heute ist es unverändert. Nichts zu machen. Schließlich möchte ich sehen, wo einst der gute Prometheus gefesselt war und wo ihm ein Adler täglich ein Stück seiner Leber herausriss. Nur weil er uns Menschen und Zeus zum Trotz dankenswerterweise das Feuer geschenkt hat, musste er diese Götterfolter erleiden. Bis, ja bis der tapfere Herakles den Titanen von seinen Qualen erlöste. Was für eine Geschichte.

Den Rest des Tages mache ich es mir gemütlich, in dem winzigen Kiosk an der Ecke gönne ich mir ein Stückchen Kuchen und hole Schreibrückstände auf. Ein Nickerchen am Nachmittag, damit die Konzentration erhalten bleibt und abends ein Spaziergang ins Tal zum einzigen Restaurant auf der Westseite von Stepanzminda. Den steilen Weg nach Hause lege ich bereits im Dunkeln zurück, die Luft ist ziemlich frisch, wie gut, dass ich einen warmen Fleece dabei habe.

Nein, es gibt kein einziges Foto heute. Morgen wieder.

15. Juli 2022 – Der Kasbek zeigt sich und buntes Tblissi

Heute ist es dann doch soweit, der Blick aus dem Zimmerfenster präsentiert mir den Kasbek wolkenfrei. Was für ein Koloss von erloschenem Vulkan. Ich bin beeindruckt! Und was für ein toller Start in den Tag. Frühstück und Bienchen ist schnell gesattelt, dann geht’s auf in die Hauptstadt Georgiens.

Von Stepanzminda nach Tblissi sind es zwei Stunden, ich muss noch einen Abstecher ins Autoviertel machen, eine Scheinwerferbirne ist mir durchgebrannt. Navi habe ich nicht für Georgien, also Strecke genau einprägen und ab und zu anhalten und prüfen. Leider fuhr ich hundert Meter zu weit und verpasste den Ersatzteilehändler. Dann war wieder Murphy an der Reihe. Unmittelbar hinter mir fiel ganz langsam ein großer Baum um. Die Polizei sperrte die Hauptstraße komplett und ich musste auf Umwegen zurück. Das in Tblissi, in diesem elend unorganisierten Chaos bei 37°C – och nee, muss das denn sein? Am Ende wurde alles gut, ich hatte meine Ersatzbirnen, war völlig durchgeschwitzt vom Stop and Go und auf dem Weg ins Hotel. Das war Gott sei Dank sehr einfach zu finden, allerdings über atemberaubend steile Gassen in der Altstadt. Die Frau an Rezeption des Hostels war völlig verpeilt, vielleicht lag das an meinem rassigen Bikergeruch oder sie war neu in dem Laden. Letzteres stellte sich dann später als die wahre Ursache heraus. Jedenfalls dauerte es ewig bis ich ins Zimmer konnte und unter die ersehnte Dusche. Furchtbar! Das ist so, als ob ein richtiger Kerl – sagen wir mal ein Motorradfahrer – so richtig Durst hat und der Zapfhahn klemmt...

Bin jetzt stadtfein und auf ins Getümmel. Zielloser Rundgang durch die Altstadt und den Meidan Bazaar (mit aa ist richtig). Hier ist ein Laden neben dem anderen, Musik von allen Seiten, bunt und sehr einladend. In den Straßen werden Eiscreme, Saft und Obst in Bechern verkauft, an der Ecke grillt jemand irgendwelche Spieße, vor der Sioni Kathedrale sitzen Frauen und besticken Souvenirs. Alles ist in Bewegung und voller Leben. Ich lasse mich treiben und lande in irgendeiner netten Bar und jetzt bekommt der Motorradfahrer endlich sein verdientes, kühles Bier. Ein Bildungsbier! Auf den Gläsern gibt es nämlich eine präzise Unterweisung zum Brauprozess. Lecker. Und wer es nicht versteht, muss eben noch ein Bier trinken...

Am Abend bin ich dann ein letztes Mal mit Pavol verabredet, dann werden sich unsere Wege trennen, Pavol muss Richtung Heimat. Ich darf weiterfahren. Wir suchen uns ein schönes Restaurant, natürlich draußen, natürlich mit georgischer Live Musik, wobei sich das „georgisch“ aber nur auf Frisur und Rasur der beiden Gitarristen bezieht, die Musik ist populäre spanische Gipsy-Musik. Auch schön!

Das Essen ist exzellent, wir unterhalten uns sehr angeregt bis Mitternacht und dann verabschieden wir uns. Safe Travels und noch eine schöne Reise und bleib gesund!

