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🇧🇴 Auszeit 2022 - Bolivien

5. Februar 2023 - Hochlandtour bis Schlammtown

Früh, zu früh, klingelt mein Wecker, draußen ist leichter Nieselregen zu sehen, nicht allzu schlimm. Noch vor dem Frühstück fahren wir um 7:00 Uhr tanken. Ein gutes Gefühl wenn der Tank wieder voll ist. Für das Frühstück lassen wir uns Zeit, sonst beginnt der Tag schon hektisch. Schließlich haben wir einen langen Ritt und eine Grenze vor uns. Packen, Regenpelle an (igitt) und fertig. Wir fahren los.

Der Regen hält sich zurück, was sehr erfreulich ist, langsam steigen die Straßen an und werden leerer. Überall sind die typischen gestreiften und gewellten Berge zu sehen, eine einzigartige Geologie. Es ist leer hier oben, rechts und links weiden Lamas und wir halten oft an für Fotos, schließlich mussten wir auf die „14 Farben von Hornocal“ verzichten, das holen wir jetzt nach. So sind die ersten gut 150 Kilometer bis zur bolivianischen Grenze sehr kurzweilig und vergehen überraschend schnell.

Die Grenze ist das reinste Chaos. Die mit Abstand am schlechtesten organisierte Grenze der ganzen Reise. Es ist nicht klar, welche Schlange für wen ist, fragen wird mit Schulterzucken beantwortet. Offizielle gibt es wenige. Die Reihenfolge der Formalitäten ist normalerweise so: Ausreisestempel, optional COVID check, Einreisestempel, Zoll Ausreisedokument, Zoll Einreisedokument. Hier aber ist alles durcheinander, es stehen mehrere Container einfach nebeneinander. Ich suche mir die freien Schalter aus und mache mir mein eigenes Einreisezeremoniell. Das führt zwar zu etwas Verwirrung geht aber schneller. Witzig ist, dass jeder(!) und jede(!) Beschäftigte nach der Erledigung seiner/ihrer Aufgaben sagt, ich sei fertig und könne jetzt einfach passieren. Aber weit gefehlt, irgendwo scheitert man an irgendeiner Grenzsoldatin, die einen sehr freundlich - das muss man sagen - zurückschickt. „Gehen Sie zurück auf Los.“

Nach anderthalb Stunden bin ich durch. Für ein paar chinesische Biker endet der Spaß an dieser Stelle. Sie scheitern an den widersprüchlichen Informationen, dass Bolivien ein gültiges US-Visum akzeptiert. Offenbar existieren in La Quiaca eigene Regeln. Konsulat im Ort hat sonntags geschlossen, also einen Tag Däumchendrehen und übernachten in einem lausigen Grenzkaff. Ich muss noch 15 Minuten auf die Zollinspektion meines Motorrades warten, bis sich ein ganz wichtiger, gut frisierter Rotzlöffel in Schneckengeschwindigkeit herbemüht, um mich dann mit müdem Augenaufschlag unkontrolliert durchzuwinken. Ich kann diese Arroganz einiger Staatsdiener nicht leiden. Egal, ich bin durch. Die bolivianische Seite ist Höllenchaos. Händler, Fressbuden, Abgasdreck, Auto- und Menschenschlangen. Das Trillern eines Polizisten ignoriere ich, ich fahre kurzerhand die Einbahnstraße entgegengesetzt. Es ist der kürzeste Weg, bloß weg hier. Tschüss!

