Mein Dachgarten

Essbar mit Aussicht

Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Dachgarten. Ich war immer der Typ "Egal, was da wächst. Ist hübsch und kommt auf den Balkon." Kräuter und Essbares fand ich dabei besonders spannend, es schmeckte irgendwie besser als aus dem Laden. Es war aber auch immer sehr schnell aufgegessen. Und seit meiner Rückkehr aus Südamerika wohne ich hoch oben über meinem Dorf auf den Ausläufern des Teutoburger Waldes und habe damit begonnen, dreißig Quadratmeter Dachterrasse zu kultivieren. Ich möchte nahezu alles, was ich anpflanze essen können. Großen Wert lege ich auf Kräuter, die man nicht so einfach kaufen kann und die ich in der Landschaft niemals finden würde. Ganz einfach, weil ich nicht weiß, wie sie aussehen. Oder weiß jemand von Euch wie Pimpinelle aussieht und was sie kann? Es ist Frühling, als ich diese Zeilen schreibe und mein erster Dachgarten-Sommer liegt vor mir.  Alle Setzlinge und Aussaaten gehen an und wachsen teilweise rasant in die Höhe. Es wird grün hier oben. Das ist erst der Anfang. Der Anfang eines schönen Ortes.

Die initiale Bepflanzungsliste

Basilikum: 🍃 Lichtkeimer Glasscheibe drauf, feucht halten,  TK* 20° C
Dill: windgeschützt,  T15-20° C
Schnittlauch: teils ernten teils für Insekten, TK 10-20° C
Petersilie: 🪴 T18-20° C
Zucchini: 1 großer Topf je Pflanze
Zinnia: 🌺 Aussaat warm, Mai, TK 18-20° C
Phacelie: 🌸 windgeschützt, Bienen, Düngepflanze, kann raus
Pimpinelle: 🌱 kann schon raus
Tomate: 🍅 mit Keimblättern tief einpflanzen, mind 15° C draußen
Red Flame Chili: 🌶️ mit Stab, wie Tomate
Citron Chili: 🌶️ Busch, wie Tomate
Thymian: 🌿 In die Sonne, kann raus


[*] TK = Keimtemperatur

Erster Pflanztag

Man nehme vier Teile Bio-Gemüseerde und einen Teil Kompost vom Biohof nebenan. Auf einer dicken Plane oder im Eimer gut vermischen und dann in die Pötte damit. Ich habe mir neulich losen Kompost gekauft. Einfach auf dem Bauernhof mit der Schüppe in den Kübel im Kofferaum. Töpfe und Kästen hatte ich schon vor längerer Zeit besorgt. Heute ist endlich Anpflanzen! Einen Setzling nach dem anderen einbuddeln und dann werden die optimalen Stellplätze ausgesucht. Tomaten bekommen die ersten zwei Drittel des Tages satte Sonne, das letzte Drittel Schatten. Alle ölhaltigen und mediterranen Kräuter beziehen einen schönen Dauersonnenplatz, die halten das gut aus. Die Chilis sind Südamerikaner und dürfen auch richtig heiß stehen. Die verbliebenen Ansaaten wie Dill, Petersilie Schnittlauch und Pimpinelle habe ich vorerst in die Sonne gestellt, damit sie schneller keimen. Ach ja, und der Bienenfreund (Phacelia) kommt in eine windgeschützte Ecke, weil seine Halme und Blätter sehr fein und leicht sind. Und nun heißt es einfach Geduld haben. In der Wartezeit fertige ich aus Buffetspießen noch die Namensschilder, damit ich im Gegensatz zu den Eichhörnchen nachher noch weiß, wo ich was eingegraben habe.

Meine neuen Gartenmöbel sind da

In der Wohnung habe ich immer noch keinen Tisch und keine vernünftigen Stühle, die Küche fehlt immer noch komplett und einen Kleiderschrank besitze ich auch noch keinen. Aber dafür richte ich mich jetzt auf dem Balkon gemütlich ein. Man muss eben Prioritäten setzen. Und wie schön es ist, diese handgefertigten Möbel aus heimischer Robinie mit einem guten Gewissen und ein paar gut sitzenden Schrauben zusammenzubauen und aufzustellen. Die bunten Filzpolster passen wunderbar, die Sonne scheint und testsitzen entfällt. Ich mache es mir sofort ernsthaft gemütlich. Sonnendachgartengemütlich.

Als die ersten Sprosse kommen...

Als die Tage wärmer werden und die Sonne immer mehr Wärme auf die Erde sendet, macht sich meine Ungeduld bemerkbar. Täglich gehe ich meine Blumenkästen ab, meist morgens, als erste Aufgabe des Tages. Ich prüfe die Feuchtigkeit der Böden und beuge mich über die braune Erde. Akribisch suche ich nach den ersten winzigen Anzeichen von neuem Leben. Nichts zu sehen. Nun ja, sowas braucht natürlich seine Zeit und Gras wächst ja bekanntlich nicht schneller wenn man dran zieht. Meine Geduld ist nun gefragt. So vergehen die Tage, die Sonne wird zuverlässiger und wärmer, ich muss jetzt regelmäßig gießen, so warm wird es schon. Doch die Erde in den Töpfen und Kästen bleibt braun, kein junges Grün zu entdecken. 

