🇮🇹 Pompeji
Es war kein gewöhnlicher Tag...
"Interim e Vesuvio monte pluribus locis latissimae flammae altaque incendia relucebant, quorum fulgor et claritas tenebris noctis excitabatur."
(Plinius der Jüngere, Epistulae 6.16)
Inzwischen erstrahlten vom Vesuv an vielen Stellen weite Flammenfelder und hohe Feuerbrände, deren Blitzen und Leuchten durch die Dunkelheit der Nacht gesteigert wurde.
Freitag 13. September 2024 - Autobahn und Serviettenknödel
Auf das, was Plinius uns berichtet, komme ich ausführlich in ein paar Tagen zurück, denn zunächst muss ich ja erst einmal mit Bienchen dorthin, wo sich vor fast zweitausend Jahren alles ereignete: Zum Vesuv, zu den Phlegräischen Feldern, nach Pompeji.
Es ist Freitag der dreizehnte - und das ist ein Glückstag - ich reise wieder. Zusammen mit Bienchen, meinem Motorrad und neuen Zielen, von denen eines seit fast fünfzig Jahren auf meiner Wunschliste steht: Pompeji. Vergangene Nacht habe ich mit Mühe meine übliche Urlaubsliste abgearbeitet, was Voraussetzung dafür ist, dass ich mit ruhigem Gewissen für vier Wochen verreisen kann. Ich notiere über dieser Liste immer die Überschrift "Urlaub", denn dann weiß ich, wofür ich mich so abrackere. Auf dem Boden lagen schon seit Tagen ausgewählte Kleidung, Technik und Motorradklamotten, wenige wichtige Dinge mussten gestern noch ergänzt werden und dann sortierte ich alles nach bewährtem System in die drei Innentaschen meiner Motorradkoffer. Da ich das schon hunderte Male auf Reisen praktiziert habe, war der ganze Job in knapp zwei Stunden vollständig erledigt. So blieben noch fünf Stunden Schlaf und heute soll es möglichst früh losgehen. Die Sonne scheint, für ein ausgiebiges Frühstück bin ich zu aufgeregt, außerdem ist nicht mehr viel im Kühlschrank. Ein Ei, Milch für den starken Kaffee und etwas Joghurt fürs Müsli. Das sollte vorhalten. Das Beladen meines Motorrades ist eine ebenso eingespielte Prozedur wie das Packen, fast choreografisch verschwinden die wenigen Sachen in den Koffern, die blaue Wasserflasche wird hinten angebunden, Navi wird angeklemmt, fertig! Fünf Minuten Besinnung auf dem Sofa, ob ich nichts vergessen habe, dann geht's los. Ein zweiter Kaffee noch mit Schwester und Schwager - lag auf dem Weg - und um etwas nach elf verlasse ich die frühherbstliche Heimat. Ein wunderbares Gefühl, vollbeladen mit Bienchen wieder auf der Straße zu sein.
Wie immer am ersten Reisetag folgen viele Stunden deutsche Autobahn ohne große Abwechslung, aber auch ohne große Hindernisse, was mich zügig vorankommen lässt. Eine Freundin im Allgäu, die mir ein gemütliches erstes Nachtlager bieten wollte, wurde leider krank. Wie schade, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Also fahre ich mit leicht geänderter Route soweit wie ich komme. Und das bestimmt heute das Wetter. Bevor mich der drohende Regen erwischt, buche ich ein Wellnesshotel in Wolfegg. Der Ort kam bisher in meinem Leben noch nicht vor und das Hotel ist ein Glücksgriff. Ich werde mit allem Komfort verwöhnt, der nach acht Stunden die nötige Erholung schafft. Zwar komme ich mir unter den etwa einhundertfünfzig pensionierten Wellnessgästen vor wie in meiner Reha letztes Jahr, aber was soll's, das Leben geht in dieser Gesellschaft beschaulich langsam und absolut hektikfrei. Geduscht, gekämmt und hungrig mache ich es mir im Restaurant gemütlich, man grüßt mich als Neuankömmling, so freundlich kann man empfangen werden. Dann nähert sich der Kellner auch schon mit einer großen Karte und geschickt zündet er das tief in einem Glas stehende Teelicht mit einem langen Streichholz an. "Danke sehr, ich nehme ein alkoholfreies Weizenbier, bitte nicht so kalt und zu Essen schaue ich mal." Der Kellner nickt freundlich und erinnert mich dabei irgendwie an Freddie Frinton, ja richtig, das ist der Butler aus Dinner for one. Ich muss lachen.
Ach, was für eine Freude. Serviettenknödel mit Pilzrahmsauce von der Seniorenkarte. Das kann ich sehr gut essen, das gab's manchmal bei Schwiegermutter und ist sogar veggie. Ich bin im Glück, denn mit meinem verstrahlten Hals ist das beste Restaurantangebot oft nur eine Qual, aber daran will ich heute nicht denken. Da kommt auch schon Freddie mit meinem Bier und freut sich, dass ich etwas zusagendes gefunden habe. Und was soll ich Euch sagen, wenige Minuten später steht ein großer Teller mit einem prächtigen Serviettenknödel in Scheiben vor mir, übergossen mit gehaltvoller Pilzrahmsauce und frischem Gemüse, so, wie es sein muss. Ich bin begeistert, genieße mein üppiges Mahl bis zum letzten Pfifferling, den ich sogar schmecken kann. Schmeckt nach Pilz - klar, wonach sonst.
