🇳🇿 Auszeit 2022 - Neuseeland

18. September 2022 – Welcome und mir fehlen die Worte...

Die Nacht ist kurz und der Flug scheint nicht enden zu wollen. Irgendwann ist ein neuer Tag... Wie das so ist, am Ende geht’s dann doch ganz schnell. Wir passieren die „Südlichen Alpen“ im Anflug auf Christchurch. Eine atemberaubende, schneebedeckte Berglandschaft mit Fernsicht zeigt sich, die Gipfel sind unberührt und kleine blaue Flüsse im Tal wirken wie Rinnsale von Wasserfarben auf grober Leinwand. Neuseeland gibt seine erste Visitenkarte ab, ich habe keine Worte, bin nur überwältigt! Die Jungs im Cockpit legen eine lautlose Bilderbuchlandung hin, die extrem freundliche Immigration macht einen vorbildlichen Job, man glaubt es kaum, die waren sogar zum Scherzen aufgelegt. Mein Officer vom Zoll fragt mich systematisch nach verbotenen Waren ab, da hier große, berechtigte Sorge bezüglich Tierseuchen und invasiver Organismen herrscht. So fragte er mich unauffällig zwischendurch nach „deutscher Schokolade“. Das war wie eine Fangfrage à la Rudi Carell. Ich muss laut lachen und parierte geschickt mit einem empörten „Nein“ und der Empfehlung der belgischen Meistermarken. Wir vereinbaren unverbindlich die Zusendung größerer Gebinde sobald ich zurück in Europa bin. Das war's schon, ich bin durch alle Formalitäten durch und zum ersten Mal zu Gast in Neuseeland. Und da ist es wieder, dieses einzigartige Gefühl, wenn man zum ersten Mal etwas Berühmtes sieht oder erlebt oder besucht, auf das man sich sehr lange gefreut hat. Dieses Gefühls werde ich nie überdrüssig und es wird immer ein besonderes bleiben. Ich nehme mir ein Taxi zum Camper-Pick-up.

Sehr entspannt ist die Übergabe des Vehikels, mit dem ich die nächsten sechs Wochen alleine durch Neuseeland kreuzen werde. Herrliches Wetter macht gute Laune, aber es ist richtig kalt. 7°C morgens um 10:15h. Warme Sachen habe ich dabei. Die Karre ist genau richtig: Etwas abgeranzt und äußerst praktisch eingerichtet, Diesel und alles dabei, was ich brauche. Ich setze noch ungezählte Unterschriften unter ungelesene Dokumente, nützt ja nix, ohne diese bekomme ich die Kiste nicht... Ziel Nummer eins ist ein großer Supermarkt, Ziel Nummer zwei irgendein Campingplatz noch in Canterbury, denn heute fahre ich nicht mehr weit. Der Linksverkehr geht besser als erwartet, es macht richtig Spaß auf diesen wenigen, leeren Straßen. Einkauf klappt gut, nicht ganz billig und einen freundlichen Campground finde ich auch sehr schnell. Dann will ich den ersten Abend mal genießen, der Sonnenuntergang tut das Seinige dazu. Es ist richtig frisch, aber ich kann mir heute nichts schöneres vorstellen als hier zu sein! Gute Nacht!

19. September 2022 – Early bird und die Reusen der Ahnen

Guten Morgen Neuseeland! Was für ein herrliches Erwachen. Noch genieße ich den Jetlag-Effekt, der mich sehr früh munter sein lässt. Es ist 6:21h, eine Uhrzeit, die in meinem Leben im Wachzustand nur selten vorkommt. Der Himmel ist zart lila und kündigt den bevorstehenden Sonnenaufgang an. Draußen ist es frisch und es herrscht eine erholsame Stille. Der Campground hier in Ashburten ist ein typischer Kleinstadtrandcampingplatz. Auf einer enormen Fläche sind viele Stellplätze sehr geometrisch und zweckmäßig angelegt. Klar getrennt nach „powered“, „self contained“ und „tents“. Der Rasen ist tadellos, ebenso die Duschen, die Küche und die Lounge. Ja, ja, heutzutage haben Campingplätze auch Lounges. Mit Sofas und Großbildfernsehern, manchmal findet man sogar Kamine! Die Küchen sind mit allem ausgestattet, was das Herz begehrt: Toaster, Wasserkocher, Perkolator, Mixer, Töpfe, Geschirr, Kuchenformen, Wein- und Sektgläser. Wow! Die Preise dafür sind meist mehr als fair und aktuell in der Vorsaison ist es zu meiner Freude noch sehr leer. Dann werde ich mir jetzt mal den ersten Kaffee in Neuseeland zubereiten... Natürlich mit dem eigenen Equipment, das besteht aus einem Wasserkocher, einem Löffel und einem Kaffeepott. Ich praktiziere das Instantverfahren! Dazu gibt’s mein Camperfrühstück, Rührei heute mit Pilzen. Der Tag kann kommen.

Es ist Zeit für die Abfahrt. Schön aufpassen und links fahren. Es ist wie immer in den ersten Tagen sehr gewöhnungsbedürftig und ich muss mich auch dieses Mal sehr konzentrieren. Die Straßen sind leer und Verkehr gibt es hier nicht wirklich, was die Sache erheblich erleichtert. Die erste Stunde heißt es dann noch, sich an die Verkehrsgepflogenheiten zu gewöhnen, anschließend kann ich die Fahrt genießen. Im Radio werden uralte Kamellen aus den 70ern und 80ern gespielt, Reisemusik aus längst vergangenen Zeiten. Diese Musik mischt sich mit meiner Begeisterung, in einem neuen Land unterwegs zu sein, etwas neues zu entdecken und zu erleben. Der Kiwi-Akzent der Moderatoren mit dem typischen langen „i“ ist herrlich, ich verstehe ihn auch viel besser als andere englische Akzente.

Es ist ganz schön grün hier und Schafe haben die Neuseeländer reichlich. Ich fahre schon seit einer Stunde auf dem Highway Nr. 1 an der Küste entlang Richtung Süden. Mein erstes Ziel ist die Otago-Halbinsel bei Dunedin. Hier gibt es Albatrosse, Zwerg- und Gelbaugenpinguine. Doch dazu später. Bei Moeraki ist eine Pause fällig, hier gibt es mysteriös erscheinende, besonders große Gesteinskugeln, von denen immer neue durch die fortschreitende Erosion der Küste freigespült werden und dann bis an den Strand vorrollen. Dort versinken sie halb im Sand und werden nun vom Meer weiter erodiert bis sie letztendlich zerbrechen und ihren hohlen Innenraum preisgeben. Die Maori dieser Gegend kennen die Wahrheit: Diese Steinkugeln sind Überreste von Reusen des Kanus Arai-te-uru, das die Ahnen ins Jenseits brachte. Die Schrumpfungsrisse auf den Kugeln sind Abdrücke von Netzen. So will es die Überlieferung.

Nur noch ein kleines Stück zu fahren, ich habe mir einen kleinen Campingplatz in Portobello ausgesucht. Das letzte Stückchen von Dunedin ist unglaublich schön. Es führt durch grünes Weideland und die Straße ist herrlich einsam und wirkt geradezu geheimnisvoll mit ihren steilen Anstiegen und Gefällen. Hier baut man geradeaus! Ich genieße die Fahrt durch üppigen Ginsterbewuchs und erreiche das kleine Portobello. Am Campingplatz empfängt mich eine lustige alte Frau. Sie kassiert lumpige NZ$22 für alle Annehmlichkeiten, die der Stellplatz bietet und wir kommen sogar noch ins Plaudern – natürlich mit herrlichem Kiwi-Akzent! Ich muss aufpassen, dass ich mir das nicht angewöhne, sonst lachen später alle, wenn ich Englisch spreche. Obwohl, was kümmert mich das? Ich buche zwei Nächte, denn ich habe mehrere Aktivitäten geplant und Eile habe ich ja auch keine.

Abendbrot in meinem gemütlichen Van, dann genieße ich die Ruhe und den nächtlichen, periodischen Gesang eines Vogels. Welcher, dazu kommen wir später. Gute Nacht.

20. September 2022 – Ein Schaf namens Pauly und Blaue Pinguine

Es ist 6:25h und er singt immer noch. Der Vogel von gestern Abend. Und immer noch die gleiche Melodie. Ganz klar und laut, schließlich muss der Gesang den Urwald hier durchdringen. Ich mache eine Tonaufnahme, vielleicht kann mir ja irgendwann mal jemand sagen, was es für ein Vogel ist. Und während ich so lausche bereite ich mir meinen ersten Kaffee zu. Draußen ist es leicht nieselig und recht kühl, aber das wird schon noch. Der Plan für heute ist, zum Allans Beach runter zu fahren, vielleicht treffe ich dort Robben, danach zum Royal Albatros Center und wenn noch Zeit ist zum Pinguine Place. Aber erst verlängere ich noch um eine Nacht, es ist schön hier und heute Nacht singt bestimmt wieder der Kollege im Urwald.

Frühstück war lecker, alles fahrtauglich verstauen, Landstromkabel nicht vergessen abzuziehen und los geht’s. Es ist nicht weit bis Allans Beach, die Straßen dorthin sind aber sehr klein und extrem steil. Wie schon oben erwähnt, baut man die Straßen hier auf dem direkten Wege. Über Schotter geht die Fahrt dann durch Wetlands zum Strand. Der provisorische Parkplatz am Ende der Sackgasse ist leer. Das letzte Stück muss ich zu Fuß zurücklegen. Über eine Zauntreppe steige ich in das ufernahe Farmland ein, der kleine Trampelpfad ist sandig und ein leichter Seewind kündigt schon das Meer an. Und was soll ich sagen, hinter der letzten Düne liegt mir ein menschenleerer Strand zu Füßen, keine Infrastruktur, kein Müll, keine Menschen, nicht einmal Fußspuren. Allerdings auch keine Seehunde oder gar Seelöwen. Schade. Ich gehe bis ans Wasser. Dorthin, wo der wässrige Sand eine nichtnewtonsche Flüssigkeit ist und ich deshalb besser auf ihm laufen kann. Nur stehenbleiben darf ich nicht, weil dann die Schergeschwindigkeit geringer wird und ich einsinken würde. Meine Spuren im Sand werden sogleich von den Wellen wieder glattgeschwemmt. Dann mache ich extra tiefe Spuren, so dass sich das Meer anstrengen muss und zwei Wellen braucht bis alles wieder glatt und unberührt aussieht. Und wenn ich irgendwann vom Wasser weggehe, dann kommen die Wellen nicht mehr weit genug, um meine Spur zu löschen und es sieht so aus als sei jemand aus dem Meer gekommen. Herrliche Strandspiele! Auf die Sandburg verzichte ich aber, da ich keine Schüppe dabei habe...

So vergeht die Zeit und ich mache mich auf den Rückweg, denn ich habe ja noch etwas anderes vor. Der Nieselregen hat schon längst aufgehört und ich genieße die Aussichten auf der kurzen Fahrt zum Harrington Point. Rechts steht das Schild zum Pinguine Place, ich halte an und erkundige mich. In einer halben Stunde geht die Führung los, das passt. In einer Fünfergruppe machen wir uns mit der Rangerin auf den Weg in das Schutzgebiet der Gelbaugenpinguine, die es nur hier im südlichen Neuseeland und auf ein paar vorgelagerten Inseln gibt. Fast zwei Stunden laufen wir durch das Schutzgebiet, wo sich Howard McGrouther seit 1985 privat für den Schutz und die Rettung der ernsthaft bedrohten Art stark macht. Ein unglaubliches Unterfangen. Zunächst musste das gesamte Habitat der Pinguine wieder aufgeforstet werden. Rodung und Kaninchenfraß hatten fast die ganze Vegetation vernichtet. Man muss dazu wissen, dass Gelbaugenpinguine versteckt im Gebüsch brüten, dort sind sie sicherer vor Fressfeinden. Endlose Gräben wurden in den folgenden Jahren gegraben und mit Tarnnetzen überdacht, so dass die Pinguine sicher gezählt und beobachtet werden können, ohne sie zu stören. Viele weitere Hürden und Rückschläge musste McGrouther hinnehmen, nicht nur was die Finanzierung des Projektes anging, sondern auch die Dezimierung der Brutpaare durch mysteriöse neue Krankheiten. Noch gibt es 17 Brutpaare an diesem Strand und ein großer Teil des Überlebenserfolges beruht auf dem Prinzip Hoffnung in den nächsten Jahren.

So haben wir heute auch kein Glück gehabt mit der Sichtung der Pinguine. Viele brüten derzeit und verlassen ihre Brutlöcher nicht. Dafür lungerten ein paar halbstarke Robbenmännchen in der Wiese herum. Sie sind aus dem Verband am Nachbarstrand rausgeflogen, so machen Robben das halt. Nun ja, als Entschädigung für den gewissen Frust zeigt uns die Rangerin noch ein kleines Kunststück. Am Weidenzaun ruft sie ganz laut „Pauly“. Aus einer grasenden Schafherde kommt sofort genau ein (1!) Schaf im Eiltempo angerannt, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. So ist das wenn waise Lämmer mit der Hand aufgezogen werden.

Es geht weiter zum Royal Albatross Center. Allerdings ist dort heute nicht viel zu sehen, da kein Lüftchen weht und ohne Wind können diese Riesenvögel nicht fliegen. Schade. Damit nun der Tag nicht ganz ohne Erlebnisse zu Ende geht, schließe ich mich noch einer kleinen Tour zu den Zwerg- oder Blauen Pinguinen an. Sie kommen in der Dämmerung von ihren Futtertouren zurück. Erst wenn es dunkel ist verlassen sie das Wasser und watscheln über den Strand zu ihren Nestern in den Büschen. Das tun sie deshalb, weil sie so klein sind und bei Tageslicht einige Prädatoren zu fürchten haben. Es fängt wieder an zu nieseln als wir uns aufmachen runter zum kleinen Strand. Das Conservation Center hat sich viele Jahre viel Mühe gegeben den Lebensraum für die winzigen Pingus so gut wie möglich zu regenerieren und trotzdem den Gästen eine Beobachtung möglich zu machen. Und dann kommen sie. Gruppenweise steigen sie aus der leichten Brandung, prüfen, ob die Luft rein ist, dann rennen sie los über den gefährlichen Strand bis sie das rettende Gebüsch erreichen. Von dort aus macht sich jeder einzelne auf zu seinem Nest. An die Touris und das künstliche Licht haben sie sich gewöhnt und lassen sich nicht stören. Na dann gab’s ja heute doch noch ein kleines Erfolgserlebnis.

Kurze Nachtfahrt zum Campingplatz, ich bin müde. Morgen geht’s weiter.

21. September 2022 – Urwald, Wasserfälle und 4803 km bis zum Südpol

Heute ist wieder Fahrtag. Und damit das keine reine Kilometerfresserei wird, habe ich mir drei kleine Orte auf der Karte angekreuzt: Die McLean Wasserfälle, die Niagarafälle und Slope Point, den südlichsten Punkt der Südinsel. Für die McLean Fälle muss ich noch einen kleinen Weg durch den Urwald hinter mich bringen. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Zumindest nicht wenn man diesen grünen Dschungel mit den ziemlich frischen Temperaturen gleichzeitig erlebt. Es tropft und plätschert überall, alles ist nass und glitschig. Dafür wächst hier alles um die Wette. Bäume, Farne, Palmen, Moose, Ranken, Tilandsien, Gräser, einfach alles, was irgendwann irgendwie hier hingelangt ist. Ich bin mal wieder alleine unterwegs, was mir sehr recht ist. So kann ich jederzeit stehenbleiben, gucken und den unbekannten Vögeln lauschen, die ich nie sehe, sondern nur höre. Je weiter ich vordringe, umso näher komme ich dem kleinen Fluss, der sich mit seinem Rauschen allmählich in die Urwaldgeräusche einmischt. Ich würde mich nicht wundern, wenn hier gleich Fabelwesen oder Tarzan persönlich auftauchen. Dann geht es noch einmal etwas bergauf und an einer Felswand entlang. Und da ist er, der McLean Wasserfall. Nicht übermäßig riesig, aber das ganze Ambiente, so mitten in einem Urwald, mit so vielen unbekannten Pflanzen beindruckt mich sehr. Eine ganze Weile schaue ich dem stetigen Ereignis zu. Wasser fällt in die Tiefe. Immer gleich und in jedem Augenblick anders. Wunderbar!

Auch der nächste Halt ist ein Wasserfall und kein geringerer als die Niagarafälle. Die von Neuseeland wohlgemerkt. Und die Geschichte geht so: Der Gründer des kleinen Ortes hier im Süden Neuseelands kannte wohl die großen Fälle in Amerika und war reichlich beeindruckt davon. Nach seiner Rückkehr gründete er eine kleine Farm, die er Niagara taufte. Daraus wurde mit den Jahren ein kleines Dorf und da es am Ortsrand namenlose Wasserfälle gab, lag es nahe, dass diese dann konsequenterweise auch Niagarafälle heißen mussten. Sehr amüsant, ich finde, das hat was.

Nummer drei ist der südlichste Punkt der Südinsel, genannt Slope Point. Richtung Süden ist bis zur Antarktis nur Wasser. Nach einem kleinen Fußmarsch über grüne Wiesen erreiche ich den sehr schroffen Felsen von Slope Point. Mehr als eine kleine Wetterstation und einen Wegweiser gibt es hier nicht. Zudem ist die Steilklippe schwer abbruchgefährdet, bei dem krümeligen Boden halte ich mich deutlich entfernt von der Kante. Ich lasse mir eine Weile den Pazifikwind um die Nase wehen, genieße die herrliche Frühlingssonne und mache mich dann auch schon auf den Rückweg. Es ist schon später als ich dachte und ich muss noch ein Stückchen bis zum Wunsch-Campingplatz.

Die restliche Fahrt geht durch herrliches Grünland, Schafe ohne Ende. Die Lämmer sind alle schon da und putzmunter unterwegs. So vergeht die Zeit bis Invercargill recht zügig und ich erreiche den Campingplatz noch gerade vor der Dämmerung. Zum Kochen ist es zu spät, außerdem ist heute eh Salattag. Das war trotz der Fahrerei ein richtig toller Tag.

22. September 2022 – Fahrtag mit Seele volltanken

Die Nacht war sehr erholsam, der Kaffee ist heiß und die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Es ist neun Uhr, draußen liegt Tau und wir haben gerade mal 8°C. Es gibt Müsli mit Honig und Joghurt. Nein, heute kein Camperfrühstück, es ist Fahrtag und den verbringe ich meist sitzend mit wenig Kalorienumsatz. Die Schüssel ist schnell leer und die Sachen sind anschließend schnell gespült und eingeräumt. Kabel abnehmen, alles fixiert in der Karre, es geht los.

Invercargill ist so ein aufgeräumtes Flächenstädtchen im Schachbrettstyle. Keine hohen Gebäude, alles ist in die Breite gebaut. Man hat ja ausreichend Platz hier. Eine Auffälligkeit stelle ich aber fest, die Stromversorgung ist hier unterirdisch verlegt, was das Stadtbild sehr mitteleuropäisch erscheinen lässt. Bei der erwähnten Schachbrettgeometrie ist der Weg aus Invercargill hinaus sehr leicht zu finden: Geradeaus Richtung Norden bis ein Schild nach Riverton kommt, dann bin ich auf dem richtigen Weg entlang der Southern Scenic Route. Sie ist die kleinste Straße an der Küste entlang und später die Straße, die am nächsten an den Bergen entlang Richtung Te Anau führt. Das lässt schöne Wegeindrücke erwarten.

Es gefällt mir, mit nur 60 km/h rumzueiern, das ist gerade mal Sightseeing-Geschwindigkeit. Erstens ist eh kein Mensch auf der Straße und wenn, dann kann er ja überholen. Hier und da fahre ich links ran (nicht rechts!), wenn es mir gefällt und sehe mich satt an Landschaft, mache Fotos oder Kaffee oder sitze nur da und tanke Lebensenergie. Und von diesen Seelentankstellen finde ich mehr als genug. Eine ist Monkey Island. Nichts besonderes, es stand halt ein Schild an der Hauptstraße, und dann gehe ich einfach mal gucken. Schön hier, am Strand reitet gerade eine Frau entlang und keine hundert Meter vor der Küste liegt Monkey Island, bei Ebbe kann man vermutlich trockenen Fußes hinüberlaufen. Auf der anderen Seite der Bucht ragen hoch die Berge der südlichen Alpenkette auf mit ihren weißen Schneegipfeln. Dazwischen blaues Wasser des Pazifik. Einmal Seele volltanken, bitte!