Im Supermarkt decke ich mich mit alkoholfreien Flüssigkeiten für die Nacht ein, meine Dachkammer ist heiß und im Hotel gibt’s nichts. Gute Nacht

16. Juli 2022 - Tblissi, Kampf gegen ein Vermächtnis und Stalins Wein

Guten Morgen, Tblissi! Ich bin völlig weichgekocht von der Nacht, der Fan hatte Nachtschicht ohne positiven Effekt und draußen wartet eine aufregende Stadt auf mich. Frühstück gibt’s in dem Laden hier nicht, also die steifen Knochen erst einmal heiß weichduschen und dann hinein ins Getümmel. Wie immer in „neuen“ Städten lasse ich mich treiben von Highlight zu Highlight. Friedensbrücke, Kulturzentrum, Regierungspalast, der sehr an den Reichstag in Berlin erinnert und das Zentrum für den Öffentlichen Dienst, nennen wir es einfach mal liebevoll die Regenschirmbehörde. Kathedralen, Seilbahn, Altstadt und der schiefe Glockenturm, den ich höchst amüsant und äußerst geistreich finde, insbesondere in seinen Details! Die gewagte Architektur in dieser Stadt ist ein Niederringen der sozialistischen Brutalität von Stadtgestaltung und ein verzweifelter Versuch, den Weg unumkehrbar zu machen in die betonierte und seelenlose Vergangenheit eines überlebten politischen Systems. Den strategischen Erfolg usque hodie mag jeder selbst beurteilen, bekanntlich wird ja jede neue Idee belächelt – bis sie Erfolg hat! Ich wünsche es den Georgiern von Herzen!

So verbringe ich den Tag, auch wenn ich weniger „schaffe“ als ich mir vorgenommen habe, denn die Hitze ist tatsächlich zermürbend und ich ziehe belüftete, schattige Sitzplätze in den zahlreichen Bars und Cafés vor und lasse einfach die Menschen an mir vorbeiziehen und das Treiben auf mich wirken. Und – wen wundert’s – ist auch hier die Grätsche sehr weit. Einerseits die luxussüchtigen, vornehmlich jungen Menschen, die in Ihrer offensichtlichen Einfältigkeit den Konsum und das Lifestyle zum Lebensinhalt gemacht haben. Mit geschätzt zwanzig Lenzen in der Vita sitzen ursprünglich gut aussehende Frauen in der ersten Reihe der repräsentativsten Lokale und lutschen mit ihren irreversibel verunstalteten Botox-Lippen an bunten Hookahs. Seht es mir nach, ich muss vom gepflegten Stil abweichen, ich könnte heulen und kotzen gleichzeitig! Eine Schändung der Schöpfung.

Andererseits gibt es die unübersehbare Kreativität mit der Intention, neue (Aus)wege zu finden. Mut zu Experimenten in allen Kulturbereichen, sei es Musik, Kunst, Architektur oder Kulinarik. Der gute Teil der präsowjetischen Geschichte wird dabei nie vergessen und immer ist der Optimismus zu spüren, aus den massiven, sowjetischen Altlasten, das Beste zu machen. Ich kann nur meinen Hut ziehen, vor soviel Engagement und Veränderungswillen. Diesen Tagesablauf könnte man zur Vertiefung beliebig oft wiederholen, ohne dass es eintönig würde. So vergeht auch der zu kurze Tag und endet mit einem bescheidenen, wunderbaren georgischen Dinner. So zumindest dachte ich mir das.

Aber da war dann noch dieser kleine Weinladen auf dem Heimweg. Straßenmusik gehört hier ganz selbstverständlich zum abendlichen Straßenprogramm, bei uns in Mittelauropa ein weitgehend ausgestorbener Kulturbestandteil. Eine Frau mit Gitarre sitzt vor der Tür der Vinothek und zupft und singt melancholische Lieder. Offensichtlich georgisch, obwohl es mich mehr an den portugiesischen Fadu erinnert, aber was macht das schon. Leidenschaft ist Leidenschaft. Ich bestelle mir ein Glas Wein, lausche einfach und lasse mich von den tragischen Melodien verzaubern. Marko, ein junger Slowake, setzt sich zu mir und wir beginnen zu plaudern. Die Meinungen sind kongruent – was auch sonst – und die Zeit vergeht unmerklich. Diverse skurrile Gestalten tauchen auf und verschwinden wieder, es wird gegrillt und die Spießchen werden verschenkt, die Rollen und das Spiel sind für uns nicht durchschaubar. Es gefällt uns. Nachdem ich einen angemessenen Obolus in den Hut geworfen hatte, fragt mich die Musikerin nun ständig nach meinen Präferenzen. Português? Español? Français? Georgian? Ist mir egal, das ist eh nicht unterscheidbar, aber immer schön! Möge sie einfach singen und spielen, es gefällt mir.