Es folgt eine stille, traumlose Nacht bei geöffnetem Balkonfenster, nur das gleichmäßige Rauschen des Nieselregens ist zu hören. Zugegeben, nicht das Lieblingsgeräusch eines Motorradfahrers, aber bis morgen früh ist es noch lang und wenn der Regen nicht aufhört, dann kann ich das auch nicht ändern. Also, gute Nacht, meine Reise nach Pompeji hat begonnen.
Samstag, 14. September 2024 - Moderner Ausdruckstanz und Regenritt
Die Alpen im September zu überqueren kann schonmal ein unberechenbares Unterfangen werden. Und so geht es mir heute. Schon seit Tagen besteht ein ungemütliches bis gefährliches Vb-Tief über den Ostalpen. Am Brenner schneit es und die Temperaturen liegen wenig über dem Gefrierpunkt. In der Schweiz ist es etwas besser, dort verdrängt das Westeuropahoch die kalte Luft Richtung Osten. Aber gut ist das Wetter dennoch nicht. Die Vorhersagen prognostizieren übereinstimmend mittlere Regenwahrscheinlichkeiten, aber nicht so niedrige Temperaturen wie in Österreich. Egal wie ich mir meine Fahrzeiten zurechtlege, ich habe gute Chancen, dass es mich erwischt. Zumindest für ein bis zwei Stündchen.
Ausgeschlafen und nach einem guten Frühstück klettere ich in meinen Motorradanzug incl. wärmendem Inner Layer. Die Pelle - so nennen wir Mopedfahrer die Regenkombi - lasse ich noch aus, die Hoffnung stirbt zuletzt. Als ich die Tiefgarage meines Hotels verlasse, haben wir so einen ich-weiß-nicht-Himmel. Könnte trocken bleiben oder auch so richtig losschütten. Auf zur Autobahn, solange es trocken ist und dann einfach nur Kilometer schruppen. Bregenz, Vaduz, Chur, San Bernardinotunnel, Chiasso. So der Plan. Der Schweizer Grenzpolizist nötigt mir ein Grüß Gott ab, dann winkt er mich durch. An der erst besten Tankstelle kaufe ich für satte vierzig Fränkli die obligatorische 2024-Vignette, dieses Jahr in frischem Grün, das nicht ganz so gut mit Bienchens Sonnengelb harmoniert. Trotz meines guten Timings und den vielen Bitten ans Universum erwischt mich der Regen nur kurze Zeit später bei Oberriet. Nächste Tanke raus, jetzt ist es unvermeidlich, die Pelle muss drüber, der Regen ist zu stark. Doch nicht genug, gleich mit dieser engen Plastikhaut fahren zu müssen, ich erlebe heute zum ersten Mal wie fast unmöglich es ist, mit beidseitig durchtrennten Nervi accessorii diesen unkleidsamen Einteiler überhaupt anzuziehen. Da ich meine Arme seitlich nicht mehr über 50° elevieren kann, muss ich strategisch anders vorgehen als üblich. In die Hosenbeine der Kombi einzusteigen funktioniert, die Ärmel finde ich auch noch. Aber wie jetzt über die Schulter? Ich beuge mich weit nach vorne und versuche mit den Händen meine Füße zu berühren, nach oben wie bei einem Kopfsprung ins Wasser gehen die Arme nicht mehr. In der Hoffnung, dass die Gummihaut über die Schultern rutscht, wiederhole ich diese Figur mehrmals. Schrittweise komme ich voran und nach acht Wiederholungen sitzt das Regenkleid an Ort und Stelle. Allerdings völlig verdreht und verspannt. Jetzt hilft ein kräftiges Hüpfen und dabei die Schultern ausgreifend nach hinten rotieren. Geht doch. Ein paar Tankstellenkunden, die gerade noch meine Aufkleber aus aller Welt auf Bienchens Koffern respektvoll bewunderten, sind von meinem Verhalten sichtlich in den Bann gezogen. Ich kann ihre Gedanken nicht lesen, aber offensichtlich beschäftigt sie die Frage, was dieser coole Biker der Menschheit mit seinem modernen Ausdruckstanz sagen will. Wenn ich es nicht so eilig hätte, ich würde glatt mit dem Hut rumgehen. Ende der Vorstellung, auf nach Italien!
Einfach nur durchhalten und wenig bewegen ist jetzt die Devise, komme von oben, was wolle. Ich habe die Pelle an und das will ich nicht vergeblich getan haben. Der Tank ist voll und so steige ich bis Chiasso nicht mehr vom Bock. Es wird kälter, auf den Bergen sehe ich deutlich die Schneefallgrenze, da ist schon eine ganze Menge vom Himmel gefallen. Am San Bernardinotunnel zeigt mein Thermometer nur noch 7°C, wie gut, dass die Schweizer hier ein langes Loch durch den Berg gegraben haben, das macht den Preis für die Vignette von heute Morgen erträglicher. Geschafft! Der Regen hat aufgehört.