Nur wenige Kilometer weiter kehrt wieder Ruhe ein, die Straße ist leer und ich bin alleine mit der schönen Welt des ansteigenden Hochlandes Boliviens. Bis Tupiza geht es flott, dann muss ich den Weg suchen, denn die Straße ist nagelneu asphaltiert, die alten Schilder lässt man aber stehen. Ich lande auf der alten Sandpiste und bin etwas verunsichert. Es fügt sich aber als ich nach etwas Modder wieder auf der Hauptstraße lande und meinen Weg fortsetzen kann. Eine unbefestigte Schluchtendurchfahrt begeistert mich, der Rest ist Luxusasphalt. Die einzigartige, leere Landschaft zieht mehrere Stunden an mir vorbei, weite versteppte Flächen wechseln sich ab mit schroffen Bergen in Orange und Rostrot. Steile Felswände lassen nur winzig erscheinende Spalte offen, die als Durchfahrt ausreichen. Links tauchen markante, längs verdrehte Steinsäulen auf, die mich an versteinerte, verzwirbelte Papiertaschentücherecken erinnern, mit denen Oma mir als Kind immer die Nase sauberbohrte wenn ich vom Spielen reinkam. Heute passiert das nicht, stattdessen steigt mir der ganz eigene Duft des Hochlandes in die Nase. Schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung aus feuchter Tonerde und Thymian. Was das vorhergesagte Wetter angeht, ich bin froh. Der Regen hält sich zurück, der ein oder andere Schauer erwischt mich zwar und auf über 4000 Höhenmetern wird aus dem Regen auch mal Hagel. Aber danach klart es auf und beschert mir schönstes Hochland. Sogar die Sonne lässt sich sehen.

Und dann kommt Uyuni. Angekündigt hatten es schon viele Biker, aber was darunter genau zu verstehen ist, wird mir erst klar als ich in den Ort einfahre. Ein Schlamm- und Wasserloch ohnegleichen. Straßen und Kreuzungen verschwinden unter kleinen Seen aus Milchkaffee, mein Motorrad sinkt bis zur Achse in die Brühe ein. Ohne dass jemand vor mir fährt, quere ich keine dieser Riesenpfützen. Wer weiß, was sich auf dem Grund für Löcher oder Überraschungen befinden. Die Hotelsuche wird dementsprechend kurz, ich nehme das erste und vermutlich auch eines der besten Hotels. Für bolivianische Verhältnisse extrem teuer, für mich reicht es heute, ich möchte in Ruhe ausspannen, mit Pool, einem weichen Bett und einem guten Restaurant. Und tatsächlich, alle Wünsche werden erfüllt, das tut gut.

Ein bestes Menü stillt meinen Kohldampf, ein Wasser und ein Wein meinen Durst und keine langen Wege ins Bett. Vor die Türe gehe ich heute keinen Schritt mehr. Gute Nacht!

6. Februar 2023 - Der größte Salzsee der Erde und Kinderspiele

Der Tag heute steht ganz im Zeichen einer Superlative. Dem größten Salzsee der Welt. Die Wettervorhersage ist zwar bescheiden, aber viel Zeit für Optimierung habe ich nicht. Nach dem guten Frühstück in meinem schönen Hotel mache ich mich auf durch die Pfützen und den Schlamm von Uyuni. Der nächst beste Touranbieter am Clocktower ist gerade recht, ganzer Tag mit Lunch und allem, was ich sehen möchte für bescheidene zwanzig Dollar. Gebucht. Halb zehn am Hotel.

Carlos der Fahrer holt mich pünktlich um halb elf ab, im SUV wartet schon eine bunte Gesellschaft aus Argentiniern, Chilenen, einem Israeli und Durango dem Hund. Zunächst fahren wir raus vor die Stadt zum berühmten Eisenbahnfriedhof, wo all die ausgemusterten Dampfrösser und historischen Züge der einstigen Minenbetreiber stehen. Danach geht es durch riesige Wasserlöcher und über Schlammstraßen durch Uyuni bis zur Straße nach Colchani, dem Portal zum Salzsee. Noch ein kurzer Stopp auf der Tourikirmes mit allerlei Artesanías dann endlich fahren wir auf den See hinaus. Er steht komplett unter Wasser. Das bedeutet eine ca. 10 cm tiefe Wasserschicht bedeckt die gesamte Ebene. Carlos fährt langsam wie alle andern auch, um nicht zu viele Wellen und Unruhe auf dem endlosen Spiegel zu verursachen. Das Wasser spiegelt die Wolken perfekt und es entsteht der Eindruck, als flöge man leicht abwärts in die Tiefe eines bewölkten Himmels. Ja, das ist das, was alle sehen wollen: El espejo perfecto! Der perfekte Spiegel!