Und dann kommt wieder dieser Moment, in dem jemand „Heil Hitler“ ruft. Nur nicht „Hitler“, sondern in diesem Falle „Stalin“. Ein unauffälliger, aber grober, kleiner Mann holt aus dem Weinladen eine Flasche „Stalin-Wein“, mit Konterfeit und Lebensdaten des Diktators auf dem Etikett und schenkt sie mir. Stalin ist bekanntlich georgischer Herkunft und unter der Verblendung des Lokalpatriotismus wird ein totalitärer Diktator, der Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat, zum Markenbotschafter eines durchschnittlichen, alkoholischen Getränkes und lebt so in den schlichten Gehirnen schlichter Menschen weiter. Wie bedauerlich. Damit endet der Abend auch abrupt, die Frau an der Gitarre entschuldigt sich für das grobe Verhalten der Männer, denn der Wein soll plötzlich bezahlt werden und es entsteht Streit. Nix wie weg, schade!

Marko und ich leeren die Stalin-Flasche noch auf der Dachterrasse des Hostels, zugegeben, schlecht war er nicht, aber der Beigeschmack war unschön... Mit diesem Widerspruch wünsche ich eine Gute Nacht!

17. Juli 2022 – Sighnaghi, leider nur Fusel in der Wiege des Weins

Die Wiege des Weins und die Stadt der Liebe, weil man hier 24/7 heiraten kann, wegen der schönen Kulisse. Auf den letzten Ausläufern des Kaukasus in der Tiefebene von Kachetien thront das kleine Städtchen Sighnaghi. Umgeben von einer sehr gut erhaltenen Stadtmauer und gleich mit mehreren Kirchen ausgestattet, ist hier angeblich die Wiege des Weins. Seit Urzeiten werden an diesem Ort Weintrauben in im Boden versenkten Tongefäßen zu Wein vergoren. Viel mehr ist hier nicht los.

Trotz der großen Auswahl an Unterkünften, ist es nicht einfach, etwas Nettes zu finden. Das favorisierte Hotel mit Pool und Aussicht hatte sich schnell erledigt, die Besitzerin hat einfach keine Lust zu arbeiten. Ich werde von oben bis unten gemustert – ok, Biker sehen nach neun Wochen nicht mehr wirklich gepflegt aus, wenn sie vom Bock steigen - aber diese verwöhnte Lustlosigkeit und der strategische Aufruf von unverschämten Zimmerpreisen verderben jeden Spaß. Ich bekomme das auch anders hin! Schließlich habe ich ein Hotel mit Pool gefunden, hach, tut das gut ein paar Bahnen zu ziehen. Und das frische Bier wird am Pool serviert.

Später noch ein kleiner Spaziergang durch das historische Dorf, nun ja, es ist erwartungsgemäß recht touristisch, aber es gefällt mir und die Menschen sind unglaublich freundlich hier. Auf Nachfrage darf ich sogar Fotos machen. Überall wird Weinverkostung angeboten, aber da es schon später Nachmittag ist, ziehe ich es vor, mir lieber einen guten Tropfen zum Essen zu bestellen. Dabei bin ich allerdings etwas irritiert, denn in der Speisekarte sind die Weine nur mit Literpreisen angegeben. Zehn Lari für einen Liter, das sind gerade mal 3,30 Euro. Verdächtig! Ich bestelle den teuersten, probieren wir es erst einmal mit einem Glas. Kluge Entscheidung! Das Glas war randvoll und lauwarm und das bei einem leicht süßlichen Weißwein. Schmeckte etwas spritig und ungestüm. Zusammenfassend: Önologie, Präparatives Praktikum, zweites Semester. Bäh! Nein, nein, das Restaurant war schon eines der besten am Ort. Sei’s drum.

Den Absacker gönne ich mir in einer wunderbaren Bar mit einer herzlichen Bedienung, der nette Boy war hin und weg, als ich von meiner Berliner Zeit berichtete. Was für ein schöner Abschluss des langen Tages. Herrlich!