Bellinzona, es wird wieder wärmer. Lugano, die Sonne kommt raus. Chiasso, ich beginne zu schwitzen. Und bis Como sind alle Klamotten trocken. Buongiorno Italia, runter mit dem Regenzeug - das geht ohne Tanzeinlage. Jetzt fahre ich noch etwa bis Milano und dort werde ich mir einen ersten italienischen Caffé gönnen und mich um ein Hotel in Bologna kümmern, das ist nämlich das Tagesziel für heute. Doch es soll anders kommen. Zwar funktioniert das mit dem Caffé hervorragend, das mit dem Hotel geht aber gehörig daneben. Unter zweihundertfünfzig Euro pro Nacht ist nichts zu bekommen und ab achtzig Euro für ein Bett im Schlafsaal im Außenbezirk ist mehr als spaßbefreit. Ich brauche einen Plan B und der kann nur heißen San Marino, auch wenn das noch fast zwei Stunden oberdrauf bedeutet. Also nochmal volltanken und auf zur langweiligsten Autobahn Italiens: Milano-Rimini, die lineare Durchquerung der Emilia-Romagna. Ganz in Gedanken fahre ich noch in die falsche Gasse an der Mautstelle, da, wo "Card" auf dem Asphalt steht. Gemeint ist aber nicht die Kreditkarte, sondern diese automatische Karte mit Nummernschildscan. Mist, wenn das mal nicht später Ärger gibt. Dafür ist die Bahn frei, an Gechwindigkeitsbegrenzungen hält sich hier niemand und mutmaßlich sind die Messstellen alle außer Betrieb, denn sie kümmern schlichtweg niemanden. Und als die erste Dämmerung naht, zahle ich an der letzten Mautstation brav meine Autobahngebühr. Es sei nicht schlimm, wenn man das falsche Gate durchfährt, beruhigt mich der Kassierer, Hauptsache man bezahlt. Wir werden sehen, der Beleg kommt vorsichtshalber in Sicherheitsverwahrung. Und so erreiche ich tatsächlich San Marino. Die steile Serpentinenrampe macht richtig Spaß und bringt mich bis ganz nach oben auf den Titano. So heißt der berühmte Berg, auf dessen Gipfeln die drei Türme der Cittá thronen. Die Türme der ältesten Republik der Welt. Doch heute interessiert mich nur noch was zu essen und ein Hotel. Das ist jetzt der zweite Tag mit siebenhundert Kilometern, was so alles geht im Leben! Und jetzt mache ich wenigstens noch ein einziges Foto des Tages! Gute Nacht allerseits!
Sonntag, 15. September 2024 - Drei Türme im Briefmarkenland
Als ich 9 Jahre alt wurde, bekam ich mein erstes Briefmarkenalbum geschenkt. Meine Eltern und der gebildetere Zweig der Verwandtschaft begannen mir von diesem Tag an das Briefmarkensammeln als ein anspruchsvolles Hobby näher zu bringen. Es sei ein Aushängeschild für Kulturbeflissenheit und zeige eine hohe Bildungsaffinität. Ich hatte in dem Alter andere Dinge im Kopf als mit Pinzette, Wasserbad und Löschpapier irgendwelche klebrigen Papierschnipsel von gelesener Urlaubspost zu entfernen und sorgsam in dicke Alben einzusortieren. Also sagte ich ja und Amen, täuschte Interesse vor und äußerte guten Willen. Das sparte in erster Linie Zeit, denn dann musste ich mir nicht immer wieder die Argumente und guten Gründe anhören, warum diese pedantische Buchhalterbeschäftigung mein Leben bereichern sollte. Aber warum erzähle ich Euch das? Nun, weil ich heute in San Marino bin und meine kleine Schwester damals dieses Land immer das Briefmarkenland nannte. Und das kam so: Mein Großvater (Mundart, ugs. Oppa) war sehr religiös und ein vatikanverliebter Philatelist, und da San Marino ein großer Herausgeber von religiösen Briefmarken war, wurde ich zu allen Gelegenheiten mit bunten, druckfrischen Wertmarken beschenkt. Wie gesagt kulturbeflissen usw., siehe oben. Zugegeben, schön bunt waren die kleinen Aufkleber ja und wenn mal nicht irgendwelche alten Männer mit Scheitelkäppchen darauf abgebildet waren, die ich nie kannte, sondern Tiere oder Pflanzen, interessierten mich die Motive durchaus. Aber das kam eher selten vor. Also zum Wohlwollen der Anwesenden die Festtagsgaben demonstrativ und vorsichtig mit Pinzette ins Album einsortiert, dann war die Sippe zufrieden und es wurde kurz vor der Schwarzwälder Kirschtorte einvernehmlich prophezeit, dass aus mir mal was werde. In einem heimlichen Moment habe ich meistens noch kurz an den Marken geleckt - ein Sakrileg, denn die Dinger klebten dann immer fies im Album fest, aber das werden sie ja sowieso nie wieder verlassen, dachte ich mir. Manche schmeckten schön süß und einmal schmeckte eine Marke sogar nach Minze, vermutlich eine britische. Ich schweife ab.
Um neun Uhr nehme ich ein reichhaltiges Frühstück, dann Kamera, Kreditkarte und Wasserflasche geschultert und auf ins Briefmarkenland. Da ich mich erst heute genauer mit den vielen kleinen Sehenswürdigkeiten beschäftige, die es neben den drei Türmen und dem Hexenpfad noch zusehen gibt, bin ich sehr amüsiert, dass an der Piazzetta Giuseppe Garibaldi Nummer 5 tatsächlich ein Briefmarkenmuseum existiert. Da muss ich hin, den Spaß gönne ich mir und Oppa wird das auch freuen, schließlich ist aus mir ja was geworden.