Etwas weiter entlang meiner Route liegt Clifden. Hier steht seit über einhundert Jahren eine historische Hängebrücke, die den Waiau River überspannt. Ein architektonisches Meisterwerk aus dem Jahre 1899. Diese Hängebrücke war seinerzeit eine essentielle Verkehrsverbindung in einem sehr abgelegenen Teil von Southland. Sie wurde 1898-99 mit handgemischtem Beton erbaut, um einen kleinen Kahn zu ersetzen und blieb bis 1978 die einzige Brücke an dieser Stelle. Noch heute kann sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad überquert werden.

Die restlichen kleinen Highlights sind eher zufällig. So erreiche ich bei Brunel eine Tiefebene. Ein atemberaubendes Erlebnis, denn man kommt aus dem Nachbartal über einen Sattel und es tut sich plötzlich eine gewaltige Senke auf, durch die ein kleiner blauer Fluss fließt. Stehenbleiben ist nicht ganz ohne, es gibt keine Haltebuchten, ich mache es trotzdem an einer einigermaßen übersichtlichen Stelle, denn von dem Tal möchte ich ein Foto machen. Klick! Geht doch.

Und dann merke ich, es ist „Zeit für eine Kleinigkeit“, wenn ich Pooh den Bären mal frei zitieren darf. Was für ein Zufall, dass nur wenige Kilometer weiter an einem Abzweig im nirgendwo ein geniales Café steht. Wiese, Blockhütte, Gartenstühle, Biokaffee und Biokuchen. Wow! Die supernette Bedienung bringt mir einen perfekten Cappuccino und ein umwerfendes Muffin in den Garten. Ich sitze exakt so, dass ich auch mit der Tasse am Mund die Schneegipfel in der Ferne sehen kann. Schon wieder Seelentanken - mit etwas Gebäck.

Der Tag ist schon weit fortgeschritten und die Dämmerung kündigt sich ganz langsam an. Noch fünfzehn Kilometer bis zu meinem Ziel Te Anau am gleichnamigen See. Einchecken, Camper abstellen und dann reicht die Zeit noch für einen kleinen Abendspaziergang am See. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen am anderen Ufer, alles ist in ein bläuliches Licht getaucht. Dann wird es schnell kühl, es ist ja erst Frühlingsanfang. Zurück in meinem warmen Motorhome mache ich es mir gemütlich, es gibt Abendbrot und ich lasse den Tag Revue passieren. Es war ein wunderbarer Tag!

23. September 2022 – Milford Sound

Milford Sound für Neuseeland ist so etwas wie der Arc de Triomphe für Paris. Da muss man einfach hin. Ich habe nicht die Illusion, dass ich dort alleine bin, allerdings darf ich mich glücklich wähnen, im frühen Frühling unterwegs zu sein und da ist definitiv wenig Tourismus dort. Für das Frühstück lasse ich mir viel Zeit, von Te Anau ist es nämlich nicht weit bis zum Milford Sound. Unterwegs gibt es noch einen hübschen Trail, den ich mir für heute auf den Zettel geschrieben habe, ich werde sehen, was ich draus mache. Die gut einhundert Kilometer lange Anfahrt beginnt mit atemberaubender Landschaft und steigert sich dann mit jedem Kilometer. Zunächst liegen rechts und links noch Schafweiden dann folgen sogenannte Flatlands. Ständige Begleiter am Horizont sind die schneebedeckten Berge der Südalpen. Flüsse durchziehen die Graslandschaften und der Regenwald hat mit der Zeit richtige Tunnel über den Highway 94 gebaut. Erster Stopp sind die Mirrow Lakes, das sind glasklare Schwarzwasserteiche, die perfekt im Reflektionswinkel des schneebedeckten Mount Eglinton liegen. Ich habe Glück, es ist windstill und die Spiegelung ist perfekt. Im weiteren Verlauf der Fahrt halte ich ungezählte Male an, mache Fotos oder bestaune einfach nur diese unglaubliche Landschaft. Den geplanten Divide Trail lasse ich aus, denn es soll morgen bedecktes Wetter sein und ich möchte die Schifffahrt im Milford Sound unbedingt bei gutem Wetter, also noch heute machen. Das letzte Boot geht um 13:45h, das sollte ich schaffen. Schaffe ich auch! Schlappe sechzig Euro muss man hier berappen für die lohnenswerte Bootsfahrt entlang des Milford Sounds bis in den Pazifik. Delfine, Robben und Pinguine inklusive.

Halstuch um, Jacke zu, Hände in die Taschen. So ist es toll vorne auf dem Vorschiff hinaus in den Fjord. Rechts und links erheben sich monumentale Wände aus Stein in hunderte Meter Höhe. Die Wasserfälle zähle ich nicht mehr, große Kaskaden und kleine Rinnsale stürzen hier zu hunderten in den Fjord. Manche erreichen nie das Wasser, weil sie vom Wind einfach zerblasen werden. Die Vegetation lässt keinen Quadratmeter aus, ihr üppiges Grün zu verbreiten, mögen die Wände auch senkrecht sein, die Natur schafft das. Alles ist grün. Wir erreichen das offene Meer, Delfine umkreisen unser Schiff und beeindrucken uns mit ihren Schwimmkünsten. Unser weitester Punkt ist erreicht. Auf dem Rückweg besuchen wir noch eine kleine Bucht, die Pinguinen ein gefälliger Rückzugsort ist. Ein Wasserfall mit Duscheinlage und Regenbogen, dann endet die wunderbare Fahrt nach über zwei Stunden.

Ich checke im einzigen Campingplatz ein, den ich wohlweislich bereits gestern vorgebucht habe. Ein Nachtlager mitten im Regenwald. Abgeschnitten von den Medien dieser Welt habe ich einen gemütlichen Abend in meinem mobilen Zuhause. Die Nacht ist still und all die wunderbaren Eindrücke des heutigen Tages passieren mein inneres Auge bevor ich einschlafe. Gute Nacht!

24. September 2022 – Key Summit Trail und Kea Posing

Früh wach geworden und recht schnell den Campground verlassen. Wider Erwarten ist heute tolles Wetter und das Frühstück findet deshalb auch irgendwo in der Sonne statt. Der Rückweg nach Te Anau ist nicht weit und gegen Mittag habe ich eine kleine Wanderung zum Key Summit auf dem Zettel. Drei Stunden, das reicht fürs erste.

Ich finde einen schönen Frühstückspatz in der Sonne am Startpoint zum Lake Marian. Danach geht es nur zwei Kilometer weiter zum „Divide“, das ist der Einstieg zum großen mehrtägigen Routeburn Track. Ich werde aber nur den allerersten keinen Abschnitt bis zum Key Summit wandern. Schuhe zu, Windjacke zu, Kamera um und los. Die allgegenwärtigen Keas begleiten mich das erste Stück, das nutze ich für eine ausgiebige Fotosession, aber da ich kein Futter für sie habe, verlieren sie schnell das Interesse.

Seichter Anstieg durch den frischen Regenwald, der Weg ist sehr gut ausgebaut. Die üppigen grünen Pflanzen faszinieren mich, ein Überfluss, den man aus mitteleuropäischen Wäldern so nicht kennt. Und zwischendurch immer wieder die schneebedeckten Gipfel der Südalpen. Ich genieße die frische Bergluft und das Alleinsein. Nur das Knirschen meiner eigenen Schritte im feinen Schotter, die unbekannten Vögel und der kräftige Wind sind meine begleitenden Geräusche. Es plätschert zudem überall und es ist alles nass vom herabströmenden Wasser. Herrlich!

An jeder Biegung könnte ich neue Fotos schießen, ich belasse es aber bei wenigen und genieße viel lieber den Weg nach oben. Nach einer Stunde lichtet sich der Regenwald und die Landschaft geht über in baumfreie Wiesen und Moosfelder. Ab hier wird die Vegetation sehr empfindlich, Wege verlassen ist tabu, die sumpfigen Moos- und Flechtenteppiche brauchen Jahre, um einen einzigen Fußabdruck zu reparieren. Überall gibt es kleine Teiche und Tümpel, manche sind nur Pfützen. Nach zwei Stunden bin ich auf dem Key Summit, einem Gipfel, auf dem drei Flüsse entspringen, die alle in eine andere Richtung fließen, deshalb der Name. Es ist wunderschön hier oben, ich bin ganz alleine und blicke rundum auf sonnenbeschienene Schneegipfel. Das ist wieder so ein Moment, in dem die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet ist. Der hundertjährige Regenwald und die sumpfige Berglandschaft beachten mich nicht, ich freue mich, hier Gast sein zu dürfen. Highlight!

Lockerer Abstieg, noch einmal plätschernde Moose am Wegesrand und tausend Ausblicke auf Berggipfel. Ein paar schrecklich bunte Goretex-Gestalten kommen mir noch entgegen, wir grüßen freundlich. Vom Parkplatz aus fahre ich kurz darauf zurück nach Te Anau, dort werde ich eine zweite Nacht verbringen. Reserven im Supermarkt noch kurz aufgefüllt, einmal Laundry, der Rest des Abends ist entspannt aber kurz. Die Tui veranstalten noch eine lautstarke und melodiöse Abendshow im Baum neben meinem Stellplatz, Herrlich! Gute Nacht, bin platt!

25. September 2022 – Wenn die Grenze zwischen Phantasy und Reality verschwimmt

Heute morgen ist es ungewöhnlich spät als ich aufwache, dennoch ist die Stimmung draußen eher wie vor meiner Aufsteh-Uhrzeit. Ah! Heute Nacht wurde die Zeit umgestellt. Was man so alles nicht mitbekommt, wenn man Alltag und Medien weitestgehend abgeschaltet hat. Dann kann ich mich ja auf heute Abend freuen, dass es länger hell ist.

Dennoch gibt es keinen Grund, mich durch diese willkürlich fortgeschrittene Stunde beim Frühstück hetzen zu lassen. Und heute ist es eine große Tasse starker Kaffee und ein Rührei mit Tomaten. Außerdem habe ich heute keinen langen Weg vor mir, es geht nur bis Queenstown, genauer 46 Kilometer weiter bis nach Glenorchy, zum Delta des Dart Rivers in den Lake Wakatipu. Für alle Freunde der Herr der Ringe Verfilmung, diese Gegend war Kulisse für Isengard, Beons Home, Gondor, Lothlórien und mehr. Viele dieser wirklich spektakulären Drehorte sind nur über weite, teils anspruchsvolle Trails zu erreichen, so z.B. die einzigartigen Gilkison Falls (Khazad-dum Kulisse), die als ganz viele einzelne Kaskaden direkt aus einem Gletscher herabstürzen. Ebenso „The Wizard's Vail“ am Mt. Earnslaw, für den untrainierten Normaltouristen nicht erreichbar. Leider macht sich hier immer mehr die Geschäftsvariante breit, zahlungskräftige Mittelerde-Neurotiker per Hubschrauber an diese Orte zu bringen. Freunde, es ist nur ein Film! Ok, ein recht guter, aber nur ein Film! Schaut man sich dann noch die fotografischen Ergebnisse dieser Fly-outs auf Google an, findet man wertlose Selfies und alberne Jump-shots. Warum ist denn niemand in der Lage, die Faszination solcher Orte zu präsentieren – wenn er schon dort hinfliegt? Schade! Das geht doch auch anders.

So, den Kopfschüttel-Modus wieder abschalten, sonst bekomme ich schlimmen Gemütszerfall. Klick! Jetzt gut gelaunt auf nach Glenorchy. Es ist Sonntag, Low Season und Zeitumstellung gleichzeitig, die Straßen sind gespenstisch leer, sehen wir das positiv und genießen die Fahrt entlang der Eyre Mountains und des südlichen Lake Wakatipu. Ich hätte mir das alles nicht schöner ausmalen können. Unfassbar schöne Landschaften! Die kurze Passage von Queenstown geht schnell. Obgleich das Städtchen einer der historisch wichtigen Orte Neuseelands ist, ist es sehr überschaubar geblieben. Noch ein knappes Stündchen mit vielen Lookouts und Landscape Views, dann erreiche ich Glenorchy Town. Die sichtbare Infrastruktur lässt Übles ahnen für die Sommersaison, heute jedoch ist alles leer hier. What a privilege! Einchecken, wir sind nur zu zweit auf dem Campground. Der zweite ist Glen, ein witziger älterer Neuseeländer aus Dunedin. Herrlich!

Jetzt fahre ich noch raus Richtung Norden ins Flussdelta des Dart Rivers. Eine kleine Straße, die irgendwann zur Schotterpiste wird und eine atemberaubende Landschaft präsentiert. Eigentlich braucht man hier nicht noch weiter zu fahren. Was will man mehr sehen als dieses Paradies? Die einzige Piste, die es hier noch gibt, ist eine 20 Kilometer lange Sackgasse und heißt „Paradise Road“. Wer hier noch paradiesischere Landschaften sucht, hat irgendetwas nicht verstanden (hat paradiesisch überhaupt einen Komparativ?). Ich parke irgendwo am Flussufer und lasse das alles auf mich wirken. Das türkise Gletscherwasser fließt in vielen kleinen Armen durch das riesige Kiesbett. Die Luft ist frisch, es geht aber kaum ein Wind. Der Himmel ist verhangen und die Sonne über den Wolken taucht alles in ein weiches, kontrastarmes Licht. Ich laufe ins Delta hinein, dort wo ich einen Weg zwischen dem gurgelnden Wasser finden kann. Der nasse Sand dringt in meine Sandalen ein, ich fasse das Wasser an, es ist angenehm kalt. Der Geschmack ist kalkig hart. Ich möchte diesen Ort mit allen Sinnen wahrnehmen, selten habe ich Vergleichbares gesehen. Niemand außer mir ist hier, die Schneegipfel von Mt. Bonpland, Poseidon Peak und Mt. Earnslaw schauen seit Millionen Jahren in dieses Tal und seine Vorformen hinab. Als alles mit Eis bedeckt war und als das Eis wieder verschwand und wiederkam und wieder verschwand. Ich bin neu hier, sie aber waren immer da. Das, liebe Freunde, wäre Mittelerde, wenn es ein solches Land wirklich einst gegeben haben sollte! Aber damals gab es noch niemanden, der es hätte aufschreiben können.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier verweile. Es ist noch hell und ich bin verzaubert von diesem Ort! Anders kann ich das nicht beschreiben. Auf Französisch würde ich es mit meinem liebsten Adjektiv beschreiben: Féerique! Landschaft, Farben, Licht und Wind sind nicht von diesem Planeten, ich fühle mich woanders. Irgendwo unterwegs muss ich ein Gate durchschritten haben in eine andere Zeit. Die Grenze zwischen Reality und Phantasy (not fantasy!) verschwimmt wie der Horizont bei diesigem Wetter auf See. Es ist unwichtig, ob eine Königin von uns gegangen ist, ob die Erde vor ein paar Tagen gebebt hat, ob Menschen ohne Unterlass sinnlose Kriege führen oder meine eigene Spezies gerade ihr Habitat für immer vernichtet. Nicht, dass all das unwichtig wäre, nein, es ist so unendlich weit weg. Hier an diesem Ort ist die Last meines winzigen Menschleindaseins für einen Moment von den Schultern genommen. Was das Universum so alles bereithält, wenn man nur hinsieht. Glücksmomente! Was für ein besonderer Tag!

26. September 2022 – Korb der Träume und ein märchenhafter Versammlungsort am Queenstown Hill

Ein letzter Blick auf das Dart River Delta am Morgen und mein Weg führt mich zurück nach Queenstown. Ein beschauliches Städtchen, dessen Geschichte vor 900 Jahren begann, als die ersten Waitaha den Wakatipu Lake erreichten. Auf der Suche nach Greenstone, Moa und Tikumu ließen sie sich hier nieder. Später folgten Ngati Mamoe, mit denen sie sich friedlich verbanden und vermischten. Dann folgten Ngai Tahu. Über viele Generationen lebten diese frühen Maori friedlich zusammen, gaben Bergen, Pflanzen und Gewässern Namen. Ihre Lebensgrundlage war die Aalfischerei und Jagd auf Vögel. Größeres Wild gab es auf der Insel nicht. Schon damals war Tahuna (Queenstown) das kulturelle Zentrum. Als 1860 die ersten europäischen Siedler eintrafen und Weideland für ihre Schafe zu finden hofften, nahm alles die traurige und allseits bekannte Wende der Geschichte. Etwas später fand man zu allem Überfluss auch noch Gold, was so etwas wie das Todesurteil der Urbevölkerung war. Land wurde erschlossen, Natur ausgebeutet, Queenstown explodierte, eine Eisenbahnlinie wurde gebaut und im Jahre 1912 etablierte die Mount Cook Company die ersten Motorfahrzeuge u.a. für Touristen. Soviel zur Geschichte. Irgendwie eine bekannte Geschichte.

Ich möchte heute noch den Queenstown Hill besteigen. Das Wetter ist angenehm frisch und die 600 Höhenmeter sind mit drei Stunden angesetzt. Es beginnt schon in den Straßen von Queenstown sehr steil, bevor ich überhaupt am Einstieg zum eigentlichen Trail bin. Der erste Teil ist ein gleichförmiger Waldweg. Zum Millennium hat man diesen Weg etwas aufgewertet und versucht ein Bewusstsein für eine verantwortungsvolle Zukunft zu schaffen. Eine guter Schritt, möge er auf offene Ohren treffen.

Etwas weiter trifft man auf einen Platz der Märchen. Hier werden an Baumstämme kleine Türen gestellt, die vermutlich alle ihre eigene Geschichte haben. Die Vorstellung, dass sich hier nachts Kobolde und andere Fabelwesen treffen und Geschichten erzählen ist herrlich. Vielleicht kommen sie ja durch die Türen aus den Bäumen heraus. Bestimmt ist das so! Ein wirklich schöner und mystischer Ort zugleich.

Weiter geht es steil hinauf durch sehr dunkle Nadelwälder bis zum Basket of Dreams. Als Symbol für eine bessere Zeit wurde er zur Millenniumfeier hier von einem Künstler errichtet. Man kann sich in ihn hineinsetzen und die wunderbare Aussicht auf den Wakatipu-See genießen. Ich habe meine ganz eigene Interpretation, dass man sich nämlich hineinsetzen und sich dann etwas wünschen kann. Genau das tue ich auch und ich habe ein gutes Gefühl dabei.

Der Gipfel ist bei gemächlichem Anstieg noch weitere 30 Minuten entfernt. Der Ausblick ist überragend. Eine Horde Japaner ist mit irgendeinem lokalen Adventure-Anbieter mit einem Allrad von der Rückseite hier heraufgefahren und veranstaltet einen Aufriss als hätten sie Mt. Cook aus eigener Kraft erklommen. Es werden Fotos in Heldenpose auf dem Gipfelstein gemacht, ansonsten wird telefoniert und auf dem Handy gespielt. Die Guides haben ein Einsehen und bringen die Ignoranten schnell wieder ins Tal. Alle Teilnehmer fahren mit Schutzhelm im Allradgeländewagen, die Guides tragen Caps und Badeschlappen... Kopfschüttel-Modus aus!

Jetzt wird es wieder schön, der Wind ist frisch und die Aussicht prächtig. Ich kann die ganze Bucht übersehen bis hinüber nach Frankton und Richtung Kingston. Linker Hand liegen die Berge des Milford Sounds, über die keine Straße führt. Vom Milford Tal hierüber gibt es einen Trail von 32 Kilometern bis ins Glenorchy Tal, mit dem Auto sind es 340 Kilometer.

Nach einer ganzen Weile der beeindruckenden Landschaftsschau mache ich mich auf den Rückweg. Unglaublich wie schnell ich wieder unten in meinem mobilen Zuhause bin. Die heiße Dusche tut richtig gut, dann koche ich italienisch. Dazu einen kalten Chardonnay, bottled in New Zealand. Po pai!

27. September 2022 – Über die Goldgräberstadt zum Lake Tekapo

In etwa 290 Kilometer liegen heute vor mir. Das nette Queenstown mit seinem ganzen Fun-Tourismus ist nicht meins. Außerdem wird das Wetter hier die nächsten zwei Tage etwas schlechter. Auf zum einsamen Tekapo-See. Die Landschaft soll atemberaubend sein, ich habe mir die Bergstrecke durch das Cardrona Tal und hinter Wanaka den Lindis Pass als Wegpunkte angekreuzt.

Kurz hinter Queenstown mache ich noch einen Abstecher nach Arrowtown, einer alten Goldgräberstadt, die heute ein Luxustourismus Business daraus gemacht hat. Alles schickimicki, kein Haus in der Altstadt ohne Souvenirshop, Pommesbude oder Outdoorartikel. Sehr bemerkenswert sind die vielen Immobilienmakler, die tatsächlich Läden inklusive mehrköpfigem Personal auf der Mall unterhalten, in denen Grundstücke und Häuser der Luxusklasse angeboten werden. Und damit meine ich bis zu achtstellige NZ$ Objekte! Vielleicht schlägt ja ein gut betuchter Tourist zu bei diesen Schnäppchen. Nichts wie weg, dafür bin ich nicht hierher gekommen.