18. Juli 2022 – Einreise Armenien und eine lange Fahrt nach Martuni

Heute erreiche ich Armenien, ein neues Land, über das ich ehrlich gesagt gar nicht soviel weiß. Es ist die letzte Etappe vor dem Iran, in den ich leider nicht einreisen kann, da meine Informationen falsch waren und ich nicht alle notwendigen Papiere zusammen habe. Sehr bedauerlich, aber machen wir das Beste draus. Der Grenzübergang ist ganz geschmeidig, die Beamten sind sehr freundlich, allerdings mit der Verzollung meines Motorrades sehr bürokratisch und kompliziert. Ein heiteres Gestempel und Getackere, am Ende unterschreibe ich etwas Unlesbares und werde mit dem Wort „Finish“ verabschiedet. Wenigstens muss ich nichts bezahlen, dazu habe ich nämlich auch schon andere Geschichten gehört. Flott noch das Moped bei den Wegelagerern hinter der Grenze versichern, ich zahle in gemischten Währungen und werde so meine monetären Restbestände los. Es reicht aber nicht und der Agent meint, es sei schon in Ordnung und erlässt mir glatte 10% des Versicherungsbetrages. Das lässt Rückschlüsse auf die Marge zu. Wieder dreimal was Unlesbares unterschreiben und weg bin ich.

 

Das Ziel ist heute die Stadt Sewan am Sewansee. Es soll sehr schön sein dort, schöne Landschaft und schwimmen kann man auch. So jedenfalls bestätigten das einige Georgier, wenn ich davon erzählte. Machen wir es kurz: Grausam! Der Ort Sewan ist ein Konglomerat von riesigen Industrieruinen, völlig kaputten Straßen und nagelneuen Straßen in Neubauvierteln, in denen keine Menschen sind. Betonbunker werden bezugsfertig in die Außenbezirke gegossen, ein riesiges Hotelgerippe steht wie ein Wahrzeichen auf einer Anhöhe. Viel zu nah ist die Schnellstraße am Strand, als dass man hier eine erholsame geschweige denn eine gemütliche Bleibe finden könnte. Heruntergekommene Strandbars mit vielversprechenden Beinamen wie Paradies oder Heaven wechseln sich ab mit quietschbunten Strandbedarf-Shops, in denen es nur Plastikmüll gibt, der ohnehin nicht länger als einen Kurzurlaub halten dürfte. Au Weia! Wohin jetzt? Denn diesen Frust tue ich mir nicht an, hier zu übernachten. Da bleibt nur, einfach weiterzufahren bis zum nächsten Durchgangshotel. Trotz der schönen Strecke, die sich die ganze Zeit am Seeufer entlangwindet, bin ich etwas besorgt, was meine Unterkunft angeht. Es ist schon spät, in zwei Stunden geht die Sonne unter und ich bin in der Einöde. Viele Hinweisschilder auf Hotels oder Campingplätze sind Relikte aus besseren Zeiten und führen ins Leere oder zu Ruinen. Erst siebzig Kilometer weiter, in Martuni am südlichen Ende des Sewansees finde ich mit Mühe ein Hotel. Ein einziges. Alle anderen kartierten Unterkünfte stehen leer oder existieren nicht mehr. Was soll’s, das Zimmer ist sehr gut und ein Restaurant gibt es auch, wenn auch etwas befremdlich, dass jede Gästegesellschaft ein eigenes Esszimmer bekommt. Das kenne ich so nur aus dem Oman und finde das mehr als einsam, alleine bei geschlossener Tür zu speisen.

Das war’s auch schon für heute, einige schöne Streckenabschnitte habe ich in meinem kleinen Kurzfilmchen gezeigt, das ihr auf Youtube unter „freibildzone“ findet. Morgen geht’s weiter und ich bin voller Zuversicht, dass es wieder toll wird.

19. Juli 2022 – Alles wird besser, es geht nach Meghri

Nachdem es gestern eher wie ein Pflichtprogramm war, sollte es heute eine zwar lange, aber sehr schöne Tour werden. Die ersten Kilometer sind etwas beunruhigend, da die Straßen eine Katastrophe sind. Völlig zerstörte Beläge, Dreck, Staub, Schlaglöcher, Schotter, Sand und mittendrin Speed Bumps. Wozu man die bei diesen Straßen noch braucht ist mir ein Rätsel. Außerhalb der Dörfer ist es nicht viel besser, sollte sich das nicht bessern, werde ich drei Tage nach Meghri brauchen. Doch es bessert sich spürbar, als ich auf die Verbindungsstraße Yerevan-Meghri einbiege. Die Landschaft bis hierher war atemberaubend schön. Diese unendlichen, baumlosen Hochlandsteppen mit ihren üppigen Blumenwiesen und der seicht geschwungenen Topografie sind eine Augenweide. Immer wieder werden sie unterbrochen durch Felsenstrukturen, die von steinigen Ansammlungen bis zu tiefen Canyons reichen. Und mittendrin die Straße, die sich diesem Relief unterwerfen muss. Lange und kurvenreiche Serpentinen klettern zu den Pässen hinauf und an der anderen Seite wieder hinunter. Die tiefste Schlucht, die es zu überwinden gilt, ist die beim Kloster Tatew. Zwar wird sie überspannt von der längsten Freiseilbahn der Welt, aber das Vergnügen nützt mir nichts. Kehre für Kehre komme ich dem Grund der Schlucht näher, in dem sich auch die Teufelsbrücke befindet. Sie ist eine natürliche Brücke, unter der sich der Fluss Bazarcay mit seinem kristallblauen Wasser seinen Weg bahnt. Auf der anderen Seite geht es nicht minder steil wieder nach oben, bis ich am Ende das Kloster Tatew erreiche.