Die Morgenstunden nutze ich aber zunächst für die Besichtigung der alten Festungsgemäuer auf den drei Gipfeln des Titano. Zu dieser Zeit ist es noch leer, denn die meisten Touristen wohnen nicht in der Città, sondern im preiswerteren Umland und werden erst mit Bussen herangekarrt, um dann portionsweise mit der Seilbahn in die Altstadt heraufbefördert zu werden. Ohne mich groß um die meist kriegerische Geschichte der Gipfelburgen zu kümmern, genieße ich vor allen Dingen die herrliche Aussicht und die malerische Lage der Trutzburgen. Die Sonne scheint und ich bin mehr oder weniger allein in den Wehrtürmen. Über enge, steile Leitern zwänge ich mich bis in die obersten Etagen der uralten Türme. Der Blick bis nach Rimini zur Adria belohnt mich. Frische Luft weht durch die geöffneten Fensterbögen. Eine gewisse Ruhe und Beschaulichkeit liegt über den alten Mauern, auch wenn sie schlimme Zeiten gesehen haben und der Zweck ihrer Erbauung auch nur dem Wohle weniger dienen sollte. Irgendwie sehe ich oft in diesen Zeugen der leidvollen Epochen des Mittelalters eine Art vernarbte Wunden, bei deren Betrachtung man sich freut, dass alles vorbei ist. Wenn man draufdrückt können sie manchmal noch wehtun.
Der kleine Spaziergang zum dritten Turm führt durch dicht bewachsenen Wald und über große, grobe Pflastersteine. Im Gegensatz zu seinen Brüdern I und II ist er etwas kleiner und verlassener. Ohne weitere Gebäude steht er einsam am Südende der Felsrepublik auf einem kleinem Gipfel. Er ist verschlossen. Ich atme noch eine Weile den frischen Ostwind vom Meer, der etwas kühl bis hierher weht. Es tut mir gut - so gefällt mir das!
Die Türme I und II sind durch einen befestigten Pfad verbunden, der wegen seiner pittoresken Lage eines der Highlights von San Marino ist: Der Hexenpfad oder auf italienisch "Passo delle Streghe". Es ranken sich unterschiedliche Geschichten um diesen Pfad, eine besagt, dass sich die Hexen im Mittelalter hier versammelten, um ihre Zauberrituale abzuhalten. Eine andere Quelle berichtet, dass die Hexen hier entlanggetrieben wurden, denn Hexenverbrennungen gab es in San Marino nicht. Man stürzte die vermeintlichen Delinquentinnen zynischerweise von einem nahegelegenen Vorsprung mit atemberaubender Aussicht in die Tiefe.
So vergeht die Zeit und mir reicht der Ausflug ins Mittelalter auch, ich frage mich ohnehin oft, warum diese im Grunde entbehrungsreichen und harten Zeiten immer noch diesen Mythos von Ritterlichkeit, Ehre und Heldentum verkörpern. Eine ziemlich verklärte Sicht auf die tatsächliche klerikale Tyrannei und die aristokratischen Halsabschneider. Dann lieber Briefmarken!
Die nette Dame am Empfang des Briefmarkenmuseums begrüßt mich sehr freundlich, ich bin der einzige Besucher. Anscheinend war heute kein Touristenbus mit Philatelisten dabei. Bevor ich jedoch die heiligen Hallen der selbstklebenden Wertmarken betrete, lasse ich mir den offiziellen Einreisestempel in meinen Reisepass stempeln - natürlich mit Briefmarke von San Marino. Die Ausstellung ist unerwartet groß und tatsächlich gut bewacht. Offensichtlich sind da einige wertvolle Exemplare bei. Ich muss innerlich lachen, dass ich mir ein Briefmarkenmuseum ansehe, wenn Oppa das noch hätte miterleben können. In Wirklichkeit interessiert mich das nicht die Bohne, außer - ja, außer - die Tier- und Pflanzenmarken. In einer kleinen Ecke sind die wichtigsten Sätze und Sonderausgaben ausgestellt und zur besseren Sichtbarkeit der filigranen Zeichnung auf DIN A4 vergrößert. Das ist wirklich schon eine Meisterleistung der Drucktechnik. So, genug, draußen scheint die Sonne und ich werde den verbleibenden Nachmittag noch ganz in Ruhe mit einem Kaffee und etwas Schreiben verbringen.
Und so endet mein Pausentag in der kleinsten und ältesten Republik der Welt und ich würde ihn als sehr beschaulich und durchaus lohnenswert beschreiben, aber wehe dem, der seinen Besuch in der Hochsaison plant. Die vorhandene Infrastruktur und Übersättigung mit touristischen Einrichtungen ist beängstigend.
Gute Nacht, ich freue mich auf Morgen!
Montag, 16. September 2024 - Mopedtag: Pässe, Kurven, Aussichten.
Der Tag, den ich durch den Wegfall von Bologna gespart habe, kommt mir jetzt zugute. Ich kann die Fahrt von San Marino bis Neapel in zwei schöne Abschnitte teilen und muss nicht die gesamte Strecke an einem Tag zurücklegen. So lege ich mir eine wunderschöne Bergstrecke über kleine Straßen durch Umbrien und Abruzzen zurecht. Hier zieht sich in südöstliche Richtung der Zentrale Apennin entlang mit seinen teils schroffen Gebirgszügen und vielen Nationalparks. Das Wetter ist mir heute gnädig und übereinstimmende Meldungen sagen mir Regenfreiheit an. Die Temperaturen lassen es noch zu, dass ich bis oben auf die Gipfel fahre und mehrere Pässe überqueren kann. Einer der Schönsten ist jener bei Castelluccio, wo es anschließend ins Pian Grande di Castelluccio di Norcia hinabführt, einer imposanten Schwemmebene von fast fünfzehn Quadratkilometern Fläche, die sich in jedem Frühling farbenprächtig von Mohn, Kornblumen und Linsen zeigt. Letztere sind eine Spezialität dieser Gegend und werden auch traditionell hier geerntet. Der Wind bläst lauwarm, und ich rolle die lange Abfahrt hinunter bis auf den Grund der Ebene. Schnurgerade durchmisst eine einzige Straße das zurzeit wiesenbewachsene Land und zum Finale habe ich nach einem sanften Wiederanstieg eine atemberaubende Aussicht auf diese einzigartige Landschaft.
