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🇺🇾 Auszeit 2022 - Uruguay

16. Januar 2023 - Von Buenos Aires in die älteste Stadt Uruguays

Heute fahre ich in das Land, auf das ich am meisten gespannt bin. Uruguay. Ich habe viel über Politik, Lebensart und die Menschen gelesen. Sogar mit Auswanderungsgedanken habe ich mich ernsthaft befasst. Uruguay wird auch als die Schweiz Südamerikas bezeichnet, nicht nur weil es wunderschöne Gegenden zu bieten hat, sondern weil es auch zu den teuersten Ländern Lateinamerikas zählt.

Von meinem Hotel in San Telmo zum Anleger der Fähre nach Colonia del Sacramento sind es nur wenige Minuten, die Ausreiseprozedur und die Einschiffung sind erfreulich simpel und gegen Mittag legen wir vollbeladen und pünktlich ab. Buenos Aires verabschiedet sich bei blauem Himmel mit seiner Skyline, dann heißt es volle Kraft voraus. Die knapp 50 Kilometer weite Strecke über den Río de la Plata überwinden wir mit dem Katamaran in nur 90 Minuten. Zu sehen ist am Horizont zunächst noch nichts, dazu ist die Luft zu feucht und zu diesig. Nach knapp halber Strecke zeigt sich dann aber deutlich der dunkle Streifen der uruguayischen Küste. Je näher wir kommen umso deutlicher. Alsbald kann man den weißen Leuchtturm und erste Häuser entdecken, dann wird alles zusehends deutlicher und klarer. Ein schönes Städtchen soll Colonia del Sacramento sein. Sie ist die älteste Stadt Uruguays und wurde 1680 von den Portugiesen gegründet. Sie unterscheidet sich in ihrem städtebaulichen Layout deutlich von anderen Orten in Uruguay. Die pittoresken Häuser sind hübsch eingebettet in das subtropische Grün wie kleine Zuckerwürfel in Cappuccinoschaum, nur dass der eben nicht grün ist. Und über allem ragt prominent der weiße Leuchtturm hervor.

Wir legen an. Die Verzollung meines Motorades ist problemlos, unglaublich freundliche und hilfsbereite Beamte begegnen mir, so dass ich in 15 Minuten mit dem Papierkram durch bin. Über die unbefestigte Wiese überhole ich die Autoschlange, ich habe eine Enduro, die kann das und das Privileg nehme ich mir bei 31°C, zumal ich eh freundlich durchgewunken werde. Mein Hotel im historischen Teil Colonias habe ich schnell gefunden, es ist wirklich sehr überschaubar hier. Trotz der allgemein sportlichen Preise berappt mein lustiger Gastgeber nur bescheidene 1600 Pesos, was etwa 40€ entspricht. Dafür bekomme ich ein kleines, ruhiges Zimmer mit Patio und allem, was ich brauche. Bienchen darf in der privaten Garage parken, ich bin wunschlos glücklich mit dem Angebot.

Duschen, stadtfein machen und eine erste Ortserkundung zu Fuß. Sehr aufgeräumt und luxustouristisch gepflegt. Ich fühle mich ein wenig wie in Frankreich, viele kleine Bistros und Cafés, Stühle auf der Straße. Meist wird Café getrunken und guter Kuchen dazu gereicht. Ich genieße die Beschaulichkeit und lasse es mir gut gehen. Ein abendlicher Spaziergang zum Ufer des Río de la Plata und zum Playa urbana El Alamo bereiten mir Entspannung und einen herrlichen Sonnenuntergang. Hier endet der schöne Tag, gute Nacht!

17. Januar 2023 - Colonia del Sacramento - REHA-Therapie für Reisekranke

Eigentlich ist in dem Dörfchen Colonia gar nicht so viel zu tun, außer rumzuspazieren, in den Cafés erfrischende Limonade zu trinken und am Wasser zu sitzen und die Blicke über den ruhig dahinfließenden Río de la Plata schweifen zu lassen. So ganz genau weiß ich nicht, wo die Flussmündung aufhört und wo schon das Meer beginnt, aber das ist mir auch ziemlich egal, es tut dem Kopf und der Seele gut, nichts zu tun, nichts zu denken und nichts zu sagen. Wohltuende Kontemplation bei 33°C, ich tanke seit langem mal wieder auf.