Ich gönne mir eine kleine Pause und genieße die Aussicht. Gute Entscheidung, denn die restlichen Kilometer bis nach Kapan sind recht anstrengend. Die Straße ist eigentlich nur eine kleinere Nebenstrecke und dem Verkehr – insbesondere dem Lkw-Verkehr – gar nicht gewachsen. Jedoch ist sie auch die einzige Verbindungsstraße zwischen Nord und Süd, da die große östliche Straße von russischen Soldaten kontrolliert wird und nicht jeder passieren darf. Alles Kriegsfolgen von 2020.

Hinter Kapan geht es noch einmal hinauf in die Berge, es wird sogar richtig frisch, dann folgt eine lange entspannte Abfahrt bis ans Ziel nach Meghri. Die ziemlich steile Anfahrt zum Guest House ist noch das i-Tüpfelchen, ich parke etwas unteralb, die Off-road Zufahrt ist nicht schaffbar, wer sich hier lang macht, rutsch zurück bis auf Los.

Ich bin am entferntesten Punkt meiner Reise angekommen, das Guesthouse „Khachats Toun Heritage“ ist ein historisches Kleinod. Direkt an der Kirche in Pokr Tag, dem alten Teil Meghris gelegen, gibt es hier u.a. noch einen Erdofen zu besichtigen und wer Glück hat, kann diesen auch noch in Aktion erleben auf einer der vielen kulturellen und traditionellen Veranstaltungen.

Dieser Tage ist nichts Besonderes los, was Shahane – der Besitzerin – und mir viel Zeit gibt zu quatschen. Ich lerne über die Geschichte Meghris, die alltäglichen Besonderheiten der immer noch unruhigen politischen Lage. Dabei genieße ich einen starken armenischen Kaffee und die wunderschöne Aussicht von hier oben auf die grüne, oasenhafte Stadt in den Bergen. Zwei Tage Pause in herrlicher Umgebung.

20./21. Juli 2022 – Meghri

Wie gesagt, ich brauche eine Pause. Ausschlafen, nichts tun und in der Sonne sitzen, schreiben, waschen, lecker essen und quatschen. Nun ist es leider so, dass ich das Granatapfeltal in Nrnadzor nicht besuchen darf, da die Region von den Russen gesperrt wird. Zuviel Menschen haben dort unter dem Vorwand kultureller Reportage gefilmt und dann politische Propaganda aus dem Material gemacht. In Nrnadzor gibt es die angeblich besten Granatäpfel der Welt und viele andere Früchte von außergewöhnlicher Qualität. Das schöne Tal ist eine Sackgasse und liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu Aserbaidschan entfernt und da der jüngste Krieg von 2020 noch immer unverheilte Wunden hat, sind auch die territorialen Begehrlichkeiten in den Grenzregionen noch nicht verschwunden und die Akzeptanz des vereinbarten Friedens noch nicht in allen Köpfen etabliert. Tja, nach der verhinderten Einreise in den Iran die zweite Enttäuschung. Bleibt noch die wunderschöne armenische Kirche Meghru Vank oberhalb von Khachats Toun, ich bin begeistert von den Fresken und nehme mir die Zeit, eine Weile dort zu sitzen und die Stille zu genießen.

Abgesehen davon, dass Meghri ohnehin nicht mit Touristenströmen gesegnet ist, kommen nicht viele Menschen hier herauf. Die Nächte sind warm, am besten schlafe ich in den Morgenstunden, alles in allem zwei wunderbare Tage hier am Aras.

22. Juli 2022 – Das Kloster von Noravank und ein Grundsatzgespräch

Bevor ich Meghri verlasse und mich wieder in Richtung Norden aufmache, drehe ich noch eine Runde an der iranischen Grenze. Hohe Wachtürme sind weithin sichtbar, Militärpräsenz und nach wenigen Kilometern an jeder Straße Schlagbäume. Außer zum armenisch-iranischen Grenzübergang kommt man hier überhaupt nirgendwohin. Stacheldraht, Elektrozäune und Hunde sichern das Ufer des Aras bereits auf armenischer Seite. Mir erscheint das alles absurd, wenn ich die Menschen betrachte, die hier leben. Was macht das mit ihnen, die Präsenz dieser martialischen Machtabgrenzung täglich zu spüren. Auch wenn es einfach ist als Armenier bzw. Iraner zum Shoppen „mal rüberzufahren“.