Tanken, Cappuccino, irgendwo. Ab dort weiß ich gar nicht mehr so genau wo ich hergefahren bin, ich folge einfach meinem Navi und genieße stundenlang eine Kurvenfahrt durch Berge und einsame Wälder. Mit schwindendem Tageslicht und ersten Tropfen des angekündigten Regens erreiche ich mein kleines, einfaches Hotel kurz vor L'Aquila. Ich bin platt und mit Eindrücken voll. Der Gran Sasso ist im heranziehenden Dunst noch so eben vom Balkon zu sichten, pure Vorfreude auf Morgen. Das Abendessen nehme ich etwas später gemeinsam mit ein paar Bauarbeitern ein, es gibt Crostini mit Mozzarella, Spaghetti und irgendwas mit Bohnen. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Lecker, satt. Dann nur noch Birra, Bett e Basta! Ein perfekter Mopedtag.
Dienstag, 17. September 2024 - Moto Guzzi Frühstück und viel Wasser
Seit gestern bin ich schon darauf vorbereitet, dass es heute ein schwieriger Tag werden wird. Ausgehend von den Wetterprognosen, die ich habe, gibt es theoretisch keine Route bzw. kein Timing, durch das ich dem drohenden Regen entgehen kann. Sicher ist, ich muss früh aufbrechen, und so habe ich mein Frühstück auf acht Uhr gelegt. Ohnehin ist es nur ein karges Frühstück, der Kaffee ist heiß und gut und das Croissant groß und frisch. Das reicht vorläufig, denn ich habe Unruhe und will keine regenfreie Minute verschenken.
Dennoch bin ich abgelenkt von einer ganzen Armada an historischen, italienischen Motorrädern, die im großen Speisesaal geparkt sind. Aprilia, Ducati, Gilera, Laverda, Moto Morini, Moto Guzzi und MV Agusta, alles dabei und in musealem Zustand. Ungeduldig wartet der Hotelchef schon, dass ich etwas sage, denn er möchte mir gerne alles erzählen. Stolz berichtet er, dass er schon seit 1968 sammle, in seiner Scheune, nicht weit von hier habe er noch mehr, die passen nur nicht alle hier in den Speisesaal. Ich bin tief beeindruckt von dem exzellenten Zustand der restaurierten Maschinen, fast alle in Rot und in Originallackierung. Das ein oder andere Schätzchen würde ich ja gerne antreten und eine kleine Runde drehen, aber das wage ich nicht zu fragen. Vermutlich würde ich ausgelacht. Mache ich lieber mein Bienchen klar, denn jede Minute ist kostbar. Noch schnell bezahlen, dann bei bedecktem Himmel los zur Gran Sasso Querung.
Das Wetter hält sich, wenn auch für die Sonne kein wirkliches Durchkommen ist. Ich bin schon für eine trockene Fahrt dankbar und so genieße ich die Bergpassage unterhalb des Gran Sasso Massivs mit ihrer fantastischen Aussicht. Allerdings in den ganz großen Genuss komme ich nicht, da die Wolken zu niedrig hängen und Nebel sich breit macht. Die Temperatur liegt hier oben bei nur 9°C, die warme Unterwäsche heute Morgen anzuziehen war die einzig richtige Entscheidung. Als ich nach der Rundfahrt wieder L'Aquila erreiche - dieses Mal an der Ostseite, entscheide ich mich, auf den Nebenstrecken zu bleiben, denn ich habe Zeit und allzu weit ist die geplante Strecke heute auch nicht. Das geht gut bis zum Lago Barea. Der Himmel zieht sich zu und es beginnt zu regnen. Ein Cappuccino wärmt mich ein letztes Mal auf, dann auf ein Neues in die Pelle und auf dem kürzesten Weg zur Autobahn. Eine weitere Fahrt durch die Berge hat heute wenig Sinn. Ich folge den grünen Schildern zur Autostrada Roma-Napoli, der Regen nimmt zu.
Mein Navi sagt noch 179 km, das sollte ich auf einer Backe abreißen können. Ich komme voran, erreiche die Autobahn und in den langen Tunneln fahre ich im Stehen und trockne Helm und Visier. Der Rest ist langweilig und ungemütlich. Dennoch bietet mir die Strecke eine imposante Einfahrt nach Neapel. Das Acquedotto Carolino ist die symbolische Ziellinie. Ein gigantisches Aquädukt über die alte römische Straße von der Via Appia nach Neapolis. Allerdings ist das Bauwerk nicht römischen Ursprungs, sondern sehr viel jünger aus dem 18. Jahrhundert.