Es geht in Serpentinen steil hinauf in die Crown Ranges. Im Winter sind das hier sehr begehrte Skigebiete, heute sehe ich nur noch wenige Schneefelder, es wird Frühling. Das Gelände sinkt unmerklich abwärts in die Hawea Flats, um dann nach einigem Highway‑Zickzack wieder zum Lindis Pass anzusteigen. Die Gegend hier ist sehr monochrom, die Vegetation wird dominiert vom typischen Tussock Grasland, ich halte oft an und genieße die frische Bergluft und die einzigartige Topografie.

Der Lake Pukaki ist nochmal ein Highlight, bei der Windstille heute bietet er eine einzigartige Spiegelung der Berge im Wasser. Ganz im Norden ist der Aoraki – der Mont Cook – zu erkennen. Rechts und links Mount Sealy und The Nuns Veil. Alle schneebedeckt, ich kann mich gar nicht sattsehen. Ein Stückchen weiter entscheidet sich das Menü für heute Abend, gleich neben der Straße ist eine Lachsfischerei, die frischen Lachs vom Feinsten anbietet. Die Entscheidung ist nicht schwer, ich kaufe ein kleines Stück kalt geräucherten Lachs „beetroot curd“. Nun ist es auch zum Lake Tekapo nicht mehr weit und die Sonne scheint noch, als ich mein Ziel erreiche. Der Campground liegt direkt am See und Platz ist in der Nebensaison reichlich.

Ich muss noch meine Speisekammer auffüllen im wunderbar gelegenen Supermarkt. Ich finde Supermärkte sollten grundsätzlich mehr an Seeufern und vor Bergpanoramen gebaut werden. Da macht das Einkaufen richtig Spaß und auch die Kaufmotivation ist deutlich erhöht. Und jetzt widme ich mich meinem Lachs mit Salat und einem frischen Sauvignon blanc! Ein toller Fahrtag heute.

28./29. September 2022 – Ich finde das Universum toll und ein Jogginghosentag

Gestern und heute sind keine Fahrtage. Einerseits habe ich keine Lust zu fahren, andererseits habe ich Lust auf entspanntes Wandern. Und das kann ich sehr gut hier am Lake Tekapo. Ein bisschen habe ich immer das Wetter der nächsten Tage im Auge, denn die nächste Etappe soll zum Mt. Cook gehen und da ist es aktuell noch sehr kalt mit gelegentlichen Schneefällen. Aber erst mal heute. Der Tag beginnt nach dem Ausschlafen mit einem herrlichen Kaffee. Entgegen der Regenvorhersage scheint die Sonne von einem überwiegend blauen Himmel. Kaffeetasse ist leer, dann Wanderschuhe an und auf gehts zum Mount John. Nichts Besonderes, es ist der kleine Hausberg des Ortes Lake Tekapo. Ich lasse die Spaßindustrie des Campingplatzes hinter mir. Das sind ein Spaßfreibad, eine Schneebahn zum Reifenrutschen und ein Spa. Der Wanderweg, der mit drei Stunden angegeben ist, führt durch Nadelwälder steil nach oben. Die Lärchen tragen erstes zart leuchtendes Grün, unbekannte Vögel singen um die Wette, natürlich bin ich wieder alleine unterwegs. Was machen die anderen Camper eigentlich den ganzen Tag, wenn ich fast nie jemanden treffe? Der Weg beginnt sich in Serpentinen zu winden, um den Anstieg erträglich zu machen. Der Boden aus einer dicken Schicht Nadeln ist weich und federt jeden Schritt gefällig ab. Dennoch komme ich etwas aus der Puste, das Frühstück ist zu zeitnah gewesen. Also langsamer, habe ja Zeit genug. Ich muss meine Windjacke schließen, es ist frisch im Schatten des Waldes. Das ändert sich als ich nach einer knappen Stunde in die lichtere Gipfelregion eintrete. Jetzt ziehe ich die Jacke sogar aus und lasse die Sonne und den Wind mein schwarzes Wandershirt trocknen. Noch bin ich nicht oben, eine endlose Reihe von Stufen trennt mich vom Observatorium, das auch hier oben ist. Eines der wichtigsten und größten Neuseelands. In diesem Teil Neuseelands gibt es die geringste Bevölkerungsdichte und das klarste Wetter. Bis 1983 war das hier eine US-Spionagestation für Satelliten. Noch weitere zehn Minuten und ich bin stolzer Besteiger des Mount John.

Die Aussicht, mit der ich belohnt werde, ist sagenhaft. Von hier oben wirkt das türkise Gletscherwasser des Sees noch viel eindrucksvoller und intensiver als auf Seehöhe. Anlass genug eine ganze Weile hier zu sitzen und Kopf und Seele zu erfrischen. Und alles ist so still und ruhig. Irgendwie denkt man an solchen Orten zwar immer irgendwas, aber nichts so richtig und schon gar nicht bis zu Ende. Es werden so viele Gedanken unwichtig beim Anblick derartig imposanter Panoramen. Riefe man selbst die größten Probleme der Menschheit diesem Manifest der Schöpfung entgegen, nicht einmal ein Achselzucken würde man als Antwort bekommen. Ich finde das Universum toll. Zack, geerdet!

Die Sonne wird richtig warm, fast schwer trenne ich mich von dem Ausblick, aber ich habe noch knappe zwei Stunden vor mir. Und mit Fototrödeln werden da auch schnell drei draus. Macht nichts, dann los. Hier oben wächst noch reichlich gelbes Tussockgras, ein schöner Farbkontrast zum Blau des Sees. Der Weg fällt jetzt stetig leicht ab. Das bleibt auch so bis zum Ziel. Oberhalb des langgezogenen Seeufers laufe ich über schmale Wege an Unmengen von Hagebuttensträuchern vorbei und stelle mir die roten Früchte vor. Tja, es ist Frühling, da gibts halt keine Früchte. Dann trete ich wieder in lichten Lärchenwald ein, die letzten zwanzig Minuten laufe ich direkt am Wasser entlang. Die Kids rutschen immer noch auf ihren Reifen den kläglichen letzten Schneehang hinunter. Ich freu mich auf eine heiße Dusche und meinen gemütlichen Camper.

Der Donnerstag ist unspektakulär, aber gut genutzt. Zunächst schlafe ich lange, dann mache ich einen Spaziergang zum schönen Supermarkt, lese viel über Mt. Cook und den Tasmangletscher, schreibe etwas und mache OmanThailand und Indien auf meiner Website fertig. Draußen regnet es sowieso. Wohnmobiltag in Jogginghose und dicken Socken. Herrlich!

30. September 2022 – Eiskalter Puderzucker

Heute Nacht hat es geschneit, es ist jetzt neun Uhr und um die 3°C hier in Tekapo Lake. Der großen Tasse, gefüllt mit heißem Kaffee, kommt jetzt eine ganz andere Priorität zu als gewöhnlich. Der Blick aus meinen Autofenstern auf die Berge ist herrlich und zaubert mir schon am Morgen ein verzücktes Lächeln ins schlafverknitterte Gesicht. Meine Oma hat am Vortag meines Besuchs manchmal einen Marmorkuchen gebacken, den sie mit Puderzucker berieselt hat. Bis zum nächsten Tag war der dann immer feucht geworden und nicht mehr weiß. Ich habe das natürlich korrigiert und ein frische, dicke Lage drübergepudert. Und ganz genau so ist das heute hier mit den Bergen mit dem Neuschnee! Gefällt mir außerordentlich gut!

Zum Vergleich...

In Glentanner am Tasman River war es heute Nacht noch viel kälter, in dem Gletschertal geht das Thermometer diese Woche noch bis fast -10°C runter, will man der Vorhersage glauben. Und genau da will ich heute hin. Eiskalt! Schon die Fahrt dorthin ist wunderschön, die Sonne findet die ein oder andere Lücke durch die Wolken, das Licht wechselt auf den weißen Berghängen rechts und links. Am Lake Pukaki dann rechts nach Norden abbiegen, Richtung Mt. Cook. Jetzt ist die Straße komplett leer, rechts neben mir der türkise See, es ist nicht mehr weit bis zum einzigen Campground, zumindest mit Infrastruktur. Alles leer, Platz nach Wahl und preiswert. Fein, das wäre geregelt. Dann kann das Nachmittagsprogramm ja losgehen. Weiter geht's ins Tal zum Gletscher selbst. Das sind knappe dreißig Kilometer, dann ist Ende. Sackgasse am Tasman Glacier Viewpoint. Warme Klamotten an, Kamera, Mütze, Auto zu und los.

Zunächst sieht man noch gar nichts, der Fußweg geht bergauf und leitet erst einmal zu den „Blue Lakes“, die bei dem bedeckten Himmel eher grün sind, aber traumhaft schön. Ich krieche fast durch das Gebüsch, so verwachsen ist der kleine Pfad dorthin. Meine größte Freude ist jedoch, dass kaum jemand hier ist, an den kleinen Seen schon gar nicht. In einer windgeschützten Ecke setze ich mich hin und genieße die Stille. Es ist tatsächlich still hier, die beiden Paradiesenten am Ufer schlafen auch. Seelenwellness. Ab und zu kommen dann doch Geräusche von stürzenden Steinen aus den steilen, verschneiten Bergscharten gegenüber. Es ist Frühling und viel gefährliche Bewegung im abtauenden Bergschnee. Einatmen, ausatmen, nix denken.

Und jetzt möchte ich den Gletscher sehen. Ich mache mich wieder auf zum Hauptweg und steige viele Stufen nach oben auf den Hügel. Der Hügel ist gar kein Hügel, sondern der seitlich aufgeschobene Moränenwall. Erst mit der letzten Stufe eröffnet sich mir das ganze atemberaubende Panorama. Ich kann in einiger Entfernung die Gletscherkante sehen, davor der milchig grüne Gletschersee, in dem einige Eisberge schwimmen. Ich sehe die Spuren von Urgewalten und bekomme ein Gefühl für geologische Zeiträume. Hier arbeitet die letzte Eiszeit noch. Der untere Teil des Eises ist dunkelgrau von Geröll und Schutt, der Gletscherfracht. Er sieht richtig schmutzig aus, weiß ist er nur im oberen, unerreichbaren Teil an den Hängen des Mt. Cook, dem höchsten Berg Neuseelands. Der zeigt sich heute aber nur ganz zaghaft zwischen den Wolken. Vielleicht morgen.

Bestimmt eine Stunde verbringe ich vor dieser einzigartigen Kulisse, die wenigen Menschen hier sind alle nett und verhalten sich ausnahmsweise mal ruhig und sind ebenso ehrfürchtig und beeindruckt wie ich. Mit einem Australier unterhalte ich mich noch über den Trail, den ich morgen gehen möchte, dann gestehen wir uns wieder gegenseitig unsere Begeisterung für derartige Orte. Irgendwann mache ich mich ganz langsam auf den Rückweg, es ist schon Nachmittag und es wird kalt. Was für eine tolle Begegnung mit der Welt an diesem besonderen Ort. More than happy!

1. Oktober 2022 – Im Paradies ist man nicht alleine

Die Nacht war erwartungsgemäß kalt, aber fantastisch still. Sterne gab es keine, auch wenn wir hier im Starlight Valley sind. Ich habe herrlich geschlafen und das Wasser für den Kaffee kocht schon im Topf. Ich brühe mir eine große Tasse „Jed’s Robusta No. 3“ auf, werfe zwei Würfel Zucker in die Tasse, gebe einen kräftigen Schuss Milch dazu und öffne dann die Schiebetür meines Reiseheims. Die würzige Bergluft weckt Lebensgeister, ein neuer Tag beginnt. Zum Frühstück nichts Besonderes, dauert mir zu lange, ich will die Berge sehen. Der Himmel ist noch wolkig und etwas zickig, was das versprochene Frühlingswetter angeht. Es vergeht keine halbe Stunde, dann befinde ich mich schon in gemütlicher, kurzer Fahrt zum White Horse Hill. Dort beginnt der Trail zum Hooker Lake und zum Kea Point. Das sind meine Ziele für heute.

Nun ja, diese Idee hatten erwartungsgemäß noch viele andere, dennoch, es ist erträglich, trotz des Wochenendes. Der Weg ist mit 2-3 Stunden angegeben, das ist sehr entspannt, hier geht es nicht um die körperliche Ertüchtigung, sondern um den Zugang zu einer einzigartigen Landschaft. Ich weiß nicht, ob oder wie heilsam es ist, wenn Menschen sich sterbende Gletscher ansehen, aber es ist in jedem Fall ein wirkungsvolles Ereignis, überhaupt mal einen Gletscher zu sehen. Ich habe viele Gedanken dazu. Zum einen sterben die Gletscher. Klimawandel hin oder her. Die Würmeiszeit ist ca. 50.000 Jahre her, aktuell sind wir zwischen den Eiszeiten und es ist warm. Der Mensch macht es noch gefährlich wärmer. Wahrscheinlich irreversibel. Andererseits ist es gut, wenn Menschen sich die letzten Paradise dieser Welt ansehen und durch ihre Eindrücke ein Bewusstsein von Sorge und Achtsamkeit schaffen. Zugegeben, es ist viel – vielleicht naiver - Optimismus in meiner Sichtweise, denn genauer hingesehen konsumieren die meisten Menschen den letzten Rest unserer Paradise. Lichten sich mit dem Paradies ab, nach dem Motto: Ich habe es noch gesehen – bevor es verschwindet. Oder nicht einmal das. Kaum jemand verweilt mal ruhig am Wegesrand – und ich meine damit schweigend – an einem Ort und schaut sich das alles wirklich an. Lässt es auf sich wirken, bewundert es vielleicht. Schaut lange und langsam.

Soweit das schadlos möglich ist verlasse ich unauffällig den Track und besteige den ein oder anderen Hügel, nur über Steine, nie über Gras- oder Moosboden. Nicht wegen der besseren Sicht oder der brillanteren Fotoperspektive, nein, um einfach dieses unglaubliche Gletschertal in Ruhe betrachten zu können. Ohne Gequassel, ohne Getrampel und Gerenne der bunten Fitness-Jünger mit Smart-Watches und Pace-Sensoren. Und der neuste Hype ist, die Leute haben ihre Handys auf laut und lassen sich per App den Weg weisen und erläutern – völlig ferngesteuert und für die Mitmenschen Zwangsbeschallung.

So, und jetzt der schöne Teil. Zwischen diesen Touri-Orks gibt es lange Abschnitte, da sind die Wege leer und ruhig, dann bleibe ich stehen höre auf das Rauschen des Hooker Rivers, das Zwitschern der Vögel und das Geschnatter der Kanadagänse, die über mir hin und her fliegen. Aus dem Trogtal des Urgletschers sind längst Tussockgraswiesen geworden, die die Schotterberge haben unsichtbar werden lassen. Nur im Flussbett selbst sieht man noch die vielen, teils riesigen Steine der Endmoräne. Jeder kleine Berg und Hügel hier ist nur ein Haufen dieses Gletscherschutts aus Jahrzehntausenden. Und wenn mein Blick dann höher wandert sehe ich die gigantischen Berge, auf denen noch riesige Schnee- und Eismassen ruhen, jeden geologischen Moment werden sie abstürzen und das Tal wieder verändern. Mit etwas Muße und einem Fernglas kann man die häufigen kleineren Abgänge selbst beobachten. Ich habe einen gesehen. Eindrucksvoll. Am Ende des Tracks liegt dann der Hookersee, direkt vor der Gletscherkante. Wie der Tasmangletscher ist auch der Hookergletscher schwarz von Schutt. Selbst die Eisberge, die im See schwimmen, tragen noch diese Fracht, die erst nach dem Abschmelzen freigegeben wird und auf den Grund des Sees sinkt. Ich suche mir ein weit entferntes Plätzchen am Seeufer und lege mich in die warme Sonne. Ab und zu kommen ein paar Gänse vorbei, die hier zwischen den Steinen das karge Gras abweiden.

So vergeht die Zeit auf wunderbare Weise und aus den veranschlagten drei Stunden werden fünf. Ich könnte hier ganze Tage verbringen. Der Rückweg ist ganz anders als der Hinweg. Jetzt habe ich den Mt. Sefton vor mir im Blick. Er ist mittlerweile wolkenfrei. Heute Morgen habe ich lange zwei Seilschaften beobachtet, wie sie sich knapp unter dem Nebel mühsam den Weg über das große Schneefeld zur Müllerhütte erarbeitet haben. Jetzt muss ich noch die Hängebrücken überqueren und gegen vier bin ich wieder am Parkplatz. Da das Wetter heute so wunderbar ist – der Himmel ist wie gesagt mittlerweile wolkenfrei – fahre ich ein zweites Mal zum Tasman Lookout. Das ist genau die andere Seite des Mt. Cook, den man vom Hooker Trail so toll sehen konnte. Vom Lookout ist die Sicht heute tatsächlich besser, es weht aber schon ein eisiger Abendwind vom Gletscher herüber und der Schatten der Berge fällt zügig ins Tal. Einmal noch tief einatmen, dann ist es Zeit für den Rückweg.

Ich fahre jetzt noch das kleine Stück bis nach Twizel, der abendliche Mt. Cook verschwindet langsam im Rückspiegel, ich werde ihn nicht das letzte Mal gesehen haben. Auf dem einzigen Campground in Twizel bekomme ich den letzten Stellplatz. Glück gehabt. Dusche, Häppchen, kleine Heizung an, heute Nacht gehen die Temperaturen wieder unter null. Ich wünsche mir eine geruhsame Nacht und schlafe auch nach kurzer Sternenhimmelbeobachtung ein.

3. Oktober 2022 – Unnütze Sorgen und eine wunderbare Wanderung

Gestern am 2. Oktober war ein herrlicher Fahrtag, Frühlingswetter, schöne Strecke, meine Ma hatte Geburtstag und ein Stellplatz mit Aussicht in Wanaka. Was will ich mehr? Doch beginnen wir heute. Der Luxus des Ausschlafens und ein köstliches Brunch läuten den Tag ein. Es ist schon spät und ich habe zwei Optionen: Rocky Hill oder Rob Roy. Schluchtenwanderung oder Gletscherview. Beide sind mit gut drei Stunden angesetzt und mein Wanderführer ist ehrlich und hat keinen Komfortpuffer drin. Fahre ich doch erst einmal los, die Entscheidung wird schon fallen. Nach 18 Kilometern erreiche ich den Einstieg zum Rocky Hill Trail, irgendwie zu viele Autos. Weiter! Meine Sorge ist, dass es etwas spät werden könnte, denn bis zum Rob Roy Einstieg gibt es nur eine 30 Kilometer lange Schotterpiste. Sackgasse versteht sich. Gut, dann mach ich das halt. Ich fahre langsam, nicht schneller als fünfzig, meine Karre ist kein Offroader. Mehrere Cattle Stops sind zu passieren, später müssen kleine Flüsse durchquert werden. Die Sonne scheint und das Mt. Aspiring-Tal ist atemberaubend, hier herrscht eine unvorstellbare Ruhe und Gelassenheit. Schafe, Rinder, Rotwild, alle mit Nachwuchs grasen in der Weite des märchenhaften Tals. Die Sorge, dass mein Camper die Strecke nicht schadfrei überlebt, verflüchtigt sich, hier sind schon andere hergefahren, dann kann ich das auch. Dann komme ich in den Raspberry Flats an, die Piste endet an dieser Stelle. Klamotten wechseln und los. Zunächst über Wiesen, dann übersteige ich Zäune in privates Farmland, die zotteligen Rinder sind sehr eindrucksvoll, aber nur neugierig und nicht gefährlich. Ich mache große Bögen um das Jungvieh, mit Mutti möchte ich dann doch keinen Ärger bekommen. Es folgt eine hübsche Hängebrücke über den Matukituki River, dann geht es stetig bergauf. Zunächst durch den Regenwald, es dauert keine fünf Minuten und ich bin verzaubert. An einer kleinen Holzbank gönne ich mir eine Aussichtspause, aber nicht zu lange, es ist noch ein Stückchen bis oben. Unterwegs überrascht mich ein paar Mal der Ausblick auf den Gletscher. Zwischen den wuchernden Bäumen und Farnen zeigt sich manchmal der Gipfel des Mount Roy. Weiter! Es ist nicht allzu herausfordernd, aber außer Puste bin ich schon. Ich versuche mich abzulenken durch die vielen Gerüche und das stetige Plätschern am Wegesrand. Und plötzlich, völlig unauffällig bietet der Lower Lookout an einer Wegbiegung eine erste komplette Aussicht auf den imposanten Rob Roy Gletscher. Unfassbar toll! Ich gönne mir keine lange Pause, nur ein paar Fotos. Ich will nach oben! Außerdem lasse ich mich etwas von der Zeit treiben, ich möchte nicht als letzter auf dem Top Point sein. Man wird weniger risikofreudig im fortgeschrittenen Best-Age!