Schweren Herzens mache ich noch ein Erinnerungsfoto und drehe um Richtung Yerevan, das Ziel für heute oder morgen. Je nachdem, wie weit ich komme. Es geht die gleiche Strecke zurück, die ich gekommen bin, die einzige Alternative von Kapan nach Goris ist ebenfalls von den Russen gesperrt, aus den gleichen Gründen wie oben bereits beschriebenen. Subjektiv geht es viel schneller zurück als die Herfahrt dauerte, dennoch ist Yerevan in einer Tagesetappe nicht zu erreichen. Am späten Nachmittag mache ich in Areni Zwischenstopp und besichtige bei Abendsonne noch das Kloster Noravank in den Bergen. Was für ein exponierter Ort für diese kleine Kirche. Ich kann es immer noch nicht ganz nachvollziehen, was Menschen bewegt, derartige Mühen auf sich zu nehmen, an solch kaum zugänglichen Orten Kirchen und Klöster zu bauen.

Eine ganze Weile verbringe ich in Noravank, bevor ich in Areni ein kleines Weingut entdecke, das auch Zimmer vermietet. Das Abendbrot besorge ich mir im Supermarkt, denn ich bin der einzige Gast und ich habe es abgelehnt, dass nur für mich die ganze Küche angeschmissen wird. Stattdessen serviert mir der Junior mehrere seiner Hausweine zum Probieren. Der Weiße gefällt mir sehr gut und begleitet mit ein paar Gläschen mein einfaches Abendessen. Es schließt sich ein spontanes Gespräch mit dem alten Herrn an, er spricht gut Englisch und wir reden über die Geschichte und den politischen Alltag seit dem Zerfall der Sowjetunion. Zur Ukraine sind wir uns einig und überhaupt, das ganze Unheil liegt in der Vermischung von Kultur, Religion und politischen Interessen und dem damit verbundenen Missbrauch im Dienste des Machtgewinns und der Manipulation der Massen. Das sehr bewegende Gespräch endet mit beidseitiger Sprachlosigkeit und einvernehmlichem Kopfschütteln. Für mich ein weiterer Beweis unter hunderten für meine These, dass die Menschen dieser Welt in ihren ganz persönlichen Werten und Bedürfnissen überhaupt nicht weit voneinander entfernt sind und dass weder der ethnische, noch der religiöse Hintergrund dabei eine fundamentale Rolle spielen. Was für ein anregender Abend. Gute Nacht.

23. Juli 2022 – Yerevan hätte ich mir sparen sollen...

Der Tag beginnt mit einem grandiosen Frühstück und der Besichtigung des ältesten Weinkellers der Welt. Oder besser, der ältesten Weinhöhle der Welt. Hier in Areni hat man nachweislich die ältesten Funde der Winzerei entdeckt. Damals vergor man Trauben in Tongefäßen in der Erde. Diese Zubereitung stand im engen Zusammenhang mit Begräbnisritualen, da sind sich die Archäologen einig. Datieren konnten die Wissenschaftler diese kleine Höhlenansiedlung auf 4000-3800 v.Chr., also etwa 6000 Jahre alt. Unglaublich!

Und dann geht’s auf nach Yerevan. Unmittelbar am letzten Zipfel der iranischen Grenze, dann an der geschlossenen Grenze der Türkei entlang Richtung der Hauptstadt von Armenien. Lange Zeit begleitet mich auf der linken Seite der gigantische Berg Ararat, er steht in der Türkei. Nach den biblischen Überlieferungen soll einst Noah mit seiner Arche hier gestrandet sein, das war ganz bestimmt so, betrachtet man nur diesen Riesen von Berg mit über 5100 Metern und dem immer schneebedeckten Gipfel. Ein bleibender Eindruck!

Da es heute nicht so weit ist zum Ziel, habe ich noch einen Abstecher nach Garni eingebaut, zur „Symphony of Stones“. Riesige Basaltschichten sind vom Azat in Jahrtausenden freigelegt worden. Die perfekt penta- und hexagonal kristallisierten Säulen entstanden aus der Lava des Ararat. Ein Spaziergang am Fuße der bis zu fünfzig Metern aufragenden Formationen ist ein echtes Erlebnis und führt einem das Potential eines großen Vulkans sehr deutlich vor Augen. Oder man heiratet einfach mal wieder darunter – zumindest für’s Familienalbum.