Nicht mehr weit bis nach Pompeji, aber die letzten Kilometer haben es in sich. Sturzregen, der innerhalb von Minuten die Straßen überschwemmt, ich sehe fast nichts mehr, schon gar nicht mein Navi. Und das mitten in Neapel. In den tiefen Pfützen aus braunem Wasser sind fette Schlaglöcher, das macht keinen Spaß mehr und der Verkehr ist schnell und chaotisch. Ich mache es wie die Italiener, rechts und links an den Autoschlangen vorbei, dennoch muss ich öfter anhalten, um mein Navi zu lesen. Es ist zu kompliziert, "Vesuv links" reicht zur Orientierung nicht. Doch ich erreiche mein Ziel ohne großes Verfahren, ich bin außerhalb der Regenkombi pitschnass und in dem Moment reißen die Wolken auf, die Sonne strahlt und der Himmel über Pompeji zeigt sich klar und blau. Welche Ironie!
Signora begrüßt mich sehr herzlich und öffnet mir dann das elektrische Tor. Ich rolle mit Bienchen in den Hinterhof. Hier kann sie für fünf Tage sicher stehen und sich ausruhen. Genau wie ich. Das waren jetzt vier Etappen und ich habe mein erstes Reiseziel erreicht. Ich bin in Pompeji und den Vesuv habe ich auch schon gesehen. Und da ist es wieder, das Ankomm-Gefühl an einem Ort, an dem ich noch nie war, aber immer schon hinwollte. Ich freue mich. Aber jetzt erst einmal einziehen in mein Heim auf Zeit. Typisch italienisch. Alles ist großmustrig, mit Blumen- oder Früchteornamentik, es erinnert mich an die Zitronenmuster aus Sizilien. Signora zeigt mir die großen Räume, sogar ein Kinderzimmer mit Kuscheltieren und einer Kinderküche ist dabei. Die Küchenschränke sind gefüllt mit jeder Menge Grundnahrungsmitteln, Keksen, Kaffee, frischer Milch und Brot. Alles zu meiner Verfügung, was für eine Fürsorge. Dann überlässt mich die Hausherrin meinem Palazzo und ich richte mich zunächst richtig ein. Die Möbel ein wenig schieben, der Tisch aus dem Schlafzimmer kommt in die Wohnküche, dort ist nämlich ein Sofa, aber kein Tisch. Rosa Tischdecke drüber, andere Farben sind nicht da, dann schütte ich Kekse in eine Schale und stelle sie bereit. Den Küchentisch würde ich gerne vor das Fenster stellen, denn dort möchte ich schreiben und ein wenig Ausblick inspiriert mich immer. Doch das geht nicht, denn an der gegenüberliegenden Häuserwand prangt ein Riesen Porträt von Diego Maradona und das wirkt alles andere als inspirativ auf mich. Vor dem Abendbrot widme ich mich noch der ausgiebigen Körperpflege und jetzt, ab an den Herd. Es gibt Gnocchetti mit karamellisierten Zwiebeln, Radicchiostreifen und Gorgonzolasauce. Das wurde mir vorgestern in San Marino serviert, und ich konnte es genießen, also versuche ich es jetzt nachzukochen.
Die Welt ist heute in Ordnung und ich freue mich auf fünf Tage Pompeji.
Mittwoch, 18. September 2024 - Es war kein gewöhnlicher Tag...
Heute besuche ich die Überreste von Pompeji, dem prominentesten Ort, den der Vesuv mit seinem großen Ausbruch im Jahre 79 n. Chr. völlig zerstörte. Jahre später und auf Wunsch seines "lieben Freundes" Tacitus beschreibt Plinius der Jüngere in mehreren Briefen, wie sich die Katastrophe aus seiner Sicht abgespielt hat. Plinius wohnte damals etwa zehn Kilometer vom Vesuv entfernt in Miseno, einer Halbinsel am südwestlichen Ende des Golfes von Neapel.
"Eine Wolke erhob sich – wer sie aus der Ferne sah, wusste nicht, aus welchem Berg; Dass es der Vesuv war, wurde erst später erkannt -, an deren Aussehen kein anderer Baum mehr als die Pinie gemahnte."
Ich löse eine Eintrittskarte für drei Tage, um mir eine Stadt anzusehen, in der innerhalb eines halben Tages jedes Leben ausgelöscht wurde.
An der Porta Nocera beginne ich meinen Weg ohne jeden Plan durch schmale Gassen und sehe mich um in den Häusern der einfachen Bürger. Bescheiden, verwinkelt und oft ohne Fenster. Hier ist eine Feuerstelle zu sehen, dort lehnen Amphoren an der Wand. Manche Häuser sind am Eingang mit Thermopolia ausgestattet, das sind in eine Theke eingelassene Gefäße, in denen Essen warm gehalten und an Laufkundschaft verkauft wurde. Die ersten Schnellimbisse. Die Straßen mit ihren hohen Bordsteinkanten sind gepflastert aus massiven, grauen Steinen, in die die beschlagenen Karrenräder im Laufe der Zeit tiefe Rinnen graviert haben. Über regelmäßig eingebaute Trittsteine erreichten die Pompejianer trockenen Fußes die andere Straßenseite, denn die Abwässer wurden seinerzeit noch auf die Straße entleert und machten sie dadurch unbegehbar.
Kleine Gassen münden in größere Straßen. Ich erreiche die Via dell'Abbondanza, die Hauptstraße zum Stadtzentrum, dem Foro. Je weiter ich voranschreite, umso mehr säumen mondäne Häuser und Villen den Straßenrand. Viele haben Namen, andere werden nur nach ihrer Funktion oder Gestaltung beschrieben, wie das Haus des Bäckers oder das Haus des Chirurgen. Ich merke mir all die Namen nicht, sie sind unwichtig. Im Augenblick der Vernichtung, gab es keine Standesunterschiede mehr, kein reich und arm, kein gut und böse.