Der Wegweiser sagt 30 Minuten, das ist sehr motivierend! Die Zeitangaben hier haben wenig Puffer. Oder gehöre ich etwa schon zu der Generation, um die man sich sorgt und für die sicherheitshalber etwas komfortablere Zeitangaben anberaumt werden? Ich verfolge den Gedanken nicht weiter.

Nach genau dreißig Minuten bin ich am Upper Lookout, und was für ein Panorama bietet sich mir! In der letzten Sonne über den Gipfeln liegt der Rob Roy Gletscher. Still, kalt und einsam. Riesige Eismassen sehen so aus, als stürzen sie jeden Moment in die Schlucht, bedrohlich und respekteinflößend. Es wird kalt, denn die Sonne verschwindet gerade über dem Grat und ein eisiger Wind fällt in das enge Tal. Ich schließe die Jacke und ziehe mein Halstuch über. Ein netter Mann mit seinen zwei Töchtern und ich sind die letzten Gäste heute hier oben. Wir machen gegenseitig noch ein paar Fotos, weil es einfach beeindruckend ist.

Jetzt geht’s auf den Rückweg. Die Zeit ist locker ausreichend, es dauert noch eine knappe Stunde bis ich wieder in die warme Abendsonne komme. Herrlich! Das flache Abendlicht aus Westen mit hohem Rotanteil zaubert einen faszinierenden Kontrast auf die Hänge des Matukitukitals. Schafe und Rinder grasen hier unbeeindruckt von Panorama und Wanderern in paradiesischer Landschaft. Nur ein Flötenkrähenstar fühlt sich gestört und greift mich an. Von oben, im Sturzflug und mit artistischer Akrobatik. Jedes Mal zischt es, wenn er nur wenige Zentimeter über meinem Kopf abdreht. Ich unterwerfe mich seinem unmissverständlichen Appell, hier zu verschwinden und beschleunige für den Rest des Weges bis zum Parkplatz meinen Schritt.

Wieder am Camper angekommen bin ich auch erlöst von den Sorgen des späten Starts auf den Track und bestätigt, dass es immer irgendwie geht und ich mir einfach zu viele Gedanken mache. Der Rückweg zum Campground nach Wanaka ist noch ein abendliches Bonbon. Überall zeigt der Frühling seine Macht und Kraft, frisches Grün und Bunt vor zauberhafter Kulisse. Das sind dann die Momente, in denen ich mit dem Begriff Dankbarkeit zu jonglieren beginne. Aber vielleicht ist der Begriff auch einfach nur zu ungewohnt, weil ich ihn zu selten anwende. Ich finde jedenfalls heute keinen besseren für das, was ich erleben durfte. Das verdiente, kulinarische Ende besteht dann zu allem Überfluss noch aus kaltgeräuchertem Lachs, Wildsalat und einem kühlen Chardonnay. Was für ein schöner Tag!

4. Oktober 2022 – Waschtag und UFO-Wolken

Heute werde ich von Wind und Sonne geweckt. Es wird tatsächlich warm von der Sonne im Camper und der Wind sorgt für sanftes Schaukeln. Da macht das Ausschlafen noch mehr Spaß. Um zehn gibt es meinen ersten Kaffee. Draußen in der Sonne. Dann ein schmales Frühstück, Brot ist eine einzige Enttäuschung hier, ein schwammartiges Gebilde in Scheiben für vier NZ$.

Für einen Freund muss ich gleich noch ein Geburtstagsvideo machen und dann: Ich muss dringend waschen, mein Kleidungsvorrat ist in Anbetracht der bevorstehenden Motorradtour sehr begrenzt. Also einmal Tokens und Waschpulver kaufen und ab in die Luxus-Waschküche. Die Infrastruktur auf den neuseeländischen Campingplätzen ist tatsächlich erwähnenswert. Alles ist super sauber, gepflegt und funktioniert! Von der Küche über die Lounge, Spa, Sanitäre Einrichtungen und eben auch die Waschküche. Und während die Wäsche im Kurzwaschgang ihren olfaktorischen Urzustand zurückerhält, fege ich auch mal den Camper durch.

Gestern gab es einen Waldbrand nicht weit von hier, der ganze Himmel war verqualmt und es roch nach verbranntem Holz. Der nächtliche Wind hat alles fortgeblasen und jetzt wird es immer windiger. Der gestern noch spiegelglatte See ist aufgewühlt mit Schaumkronen auf den Wellen. Viele Wolken fliegen über den Himmel. Ich gehe einkaufen. Fußweg durch den Pembroke Park. Jetzt gerade kommen UFO-Wolken herangeflogen, die auf dem Iron Hill scheinen landen zu wollen. Dann weiter am Horizont riesige Mitochondrien-Wolken, alles dauert nur Minuten, dann sieht der Himmel schon wieder ganz anders aus. Ein tolles Spiel.

Wanaka ist wie fast alle Orte, die ich bisher gesehen habe, ein sehr übersichtliches Städtchen. Ein Drittel der Shops hier sind Outdoor- und Sportgeschäfte. Man fährt defensiv und langsam. Verkehrsstress ist dieserorts ein Fremdwort. Eine schöne Altagswelt.

Den Supermarkt habe ich schnell erledigt, heute gibt’s GOST (für alle Kaukasus-Mitreisenden), d.h. Griechischen Salat (für alle anderen). Ja, ich kann ihn wieder essen, ich freue mich sogar drauf. Meine Wäsche ist bei Rückkehr schon trocken, ich falte sie schrankfertig. Der Rest des stürmischen Tages ist Wanderführer lesen, die nächsten Tage etwas planen, Bilder aufräumen. Fertig für heute. Schön, mit soviel Zeit unterwegs zu sein. Jetzt prasselt mich der Regen in den Schlaf. Gute Nacht.

5./6. Oktober 2022 – Koru, Regenwald und Gletscher

Dass Farne zu meinen Lieblingspflanzen gehören, habe ich ja schon öfter erzählt. Hier im Regenwald Neuseelands geht mir jedes Mal das Herz auf, wenn ich diese mit zu den ältesten Pflanzenarten der Welt gehörenden Farne sehe. Das sind lebende Fossilien, die vor 350 Millionen Jahren schon riesige Wälder bildeten. Über ihre fraktale Morphologie und das Mandelbrot’sche Prinzip der Selbstähnlichkeit habe ich schon an anderer Stelle berichtet. Sie sind fragil, wenn man Individuen anfasst, aber unverwüstlich, was ihre kollektive Vegetation angeht. Aus ihrer Mitte rollt sich ein Blatt aus. Aus diesem rollen sich wieder seitliche Blätter aus und daran wachsen kleine Laubblätter. Das Prinzip entspricht dem von Federn. Nein, das ist kein Zufall, dass diese „Bauart“ den Vogelfedern gleicht. Das ist Evolution.

Dieser "unfolding fern" heißt auf Māori "koru" und ist das Symbol für neues Leben und Erneuerung. Es spielt mittlerweile als "das" wichtigste Symbol Neuseeland eine zentrale Rolle überall im Alltag. Neuseeland steht - so sieht man das hier - für Erneuerung und Veränderung durch immer neues Leben. Betrachtet man das Land aus der Nähe, ist das sehr passend wie ich finde, denn kaum ein Land hat mit soviel Veränderung zu leben wie Neuseeland.

Gestern war eigentlich nur Fahrtag mit vielen schönen Fotostopps, so am blauen Lake Hawea und am Ship Creek. Es war sehr windig, weshalb ich mich für den kleinen Walk durch den Swamp Forest am Ship Creek warm anziehen musste. Die Tasmanische See war sehr aufgewühlt und eine eindrucksvolle Brandung landete am Ship Beach und am Knights Point an. Ein Spaziergang am Strand erfrischte mich zwar von langer Fahrt, der vom Wind fliegende Sand wurde aber zunehmend zu einem natürlichen Sandstrahlgebläse. Ich setzte die Fahrt dann doch lieber fort und erreichte gegen Nachmittag den kleinen Ort Fox Glacier Village, der in der Saison ein Abenteuer-Zentrum ist, was die Infrastruktur und die reichlich vorhandenen Adventure-Anbieter verraten. Derzeit ist Ruhe hier und ich machte es mir gemütlich auf dem kleinen Campground im Ort. Die Sonne ging vor einem farbenfrohen Himmel unter, dann begann es zu regnen. Bei Regen schlafe ich immer besonders gut.

Der heutige Tag beginnt mit einem Camping-Brunch, dann kurze Fahrt runter zum South Fox-Glacier Walk. Die nördliche Zufahrt (nördlich des Fox River) ist seit 2019 wegen eines gigantischen Erdrutsches gesperrt und wird wohl auch nicht mehr repariert, da weitere Erdrutsche zu erwarten sind und das Risiko ist bei zweistelligen Millionenbeträgen für die Reparatur zu hoch. Der südliche Walk führt zwar nicht so nah an den Gletscher heran, ist aber wunderschön zu laufen, da er durch einen herrlichen Regenwald führt. Eine kleine Variante heißt „Moraine Walk“ und leitet durch den dichten Regenwald, der sich vor über 3500 Jahren auf dem Moränenschutt des Gletschers bildete. Eine andere Welt tut sich mir auf, alles ist nass und tropft, es ist recht frisch, es duftet und kleine Vögel begleiten mich völlig angstfrei. Ja, der schmale Weg ist künstlich angelegt und wird auch bewirtschaftet. Anders geht das auch nicht. Es gibt keine natürlichen Pfade durch den Urwald. Die würden in kürzester Zeit verwachsen und vom Regenwald überwuchert. Ich lasse mich faszinieren von der Macht der Vegetation. Keine einzige Pflanze hier, die nicht irgendeine Vergesellschaftung oder gar Symbiose mit anderen Pflanzen eingeht. Moose wachsen überall, wo sie Halt finden, Wurzeln umarmen Baumstämme und Bäume wiederum wachsen dort, wo sie Platz und Halt finden. Und sei es auf umgefallenen andere Bäumen. Und immer wieder Farne. Große und kleine, alte und frische. Die verwelkte Generation des letzten Jahres beginnt gerade eine neue Humusschicht zu bilden, die neue Generation wächst auf ihr heran. Farne sind zweigeschlechtlich, d.h. es gibt männliche und weibliche Pflanzen, die im Wechsel der Generationen eine Fertilisation erst im Boden vorbereiten, dann vollziehen. Spannend, lest mal nach.

Unterwegs sehe ich von Urwaldlücken aus, fast schon wie eine Nebensache, strahlend weiß den Fox-Gletscher. Eindrucksvoll, leider ist er sehr weit weg. Dafür kann ich aber bis auf das Schotterfeld der Endmoräne steigen. Unglaubliche Dimensionen. Auch wenn der Fox viel Tausend Jahre Zeit hatte dafür, unglaublich!

Nach diesem Erlebnis habe ich noch einen Spaziergang am Lake Matheson geplant, dem „View oft the Views“. In diesem durch Huminstoffe schwarzen See spiegeln sich bei Windstille die höchsten Berge Neuseelands perfekt im Wasser. Der Mt. Tasman und der Mt. Cook samt ihren Nachbargipfel. Dieses Bild hat schon viel Karriere gemacht und wird als repräsentativster Eindruck von Neuseeland angesehen - und vermarktet. Heute ist kaum jemand hier, es ist Nebensaison und es ist kalt. Hurra! Der See gehört mir, auch wenn der Wind den Spiegel kräuselt, das macht nichts. Wieder geht es durch dichten Urwald mit riesigen Farnen, Kauri Trees und Flachsfeldern, woraus die Maori schon seit Urzeiten Gebrauchsgegenstände herstellen. Viele Ausblicke schaffen Abwechslung und auch der „View oft the Views“ ist wunderschön. Ich genieße für zwei Stunden die Gesellschaft des Sees, die frische Waldluft und die spektakulären Ausblicke auf die Königsgipfel Neuseelands.

Zurück auf meinem Campground serviere ich mir nach der erfrischenden Dusche ein leckeres Abendbrot und dann hoffe ich, dass diese Nacht nicht so kalt wird wie die letzte.

7. Oktober 2022 – Dann eben Robert’s Point...

Ein großes Programm hatte ich heute nicht vor. Ich wollte mir relativ entspannt den Franz Josef Gletscher ansehen, der nur wenige Kilometer Fahrt vom Fox Glacier entfernt liegt. Aber die Rechnung ging nicht so ganz auf. Die Nordzufahrt ist ähnlich wie beim Fox Gletscher seit 2019 nach einem massiven Erdrutsch gesperrt. Der Fußweg zum Lookout endet ebenfalls wegen massiver Erdrutsche nach der Hälfte. Die Wege gibt es nicht mehr. Ich möchte aber näher ran an den ganz besonderen Gletscher und ihn sehen, er soll weiß und groß sein und einer der am schnellsten wandernden Gletscher der Welt. Da bleibt nur eins: Robert’s Point! Eine genaue Berechnung der verbleibenden Zeit plus Sicherheitspuffer bis zur Dämmerung, ein Blick aufs Wetter und einmal in mich kehren, ob ich mich fit fühle. Ergebnis: Zeit passt, Wetter bestens, Fitness wird schon gehen.

Ein kleines Stückchen zurück mit dem Camper, am Wombat Trail parken und dann den Schildern folgen. Das Ziel ist ab hier mit fünf Stunden angegeben und nur für Experten und nur mit bester Ausrüstung und nicht den Weg verlassen und, und, und... Dann kann ich ja los.

Ich fasse den herausfordernden Weg mal so zusammen: Urwald bis zum Ende, Hängebrücken vom Feinsten, Felsentreppen an senkrechter Wand, Aufstiege in Bächen, überall ist es nass und oft schmierig, Geröllfelder wie Trollspielplätze und erst zwanzig Meter vor dem Aussichtspunkt kann man den Franz Josef Gletscher in seiner ganze Pracht sehen. Ein Kracher! Ein Mega-Kracher! Ich bin überwältigt, obwohl ich immer noch sehr weit von ihm entfernt bin. Toll! Einzigartig!

Dass ich alleine hier oben bin, ist schon ein bisschen kribbelig. Wenn z.B... Stopp! Nicht weiterdenken! Konzentrieren, Körperspannung, nur sichere Tritte, keine Sprünge, keine Eile. Dann klappt das auch. Hat es auch. Nach 4:15h inklusive Pause am Aussichtspunkt bin ich wieder glücklich am Camper und auch ein bisschen stolz, dass ich das so gut gemacht habe.

Gleich im Ort Franz Josef Town nehme ich den erst besten Campingplatz, genieße die heiße Dusche und einen leckeren Salat. Ich hatte noch ein schönes Stück Lachsfilet von der Farm im Kühlschrank, das habe ich mir gebraten. Perfekt! Spät wurde es nicht, Vorhänge zu, Augen zu, schlaft schön!

8. Oktober 2022 – Intensivstation

Es war ein entspannter Fahrtag mit Lockerungsspaziergang am herrlich blauen Hokitika Gorge. Der Muskelkater von gestern musste weg. Für die Übernachtung blieb ich dann auch in Hokitika an der Westküste. Da ich keine Lust auf Stellplatzoptimierung habe, nehme ich vorlieb mit dem Campingplatz am Stadtrand auf dem Friedhofshügel.

Die hagere, sonnengegerbte Verwalterin des komplett leeren Campingplatzes kommt mit etwas Verzögerung, nachdem ich die Glocke am Tresen der Rezeption geläutet habe. Ich läute gerne die helle Glocke an Rezeptionen. Wie in den alten Schwarzweißfilmen aller Genres, sofern ein Hotel darin vorkommt. Ping! Nur einmal, nie öfter! Dann kommt immer ein livrierter Hotelchef oder das dienstbeflissene Fräulein: „Guten Tag der Herr, was kann ich für Sie tun?“ Anders heute. Die Frau heute kommt aus der letzten Türe eines sehr langen Ganges. Erst als sie das Foyer über den groß gemusterten, dunkelbraunen Flurteppich, der jedes Gehgeräusch schluckt, erreicht, begrüßt sie mich. Sie schließt die Rezeption auf und entriegelt von der Innenseite das große Schiebefenster des Empfangs. Dann schiebt sie es zur Seite. Ich buche einen Stellplatz für heute Nacht. Ich habe freie Platzwahl, denn der riesige unübersichtliche Campground ist komplett leer. Viele weiße Holzhäuser stehen in einer Reihe, rechts eine Holzkirche ohne Turm, geradeaus ein Wasserturm und auffällig viele Holzschuppen. Dazwischen viel Wiese. Die hagere Frau weist mich ein, welche Stromanschlüsse funktionieren, dann zeigt sie mir die Infrastruktur. Wir betreten das größte der weißen Holzhäuser. Alles ist museal still und ebenso gepflegt. Das komplette Interieur ist seit mindestens einem halben Jahrhundert nicht verändert worden, so scheint es mir. Es gibt riesige Gesellschaftszimmer, Esssäle und Gemeinschaftsschlafräume. An der Wand steht eine alte echte Hammondorgel, vermutlich für gemeinsame Gesangsabende. Die Toiletten und Waschräume haben alle eine Badewanne und eine Dusche und große Spiegel. Durch die großflächigen Fenster in jedem Raum kann man das Meer und die Brandung sehen. Auch aus dem Fenster einer rundum verglasten Intensivstation. Dort liegt eine Schaufensterpuppe mit geöffneten Augen und zugedeckt mit einem weißen Laken in einem Krankenhausbett, daneben medizinische Geräte aus der gleichen Epoche wie das Mobiliar in den anderen Räumen. Ich stelle mir gerade Patienten vor, wie Federico Fellini sie inszeniert hätte, die apathisch an Gehhilfen in den Garten hinausgehen, um auf einem der vielen Stühle oder Sessel Platz zu nehmen, die hier überall um das Haus verteilt stehen. Sie sind so ausgerichtet, dass man immer das Meer sehen kann. Vor meinem geistigen Auge wird plötzlich alles zu einem Psychothriller in Schwarzweiß. Ich verliere den Überblick bei all diesen unwirklichen Räumen. Ich dürfe alles nutzen und könne es mir heute Abend gerne hier gemütlich machen, sagt die hagere Frau. Sie meint es gut mit mir. Mich gruselt es eher, allein schon wie mich die Puppe auf dem Kaminsims ansieht.

Zurück in der Realität und in Farbe merke ich freundlich an, dass dieser Ort wirklich ein sehr spezieller sei, was mir die hagere Frau mit einem liebevollen Lächeln bestätigt, als hätte ich ihr ein rührendes Kompliment gemacht. Ja, dieser Ort sei ein Krankenhaus gewesen, berichtet sie. Ihr Vater war Arzt und habe es dreißig Jahre erfolgreich geleitet, es gab seinerzeit nicht viele Krankenhäuser in dieser Gegend. Vorher war es eine Art kirchliches Wohnheim und davor ein Gefängnis. Bevor mein Kopfkino jetzt wieder auf Schwarzweiß umschaltet, beenden wir den Rundgang und ich bin froh, zurück auf der Wiese an meinem abschließbaren Camper zu sein.

Nun sitze ich ganz alleine auf meinem Campground hoch über dem Meer und schaue Richtung Australien und sehe wie dort in Kürze die Sonne untergehen wird. Nein, kein Irrtum, ich habe in Geografie aufgepasst. Australien liegt im Westen und zwischen mir und dem Kontinent liegt die Tasmanische See. Genau bei 81° West - sagt mein kleiner Kompass - berührt die Sonne gleich den ozeanischen Horizont. Rein visuell so, wie sie das überall auf der Welt tut. Und doch, es wird mir erneut klar, dass ich kaum weiter von meiner Heimat entfernt sein kann als hier. Das Stückchen zu den Antipoden und der Bounty Insel fällt unter Rundungstoleranz. Und wie schon neulich auf dem Mount John denke ich wieder mehr als ich zu Ende denken kann. Tausend Reize treffen ungefragt auf meine Sinnesorgane und dringen als elektrische Impulse in mein überfordertes Gehirn ein: Das auflaufende Wasser der Flut macht den Strand immer schmaler. Die Menschen mit ihren Hunden gehen nach Hause. Die Wolken ziehen unmerklich landeinwärts, es soll morgen Regen geben. Man merkt gar nicht, dass man unten auf der Erde ist, hier steht wirklich nichts auf dem Kopf. Alles beginnt zu blühen, es ist bald Weihnachten. Die Musik im Radio ist der gleiche amorphe Mist wie in den schlechten Sendern zu Hause. Im Supermarkt gibt es Snickers für einsfünfzig. Ich versuche die Gedanken zu sortieren, zu greifen und in Zusammenhang zu bringen. Es gelingt mir nicht. Sie sind dünnflüssig und rinnen durch meinen Kopf wie warmer Honig, den man unmöglich auf einem Löffel aufwickeln und dann genussvoll ablecken kann, ohne dabei die Hälfte entrinnen zu lassen und sich maßlos zu bekleckern.