Und dann kommt Yerevan. Irgendwie läuft es nicht rund. Es beginnt mit ein paar Rotzlöffeln, die kurz vor Yerevan mit drei Eimern Wasser am Straßenrand lauern und sie mir bei voller Fahrt entgegenschütten. Hatte ich auch noch nicht! 25 Liter Wasser frontal bei 80 Sachen aus der Deckung, das knallt ganz schön! Kurz umgedreht die Dorfstraße rein und die Brüder in Abwesenheit zusammengeschissen, so dass es alle mitbekommen. Die Feldarbeit wurde kurz eingestellt und eine Frau schien den Sachverhalt verstanden zu haben und entschuldigt sich stellvertretend. Ja, schon gut! Zur Strafe für die Täter gibt’s hoffentlich drei Wochen einhändiges Ziegenmelken oder irgendetwas in der Art...

Aber nicht genug, es geht weiter mit der Betankung meines Motorrades am Stadtrand von Yerevan. Die Tankprofis übernehmen das. Abgesehen davon, dass ich nicht wissen möchte, was Bienchen so alles verbrennen muss, ist die Technik hier nicht die modernste und das Personal eher wichtigtuerisch als kompetent. Und so überfüllt der Vollpfosten von Tankwart meinen Tank, weil er mit Quatschen beschäftigt ist und die demontierte Abschaltautomatik an der Pistole nicht im Griff hat. Es sprudelt und schießt plötzlich eine Fontäne von mehreren Litern Benzin aus meinem Tank über das ganze Moped und auf die glühend heiße Maschine. Es zischt und stinkt beißend nach Benzin und mein einziger Gedanke ist: „250 bis 500°C!“ Das ist der Zündpunkt für Benzin und das haben die Krümmer nach 200 km allemal. Die Katastrophe kann sich jeder ausmalen, sie ist Gott sei Dank nicht eingetreten. Der Tankwart schlurft los, um Wasser zu holen und der Tankstellenchef bedrängt mich, schnell meine Maschine wegzufahren, da eine Russenlimousine hinter mir wartet betankt zu werden. Ich bin stocksauer und falte den Kollegen auf Deutsch zusammen. Habe ich ja heute schon geübt. Die Russenkiste habe ich weggestikuliert, der tankt heute woanders und mein Moped wird jetzt erst einmal von den Burschen saubergeduscht. Dass der Tankstellenkasper nach dem Bezahlen überhaupt ein knirschendes „Sorry“ über die Lippen bringt, erstaunt mich. Natürlich habe ich den verspritzten Liter Benzin auf der Tankuhr mitgezahlt. Egal, ich bin heilfroh, dass Bienchen nicht abgefackelt ist und mache, dass ich wegkomme. Dann fährt mich fast eine Oma aus der Seitenstraße über ‘n Haufen, ein Stück weiter legt ein Depp von Taxifahrer entgegen alle Gepflogenheiten schon bei Gelb eine Vollbremsung hin. Ich komme so gerade noch drum rum und der restliche Verkehr fährt dann noch ein Bisschen bei Rot an dem wartenden Taxi vorbei. Au Weia!

Jetzt Hotel. Auch das ist nicht so einfach zu finden, denn Hinterhöfe sind hier als Straßen auf Stadtplänen eingezeichnet, da muss man erst einmal drauf kommen. Ich klingle, ältere Frau öffnet, versteht aber gar nichts, auch keine simple Gestik. Sie holt älteren Mann, der versteht ein paar Worte, kann aber meine Zeichensprache deuten und er kann mit einem Smartphone umgehen. So gibt er meinen Wunsch fernmündlich an eine dritte Person weiter. Dieser lautet: Eine Person, eine Nacht, wie teuer? Am Ende des langen Telefonats hängt er ein und es kommt kein erwartetes Ja oder Nein, sondern eine quälend mühsame Antwort, es täte ihm leid, aber es sei alles voll. Der Laden war wie ausgestorben und die Türen der leeren Zimmer standen offen. Die haben keinen Bock für eine Nacht zu vermieten. Sollen sie doch gleich sagen... Geht schneller.

Im Hostel gegenüber ist es auch nicht einfacher, die schrecklichen Details erspare ich Euch. Ich bekomme ein Zimmer, aber alles ist furchtbar kompliziert. Der Hauslakai klopft sogar an meine Tür als ich die Sachen gerade raufgeschleppt habe und möchte sofort bezahlt werden, er kann aber nicht wechseln. Ich solle doch Kleingeld besorgen. Ich habe ihn auf Deutsch gefragt, ob er noch ganz bei Trost ist, bei 39€ auf Fünfzig rauszugeben sei ja nun nicht unverhältnismäßig. Und plötzlich geht’s. Parken darf ich vor der Garage. Ich darf es vorwegnehmen, es funktioniert aber nicht, weil abends nämlich die aufgespritzte Tussi von Chefin mit ihrem zerschrammten weißen China-SUV auftaucht und vor ihrer Garage parken will. Die Riesenkarre kriegt sie aber nicht gerade eingeparkt und steht halb auf der Straße. Beim Rückwärtsfahren in der Fahrschule war sie vermutlich krank oder gerade bei der Botox-Behandlung. Unfassbar!