Irgendwo draußen halten wir an, Carlos hat eine Route abseits der Hauptrouten gewählt und wir sind ganz alleine im Salzsee. Ich stehe einfach da und es ist sinnlos, nach rechts, links, vorne oder hinten zu gehen. Es ist keine Veränderung der Perspektive. Der Horizont ist nicht mehr aufzulösen. Weite wie ich sie noch nie erlebt habe. In den Makgadikgadi Pans habe ich übernachtet, die Badwater Basins im Death Valley habe ich gesehen und den Salzsee von Salt Lake City habe ich überquert, aber was ich heute sehe, ist unübertroffen. Ich weiß nicht genau, wo ich bin, es fühlt sich an, als wäre ich zwischen Himmel und Erde. Zweihundert Kilometer nur Salz mit zehn Zentimetern Wasser. Eine unglaubliche Landschaft. Kleines Lunch mit leckerem Quinoa Salat und dann ein paar amüsante Kinderspielchen auf dem Wasserspiegel. Nun ja, es macht Spaß...

Wir besuchen noch den Plaza de Banderas und dann holt uns der Regen ein, was eine atemberaubende Stimmung auf dem Salar erzeugt. Ich bin fasziniert, ein unglaublicher Ort. Irgendwann sind wir zurück, ich genieße mein schönes Hotel und am Abend bin ich noch mit Christoph verabredet, der heute auch in Uyuni eingetroffen ist. Was für ein toller Tag.

7. Februar 2023 - Vom Schlamm in den Sonnenschein

Es ist Fahrtag. Ich habe mir die Wettervorhersagen mehrmals angesehen, aber irgendwo wird mich der Regen heute erwischen. Nun ja, was soll’s?

Ich werde wach vom Regen auf dem Dach und habe vielmehr das Bedürfnis, mich noch einmal umzudrehen als aufzustehen, aber es würde keine Verbesserung bringen, also aufstehen und auf zur Pazifikküste. Gutes Frühstück, dann Bienchen holen. Sie springt nur mühsam an, alles ist kalt und klebrig. Das Öl ist dick und zäh, zwei Nächte bei 6°C im Regen bleiben nicht ohne Auswirkung. Packen und los.

Trotz gezogener Kupplung kann ich beschleunigen, so dick ist das Öl. Klar, im heißen Uruguay bei der Inspektion hat man kein Kaltwetteröl eingefüllt! Kurze Schlammfahrt, ich muss noch tanken. Die Tankstelle an der Hauptroute hat keinen Sprit und ich muss durch die ganze Wasserlandschaft zum andern Ende von Uyuni. Volltanken und jetzt auf dem kürzesten Weg auf die Piste, denn die ist komfortabel asphaltiert.

Die zwei anfänglichen, kleinen Schauer seien erwähnt, aber ab da ist es eine wunderschöne Fahrt. Bunte Berge, weites Hochland und erloschene Vulkane säumen meinen Weg. Ich genieße die Aussichten und die leere Straße.

Die Stunden vergehen, ich passiere das chaotische Oruro und früher als geplant am Nachmittag erreiche ich die chilenische Grenze in Colchane. Die Abfertigung geht super schnell, der Himmel zieht sich zu und ich entscheide mich, hier oben zu übernachten. Kleine Hotelsuche, viel Auswahl ist nicht, ich nehme das nächst beste. Ein kleiner Laden an der Straße, zwei Mädels mit langen Zöpfen empfangen mich herzlich und ich habe eine trockene Bleibe für die Nacht. Abendessen gibt es auch, ich bekomme vorgesetzt, was die Küche heute hergibt, fertig! Es schmeckt, ich werde satt, dann erhole ich mich von der Fahrt. Gute Nacht.

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