Mittlerweile ist es stockdunkel geworden, auf der Krankenstation brennt noch Licht und der Mond schafft es nicht, die geschlossene Wolkendecke zu durchdringen. Leise höre ich die ferne Brandung. Das Wasser müsste gleich wieder beginnen abzulaufen. Im Camper ist es warm und ich werde bestimmt herrlich schlafen.

9. - 11. Oktober 2022 – Reisetage

Mehrere Reisetage liegen vor mir. In drei Tagen geht meine Fähre von Picton nach Wellington auf der Nordinsel. Keine großen Touren oder Highlights sind geplant, es gibt so viele schöne Orte an der Strecke. Ich lasse mich mit dem Luxus von verfügbarer Zeit und Entscheidungsautonomie einfach Richtung Norden treiben. So sehr ich manchmal Gesellschaft vermisse, das Privileg, keine Kompromisse eingehen zu müssen, ja nicht einmal eine Diskussion darüber führen zu müssen, ist wunderbar. Und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann ich eben alles genau so machen, wie ich es möchte, zum anderen ist es äußerst erstaunlich, was auf meinem ureigenen Mist so alles wächst. Eingeschlossen die Fälle, die daneben gehen. Dessen Auswertung ist dann immer eine Lehrstunde zur eigenen Charakterbildung - ohne Ausreden.

Doch bleiben wir bei den Reiseerlebnissen. Ich reise nach einem gemütlichen Frühstück von dem sehr speziellen Campground in Hokitika ab und halte mich an die Küste Richtung Pancake Rocks. Oder Punakāiki, wie es auf Māori heißt. Hier sind eindrucksvolle geologische Formationen von Kalkstein zu finden, die durch Wind, Wasser und Salz zu pfannekuchenartigen Strukturen erodiert wurden. Leider ist die Brandung zu schwach, ansonsten könnte ich noch eindrucksvolle Blowholes beobachten, heute schwappt nur blaues Wasser harmlos in den tiefen Löchern. Die Küste selbst lädt immer wieder zu Stopps ein. Herrliche, menschenleere Strände wechseln sich mit bizarren Felsen ab, die in der Brandung stehen. Sie trotzen dem Meer, das am Ende aber der Sieger bleiben wird und sie in geologischer Kürze aufgelöst haben wird. Wenn ich dann etwas tiefer in diese Welt eindringe, stehen alle paar Meter Pflanzen und Blumen in Frühlingspracht am Wegesrand. Nur wenige kann ich identifizieren. Es ist ohnehin schwierig für mich als Laien, überhaupt zu erkennen, wer diese Pflanzen sind. So vergehen Stunden und zwei Tage.

Dann komme ich am späten Nachmittag über eine schöne Strecke auf dem Highway 6 durch das Buller River Valley an Berlins Café & Bar vorbei. Der richtige Ort für einen leckeren Kaffee. Für das heutige Event macht sich gerade eine Rentnerband klar, das Publikum ist dem entsprechend. Obwohl der Name des Ortes nicht auf die deutsche Stadt zurückgeht, sondern auf den Nachnamen des Gründers, einem schwedischen Kaufmann, produziert man sich liebevoll in Verbundenheit zur deutschen Hauptstadt. Einen Moment überlege ich hier zu übernachten, aber ich müsste lügen, wenn ich den lustigen Senioren zu fortgeschrittener Stunde erzählen würde, ich käme aus Berlin. Und zu diesen Gesprächen würde es mit Sicherheit kommen.

Stattdessen schlage ich mein Nachtlager in einem unspektakulären Motorpark in Murchison auf, von dem aus es am nächsten Morgen gleich weiter geht.

Da ich Zeit im Überfluss habe, folge ich dem Schild zum Lake Rotoiti, kaum einen Kilometer neben dem Highway 63. Es ist leer und ich setze mich auf das lange sonnenausgebleichte Pier. Still liegt der Bergsee vor mir, das Wetter ist etwas bedeckt, aber windstill. Noch überlege ich, ob ich eine kleine Tour in die Berge mache, das wären dreieinhalb Stunden zum Gipfel des Mount Robert. Aber irgendwie fühle ich mich heute nicht fit und belasse es beim Ausblick auf den See Rotoiti.

Weiter geht der Weg durchs Wairau Valley, was aber recht unspektakulär ist. Es ist das Weinzentrum Neuseelands. Überall werden im industriellen Maßstab Weinberge angelegt, und damit meine ich nagelneue Anbauflächen, an denen ich über 50 Kilometer entlangfahre bis nach Renwick. Alles scheint eine riesige Kooperative zu sein, wenn ich die großen Schilder richtig verstehe. Der Tag endet auf einem netten kleinen Campingplatz vor Havelock. Trotz stürmischer Nacht schlafe ich sehr gut.

Heute freue ich mich auf den Queen Charlotte Scenic Drive nach Picton, auf dem es auch einen kleinen Trail zur Entspannung und Zerstreuung gibt. Jedoch schon nach kurzer Fahrt steht auf einem Baustellenschild „Road Closed“ und „No access to Picton“. Was für ein Mist. Das ist die einzige Straße. Jetzt heißt es zurück und über siebzig Kilometer Umweg. So ist das eben in einem Land mit viel Erdbewegung. In Picton angekommen ist auch von hier aus nicht an den Trail heranzukommen, es scheint eine größere Sache zu sein. Also checke ich super früh auf meinem Campground ein und räume mein ganzes Motorhome auf. Dumpen, Frischwasser auffüllen, ausfegen, meine Wäsche waschen, mich duschen und rasieren. Und am Nachmittag komme ich endlich dazu, die Nordinseltour mal richtig hintereinander zu schreiben. Bisher waren die schönen Orte nur Kreuzchen auf einer Landkarte, jetzt sieht das schon mehr nach einer Tour aus. Fähre für morgen eingecheckt und nach einem gemütlichen Abendessen ist der Tag auch zu Ende. Ich freue mich auf die Überfahrt morgen durch die Marlborough Sounds und über die Cook Street nach Wellington.

12. Oktober 2022 – Der zweite Teil beginnt oder ein Tag, an dem eigentlich nichts passiert ist.

Heute darf ich mal ruhigen Gewissens ausschlafen, denn Checkout ist erst um zwölf. Da bleibt noch Zeit für ein Frühstück in der Sonne. Dann alles schiffsfest machen und in Ruhe zum Hafen. Der ist zwar nicht weit, aber alle möglichen Straßen sind wegen Bauarbeiten gesperrt. Dreimal fragen, zweimal verfahren, falsch verstanden, keine Ahnung. Ich hab genügend Zeit. Vielleicht liegt es ja auch an meiner Schwerhörigkeit, denn seit gestern Abend nach dem Duschen ist mein rechtes Ohr irgendwie zu und taub. Wie auch immer, irgendwann stehe ich in Lane 4 und warte auf das Boarding.

Picton ist ein kleiner Hafen der tief und geschützt in den Marlborough Sounds liegt. Alle Schiffe zur Nordinsel laufen von hier aus. Die Fährgäste sind große Trucks mit allem möglichen notwendigen Zeug, das rüber nach Norden muss und Freizeitgäste. Jede Menge Camper, Wohnwagen, Offroader mit Booten, Kanus, Surfboards, Mountainbikes usw. Und einer der Camper bin ich, voller Erwartung, was mir auf meinem zweiten Teil der Neuseelandreise so alles begegnet. Dann ist Boarding. Ein freundlicher Offizieller prüft tatsächlich jeden einzelnen Camper, der Gas an Bord hat, ob die Flaschen fest verschlossen und richtig befestigt sind. Überhaupt legen die Neuseeländer sehr viel Wert auf Sicherheit und halten sich auch tatsächlich sehr treu an die Regeln. Dann geht es langsam los, zuerst jede Menge riesige Trucks, dann handverlesen alle anderen nach Höhe und Breite. Ich muss im Schiff eine kleine Rampe hoch aufs Oberdeck. Nicht ganz ohne, viel Platz ist rechts und links nicht mehr. Freundlich weist man mich oben ein und ich wundere mich, wieviel Platz noch im Laderumpf des Schiffs frei ist. Der Himmel zieht sich etwas zu und es wird windiger. Ich vertraue dem Seewetterbericht von heute Morgen, dass wir nur bis 1,30 m Wellen haben werden und uns auf eine ruhige Überfahrt freuen können. Schließlich überqueren wir die Cook-Straße, eine Meerenge, an der sich zwei Ozeane treffen, der Pazifik und die Tasmanische See. Da kann es bisweilen auch mal mehr als ungemütlich zugehen. Interessant ist, dass meine Sorge vor Fährfahrten lediglich auf drei schlechte Erfahrungen in meinem ganzen Leben zurückzuführen ist: Eine Kanalquerung nach England, eine fünfstündige Walbeobachtung im Nordmeer bei Island und eine Ruderbootfahrt auf der Flensburger Förde. Insgesamt dürfte die Anzahl meiner Schiffsreisen aber weit über fünfzig liegen. So funktioniert Gehirn! Dann laufen wir endlich aus. Langsam schiebt sich die Fähre aus der Landungsbox und lässt das beschauliche Picton in seiner zauberhaften landschaftlichen Lage hinter sich. Auf Wiedersehen, Te Waipounamu, schöne Südinsel!

Der erste Teil der etwa dreieinhalbstündigen Überfahrt besteht aus einer langsamen Fahrt durch die verzweigte Insel- und Halbinselwelt des Marlborough Sounds. Außer ein paar (sehr) privilegierten Häusern gibt es in dieser unzugänglichen Gegend keine Siedlungen, viele Inseln sind sogar völlig unbewohnt. Bis wir auf die offene See hinausfahren genieße ich vom Oberdeck trotz heftigen Windes und Kälte diese einzigartige Landschaft, die der Mensch sich noch nicht Untertan gemacht hat. Dann wird es mir zu heftig und ich verbringe die restliche Fahrt gemütlich unter Deck. Die Einfahrt nach Wellington, das jetzt auch keine wirkliche Metropole ist, ist eine langsame Wiederannäherung an Zivilisation. Seit vier Wochen habe ich keine „Skyline“ mehr gesehen.

Auf die Plätze, fertig, los! Ausladen! Ich fahre im vergleichsweise dichten Verkehr direkt auf die Autobahn, dabei sind vorausfahrende Fahrzeuge äußerst hilfreich, was die korrekte Spurwahl und Vorfahrtsregeln angeht. Klappt brillant und ohne mich wirklich zu verfahren bin ich nach 30 Minuten schon wieder irgendwo auf gewundenen Straßen in den Rimutaka Ranges. Leider regnet es und ich fahre im völligen Nebel. Den ersten Campingplatz, den ich ansteuere, gibt es nicht mehr, dann muss ich bis zum zweiten. Es ist schon spät und ich hoffe, ich finde dort noch einen freien Platz. Es dämmert schon und in dieser Gegend um den Lake Wairarapa ist weniger als nichts los. Ankunft weit nach 19:00 h, ich habe aber Glück, ein Spot ist noch frei auf dem winzigen Platz. Mein Klingeln bemüht den etwas wortkargen Sohn des Besitzers an die Tür, ich bekomme alles was ich brauche, bezahlen kann ich morgen in der Frühe, wenn Mutti wieder da ist. Es regnet immer noch, mein Ohr ist immer noch zu und obwohl heute nichts passiert ist, bin ich müde. Bei Regengeprassel auf dem Dach schlafe ich immer sehr gut. Gute Nacht.

13. Oktober 2022 – Was nun? Keine Lust auf Regen.

Der Regen tropft immer noch mit gleicher Intensität auf mein Blechdach als ich wach werde. Draußen wird es mühsam heller, aber mehr als grau kann man das Tageslicht nicht nennen. Ich mag nicht unter meiner warmen Decke weg und drehe mich noch einmal um. Aber richtigen Schlaf finde ich nicht mehr, also stehe ich unwillig auf, vollziehe eine ausgiebige Katzenwäsche im ungeheizten Waschraum. Beide Zeigefinger sind dabei unangenehm nass geworden. Das Frühstück verschiebe ich auf später, begleiche meine Übernachtungsschulden und sehe zu, dass ich hier wegkomme, denn das Wetter soll gegen Nachmittag besser werden. Eine kurze Fahrt zu den geplanten Putangirua Pinnacles führt mich bei dem anhaltenden Sauwetter über Serpentinen durch einen Wald und an der Küste entlang. Die Straßen sind hier vom Meer halb weggespült, was der Sorge um den Rückweg durchaus Berechtigung verleiht, denn das ist eine Sackgasse. Kurz darauf finde ich den kleinen, ruhigen Parkplatz am Eingang zu den Pinnacles, das ist der richtige Ort und die rechte Zeit für mein Frühstück. Ich habe Hunger, Camperfrühstück erscheint mir als das Optimale, es ist lecker und die Bude wird warm vom Gasherd. Ich bin ganz alleine hier bis nach dem Frühstück, dann kommt ein Arbeiter des Department of Conservation (DOC), das sich in Neuseeland unglaublich gut um die Reservate und Naturschutzgebiete kümmert. Der Mann nagelt den umgefallenen, provisorischen Zaun einen halben Meter weiter fest in den schwindenden Parkplatzboden. Der kleine Fluss wird ihn morgen oder übermorgen sowieso wieder weggespült haben und eine erneute Befestigung notwendig machen. Der Mann hat einen sehr sicheren Arbeitsplatz.

Um den nicht enden wollenden Regen sinnvoll zu nutzen, mache ich es mir gemütlich im Camper, koche den ein oder anderen heißen Tee und hole viele Schreibschulden nach. Gegen Nachmittag lässt der Regen nach und es wird heller. Doch noch los? Ganz schön nass draußen. Ein riesengroßer Schweinehund liegt vor meiner Campertür. Regenfest anziehen und dann leise auf der anderen Seite aussteigen und den Schweinehund nicht wecken. Klappt. Ich schleiche mich über den matschigen Trampelpfad auf den Trail, der nach kurzer Zeit abbricht und vom Fluss weggespült ist. Jetzt muss ich weglos durch das Flussbett und zweimal nicht ganz einfach den Fluss queren. Beim zweiten Mal geht es nicht ohne große Stöcke, die ich mir suchen muss. Dann höre ich den Schweinehund von weitem jämmerlich heulen. Ob ich zurückgehen soll? Nein, kommt nicht in Frage, soll er doch heulen! Ich finde den Trail am Ufer tatsächlich wieder, zwei Wegweiser stehen noch schräg an der Abbruchkante. Ich entscheide mich für den Ridge-Trail zum Aussichtspunkt. Der River-Trail wird vermutlich unberechenbar sein, nicht überall kann man den Fluss überqueren und bei dem Regen kann da noch was aus den Bergen nachkommen. Allerdings heißt das nicht, dass der Ridge-Trail einfacher ist. Das Wort Regenwald ist zusammengesetzt aus den beiden Substantiven Regen und Wald. Und wenn man dort hinfährt, bekommt man die Etymologie dieses zusammengesetzten Hauptwortes physisch verdeutlicht. Die seltenen Wegmarkierungen führen mich auf schlammigen Pfaden steil bergauf, es ist extrem glitschig und ich halte mich an den großen Farnen und Baumstämmen fest. Dann kommt unmittelbar die satte Dusche der Traufe von oben, aber besser als eine Bauchlandung im Schlamm ist das allemal. Es folgen hochstufige Treppen, ich bin von innen mittlerweile genauso nass wie von außen. Irgendwo hier muss die Hälfte des Weges liegen und ich erreiche den Punkt, an dem alles egal wird. Das ist genau der gleiche Punkt wie in der Kindheit: Hose ist schon kaputt, T-Shirt ist hoffnungslos eingesaut und zu allem Überfluss werden die neuen Turnschuhe mit Sicherheit nie wieder sauber zu kriegen sein. Und genau in diesem Moment entscheidet man sich mit seinen Freunden z.B. für einen Wettbewerb im Schlammweitrutschen. Gut, ganz so doll habe ich es heute nicht getrieben, obwohl, noch bin ich ja nicht wieder unten.

Alles geht gut und ich erreiche den Aussichtspunkt nach einer Dreiviertelstunde. Die riesigen grauen Pinnacles stehen mir auf der anderen Talseite gegenüber. Imposant aber fragil präsentieren sich die erodierten Säulen aus zementiertem Schlick. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wann sie verschwunden sein werden, von Wasser, Wind und Erdbeben ausgelöscht. Ohnehin sind es äußerst junge geologische Formationen, die vor ca. 125.000 Jahren erst entstanden sind. Sie sind wie viele spektakuläre Orte Neuseelands auch Kulisse für den "Herrn der Ringe" gewesen. Es beginnt erneut leicht zu regnen und so reduziert sich mein Aufenthalt auf ein paar wenige Fotos und ein kleines Gespräch mit einer völlig eingedreckten, fünfköpfigen Familie, die hier Pause macht. Alle pitschnass und die Kids hatten immer noch voll gute Laune. Die Schokolade vom Schokobrot bis an die Ohren verteilt und den Rest der Kniffte hatten sie noch in den Schlammfingern! Yepp, diese Eltern machen gerade etwas so richtig richtig!

Ich steige noch vor der Familie ab, weil ich schneller bin und auf den engen Wegen nicht überholen möchte. Allerdings muss ich mich sehr konzentrieren, denn ein Ausrutscher kann üble Folgen haben in dem Morast hier. Noch immer laufen auf allen Wegen Wassergerinnsel bergab und von oben kommt neues Wasser durch das Blätterdach. Wie immer geht es recht schnell und mit weniger Keuchen abwärts und schon bin ich zurück im Flussbett. Die Übergänge sind dieselben wie auf dem Hinweg, meine Stöcke hatte ich mir an einem Busch abgelegt, um sie jetzt auf dem Rückweg wieder zu benutzen. Geschafft, ging leichter als zuvor. Dann bin ich auch schon zurück am Parkplatz und muss nun einigermaßen dreckfrei in den Camper. Schuhe aus, die nassen Klamotten wechseln, Heizung kurz an, war das toll! Und von dem Schweinehund ist weit und breit keine Spur mehr.

Jetzt habe ich noch etwas Fahrerei, denn die wenigen Campingplätze sind voll oder unter Wasser oder geschlossen. In Martinsborough soll es was geben. Also noch 30 km, die Chancen stehen gut. Und es klappt, die Dame im Office ist super witzig und alles nach Wunsch, sogar einen Supermarkt gibt es in der Nähe. War doch ein herrlicher Regentag, der auch nicht mehr lange dauert, ich bin müde.

14. Oktober 2022 – Fahrtag mit kurzem Ausflug nach Mittelerde.

Das heutige Ziel ist weit, ich möchte Whakapapa im Tongariro Nationalpark erreichen. Das Wetter hat sich seit gestern nicht signifikant verbessert, der Himmel ist verhangen, es ist nasskalt, einzig der Dauerregen hat aufgehört. Kurzes Frühstück und los. Nach kurzer Fahrt erreiche ich die Rimutaka Ranges, heute allerdings mit besserer Sicht als vorgestern, eine abenteuerliche, steile Berglandschaft. Die Wälder rechts und links sind undurchdringlich, ein Meisterstück, diesen Highway Nr. 2 hier hindurch gebaut zu haben. Nicht weit von der Straße, im Kaitoke Park ist ein Wallfahrtsort für die Anhänger des Herr der Ringe Epos. Hier wurde von Peter Jackson der heilige Ort der Elfen inszeniert. Rivendell, in der deutschen Übersetzung heißt es Bruchtal. Ein großer Stein mit Tafel und ein Torbogen der Kulisse stehen noch, der Rest sind Tafeln mit Lageplänen von nummerierten Bäumen und Skizzen des Sets, wer wo gestanden oder gesessen hat. Alles andere im Film war Postproduction und hat es nie gegeben...