"(...) die Wolke erhob sich, wie in einem überlangen Stamm, hoch hinauf und verzweigte sich in zahlreiche Äste, ich glaube, dass sie, durch aufkommenden Wind emporegerissen, dann bei dessen Abflauen kraftlos geworden oder aber vom eigenen Gewicht beschwert sich ausbreitete, zuweilen weiß, zuweilen schmutzig und befleckt, je nachdem, ob sie Erde oder Asche emporgetragen hatte."
Mich fasziniert das, was geblieben ist. Die Farben, die Formen und die Muster. Das, womit die Menschen sich umgaben, was sie offensichtlich als schön, geschmackvoll, schick oder modern empfanden. Rot und Gelb schmücken am häufigsten die Wände, kleine Figuren zieren die Gärten und in den Villen sind noch viele Wandbilder erhalten, vor denen ich manchmal minutenlang stehe. Vielleicht hat ja einst mein Begleiter Plinius - der zu der Zeit schon hohes Ansehen genoss - hier mit irgendeinem Freund seiner Schreibkunst trefflich geplaudert.
"Das war großartig und näher betrachtenswert für einen wirklich gebildeten Mann."
Über vier Stunden verbringe ich in den Stadtruinen und bin völlig überfordert, das Gesehene angemessen zu würdigen. Meine Admiration ist mein Schweigen, mit dem ich versuche, das wertzuschätzen, was die Menschen von Pompeji schufen und hinterlassen mussten. Mein Abend ist ruhig und zugleich bewegt von den Bildern und Eindrücken.
"Finem ergo faciam." - "Deshalb will ich [für heute] Schluss machen."
Donnerstag, 19. September 2024 – Das gesellschaftliche Leben von Pompeji
Die Bilder von gestern haben mich nachhaltig beeindruckt und sind auch immer noch in meinem Kopf. Heute bin ich gespannt auf Teil II: Das sind das Foro Civile, der Tempel des Apollo und des Jupiter und die Villa dei Misteri.
Fluch und Segen zugleich in Italien ist, dass vieles nicht so richtig funktioniert bzw. nicht so genau genommen wird. Für mich ist diese Tatsache heute Segen, denn ich darf den zentralen Sektor von Pompeji ein zweites Mal betreten, obwohl das 3-Tages-Ticket nur einen Besuch je Sektor zulässt. Als mein Ticket von der Zugangskontrolle abgelehnt wird, brabbel ich irgendwas italienisch klingendes von settore due, solo di passaggio und semplicemente, dann gehe ich mit sehr freundlicher Suggestion und gekrönten Fingerspitzen nach oben über ins Englische, woraufhin der nette Signore Controletti mir das Behindertenportal öffnet und mich einlässt. Ob er nun überfordert war oder ich sehr überzeugend– schließlich war ich sieben Jahre Schauspieler – es ist mir egal, in diesem Land funktioniert das eben so. Hier wird über alles endlos diskutiert, ich glaube, immer so lange bis absolut niemand mehr Lust hat, und dann lässt man die Dinge halt laufen, wie sie sind. Ein sehr einfaches, aber etabliertes Prinzip.
Und plötzlich bin ich wieder mit Plinius in der Stadt, in der man endlich erkannt hat, dass zu fliehen, die einzige Option ist - für viele zu spät.
Jetzt erst sieht man ein, dass man sich aus der Stadt entfernen müsse; Es folgt uns eine kopflose Menge und was in Angstzuständen schon fast der Klugheit gleichkommt, diese Menge bevorzugt die fremde Entscheidung gegenüber der eigenen, und sie drängt und stößt uns, die wir vorangehen, in einem großen Zuge vorwärts.
Ohne Stadtplan gehe ich bekannte Wege, es vermittelt mir das Gefühl, ich kenne mich aus – ich besuche einen bekannten Ort. Links am Amphitheater entlang, wo einst Pink Floyd ihr berühmtes Konzert in Pompeji gaben. Vorbei an der Casa della Nave Europa mit dem schönen Innenhof, dann die Via dell‘Abbondanza hinauf. Im fernen Fluchtpunkt der prächtigen Straße kann ich schon den Centauro erkennen, der allerdings originär nicht zu Pompeji gehört, er ist ein fremdes – wenn auch passendes – Kunstwerk von Igor Mitoraj, das das Foro Civile würdig schmückt.
Etwas abgelegen erreiche ich durch die Porta Ercolano die Villa dei Misteri, eines der reichsten Häuser von Pompeji. Hier finde ich sehr gut erhaltene Frescos mit Darstellungen des Alltags in den gehobeneren Kreisen der pompeijanischen Gesellschaft. Aber das Schöne an diesem abgelegenen Ort ist die Ruhe, denn nicht so viele Besucher kommen hierher und für Tagesgäste ist es zu zeitraubend. Umso mehr genieße ich die schönen Gärten und die Kühle der schattigen Innenräume. Ich nehme mir die Zeit und stelle mir mit Inspiration durch die muralen Zeitdokumente das Leben vor zweitausend Jahren vor. Aber die so oft bei derartigen Betrachtungen gestellte, naive Frage, ob es damals denn besser war, bleibt natürlich auch heute unbeantwortet oder genauer bemerkt, ich habe sie mir erst gar nicht erst gestellt. Sie ist wirklich naiv, denn was interessiert es die Geschichte, ob ein – wenn auch neugieriger Tourist – es damals lebenswerter fand oder nicht. Wer kann das auch nur annähernd bewerten? Ich nicht. Also lasse ich meine Gedanken mir zur Freude schweifen und trödle im beginnenden Abendlicht nach Hause.