Und dann, nach langen Tagen und Wochen des Wartens und Beobachtens finde ich winzige Sprosse. Und bei genauerem Hinsehen nicht nur in einem Pflanzkasten, sondern gleich in mehreren. Winziges Grün, das ich nicht einmal beschreiben kann. Halm? Blatt? Keim? Spross? Wie auch immer, ich freue mich sehr, es beginnt zu leben in meinem Dachgarten. Bald werden alle Kästen grün oder bunt sein und später dann kann ich davon essen. Darauf freue ich mich am meisten. Kochen, ernten und sofort verarbeiten. Oder einfach hier und da naschen. Das alles geschieht Ende Mai, kurz bevor ich ins Krankenhaus muss für die große OP. Und was soll ich sagen, auch diese kleine Freude über die Keimzeit auf meiner Terrasse stärkt mich für die Aufgaben der nächsten Monate. Ich freue mich auf den Entlassungstag, wenn ich auf meinen grünen, blühenden Balkon zurückkehre.

Durch den heißen Sommer bis zur Ernte

Nun, wenn es einmal wächst ist die einzige, nicht zu unterschätzende Aufgabe das richtige Gießen. Bisschen morgens und abends, nicht in der glühenden Mittagshitze.  Vorausgesetzt natürlich, dass jede Pflanze am optimalen Ort steht. Nicht zu viel Sonne, nicht zu wenig, kein Wind oder doch Wind nass oder trocken usw. Ich muss die Blätter beobachten und sofort erkennen, wenn es der Pflanze beginnt nicht mehr gut zu gehen. Die Tomaten sind besonders zickig. Warm und sonnig soll es sein, Regen von oben mögen sie nicht, aber genug Wasser von unten wollen sie trotzdem. Es ist halt eine verwöhnte Pflanze des tropischen Regenwaldes in Südamerika. Meine Tomaten tun sich allgemein schwer dieses Jahr, sie wachsen langsam und nehmen erst sehr spät Farbe an. Zudem ist die Schale sehr dick und des öfteren entsteht an den Früchten die gefürchtete Blütenendfäule. Dagegen Rosmarin, Minze, Pimpinelle, Estragon, Basilikum und einige andere Küchenkräuter gedeihen prächtig. Ich pflanze schon Bio-Kräuter aus dem Supermarkt hinzu, da mein Verbrauch hoch ist. Es schmeckt einfach zu gut, frisch geerntete Kräuter in alle möglichen Speisen zu mischen. Jedesmal freue ich mich wenn beim Kochen der Moment kommt, da ich mit meiner Küchenschere und einem Sieb auf den Balkon gehe und die Kräutermischung für heute zusammenstelle und ernte. So wie ich Lust habe ohne Rezept und ohne Plan. Einfach ein Genuss.

Leider bin ich sehr vereinnahmt von meiner aktuellen gesundheitlichen Situation, so dass ich meinen Dachgarten auf einem Minimum dahinwachsen lasse. Oft bin ich nicht zu Hause, wenn ich wieder eine Verabredung in irgendeinem Krankenhaus habe oder ich bin zu Hause, aber nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Handschlag zu tun. Sei es aus Kraftlosigkeit, aus fehlender Motivation zu irgendetwas oder aus der Notwendigkeit heraus, mich um existenzielle Aufgaben kümmern zu müssen.

Wie auch immer, die meisten Pflanzen überleben sehr gut, dank auch des Gießbereitschaftsdienstes meiner Schwester, die wetterabhängig anrückt und für Bewässerung sorgt. Und was für eine Freude, es gelingt, fast alle Pflanzen über den Sommer zu bringen. Später im Sommer ernte ich zwei kleine Sellerieknollen samt Grün, die schon seit Wochen ihren intensiven Duft bis in die Wohnung verströmen. Die kleinen gelben Wildtomaten sind auch reif, sie überraschen mich mit einem Reifungsendspurt und werden allesamt leuchtend gelb bis sie im September pflückreif sind. Für einen Pasta-Sugo wird's reichen. Der Rotkohl ist im September natürlich noch nicht so weit, seine Zeit kommt später im Jahr. Also erst einmal das ernten, was reif ist und zu Köstlichkeiten verarbeiten. Der Fenchel ist prächtig, aber leider zu klein, die Ausbeute lohnt sich kaum für die Küche, also lasse ich ihn wachsen, er macht so hübsche hohe Dolden und sein feiner Duft ist eine Wohltat. Zudem verwende ich sein feines, aromatisches Kraut gerne in Gemüsegerichten, zu Fisch und in Salaten. An den käuflichen Fenchelknollen ist immer viel zu wenig davon vorhanden, völlig unverständlich, dass es so wenig Verwendung in der Küche findet.

Die Zucchini sind trotz leuchtend gelber Prachtblüten nichts geworden. Sie wurden nicht groß und endeten frühzeitig mit der Blütenendfäule. Schade, ich mag sie doch so gerne gedünstet oder im Ratatouille. Nun, dann widme ich mich halt zunächst dem duftenden Sellerie und dann den Wildtomaten. Aus dem Selleriegrün mache ich ein Selleriepesto, das ein sehr intensives Aroma besitzt und zum direkten Verzehr deshalb weniger geeignet ist. Als Würzpaste jedoch für Suppen oder Saucen eignet es sich hervorragend, allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, schnell überwürzt man ein Gericht und der Sellerie dominiert dann unangenehm. Probiert es aus. Das Rezept findet Ihr bei Speis und Trank

Da ich fast meine gesamte Küchenausstattung nach meiner Rückkehr neu gestalten musste, habe ich die Freude, zwei nagelneue, professionelle, französische Pfannen zu meinem Haushalt gehörig zählen zu dürfen. Darin wird in Kürze dann der Tomatensugo hergestellt aus meinen eigenen Tomaten. Ein doppelte Freude. Anschließend wird er heiß in Weckgläser eingefüllt und luftdicht verschlossen. Im Kühlschrank hält er sich ungeöffnet viele Wochen. Bis ich wieder mit Genuss Pasta essen kann.