So bleibt der kleine Besuch auch kurz und ich setze meinen Weg fort nach Whakapapa. Der Verkehr auf der Nordinsel ist deutlich dichter, die Städte sind größer und häufiger. Deshalb habe ich mir eine Nebenstrecke südlich der Tararua Ranges ausgesucht. Winzige Bergstraßen führen mich über dreißig Kilometer durch Berge, Hochebenen und Flusstäler. Der Rest ab Waikanae ist Highway. Nicht so abwechslungsreich, aber ich komme gut voran. Die Straßen steigen auf den letzten einhundert Kilometern langsam wieder an, es wird kälter und der Himmel zieht sich komplett zu. Dann erreiche ich den Whakapapa NP und meinen schönen Campingplatz. Mein Kopf ist platt und ich mache mir nur noch einen entspannten Abend im Camper mit einem leckeren Salat und ein paar optimistischen Plänen für morgen. Das war’s...

15. Oktober 2022 – Naturerlebnis mit Heraklit

Als ich wach werde rauscht die Heizung noch. Ich musste heute Nacht etwas Wärme zuführen, denn hier oben geht's bei dem mäßigen Wetter mit den Nachttemperaturen wieder runter an den Nullpunkt. Lange geschlafen, mühsam mache ich mir einen starken Kaffee. Die Nachbarn sind alle schon abgereist, aber ich habe ja zwei Nächte gebucht, in der Hoffnung, dass es heute wenigstens etwas aufreißt. Nun ja, ganz ohne frische Luft kann ich den Tag nicht verstreichen lassen, also mache ich mich wanderfein für einen kleinen Spazierweg, wie es mein Wanderführer nennt. Der entspannte Rundweg zum Taranaki Wasserfall startet direkt an meinem Campground und soll anderthalb Stunden dauern, was auch die Wegweiser am Startpunkt bestätigen.

Ein schmaler, gut gepflegter Schotterweg führt über Wiesen schnell in einen kleinen Urwald. Wie üblich und gerade bei diesem Wetter ist alles pitschnass. Es tropft und plätschert, rinnt und fließt. Kein Schritt ohne dass es matscht oder man durch Pfützen muss. Herrlich! Ich lasse mich begeistern und verzaubern durch diesen tollen Wald und schon nach kurzer Zeit höre ich es rauschen. Der Wasserfall kann nicht mehr weit sein. Und tatsächlich oben von einer riesigen Lavawand, die hier erkaltet und erstarrt sein muss, stürzt das Wasser in einen Pool. Bezaubernd. Ein paar Idioten, die an irgendwelche besonderen Stellen klettern müssen, um Heldenfotos mit Bierflasche und Sonnenbrille zu machen, entweihen den Ort, sind aber Gott sei Dank gerade fertig mit dem Kaspertheater und verschwinden. Glück, hinsetzen, gucken, Seelenfrieden!

Das Wasser fließt da einfach runter. Seit Urzeiten. Immer gleich und immer anders. Unaufhörlich. Veränderung in jedem Augenblick. Ich denke an Heraklit: „Alles fließt.“ Ich bin wie gebannt und sitze eine gefühlte Ewigkeit still auf meinem Stein, ohne eine Veränderung wahrzunehmen, außer im Wasser selbst. Manchmal möchte ich den Wasserstrom anhalten und genau zusehen, was jeder einzelne Tropfen macht. Was der Kopf so alles denkt, wenn man ihn lässt...

Ich mache mich wieder auf und komme an den Abzweig zu den Tama Lakes. Zwei Stunden sagt der Wegweiser. Hmm! Könnte ich schaffen. Oder wird das mit dem Rückweg dann zu eng? Der Weg ist ja super ausgebaut. Ich geh mal ein paar Meter, ich kann ja umdrehen. Nee, falsch gedacht. Wenn ich einmal ein Ziel habe, dann will ich da auch hin und auf dem halben Weg abbrechen ist nur in Notfällen gestattet, sonst nicht. Der Trail führt wie gesagt gut geschottert durch karge Moos- und Flechtenvegetation. Dazwischen Gräser, eine Art Heidekraut und Krüppelgewächse in Symbiose mit Flechten und Moosen. Frühlingsfarben bedeutet hier oben etwas anderes. Knallige Farben sucht man vergeblich, stattdessen viele Pastelltöne. Orange, rot, grün gelb und ocker. Ebenso gibt es keine großen Blüten, die würden dem Wind nicht standhalten. Blüten sind winzig klein, manchmal mit dem bloßen Auge schwer zu erkennen. Sie sind hart und sitzen sehr fest auf den Pflanzen. Das ist wieder meine Lieblingsgegend, in der man eine Lupe braucht für den ganzen Mikrokosmos. Schön, dass der Weg so einfach ist und ich vieles um mich herum während des Wanderns aufnehmen kann. Über eine Stunde genieße ich dieses hyperempfindliche Bergparadies, dann erreiche ich den unteren Tama Lake in einem erloschenen Krater des Ngauruhoe. Traumhaft. Ich habe wieder mal keine Worte, auch wenn ich in den letzten vier Wochen schon so viele Gelegenheiten hatte, Worte für dieses unglaubliche Land zu finden. Féerique! Ja, das passt am besten.

Ich versuche noch etwas von dem Wunderland hier oben auf meinem Speicherchip festzuhalten, irgendwie komme ich mir dabei immer so hoffnungslos verloren vor. Ich versuch’s einfach...

Jetzt zwei Stunden Rückweg bis zum Camp, die Vulkane stecken immer noch alle in den Wolken, als gäbe es sie gar nicht. Während des flotten Abstiegs surfen meine Blicke über diese endlosen Lavafelder mit ihrer hartnäckigen, nimmermüden Vegetation. Die großen Tussockgrasbüschel am Wegesrand streichen mit ihren feinen Halmen an meinen Händen entlang, wenn ich nah genug an ihnen vorbeigehe. Das ist eine Art freundliche Kommunikation. Nette Gräser! Thanks for having me! Der mystische Regenwald bildet dann wieder das Gate in die Wirklichkeit. Ich erreiche nach insgesamt fünf Stunden die Straße in Whakapapa Village.

Die heiße Dusche im Camp ist und bleibt ein unbezahlbarer Luxus, Bude warm machen und jetzt kochen. Draußen wird es gerade dunkel. Sollte nur ein kleiner Spaziergang werden. Ein toller Tag! Platt!

16. Oktober 2022 – Von Vulkan zu Vulkan

Was mir gestern vorenthalten blieb, bekomme ich heute Morgen in aller Pracht präsentiert. Eine traumhafte Sicht auf die Vulkane. Die Wolken sind über Nacht verschwunden und ein klarer, blauer Himmel prangt über mir. Es ist kühl. Der heiße Kaffee und das Frühstücksbrot werden zu Fastfood. Camper einräumen und los. Ich biege vom Campingplatz nach rechts ab in die Sackgasse. Diese Straße endet nach atemberaubenden sieben Kilometern am Skilift. Hier oben ist noch Winterbetrieb. Die Skisüchtigen reisen in Flip-Flops und T-Shirt an, ziehen sich am Auto um und stiefeln dann in voller Skimontur zum Lift. Es liegt kein Krümel Schnee an der Basisstation, erst weiter oben, wohin der Skilift fährt, sind gute Schneeverhältnisse. Ganz kurz spiele ich mit dem Gedanken, mir spontan eine Ausrüstung zu leihen und ein paar Schwünge auf dem Vulkan zu machen. Warum? Weil ich’s kann? Gedanke verworfen, völlig dekadent! Stattdessen laufe ich ein Stück. Durch Lavagestein folge ich einem kleinen Wanderweg zu einem Sattel. Von hier aus kann ich den Ngauruhoe in voller Pracht bewundern. Mit dem Fernglas kann ich den Weg von gestern zum Lower Lake sehen. Unglaublich toll!

Ich finde Vulkane einfach eindrucksvoll. Sie sind de facto nicht berechenbar, fatal für jedes organische Leben, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen und aktiv werden. Und doch, sie schaffen nach der Zerstörung die Basis für einzigartige Vegetation wie kaum ein anderer geologischer Prozess. Ich bin unglaublich gerne in ihrer Nähe, weil ich durch nichts näher an der Genese unserer Erde sein kann. Mich faszinieren heiße Kamine, Schwefelfelder und tiefe rauchende Krater. Der höchste Vulkan, den ich (fast) bestiegen habe, ist der Tungurahua. Er ist über 5.000 Meter hoch. Das war 1984, heute ist er nach weiteren Ausbrüchen meines Wissens nach nicht mehr begehbar. Leider mussten wir damals unterhalb der vereisten Schwefelfelder, kurz vor dem Gipfel, wegen schlechten Wetters umkehren. Den Momotombo habe ich brodeln sehen, wegen der giftigen Dämpfe mussten wir schnell wieder absteigen. Und der Ätna war kritisch als ich ihn besuchte. Meine Unterkunft in El Paso auf La Palma gibt es seit 2021 nicht mehr, sie ist unter Lavamassen begraben und die Zeit für den Kīlauea habe ich mir seinerzeit leider nicht genommen. Aber trotz aller Faszination, ich bin nie lange anwesend. Zuviel Respekt habe ich vor den Dimensionen und dem Potenzial dieser tektonischen Zeitgenossen.

Doch wenn ich den Ngauruhoe und den Ruapehu heute verlasse, ist mein nächstes Ziel wieder ein Vulkan. Der meistbestiegene Neuseelands, der Mt. Taranaki oder auch Mt. Egmont. Ich bin gespannt.

Noch lange sehe ich die schneebedeckten Gipfel von Tongariro im Rückspiegel. Die Fahrt führt mich ein Stück durch langweilige Gegend bis Taumarunui, dann biege ich links ab auf den Highway 43, „The Highway of the Forgotten World“. Die gewundene, weltberühmte Straße entlang des Tangarakau Rivers ist etwas ganz besonderes. Die Landschaft wirkt tatsächlich wie „vergessen“, es gibt kaum Häuser oder größere Siedlungen, an den steilen Hängen weiden Schafe und Rinder und in Whangamomona scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Hier hat man eine eigene Republik ausgerufen. Den Einreisestempel kann man im Hotel des gleichnamigen Ortes bekommen. Die abenteuerliche Eisenbahnlinie, die schon längst außer Betrieb ist, begleitet mich den ganzen Weg. Die Schilder an den Bahnübergängen weisen nur noch auf gelegentlichen Draisinenverkehr hin. Irgendwann endet der Asphalt, ich fahre ab hier Schotterpiste durch das Tangarakautal und den Tangarakau Gorge selbst. Weiter oben muss ich durch den Moki Tunnel. Einspurig und noch durchfahrbar mit meinem Camper. Dieser Tunnel wurde von Hand gehauen und ist heute immer noch die einzige Verbindung der beiden angrenzenden Täler und das Nadelöhr des ganzen Highways 43. Über drei Pässe klettert die Bergstraße. Den Tahore, den Whangamomona und den Pohokura Sattel. Das unglaublich intensive Grün an den Hängen veranlasst mich, oft stehenzubleiben. Das sieht aus, als ob jemand eine gigantische Buckelpiste mit grüner Auslegeware beschichtet hat. Nur schöner.

Manchmal kann ich schon den Taranaki in der Ferne sehen. Der Gipfel ist schüchtern in Wolken gehüllt. Später tut sich mir eine riesige Tiefebene auf, in der irgendwo der Ort Stratford liegt, wo ich übernachten werde. Gegen 18:00h erreiche ich mein Ziel dann auch und mache es mir auf dem schönen Campground gemütlich. Ich bin gespannt auf morgen, ob das Wetter mitspielt. Bis dahin!

17. Oktober 2022 – Schöne Pools und schlechtes Wetter

Zwar weckt mich die Sonne heute Morgen, aber das heißt ja noch nichts. Draußen ist es schon warm und ein kurzer Blick in den Himmel bestätigt meine Vermutung: Vulkane machen ihr eigenes Wetter! Der Gipfel ist unsichtbar. Eine geschlossene Wolkendecke umgibt den Krater und verhindert jede Sicht auf den perfekten Kegel. So kann ich mir Zeit lassen fürs Frühstück und mache mich erst gegen Mittag auf den Weg zum Dawson-Parkplatz. Das ist der Parkplatz, der am nächsten an den Berg heranführt und von dem aus ich mehrere Wanderungen zur Auswahl habe. Doch was nützt mir das? Der Vulkan bleibt im Nebel, ja es beginnt sogar leicht zu nieseln. Klamotten an und trotzdem los. Wenigstens ein bisschen durch den Urwald und dem größten Vulkan Neuseelands etwas nahe sein. Ziel sind die Wilkies Pools, nichts Spektakuläres, aber ganz hübsch. Alles andere ist Unfug, im Nebel muss ich keine Kraftakte um ihrer selbst Willen veranstalten. Vom Gipfel kommt bei diesem Wetter sehr viel Wasser hinab, was die weglosen Flussquerungen schon etwas spannend gestaltet. Dennoch bleibt es ein harmloser, kleiner Spaziergang. Nun ja, so ist das eben.

Zurück in Stratford scheint nach wie vor die pralle Sonne, noch tanken, dann zurück zum Camp. Im Abendlicht löst sich dann die ganze Wolke um den Egmont auf und es ist klare Sicht. Nur ist leider die Aussicht vom Camp aus sehr beschränkt und die Zeit zu knapp für eine zweite Fahrt an den Berg. Dann mache ich mir halt Abendbrot, bearbeite Fotos und schreibe noch etwas für Euch. Netz gibt es heute nicht, aber bestimmt morgen...

18. Oktober 2022 – Da muss ich noch einmal entlang...

Nun, der Wetterflopp von gestern ist überwunden, aber irgendwie habe ich das Bedürfnis, den Forgotten World Highway noch einmal zu fahren. Das ging mir vorgestern alles zu schnell. Kurze Routenänderung und nach einem kurzen Frühstück geht es los. Getankt habe ich gestern schon, denn auf dem Highway 43 ist auf 150 Kilometern keine Tankstelle. Der Mt. Taranaki bleibt auch heute Morgen verhüllt - dann eben nicht!

Ohne Navi finde ich den Weg zurück zum Highway 43, dann wird es leer. Den letzten Holzlaster lasse ich freundlich passieren, jetzt bin ich alleine unterwegs. Das Grün scheint seit vorgestern sogar noch prächtiger geworden zu sein, ich halte heute an jeder Fotoaussicht und in Whangamomona mache ich Pause und bestelle mir einen Cappuccino mit Muffin. Die Jungs im Hotel-Café sind super nett und ich schlürfe meinen Kaffee ganz alleine draußen vor dem legendären Holzhotel. Ich überlege, ob ich nicht einfach hier bleiben soll, aber das Risiko, heute Abend der einzige Gast hier zu sein, ist mir zu groß. Das wäre dann ein einsame Veranstaltung und nicht schön. Also fahre ich irgendwann weiter. All die Orte der Hinfahrt passiere ich nun in umgekehrter Reihenfolge, es ist wie ein schönes Wiedersehen. Ich komme mir schon fast zu Hause vor.

Dann biege ich nochmals ab auf eine Nebenstrecke, die mein Navi nicht kennt, die Straße wird zur Schotterpiste und für die nächsten zwanzig Kilometer fahre ich den Farmern quasi durch die Hinterhöfe. Obwohl es ein reiner Fahrtag ist heute, sind die Wegeindrücke unglaublich schön. Zeitig erreiche ich Waimoto und kann so noch einkaufen gehen bevor ich auf einem netten Campingplatz einchecke und den Tag mit einem Camper-Dinner beende. Po pai!

19. Oktober 2022 – Ein Duett, Glühwürmchen und faule Eier

Die Larven der Langhornmücke leuchten im Dunkeln und ziehen Insekten an, die dann gefressen werden. Die Werbung für die Waitomo Glowworm Cave und der ganze Hype leuchten ebenfalls auf tausenden Hochglanzfotos und Plakaten. Es zieht neugierige Besucher an, die dann ausgesaugt werden. Ein riesen Brimborium mit Visitor Center, Empfangshalle, Café und natürlich Souvenir-Shop ist an den Highway 37 gebaut. Der Eintritt hat sich gewaschen - wie alle Eintrittspreise in Neuseeland - und es gibt nur geführte Touren. Ich lasse mir also kurz an meiner Kreditkarte saugen und erstehe ein Ticket für die nächste Tour. Zwei sympathische Māori, eine Frau und ein Mann, begleiten uns für die nächste Stunde durch die Limestone-Höhle. Der Name Waitomo bedeutet übersetzt „Wasser“ und „Tiefes Loch“. Warum sehen wir ein paar Minuten später des Weges. Rechts vom Pfad durch die schwach beleuchtete Höhle tut sich ein kreisrundes dunkles Loch von etwa zwei Metern Durchmesser auf, das wie ein Exponentialtrichter in die Tiefe stürzt. Es ist über fünfzig Meter tief und am Grund ist - wer hätte es gedacht - Wasser! Nach vielen geologischen Erläuterungen und netten Anekdoten erreichen wir die sogenannte Kathedrale, den größten Raum des Höhlensystems. Ich habe schon größere gesehen, aber schön ist er trotzdem, weil der Limestone halt weiß ist. Jetzt wird das Licht gelöscht und die beiden Māori singen im Stockdunkeln ein Duett für uns. Ein traditionelles Māori-Lied vorgetragen mit zwei beeindruckenden Stimmen. Es ist sehr emotional und wunderschön. Niemand quatscht, es ist völlig still. Nur der Gesang und die feucht kühle Luft sind wahrzunehmen. Es ist wichtig, diese Lieder zu singen, erklären uns die beiden ganz ernsthaft im Anschluss, denn sie bewirken, dass wir alle wieder lebendig aus der Höhle herauskommen. Ich bin nicht sicher, ob mich diese Information jetzt wirklich beruhigt.

Zum Schluss kommt der Höhepunkt, für den alle den Weg nach Waitomo gemacht haben. Eine nicht einmal zehnminütige Bootsfahrt durch ein dunkles Gewölbe. Die Glowworm-Cave! Hier sind jedes Licht und jedes Geräusch verboten, da die Glühwürmchen ansonsten die Beleuchtung abschalten. Winzige bläuliche Lichtpunkte hängen an der Höhlendecke. Wir gleiten unter einem spärlichen Teppich von vielleicht ein oder zweitausend Lichtern entlang. Die Guides ziehen die Boote lautlos an Seilen, dann erreichen wir einen Tunnel, der uns wieder hinaus ans Tageslicht führt. Nun ja, Fazit: In den Prospekten sieht das immer aus wie ein Flug unter der Milchstraße und das ganze künstlich auf zwei Stunden aufzublasen, dient wohl eher der Rechtfertigung, die satten Eintritte aufrufen zu können. Aber vielleicht sehe ich das auch alles zu eng, nur weil ich diese ganze Spaßkirmes drum herum so überflüssig finde.

Die nächsten paar Stunden sind entspannte Fahrt nach Rotorua, einer Stadt in einem der größten Geothermalfelder Neuseelands. Die Überlandfahrten hier auf der Nordinsel sind nicht so begeisternd wie auf der Südinsel. Es ist viel mehr Verkehr, es gibt viel mehr Ortschaften und die Landschaft ist bei weitem nicht so abwechslungsreich. Nichtsdestotrotz ist es schön und ich genieße die Fahrt bis zum Campground am Stadtrand von Rotorua. Als ich die Tür vom Camper öffne weht ein süßlich sanfter Gestank nach faulen Eiern vom Geysir-Park herüber. Die Luft ist warm und feucht und hier soll ich es zwei Nächte aushalten? Nun ja, wird schon gehen. Ich richte mich also häuslich ein, dusche erst einmal und dann sehe ich einem gemütlichen Camper-Abend entgegen. Heute gibt’s Tagliolini mit Pesto und zeitige Nachtruhe.

20. Oktober 2022 – Tanzbären sind Missbrauch der Schöpfung

Ich will das doch immer ganz positiv sehen. Es gelingt mir aber einfach nicht immer. „Man muss doch auch das Gute an der Sache sehen.“ „Alles hat auch seine guten Seiten.“ „Sieh das doch nicht immer so negativ!“ „Du musst alles schlecht reden.“ Ich höre schon die Kritiker...

Bären sind unglaublich imposante, starke und für den Menschen ungefährliche Tiere, wenn man sie einfach in Ruhe lässt. Ein Tanzbär dagegen ist ein Bär, der qualvoll gebrochen wurde, gegängelt, geputzt, gekämmt und dem ein buntes Hütchen aufgesetzt wird, wenn er an der Stange tanzen muss, weil das Publikum bezahlt. Kommse rein! Kommse ran! Hier tanzt der Bär! Bis er stirbt.