Freitag, 20. September 2024 – Kleine Wäsche und die Sonne von Pompeji
Heute ist ein Tag Pause, ich muss noch ein paar Sachen waschen und ein kleiner Einkauf für das Abendessen ist auch noch nötig. Dabei komme ich zufällig – aber sowas von zufällig – an der Konditorei vorbei und die Sonne von Pompeji lacht mich an, dass ich nicht nein sagen kann. Mit der Prospektive auf diese strahlende Belohnung ist der Waschtag im Handumdrehen erledigt und schon steht der Perkolator auf der Gasflamme und verkündet durch sein leises Fauchen: Der Espresso ist fertig!
Das war’s für heute.
Samstag, 21. September 2024 – Der geplatzte Tag bei fast 39°C
Heute kommt es anders als erwartet. Auf meinem Zettel steht Herculaneum, ein Highlight meiner Pompeji-Tour und deshalb besonders bedauernswert, dass ich es streichen muss. Denn schon in der Nacht hat sich ein aufdringlicher Husten bemerkbar gemacht und ich fühlte mich am Morgen ziemlich schlapp. Das Fieberthermometer meldet fast 39°C, was ich nicht ignorieren kann. Gut, das Immunsystem funktioniert, was mich sehr erfreut und beruhigt, aber eine Tour nach Herculaneum ist nicht das, was ich jetzt zu tun habe. Kurzer Gedanke an Corona, aber den verfolge ich nicht weiter, es würde nichts ändern. Bettruhe ist mein Mittel der Wahl, halte ich es doch so wie immer und vertraue auf meine eigenen Heilkräfte, auch wenn die in den letzten anderthalb Jahren sehr beansprucht wurden. Ich verschlafe den kompletten Tag, denn Morgen muss ich einigermaßen fit sein, ich muss nach Salerno. Aber so weit bin ich noch nicht.
Das Fieber bleibt beharrlich, mit Mühe mache ich mir noch eine Kleinigkeit zum Abendessen und versuche anschließend weiterzuschlafen. Und es klappt, gegen zwei Uhr nachts beginnt mein Fieber langsam zu sinken...
Sonntag, 22. September 2024 - Im Zeichen der Vitamine
Zwar fieberfrei, aber noch nicht wirklich fit packe ich meine sieben Sachen zusammen und belade mein Motorrad. Es sind nur etwa achtzig Kilometer bis zur Hafenstadt Salerno, von wo aus Morgen mein Schiff nach Tunesien ablegt. Aber diese achtzig Kilometer haben es in sich. Denn es ist Sonntag. Und was macht der Italiener gerne am Sonntag? Richtig, er macht sich schick und setzt sich mit Kind und Kegel ins geputzte Auto für einen Ausflug. Für mich ist heute eigentlich nur ein ganz normaler Reisetag. Es soll über die Traumstraße von Amalfi gehen. Etwas müde noch von gestern bin ich in erster Linie auf der Suche nach Vitaminen. Was kann mir Besseres passieren als das Wegeangebot am Straßenrand? Bei herrlicher Aussicht die erste Dosis spremuta d'arancia. Dann weiter im quälend dichten Verkehr, am Ende ist die Traumstraße eine Albtraumstraße. Alles drängt sich, alles zwängt sich, alles leckt Eis, schlürft Kaffee oder steht mitten auf den engen Straßen im Weg. Und wofür? Richtig, für ein Selfie mit der neuen dickrahmigen Brille, die jetzt alle tragen. Ob sie kleidsam ist? Völlig egal, ist modern - ziehen der Italiener und die Italienerin an. Basta!
Ich erreiche Salerno und finde mein hübsches B&B auf Anhieb. Supermarkt für Vitamine, Banco für Geld, dann Bett, die Restviren wegschlafen. Das war's für heute! Gesunde Nacht!
Montag, 23. September 2024 - Auf See nach Tunesien
Der zweite Teil der Reise beginnt. Nach einer erholsamen Nacht bleibe ich fieberfrei und komme auch wieder gut zu Kräften. Viel ist heute nicht zu erledigen, Frühstück, Tanken, Warten. Drei Stunden vor dem Auslaufen ist Check-In, da bin ich gerne pünktlich, denn ich kenne weder den Hafen von Salerno noch diese Linie. Und wie es so ist, wenn man Puffer einbaut, es klappt alles wie am Schnürchen. Papiere sind vollständig, keine Schlange am Schalter, nette Frau im Office und schon ist der Ladekleber am Moped angebracht. Das herrlche Wetter und der ein oder andere Cappuccino verkürzen mir das lange Warten, dann geht alles ganz schnell. Ich werde hineingewunken in den Bauch des Schiffes, alles wird flott und freundlich verzurrt und meine Kabine ist natürlich auch schon bezugsfertig. Mein zu Hause für die nächsten 26 Stunden.
Ich mache es mir gemütlich auf dem Sonnendeck und schaue dem Treiben im Hafen zu. Erinnerungen an Hamburg und Valparíso kommen mir in den Kopf, was waren das für schräge zwei Jahre. Jetzt reise ich wieder und auch wenn es nicht mehr das gleiche ist, ich bin sehr glücklich und dankbar, dass es noch geht. Also heute auf nach Tunesien. Ich bin gespannt.
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