Sehr lange sitze ich dort und dann denke ich doch über die ganzen vergangenen Abenteuer nach, bekomme aber keinen Gedanken so richtig zu Ende gedacht. Immer wieder platzen neue Bilder und Erinnerungen von unterwegs in meinen Kopf und lenken mich ab. Das ist genauso wie früher auf der Kirmes, als ich noch fast ein Kind war. Ich bin leidenschaftlich gerne ins Labyrinth gegangen. In das mit den Spiegeln, mit Nebel, mit irritierend hellem Licht und schrägen Böden. Es gab ganz viele dicke Boxsäcke, die hin und her schaukelten und durch die ich mich hindurchkämpfen musste ohne von ihnen umgeworfen zu werden. In einem anderen Raum hingen zig bunte Tücher von der Decke und der Boden drehte sich unmerklich, so dass ich komplett die Orientierung verlor. Am Ende kam ich natürlich irgendwo wieder raus und wunderte mich immer, wie ich dorthin gekommen bin. Und genau so geht es mir heute auch, wenn ich darüber nachsinne, wo ich schon überall langgefahren bin und wie lange das teilweise her ist. Gefühlt. Manches kommt mir vor als sei es Jahre her, andere Ereignisse fühlen sich an wie gestern erst geschehen. Erklärung dafür gibt es aus meiner Sicht nur eine: Ich reise immer noch viel zu schnell und dabei geht das Zu-Hause-Gefühl verloren. Seit ich mit dem Motorrad unterwegs bin hat es kaum Orte gegeben, an denen ich mich zu Hause gefühlt habe. Und wenn, dann waren die Aufenthalte dort viel zu kurz. So zum Beispiel die Weihnachtswoche in Ushuaia. Wie sehr hatte ich mich darauf gefreut und wie schnell war sie vorbei. In Neuseeland war das anders. Ich hatte immer meinen Camper. Jeden Abend. Alles war an Ort und Stelle und nichts musste jeden Abend und Morgen rumgetragen werden, ein- oder ausgepackt werden.

Und was ist dann der Reiz am Motorradreisen? Nun ja, jede Strecke ist mehr oder weniger eine Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Zugegeben 500 km geradeaus absitzen, wie neulich in der Pampa, ist keine Höchstleistung, aber den Paso Rodolfo Roballo im Alleingang zu machen, erfüllt mich mit Freude und Stolz, dass ich mir ein solches Erlebnis noch selbst schenken kann. Im Camper ist sowas simpel - nicht weniger schön - aber simpel.

Ich glaube, ich brauche Urlaub! Gibt es eigentlich Rehakliniken für Reisekranke? Ich stelle mir das so vor: Zusammen mit einem speziellen Reisetraumatherapeuten sitzen mehrere Betroffene in einem abgedunkelten Gruppenraum. Wir schließen die Augen, atmen tief durch und stellen uns das aufregendste Abenteuer der letzten Reise vor, am besten eines mit Gefahrenpotential. Der Therapeut spielt dazu laute eskalierende und bedrohliche Filmmusik vom Kassettenrecorder ab. Ein Stroboskop macht Lichtblitze, die durch die geschlossenen Augen wahrnehmbar sind, kleine Stücke Reifengummi werden im Gruppenraum verbrannt und ein Öllämpchen mit kochendem 15-W50 schwängert die Luft mit dem beißenden Geruch von überhitztem Motoröl. Unangekündigt wird dann derart heftig am Stuhl des Patienten gerüttelt, dass er fast umfällt. Das ist gefährlich, denn der behandelnde Therapeut hat zuvor für alle sichtbar Glasscherben auf dem Boden ausgestreut. Kalter Angstschweiß steht jedem Teilnehmer auf der Stirn, manche befreien sich durch kleine Schreie von der Belastung oder suchen vergeblich Halt an irgendwelchen Gegenständen. Irgendwann erlöst dann der Reisetherapeut seine Patienten, sie dürfen jetzt die Augen wieder öffnen. Die Fenster sind geöffnet, die Frühlingssonne strahlt herein, draußen auf der Blumenwiese des Klinikgartens spielen weiße Kaninchen, die Klinikleiterin schaukelt im Landhausdirndl und Hut auf einer Baumschaukel und auf dem Tisch auf der Terrasse wird frischer Erdbeerkuchen mit Kakao serviert. Alle sind geheilt und wenn sie nicht gestorben sind... nee, ich glaube das funktioniert nicht... Was denk‘ ich hier eigentlich? Ich muss unter Leute!

Ich gehe ins Dorf, überall stehen Oldtimer als Deko herum, am alten Leuchtturm links Richtung Dorfplatz. Es dämmert schon etwas und der leichte Wind ist angenehm kühl. Der Plaza de Armas ist richtig romantisch mit seinen kleinen Lämpchen an den farbigen Häusern und im Restaurant mit den gepunkteten Tischdecken gibt es noch Draußenplätze. Hier werde ich den Abend verbringen. Die Platanen rauschen im Wind, französische Küche und zum Nachtisch werden Erdbeertörtchen angeboten. Ich fühle mich irgendwie zu Hause. Wie wunderbar.