Ein Geothermalfeld ist ein unglaublich imposantes, geologisches und für den Menschen ungefährliches Phänomen, wenn man sich dort zu verhalten weiß. Wenn nicht, dann fernbleiben. Ein Geothermal-Park ist ein thermales Feld, das eingezäunt, überbrückt und asphaltiert wurde und in dem Blechkisten stehen, in denen die Hipster-Speisen für das angeschlossene Restaurant erhitzt werden. Die Aussicht auf eindrucksvolle thermische Expositionsfelder ist durch große Solarpanels verschandelt, weil man Strom für die farbige Beleuchtung der Nachtshow braucht. Ja, diese Naturphänomene werden nachts bunt beleuchtet, in die sprudelnden Wasserlöcher sind hitzebeständige bunte Lampen eingelassen, damit man auch noch Midnight-Special-Tours anbieten kann. Kann mir mal einer sagen, was das soll? Das ist doch was für Menschen, die beim Sex eine Lichtorgel brauchen. Und dieser Vergleich erscheint mir noch deutlich zu harmlos.

Satte Eintrittspreise, nur geführte Touren, die freundliche Māori Guide singt keine Lieder, aber erzählt uns, was alles verboten ist. Keine Fotos oder Soundaufnahmen im Kiwi-Nacht-Museum (kann man noch verstehen), Fotos aus dem Geothermal-Park dürfen nicht veröffentlicht werden. Dagegen der Showroom für die verkäufliche Māori-Kunst darf gerne fotografiert und publiziert werden. Die Objekte hier werden von Māori Kunststudenten traditionell hergestellt und sind von unglaublicher Schönheit. Die Preise reichen umgerechnet bis an mehrere zehntausend Euro.

Ach ja, ich war ja eigentlich in einem Geothermalgebiet. Irgendwie hat es heute für die Begeisterung nicht gereicht. Vor vierzig Jahren war ich im Yellowstone am Old Faithful und in den Norris Basins. Vor fünfundzwanzig Jahren war ich auf Island am Strokkur und an dem „Geysir“, der allen anderen Springquellen auf der Erde seinen Namen gab. Das war anders. Da gab es keine richtigen Absperrungen. Die Menschen blieben respektvoll weit entfernt und bewunderten die Ereignisse. Handys gab es nicht! Keine Selfies! Nicht einmal jeder hatte einen Fotoapparat. Unvorstellbar, oder? Aber diese Menschen, und das behaupte ich steif und fest, haben unendlich viel mehr von der Natur mitgenommen als der komplette Verein dieser hedonistischen Nimmersatts auf unserem ganzen Planeten. So, genug gekotzt im Paradies!

Ich habe mich dann abgesetzt von der geführten Gruppe und bin alleine durch den Thermalpark gelaufen. Das ist erlaubt. Und siehe da, plötzlich ist keiner mehr da. Soll mir recht sein. Ich entdecke viele graue blubbernde Schlammlöcher. Das ist nicht gering konzentrierte Schwefelsäure! Die vernichtet jede organische Substanz, übrig leibt anorganischer Schlamm. Die bunten Farben an den wässrigen Löchern werden oft durch Schwermetalle erzeugt. Wer in Chemie aufgepasst hat, alle Nebengruppenelemente rauf und runter.

Es beginnt zu regnen und ich mache mich auf den kurzen Rückweg, selbst in der Stadt blubbert es noch in den Straßengräben oder der ein oder andere kleine See sprudelt wie warmes Mineralwasser. Camperabend bei Regen - auch schön!

21. Oktober 2022 – Hobbiton Traumfabrik

Der heutige Tag steht ganz im Zeichen der Herren Beutlin, Gamdschie, Tuk, Brandybock und der ganzen anderen Gefährten. Die filmische Heimat der Helden des Tolkienschen Jahrhundertwerkes liegt am Wegesrand: Hobbiton, auf Deutsch Hobbingen. Ist es ein Muss, wenn man nach Neuseeland reist und den "Herr der Ringe" so verschlungen hat wie ich? Oder ist es nur die Besichtigung einer cineastischen Kulisse? Traumfabrik! Ich bin im Zwiespalt.

Als ich den "Herr der Ringe" gelesen habe, war Peter Jackson gerade 19 Jahre alt. Etwa genauso alt wie ich. Das war 19 Jahre bevor seine Dreharbeiten begannen. Ich gehöre glücklicherweise noch zu der Generation, die das Privileg für sich beanspruchen kann, ihre eigenen Bilder im eigenen Kopf geschaffen zu haben. Lange Jahre habe ich mich deshalb geweigert, den Film anzusehen. Nicht weil er schlecht wäre, ganz im Gegenteil, aber ich wollte meine eigenen prägenden Bilder bewahren. Langstreckenflüge änderten das dann mit der Zeit. Sechs Stunden Kino aus Mittelerde, da vergeht die Flugzeit im Handumdrehen. Und mittlerweile vermischen sich meine Bilder mit denen von Peter Jackson. Sei’s drum, ich schau mir das heute mal an.

Parkplatzeinweiser, alles durchorganisiert, Schilder, welcome, happy staff, corporate identity, Popcorn, merchandising... Die Touris mit Vollbart, Hüten, Kutten und Ring an Kette um den Hals, die sehen alle selbst aus wie Hobbits. Ich habe Lust, nachzufragen, ob sie pelzige Füße haben. Ok, skip the Tourikirmes und skip die 54 € Eintritt. „Awesome“ ist das überstrapazierte Adjektiv der Guide, aber trotz der interessanten Infos zum Making off verdrücke ich mich, ganz einfach um das ganze Ambiente in Ruhe aufnehmen zu können.

Es ist schon phänomenal gestaltet, hier stimmt jedes Detail. Irgendwie scheint das auch mit etwas Liebe geschaffen worden zu sein. Zumindest technisch wird mir klar, was das für ein Aufriss ist, den zahlenden Zuschauern eine Traumwelt zu inszenieren. Das hat unbestritten was von Droge!

Die Bilder der Hobbithöhlen und wer wo gewohnt hat und wer wo was gesagt hat, ist mir unbekannt, die ganze Geschichte - Tolkiens Geschichte - ist mir umso näher. Schön, dass ich hier war, aber mit „meinem“ Herrn der Ringe hat das nichts zu tun! Auch wenn Peter ein wirklich bewundernswerter Geniestreich gelungen ist.

Der Tag endet etwas in Gedanken in der Nähe von Thames auf einem überteuerten Campingplatz. Salat und Schokoriegel zum Nachtisch. Gute Nacht.

22. Oktober 2022 – Kauri und Himmelfahrt an der Ostsee

Das Wetter hat sich etwas gebessert und nach einem kleinen Frühstück fahre ich los. Es geht zum Cookson Kauri einem Riesenbaum im Coromandel Forest Park. Knappe zwei Stunden dauert das Ganze, glaubt man den Wegweisern. Der schmale Weg windet sich durch wunderschönen Regenwald, ich bin recht früh unterwegs und deshalb mal wieder ganz alleine. Der Frühling ist unaufhaltsam und er wird geradezu „ausgerollt“. Ich lasse mich von tausend Winzigkeiten ablenken. Wunderschöne Sporophylle mit Sporangien, das sind die nur teils oder nicht assimilierenden Farnwedel, die der Fortpflanzung dienen und nicht der Versorgung der Pflanze. So viele Gewächse hier gehören letztendlich zur Gruppe der Farne, nicht nur die echten Farne, die ich sehr sicher erkenne. Doch bevor ich mich auf taxonomisch dünnes Eis begebe, gebe ich mich lieber dem Staunen des Ahnungslosen hin, denn alles, was ich aus der Nähe betrachten kann, ist der Wegesrand. Weiter als einen Meter kann man nicht wirklich in den Urwald eindringen. Allein die Vorstellung, was da draußen noch so alles wächst, macht mich mehr als neugierig. So vergeht die Zeit mit Foto hier und Foto da. Nein dort. Und da auch! Boah, ist die schön und das habe ich ja noch nie gesehen.

Das letzte Drittel des Weges offenbart sich als ein übler Anstieg über Stufen, der so richtig in die Oberschenkel geht. Zu allem Überfluss auch noch in Wellen, was bedeutet, der Rückweg wird nicht wesentlich leichter. Aber irgendwann ist jeder Weg zu Ende, so auch dieser. Auf den allerletzten Metern steht er dann plötzlich vor mir. Der riesige Cookson Kauri. Ich bleibe vor Ehrfurcht einfach stehen. Vermutlich mit offenem Mund und großen Augen. Ein kleiner Holzbalkon erlaubt eine Annäherung bis auf wenige Meter. Direkt vor dem gewaltigen Stamm. Weiter geht es nicht, das Gelände ist hier ein extrem steiler Urwald. Ich bin sprachlos beim Anblick dieses Giganten, und dass er auf diesem steilen Hang überhaupt Halt findet. Sein Stamm ist so makellos und rund und seine Rinde erscheint so gleichmäßig. Die ersten Äste zweigen erst bei fünfzehn oder zwanzig Metern ab. Sie sind selbst so dick wie Bäume. Er mag 1500 Jahre oder älter sein, Kauri werden so alt. Als Abel Tasman Neuseeland entdeckte, war dieser Kauri mit Sicherheit schon über eintausend Jahre alt. Unfassbar! Lange stehe ich in Gedanken vor diesem Wunder, bevor ich den Versuch wage, ein paar Fotos zu machen. Ich denke gerade, was ist das für ein Verhältnis von Zeit, einen tausendfünfhundert Jahre alten Baum mit einer zweihundertstel Sekunde fotografisch abzulichten? Damit dokumentiere ich 0,1 Billionstel seiner Lebenszeit. Oder anders veranschaulicht, hätte ich an jedem Tag seines Lebens ein Foto gemacht, hätte der Film daraus die Länge aller drei Episoden des "Herr der Ringe". Aspergermodus aus.

Den ganzen Rückweg versuche ich immer noch das Alter dieses Baumes wirklich zu begreifen. Hoffnungslos, ich gebe auf. Stattdessen lasse ich mich lieber wieder von den unzähligen perfekten Farnen ablenken. So langsam verstehe ich die Māori und die Bedeutung des Koru in ihrem Leben! Ein paar Mal quere ich noch den Wainora River, dann bin ich wieder unten. War ziemlich anstrengend und alles nur um diesen einen Kauri Baum zu sehen. Ganz schön besonders der Baum!

Jetzt die Schotterpiste zurück und dann links abbiegen zur Küste. Eine lange kurvige Fahrt durch weiteren Urwald folgt, bevor ich an meinem Tagesziel in Hahei ankomme. Hier gibt es schöne Strände und die Cathedral Cove, ein großer höhlenartiger Felsdurchbruch am Meer. Doch mich trifft der Schlag, wer schon alles hier ist und was hier für ein Rummel herrscht. Wo kommen die alle her? Die Straßen waren doch leer! Ich fühle mich wie Himmelfahrt an der Ostsee. Der Campingplatz ist eine Freizeitstadt und mit fast fünfzig Dollar der teuerste der ganzen Reise und Mindestaufenthalt ist zwei Tage. Es ist langes Wochenende, erfahre ich von der netten Frau an der Rezeption. Aha! Jetzt wird da auch ein Schuh draus. Wahnsinnswetter plus Montags-Feiertag plus Wochenende. Mit etwas Jammern lässt die Rezeptionsdame sich breitschlagen, mir nur eine Nacht zu verkaufen, schließlich sind sie nicht ganz ausgebucht. Wenigstens etwas, sehr nett.

Der Stellplatz ist in der letzten Ecke auf einer Wiese, das kann nicht besser sein. Umziehen und dann mal sehen, wo diese Cathedral Cove ist. Bisschen forschen und fragen, einfach am Strand entlang, bis zum Einstieg in den kleinen Wanderweg. Dauert zwei Stunden hin und zurück und ist alles asphaltiert. Was? Asphaltiert? Ja, ganz toll gemacht, sehr bequem. Nun ja, ich bin gespannt. Zum zweitem Mal heute geht es steil über Treppen nach oben, dann wieder ganz nach unten, dann wieder steil bergauf. Unterwegs kommt mir reichlich Volk entgegen mit Badetaschen Sonnenschirmen und weiterem Strandbesteck. Hier sind viele Abzweige zu anderen kleinen Stränden. Zwischendurch genieße ich immer wieder die herrlichen Ausblicke auf die vielen vorgelagerten Inseln. Der letzte Abschnitt führt steil bis ganz nach unten ans Meer. Ich habe noch die Treppen vom Kauri Trail in den Knochen und muss gleich das ganze Ding wieder zurück? Au Weia... Als erstes sehe ich an dem kleinen hübschen Strand eine junge Frau, die Taxi-Tickets verkauft. „Buy on the Beach“ heißt ihre Geschäftsidee. Sie verkauft Wassertaxi-Tickets. Wie einen Colt hat sie in der Gürteltasche einen Kreditkartenleser. Klar, Cash ist out! Der leicht zu erratende erste Gedanke, der sich sofort in meinem Kopf festsetzt, verschafft mir ein gehöriges Maß mehr an Freude, mir die Höhle anzusehen.

Das Wasser rauscht von zwei Seiten in den Felsdurchbruch, der Hoho Rock steht in etwas Entfernung imposant in der Brandung, die Bäume auf seiner Spitze verdeutlichen seine Größe. Jetzt bei Ebbe kann man die Cove gut durchschreiten, bei Flut steht sie unter Wasser. Die frische Meeresluft tut gut, ein paar Fotos von der eindrucksvollen Szenerie, dann wird es recht kühl, denn wir sind an der steilen Ostküste und die Sonne ist schon lange hinter dem Berg verschwunden.

Ich frage die Frau mit dem Colt, was das Taxi denn kosten soll und stelle mich schonmal auf einen schmerzhaften Preis ein, der dann gegen erneute Oberschenkelschmerzen abzuwägen sein wird. Es ist nicht so schlimm, eigentlich noch moderat. Ich erstehe ein Ticket und schon knattern ihre Kollegen mit dem Boot heran, lässig rückwärts auf den Strand auflaufen und die Landungsbrücke runter. Sie reicht aber nicht, um trockenen Fußes einzusteigen. Die Burschen natürlich barfuß, nur mit schicken Bahama-Shorts bekleidet, Rastalocken und braungebrannt - und das im Frühling! Dazu dieses unwiderstehliche, smarte Après-Surf-Lächeln im Gesicht, als ob man gerade mit der letzten Big-Wave in die vorgeheizte Strandbar gespült worden ist! So, alle einsteigen und in einem choppy ride, wie man hier sagt, die Buchten entlang bis zum Strand der Freizeitstadt, in der ich heute Nacht zu Gast bin. Och, ich finde die Idee mit dem Taxi echt gut!

Nach einer schönen heißen Dusche mache ich es mir in meinem Camper bequem und freue mich jetzt darauf, die Füße hochzulegen. Nacht zusammen.

23. Oktober 2022 – Campingmesse am Piha Beach und am Abend Rotlicht

Das Ziel heute ist einer der Lieblingsstrände der Auckländer, der schwarze Strand von Piha. Tja, und genau das ist auch das Problem, denn ich habe ja gestern erfahren, dass heute ein langes Wochenende ist und Auckland ist eine große Stadt. Ergo, es werden viele Menschen die gleiche Idee haben wie ich. Dann schauen wir uns das mal an. Zunächst kämpfe ich mich durch die Autobahnwirren des Nadelöhrs Auckland, dann Richtung Westen zum Strand. Auckland ist von vielen alten Vulkanhügeln umgeben, so muss ich denn auch über wilde Serpentinen und durch Urwald bis ich die Westküste überhaupt erst sehen kann. Und genau ab hier kommt zum langen Wochenende und den Großstadtausflüglern noch ein Bewertungsfaktor für mein Reiseziel hinzu: Es ist alles ausverkauft in dieser Gegend. Überall, wo man eine Villa, ein Haus oder nur ein Häuschen hinbauen kann, steht auch eins. Meist mit einem Gatter verschlossen und immer mit einem großen Schild „Privatbesitz“ und „Parken verboten“. Und genau das ist das Problem, abgesehen von dem völlig blickdichten Urwald ist es unmöglich irgendwo anzuhalten, um die Aussicht zu bewundern. Das sind alles kleine Filetstückchen der besserverdienenden Auckländer, die hier in Massen ihre Wochenenden verbringen. Dass die sich das alle einst beim Erwerb ihrer Luxusobjekte so gedacht haben, wage ich zu bezweifeln. Also weiter runter zum Strand. Der Verkehr mutiert jetzt langsam zur Blechlawine und unten angekommen trällert überall Musik und auf den weiten Grünflächen und dem endlosen Strand frönt man den Freizeitaktivitäten. Mein geplanter Campingplatz könnte bei unscharfem Hinsehen auch die Außenfläche einer größeren Campingmesse sein. Hölle! Dass ich hier nicht übernachten werden, dürfe klar sein. Trotzdem gönne ich mir einen Spaziergang am schwarzen Strand, bei dem ich mir fast die Füße verbrenne. Schwimmen ist wegen der Gezeiten gerade lebensgefährlich, ansonsten ist es tatsächlich ein schöner Strand.

Also kurze Planänderung, ich werde jetzt einfach in Richtung des nächsten Zieles fahren, mal sehen wie weit ich komme. Vorbei am Big Bay von Auckland mit herrlichem Weitblick, das war die vorerst letzte Aussicht für heute. Irgendwo gibt es dann auf dem Highway 1 noch einen völlig schwachsinnigen Mautabschnitt von 7,5 Kilometern, den man im Voraus oder nachher ausschließlich online bezahlen kann. Es kostet 2,40 NZ$, das sind etwa 1,60 €, es spart 9 Minuten Fahrzeit, die Strafe bei Verspätung kostet 40 NZ$, bei Mietwagen 80 NZ$. Ich hab keine Ahnung welcher Praktikant im Verkehrsministerium sich so einen unsäglichen Unsinn ausgedacht hat. Ich nehme die nächste Ausfahrt und entscheide mich für kleine Straßen an der Küste entlang.

Nun, das ist es auch schon für heute, es ist alles wenig spektakulär, einsame Routen durch tolle Landschaften habe ich heute keine gefunden und so lande ich am schönen Bream Bay, wo es wieder voll ist. Siehe oben, langes Wochenende! Am dritten Campingplatz in Ruakaka klappt es, die Chefin hat nach Feierabend auf mein Klingeln hin noch einmal aufgeschlossen und war dennoch super freundlich. Ein Stellplatz direkt am Strand, was will ich mehr? Pünktlich zum Sonnenuntergang taucht der Beam Bay dann noch in tolles rotes Licht, so ist es ja doch noch ein schöner Tagesabschluss geworden. Füße hoch!

24. Oktober 2022 – Das aufgeteilte Paradies und am Ende bin ich da, wo ich hin wollte

Heute ist Montag und auch die letzten Wochenendausflügler reisen heute fast alle ab. Ich merke das am Gegenverkehr, der ist heftig. Jeder Dritte zieht ein Boot oder einen Wohnwagen hinter sich her, wie gut, dass ich in die Gegenrichtung unterwegs bin. Natürlich ist es heute nicht mehr so weit zum Tagesziel, weil ich ja gestern schon ein gutes Stück nach Norden vorgefahren bin. Deshalb habe ich mir gestern Abend noch eine extra Route über viele Campingplätze gelegt, ich hoffe, einen schönen zu finden, auf dem ich mehrere Nächte bleiben mag. Das Ziel heißt nämlich Bay of Islands. Ein landschaftliches Highlight mit vornehmlich Wassersportmöglichkeiten, aber auch Inselwandern ist hier möglich, was schon eher nach meinem Geschmack ist.

Nun, was soll ich sagen? Das Paradies ist aufgeteilt. Die Landschaft ist wirklich sehr schön, aber jeder zugängliche freie Fleck ist Privatbesitz oder irgendein Freizeitbusiness. Die öffentlichen Zugänge zum Wasser sind sehr gepflegt angelegt, dort trifft sich dann die Urlaubs- und Freizeitgesellschaft zum kollektiven Wasserspaß. Die Buchten stehen voll mit Segelschiffchen und Motorbooten, die paar Orte sind geleckte Flaniermeilen mit allen gewerblichen Varianten des touristischen Zeitvertreibs. Meine Campingroute breche ich nach Nummer vier ab. Alle Plätze mit netter Ufer- oder Strandlage sind irgendwie Rummelplätze. Nun, ich wollte ja unbedingt hierher und wer A sagt muss auch... Nö! Wer A sagt, kann auch sagen, dass A scheiße ist! Ich genieße noch so weit es geht die hübschen Ausblicke in die weite Bucht, nehme die kleine Fähre von Okiato nach Opua und mache einen Abstecher zu den Haruru Wasserfällen.