Zur Ablenkung jetzt ein kleiner Stadtrundgang, ich bin gespannt. (Eine Stunde vorspulen): Die Stadt hat äußerlich nix zu bieten, Gott ist das schrecklich. Der prominente Platz der Republik ist etwa ein Hektar Asphalt mit Betonumrahmung, der Wasserdruck in den Pools reicht nur für einen von drei Springbrunnen und irgendwie könnte hier alles mal feucht durchgewischt werden. Der viel umschwärmte Cascade Complex ist uncharmant, mir erschließt sich das architektonische Konzept nicht, das ist irgendwie alles sozialistisches Klotzwerk. Alles ist dunkelgrau und schwarz und verdreckt und verrußt (verrusst wäre auch nicht falsch, aber das ist ein anderes Thema).

Dennoch, ein echtes Highlight habe ich gefunden. Es gibt sehr viele kreative Bars, Pubs und Musikkneipen. Auch die Restaurants sind sehr einladend, leider konnte ich nur eins ausprobieren, aber das war richtig toll. Bei den Bars hatte ich mehrere Möglichkeiten, da ist es fast schon schade, dass ich nicht länger hier bin.

Mein liebes Yerevan, Du hast noch große Aufgaben vor Dir. Viel Erfolg!

24. Juli 2022 – Ade Armenien und noch einmal kurz Georgien

Früh raus und als hätte es gestern noch nicht gereicht haben sie mir über Nacht die Fernsteuerung für meine Helmkamera vom Moped geklaut. Saubande! Es ist Sonntagfrüh und scheinbar Straßenreinigungstag. Tankzüge mit Wasserwerfern fahren die großen Straßen entlang und bespritzen alles mit meterhohen Fontänen von Wasser. Als Mopedfahrer unmöglich zu überholen, ich wäre in Sekunden klatschnass. Noch gefährlicher ist aber dieses schmierige Dreck-Wassergemisch auf der Fahrbahn. Mein hinteres ABS reagiert bei einer Bremsung vor einer roten Ampel sofort, ich wähle trockene Nebenstraßen, was für eine Sauerei und sauber wird’s davon auch nicht in der Stadt.

So, das war’s mit Pechsträhne, jetzt wird’s wieder schön. Angenehme Temperaturen und die Straßen nach Georgien sind gut befahrbar. Die Grenzzeremonie ist kurz, die Beamten sind sehr freundlich und nach 25 Minuten bin ich in Georgien auf dem Weg nach Wardsia. Es ist genug Zeit für einen Besuch des prächtigen Tals und der Höhlen und eine nette Unterkunft finde ich auch. Abendbrot gibt’s an der großen Tafel. Drei Niederländische Rentner unterwegs mit den Öffentlichen (Respekt!), eine zurückhaltende Russenfamilie und ich. Lecker ist es, bis auf den Wein und den Chacha (traditioneller Tresterbrand), den hätte ich im organisch-chemischen Praktikum sauberer fraktioniert bekommen! Ich entsorge die Getränke unauffällig und simuliere den Konsum selbiger (sieben Jahre Schauspielerfahrung!). Aceton und kurzkettige Ester, nein danke! Davon abgesehen saufen die hier eindeutig viel zu viel. Die Trinkrituale sind dermaßen institutionalisiert, wie ich es noch nirgendwo anders erlebt habe. Jeder banale Anlass ist gerade recht und wird pathetisch zum temporären Sinn des Lebens avanciert und dann hoch die Tassen. Immer ein ganzes Glas, immer auf ex, sonst erzürnen die Götter der Leberzirrhose. Nach dem fünften Becher beginnt dann jeder Satz mit „My friend...“, die Glaubwürdigkeit stelle ich mal in Frage, denn schon am nächsten Morgen beim Bezahlen beginnt dann wieder dieses ewige Gerangel um das Missverständnis zwischen fifteen und fifty. Ich muss mir endlich angewöhnen, nach der ersten Preisverhandlung sofort zu bezahlen, allerdings werden dann gerne mal die Leistungen reduziert. Wie man’s macht, kann es verkehrt sein. Glücklicherweise sind nicht alle Gastgeber so hinterlistig, die meisten sind fair.

Die anschließende stille Nacht ist kühl und stockduster in den Bergen, eine Wohltat.

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