18.-20. Januar 2023 - Montevideo ABC - Altstadt, Bienchen, Carnaval

Montevideo, die nächste Metropole. Nur zwei Tage nach Buenos Aires jetzt schon wieder eine Großstadt. Eigentlich habe ich da gar keine große Lust drauf, aber Bienchen muss zum Wellness und das geht nun mal nicht auf dem Lande. Sogar eine BMW Werkstatt soll es sein, denn neben Ölwechsel und neuen Reifen sind auch ein paar kleinere Ersatzteile und Kontrollen fällig. Alles nichts Dramatisches, aber auf den Strecken hier möchte ich jeden Sicherheitsbonus auf meiner Seite haben. Da die Werkstatt weit außerhalb liegt, checke ich zunächst im Hotel in der City ein und bringe mein Motorrad dann vierzehn Kilometer vor die Stadt. Zurück geht’s bequem mit dem Bus Nr. 21 bis vor mein Hotel am Plaza Cargancha.

Mittagsschläfchen! Seit einigen Tagen bin ich ziemlich platt und gönne mir dann und wann ein ausgiebiges Mittagsschläfchen. Nach den patagonischen Luxustemperaturen der letzten sechs Wochen ist die Hitze hier weiter im Norden ganz schön anstrengend. Innerhalb von vier Reisetagen von 17°C (Feuerland) auf 32°C (Pampa) durchschnittliche Tagestemperatur ist schon krass. Von der Feuchtigkeit am Río de la Plata ganz zu schweigen.

Den Nachmittag fülle ich mit einem kleinen Spaziergang durch die Altstadt, aber was soll ich sagen, so richtig begeistert bin ich nicht. Die Menschen sind sehr sympathisch hier, immer freundlich, plaudern gern, hilfsbereit und ziemlich tiefenentspannt. Großstadthektik sucht man hier vergeblich. Vielleicht haben die ja auch irgendeine geheime Kräutermischung, die sie in ihren Mate mischen, mir soll das egal sein, ich genieße diese angenehmen Umgangsformen sehr. Ach ja, das mit dem Mate bekomme ich immer noch nicht hin. Abgesehen von dem ganzen Equipment, was ich rumschleppen müsste, schmeckt das Zeug einfach gruselig. Ziemlich bitter, schlimmer als Magentee und die Gerbstoffe machen den ganzen Mund stumpf. Aber irgendetwas muss ja dran sein, sonst würde hier nicht jeder zweite mit seinem Tässchen durch die Welt laufen.

Doch zurück zur Altstadt, so richtig lebendig ist sie nicht. Die lange Fußgängerzone vom Plaza Independencia mit seinem imposanten Palacio Salvo hinunter in die Ciudad Vieja ist mit ein paar wenigen spärlichen Cafés und Take-away Imbissen ausgestattet, das war’s. Bestenfalls unten am Hafenmarkt tummeln sich einige mehr junge Leute nebst musiklastigen Bistros und traditionellen Obst- und Gemüseläden, das ist ganz hübsch, aber mehr auch nicht. Seit die Kreuzfahrtbranche ihren eigenen abgesperrten Bereich hier an den Docks hat, hat der historische Hafenmarkt Nachbarschaft bekommen vom Kunsthandwerksmarkt und vom Touristenmarkt (was auch immer das ist), womit alles gesagt sei, wohin sich dieses Stadtviertel kulturell entwickelt.

Überall auf der großen Avenida 18 de Julio stehen Absperrungen, stapelweise Plastikstühle und Tribünen. Festival, lasse ich mir von der Hotelrezeption erklären. Gemeint ist Carnaval. Heute am 19. Januar geht es los und dann feiert man einen ganzen Monat lang in der ganzen Stadt mit unzähligen größeren oder kleineren Veranstaltungen. Ich bin gespannt. Und so mache ich mich am Abend nur mit meiner Kamera auf, um zu sehen wie so etwas hier in Montevideo aussieht.