Danach fahre ich weiter Richtung Norden, irgendwann muss es doch auch wieder leerer werden, denke ich mir. Und das wird es dann auch. Der Rückreiseverkehr des langen Wochenendes reißt allmählich ab, die Sonne zeigt sich und trotz etwas langweiliger Landschaft ist es eine schöne Fahrt mit der ein oder anderen Sichtung der Tasmanischen See und des Pazifiks. Neuseelands Nordinsel ist hier im Norden nicht mehr sehr breit, da ist das möglich. Ich werde jetzt versuchen den letzten guten Campingplatz mit etwas Infrastruktur zu erwischen und hoffe, er ist schön. Dann kommt das Schild „Camping 300 m - Turn right“. Mach ich. Die reichlich tätowierte Frau an der Rezeption begrüßt mich im feinsten Kiwi-Akzent, herrlich, das kann nur gut werden. Und da ist es wieder, das erlösende Gefühl, wenn man einen Pfad wiedergefunden hat, der zuvor verloren gegangen ist. Zusammengefasst: Leerer Wiesen-Campingplatz im Hinterland, Bucht vor der Tür, Amenities neuseeländisch perfekt und gewohnter fairer Preis.

Camper abstellen, es ist noch nicht so spät und ich laufe noch rüber zur Bucht. Stilles blaues Wasser plätschert am Ufer, es ist Ebbe. Draußen sehe ich vereinzelt Angler in ihren Bötchen und ganz in der Ferne das Ende der Bucht und den Pazifik. Ein Angler kommt gerade lautlos in seinem Kajak zurück, zwei Möwen begleiten ihn, ein herrliches, kitschiges Bild. Ansonsten sind hier nur ein paar Möwen, die mir Gesellschaft leisten. Mehr will ich doch gar nicht. Das war jetzt ein ganz schön langer und zäher Ritt bis hierher. Hoffen wir mal, dass es die letzten Tage meiner Reise so bleibt. Mehr passiert nicht, gute Nacht für heute.

25. Oktober 2022 – Wo sich die Ozeane treffen und Riesendünen wandern

Vor über einem Monat war ich am Slope Point, dem südlichsten Punkt von Neuseeland und heute steht der Ausflug nach Cape Reinga auf meinem Zettel, dem nördlichsten Punkt von Neuseeland. Der Weg ist nicht allzu weit, er führt mich durch wenig besiedeltes Weideland und kleine Wälder. Der „Far North District“, die nördlichste Verwaltungszone von Northland ist hier so schmal, dass ich auf beiden Seiten den Ozean sehen kann. Im Westen die Tasmanische See und im Osten den Pazifik. Es ist heute sehr windig und ich bin langsam unterwegs, zudem bleibe ich öfter mal stehen, um die riesigen Sanddünen im Westen aus der Ferne zu betrachten oder nur das grüne Land zu genießen. Die letzten Kilometer winden sich dann noch einmal durch dichten Wald hinauf auf die alten Vulkanberge, dann bin ich da. Am Cape Reinga. Ich steige aus und mache mich auf zum Leuchtturm, die Sicht ist traumhaft schön. In der Tiefe auf der pazifischen Seite sehe ich die kleine, menschenleere „Sunday Bay“, die von der regelmäßigen Brandung geglättet und gepflegt wird. Zum Baden kommt hier niemand her, das ist zu weit und so präsentiert sich alles völlig unberührt. Auch mir ist es zu weit, bis nach ganz unten zu steigen, ich begnüge mich mit dem Ausblick vom Leuchtturm. Da stehe ich nun fast am nördlichsten Ende von Neuseeland. Der wahre geografisch nördlichste Punkt ist nur über einen Trail zu erreichen und liegt etwa dreißig Kilometer östlich von hier. Aber so genau nehmen wir das heute mal nicht. Ich schaue hinunter auf die beiden Ozeane. Eine lange Spur von Strudeln und kleinen Schaumkronen ist erkennbar, und zwar genau dort, wo sich die beiden Gewässer treffen und vermischen. Das ist etwas Besonderes, sagen die Infotafeln, da die Gewässer unterschiedliche Temperaturen und Salzgehalte haben. Ich könnte mir das stundenlang ansehen, was die Weltmeere da machen. Doch ein paar nette aber lärmende Inder treiben mich weiter auf den kleinen benachbarten Vulkanhügel. Von hier aus schaue ich nun auf die Tasmanische Meeresküste, auf den leuchtenden Te Werahi Beach. Herrlich!

Zeit für die Rückfahrt, denn ich möchte noch zur riesigen Te Paki Düne. Ein Stückchen Schotterpiste, dann endet die Straße direkt an der Rückseite der berghohen Sanddüne. An einem völlig abgerissenen Omnibus kann man sich bunte Sandboards ausleihen und die steile Seite der Düne hinuntersurfen. Ich ziehe es vor, in den Bereich zu steigen, wo das alte Vulkangestein aus dem Sand emporsteigt. Hier liegen bis zu faustgroße scharfkantige Basaltstücke herum, die mit ihrer schwarz-auberginen Farbe das Komplement zum gelben Sand bilden. An einigen prominenten Stellen gibt die Düne sogar den Blick frei auf die vulkanischen Hügel unter ihr. An einer anderen Stelle finde ich einen tollen Blick auf die scharfe Grenze von Sand und Vegetation. Irgendwann wird die Düne auf ihrer stetigen Wanderung das grüne Land unter sich begraben haben.

Den Sand aus den Schuhen und den Klamotten schütteln und nun geht’s zurück zum schönen Campingplatz, wo ich eine zweite Nacht verbringen werde. Die warme Sonne scheint noch als ich zurückkomme. Es gibt Salat in meinem grünen Camper-Vorgarten, später sieht man einen schönen Sternenhimmel und ich habe eine geruhsame Nacht.

26. Oktober 2022 – Tane Mahuta darf nicht krank werden!

Reiserichtung Süd, entlang der Küste, mit der kleinen Fähre nach Rawene bis ins Waipoua Nature Reserve. Dort ist er zu Hause, seit zweitausend Jahren. Tane Mahuta heißt er und ist der Sohn von Ranginui und Papatuanuku, von Vater Himmel und Mutter Erde. Er wird auch „Lord oft the Forest“ genannt, ist der größte lebende Kauri Neuseelands und gehört zu den größten Bäumen der Welt. Im Waipoua Reserve wachsen die meisten und die größten Kauri. Allerdings sind sie sehr bedroht durch die Dieback Krankheit, ein invasives, mutagenes Pathogen ungeklärter Herkunft, das u.a. Wurzelfäule hervorruft und seit 2006 massive, wachsende Schäden bei den Kauri angerichtet. Sie besitzen trotz ihrer gigantischen Größe nämlich nur sehr feine und zarte Wurzeln, die nicht einmal betreten werden dürfen. Die Wälder sind deshalb weitgehend gesperrt, es gibt nur noch wenige künstliche Wege mit Boardwalks. Schuhe und Equipment müssen in sehr aufwändigen Stationen vor und nach dem Betreten des Waldes gereinigt und desinfiziert werden, wer Wege verlässt, muss mit drakonischen Strafen rechnen und mit dem Auto anhalten oder aussteigen ist aktuell bis auf zwei freigegebene Parkplätze im ganzen Nationalpark verboten. Auch das eine unvermeidbare Entwicklung durch Globalisierung. Aber was erzähle ich Euch, Corona ist das aktuelle Dieback des Menschen.

Trotz dieser ernsten und tragischen Situation zugleich möchte ich aber die Faszination, die diese Riesenbäume auslösen, nicht zu kurz kommen lassen. In den Wäldern stehen abertausende von Kauri. Nicht alle sind Baumriesen und auch nicht jeder Kauri schafft es bis zu einer Höhe über 50 Meter wie der Tane Mahuta. Jedoch sind sie alle sehr hoch und leben wie die meisten großen Pflanzen in Symbiose oder Vergesellschaftung mit den unterschiedlichen Zeitgenossen. Das spannende ist in diesem dichten Regenwald, dass man die Riesen-Kauri nicht sieht, bevor man ihnen nicht sehr nahe gekommen ist. Dieses grüne Dickicht ist wörtlich undurchschaubar. Und dann steht man vor einem dieser Giganten und das Staunen nimmt kein Ende. Wie schon oben beim Cookson Kauri beschrieben, erscheint die Rinde sehr glatt und gleichmäßig. Die Stämme sind oft perfekt rund und stehen lotrecht. Erst sehr viel weiter oben verzweigen sie sich und schaffen die Grundlage für ganze Ökosysteme in ihrer mächtigen Krone. Hier ein kleiner Eindruck, von welchen Größenordnungen ich spreche. Das ist der zweitgrößte Kauri Neuseelands, der „Te Matua Ngahere“ (Father of the Forest).

Links: Bäume in der Baumkrone (Ausschnitt); Rechts: Der Te Matua Ngahere (Ganzes Foto)

Ich lasse mich heute auf den beiden einzigen kurzen Walks im Waipoua Park begeistern und bereichern. Begeistern, weil die Dimensionen einfach unvorstellbar sind, wenn man es nicht mit eigenen Augen sieht. Gutgemeinte Zahlenwerte der Informationstafeln sind da wenig hilfreich, ein Stammvolumen von 244 m3 löst bei mir keine Emotionen aus. Und bereichern, weil ich so wenig über diese Bäume wusste und soviel gelernt habe. Aber vor allen Dingen, weil ich sehen kann, wie wichtig die Kauri sind im Zusammenhalt des komplexen Ökosystems Wald, nicht nur hier im Waipoua. Und außerdem mag ich diese Bäume, sie sind mir sympathisch. Warum? Weiß ich nicht, aber das ist ja auch nebensächlich.

Die Übernachtung im Waipoua fällt auch flach, jedes Business ist aus oben genannten Gründen geschlossen. Zwar könnte ich selbst auf dem einzigen Naturcampingplatz einchecken, aber ich brauche Infrastruktur, weil ich mich langsam auf die Rückgabe des Campers und meine Weiterreise vorbereiten muss. Und das tue ich jetzt auch dreißig Kilometer weiter auf einem schönen Waldcampingplatz. Lasst Euch noch von den Kauri verzaubern, ich sage Euch Gute Nacht und bis Morgen.

27. Oktober 2022 – Letzte Etappe und das Kauri Museum

Es wurde tatsächlich noch einmal etwas frisch heute Nacht, dafür aber gibt es ein warmes, sonniges Erwachen mit Vogelgezwitscher, Frühlingsduft und dem rauschenden Bach hinter meinem Campervan. Fenster auf, Türen auf, Luft rein, Wasser aufsetzen! Die Auswahl fürs Frühstück ist genau rationiert, die Reste müssen bis morgen alle konsumiert sein. Es gibt zwei wachsweiche Eier, aufgebackene Sesambrötchen und Roquefort. Dazu meinen Jeds No. 3 „strong“ Instantkaffee der Spitzenklasse mit Milch und Zucker und hinterher ein Glas frischen Orangensaft. Bei einem solchen Frühstück sitzen schnell die ersten Spatzen in meinem Fenster, die ganz forschen kommen zur Tür herein und picken die Sesamsaat vom Boden auf.

Was steht auf dem Programm? Nun, die etwas verkürzte Fahrt zum letzten Campingplatz und meinen Camper abgabefein machen. Dann will ich mal los. Landschaftlich sind die gut einhundertfünfzig Kilometer wenig reizvoll, ganz hübsch grün, das ist es aber auch schon. Am Straßenrand finde ich zufällig eine Tankstelle mit Gasfüllstation. Anhalten, die leere Flasche vollmachen, dann habe ich das auch erledigt. Ich unterhalte mich noch etwas mit dem netten Tankwart, während meine Gasflasche sich langsam füllt. Er findet es toll, dass ich von soweit herkomme und vor COVID waren unglaublich viele Deutsche hier, nachher nicht mehr. Ich frage ihn, wohin denn die Kiwis so verreisen. Er zuckt ratlos mit den Schultern als wäre es eine blöde Frage. Dann fragt er nicht ganz ohne Genugtuung, warum ein Neuseeländer denn verreisen solle, man habe doch alles hier auf den Inseln. Ich kann ihm nur zustimmen, aber dann gesteht er mir mit einem Lächeln, dass er schon fünfmal mit seiner Familie in Kanada war, weil er die Weite und die Wildnis dort so sehr mag. Dann ist die Flasche voll.

Nur noch eine Stunde habe ich vor mir, ich bin sehr früh dran. In der Nähe ist das Kauri Museum. Ein sehr populäres Museum, das die Geschichte der Holzwirtschaft um die Kauri Bäume dokumentiert und die damit eng verbundene Geschichte von Waipoua, einem der Zentren der kommerziellen Holzverarbeitung. Ich mache den Abstecher, Zeit habe ich genug. Erwartungsgemäß ist es nicht besonders erheiternd, was hier gezeigt wird. Das Museum selbst ist ziemlich aufwändig gemacht und sehr groß. Es ist eine komplette Sägemühle nachgebaut, die sich bewegt, viele verschiedene Hölzer sind ausgestellt, ebenso echte Baumscheiben von fast tausend Jahre alten Bäumen. Es gibt viele fotografische Zeitdokumente und ein komplettes Handelshaus mit eingerichteten Büros und szenischen Darstellungen. Dann kommen Luxusartikel wie edelste Schränke, Sekretäre und Klaviere bis hin zu Luxusseglern komplett aus Kauriholz. Eine gigantische Bernsteinsammlung mit fußballgroßen Stücken schließt sich an. Alles vom Kauri. Ich könnte noch endlos mehr aufzählen.

Was ich so schlimm an derartigen Museen finde, ist die Ignoranz und Kritiklosigkeit, mit der Geschichte dargestellt wird. In diesem Falle die der Kauri Holzwirtschaft. Kein Wort von der Zerstörung eines riesigen Ökosystems und der irreversiblen Veränderung von Landschaften, unter der Neuseeland heute massiv zu leiden hat. Ja, Bäume fällen ist ok und auch nicht schädlich, wenn es mit Sparsamkeit, Sinn und Sachverstand geschieht. Und vor allen Dingen, wenn man sinnvolle Dinge mit dem gewonnenen Rohstoff herstellt oder tut. Aber das ist leider viel zu selten der Fall. Das ganze wirklich liebevoll gestaltete und sehr informative Museum ist der lückenlose Beweis, dass persönlicher und unternehmerischer Profit durch Ausbeutung von Ressourcen an erster Stelle steht. Der Erfolg der Kauri Holzwirtschaft wird gemessen am Reichtum, den eine vergleichsweise kleine Oberschicht dadurch erzielt hat. Ich bin dann auch relativ schnell durch gewesen.

Es ist Ebbe am Red Beach als ich auf meinem letzten Campingplatz ankomme, ein schönes Plätzchen gibt es auch noch und mein erster Weg ist rüber zum menschenleeren Strand. Noch einmal lasse ich mir den Wind des Pazifiks kräftig durch die Haare pusten und genieße die rauschende Brandung der abfließenden See. Ich beobachte ein paar lärmende Rotschnabelmöwen, die nur in Neuseeland leben und denke einfach an nichts. Herrlich!

Und jetzt geht es an den Hausputz, mit dessen Einzelheiten ich Euch nicht langweilen werde. Er dauert eine gute Stunde, ein paar noch gute Dinge und Reste stelle ich in die Campingküche zum Verschenken, es dauert keine Stunde, dann sind sie alle weg. Prima, nichts in den Müll geworfen. Ich koche Ration Nr. 2, Tagliolini al Pesto, dazu Mineralwasser. Lecker! Noch flott ein Hotel für eine Nacht in Auckland gebucht, dann ist es Zeit für die Nachtruhe. Morgen zum Abschluss dann mehr aus Neuseelands heimlicher Hauptstadt.

Ich träume heute Nacht bestimmt von wunderbaren sechs Wochen Camperleben und 6.194 Kilometern durch das Land der langen weißen Wolke. Gute Nacht!

28. Oktober 2022 – Good Bye New Zealand!

Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, heute Morgen zum letzten Mal in meinem Camper aufzuwachen. Zum letzten Mal die Vorhänge raffen und mit den Druckknöpfen befestigen, zum letzten Mal das Bett wieder in die gemütliche Sitzecke umbauen und zum letzten Mal Kaffee kochen und Brötchen aufbacken. Die Sonne scheint auf meinen Frühstückstisch, ich gebe den letzten Würfel Zucker in meine Kaffeetasse und rühre um. Im Baum lärmen die Tuis. Nicht, dass sie das nicht jeden Tag täten, aber heute wirkt es mehr. Wie in den ersten Tagen, als ich noch nicht wusste, dass es Tuis sind. Ist das Sentimentalität? Nein, das trifft es nicht gut genug. Es ist eher so, als ob man einen wunderschönen Traum hatte und ihn nicht morgens vergessen hat. Es stimmt einen zunächst traurig, dass er vorbei ist, aber dann erinnert man sich, dass Sonntag ist. Ja, das beschreibt es besser.

Die Fahrt nach Auckland läuft mechanisch ab, trotz ziemlicher Verkehrswirren finde ich mein Ziel auf Anhieb. Ich stelle mein weniges Gepäck nach draußen, die nette Frau von der Rental Reception nimmt meinen Camper ohne Beanstandung ab. Sie ist sehr nett und checkt mich ruckzuck ohne jeden Papierkram aus. Ich esse meinen letzten Apfel während ich auf das Taxi warte, das mich kurz darauf nach Auckland Downtown bringt, wo ich mir bis morgen ein Zimmer mit Aussicht gebucht habe. Und dieses Zimmer ist der Hammer! Ich kann schon um elf Uhr einchecken. Dreiundzwanzigster Stock, ein komplettes Apartment mit Wahnsinnsaussicht auf Hafen, Tower und Harbour Bridge. Nach einem Kaffee auf dem kleinen Balkon, nehme ich mir ausgiebig Zeit für eine Gesichtsrenovierung und wasche und sortiere meinen Kram für den Trip morgen. Waschmaschine kann alleine laufen und ich werde mich jetzt aufmachen und mir Auckland Downtown ansehen.

Was kann ich sagen in der kurzen Zeit? Sicher wenig Repräsentatives, aber ich habe schon einladendere und warmherzigere Metropolen gesehen. Ziehen wir mal das Wetter ab, es beginnt gerade ekelig zu nieseln, das ist alles etwas lieblos hier. Die Geschäfte haben geöffnet oder geschlossen, scheinbar je nach Bock, nette Bars sind eingeklemmt zwischen Tiefgarageneinfahrt und Entsorgungsrampe eines Büroturms. Die zahlreichen kleinen Imbissbuden aller Nationalitäten haben um 18:00 h schon geschlossen und passen nicht wirklich in die Nachbarschaft von Gucci und Versace - oder umgekehrt. Viele Großbaustellen in der Stadt haben nach Corona ihre Arbeit wieder aufgenommen und tragen auch nicht zur Gemütlichkeit bei. Ich laufe die berühmte Queens Street bis zur Waterfront, Puls und Blutdruck bleiben aber unverändert. Allerdings fallen mir die Menschen auf, bzw. ihre Bekleidung. Von Flipflops mit Boardshorts bis Daunenweste und Pudelmütze sieht man jeden Style. Irgendwie ist das alles furchtbar durcheinander, frei nach dem Kindertraum: Komm, wir machen eine ganz tolle Farbe und mischen den ganzen Tuschkasten! Was kommt raus? Richtig! Und genau so sieht das hier auch auf den ersten Eindruck aus.

Ich gebe den kleinen Seitengassen noch eine Chance. In der Vulcan Lane und Nachbarschaft wird es hübscher, viele kleine Restaurants und Kneipen reihen sich aneinander. Dann bleibe ich doch am besten gleich zum Dinner. Ich suche mir den Franzosen aus, mir ist heute danach. Das Ambiente ist - sagen wir mal - liebevoll amateurmäßig, die Mädels und Jungs vom Service dafür umso netter. Auch ohne Reservierung bekomme ich einen Tisch und es folgt neben der herzlichen Bedienung (auf Französisch!) ein richtig gutes Formule du Jour. Bei der respektablen Weinkarte werde ich sogar etwas wehmütig, zwei Châteaux kenne ich persönlich von meinen Frankreichreisen. Ich bin beeindruckt. Statt eines kulinarischen Epos streue ich Euch ein paar Bilder ein. Bon Appétit!

Draußen nieselt es immer noch, ich gehe die steile Wyndham Street hoch nach Hause, bleibe aber im Little Culprit hängen, einer beliebten Bar. Die zwischen der Tiefgarage... Ihr wisst schon. Ein ganz winziges Schlöckchen Talisker lässt meine kleine kulinarische Premiere ausklingen und jetzt gehe ich in mein Turmzimmer und schlafe wegen der tollen Aussicht vermutlich mit offenen Augen! Zum letzten Mal Gute Nacht aus Neuseeland.

 

Die Reise nach Neuseeland endet hier. Es war schön, mit Euch zu reisen!

Weiter geht es in Chile.

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