Die Straßen sind prall gefüllt mit Menschen, nicht ein einziger der Stühle, die kilometerlang mehrreihig auf beiden Seiten der Avenida aufgestellt wurden, ist noch frei. Dahinter dicht gedrängt tausende Menschen zu Fuß - jeder zweite mit Mate und Thermoskännchen, die irgendwo einen Stehplatz suchen, von wo die Darsteller gut zu sehen sind. Ohren betäubende Trommler, Musikwagen mit Stromgeneratoren auf dem Anhänger für die Show und ungezählte Tanzgruppen passieren unter viel Beifall und Jubel die Menschenmenge. Witzigerweise sind die Uruguayos alle textsicher und können bei jedem Tanzensemble mitsingen. Alkohol ist kaum im Spiel - was die im Tee haben, weiß ich auch nicht, aber es duftet dermaßen nach Gras, dass ich nach einer halben Stunde im Gedränge fast bekifft bin. Marihuana ist in Uruguay legalisiert, für den, der es nicht wissen sollte, was man ja auch nicht muss. Kurzum, richtig schön bunt!

Vielmehr Aktionen habe ich mir für Montevideo nicht vorgenommen, oft sitze ich am Plaza Fabini, der mit seinem Springbrunnen ganz beschaulich wirkt, und lasse die Menschen an mir vorbeiziehen. Der wahre Grund ist aber, dass es hier eines der ganz wenigen netten Cafés in der Innenstadt gibt, wo man draußen sitzen kann und auch noch guten Käsekuchen bekommt. So vergeht die Zeit, nebenbei bearbeite ich noch einige Fotos und Filme und schreibe ein wenig, aber das ist bei der Affenhitze nur Stückwerk, was sich nicht so richtig fügt.

Dann kommt auch schon der Tag, an dem ich mein Motorrad abholen kann. Die Jungs waren schneller als gedacht und ich mache mich wieder mit dem Bus Nr. 21 auf, diesmal in die andere Richtung. Es dauert eine knappe Stunde, ich erlebe das als eine beschauliche Stadtrundfahrt und genieße die ganzen Eindrücke samt dem tiefenentspannten Busfahrer, der den Eindruck erweckt, als mache er den Job nur als Hobby. Soviel Freundlichkeit wie er versprüht, kann das gar nicht anders sein. Mir fallen im Gegensatz dazu gerade die Berliner Busfahrer ein, aber das ist eine andere Geschichte.

Da steht sie. Lässig und charmant auf dem Seitenständer, mitten auf der Wiese. Blitzblank geputzt und nagelneue Schuhe. Rodrigo, der Werkstattchef kommt mir schon entgegen, gute Nachrichten, die Ventile mussten nicht gemacht werden, ansonsten alles perfekt. Das Geschäftliche lasse ich mal weg, ich weiß auch nicht so genau, wieviel ich bezahlt habe, habe nicht so genau hingesehen. Ist eh egal. Will ich auch gar nicht wissen. Bienchen ist wieder top fit und hübsch, bis nach Santiago wird das reichen, wir können weiter! Ciao und buen viaje!

21. Januar 2023 - Bis Tacuarembó alles grün

Auf nach Norden. Es sind drei oder vier Etappen bis nach Foz do Iguacú. Ich weiß nicht genau, was mich erwartet. Es wird warm, soviel ist sicher. Am Samstagmorgen verlasse ich bei angenehmen Temperaturen Montevideo, ich bin schnell auf der Ruta 5, die mich zum Tagesziel nach Tacuarembó bringen soll. Dort ist nichts Besonderes, außer ein nettes Hotel und es ist die Distanz, die ich bei der Hitze noch so gerade als erträglich empfinde. Genau 400 Kilometer.

Uruguay ist grün und gleichmäßig dünn besiedelt. So zumindest erscheint es mir auf meinem Weg durch die Mitte. Vorherrschend Landwirtschaft, etwas Rinderzucht und wenig Industrie. Die Infrastruktur ist hervorragend, so zumindest die Versorgung mit Tankstellen, Restaurants und lauschigen Rastplätzen. Die Straßenqualität und die Brücken sind in sehr gutem Zustand, der Verkehr ist angenehm defensiv und relaxed. Wie gesagt, ich weiß nicht, was die in ihrem Mate haben (s.o.). In den Ortschaften gibt es kluge Umfahrungen und sehr aufgeräumte Vorstädte. Und auch hier sind die Leute äußerst freundlich und hilfsbereit, wenn es darum geht, einen dreckigen Mopedfahrer mit nahrhaften Pausensnacks, Kaffee und Wasser zu versorgen. Abwechslung gibt es wenig und so erreiche ich gegen 17:00 Uhr mein Hotel in Tacuarembó, das sich den alten Ford T zum Motto gemacht hat und nebenbei ein Museum mit jeder Menge Auto- und Eisenbahnkram betreibt. Zimmer perfekt, Preis bei Barzahlung sehr gut, für Essen und Trinken ist gesorgt. Kalt duschen und Feierabend für heute.

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