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Mittel- und Südamerika

Von New York zum Titicacasee

Es ist das Jahr 1984. Zwei Jahre nach meiner ersten Reise nach Nordamerika nun der nächste Aufbruch in den westlichen Doppelkontinent. Von Paris aus geht es wieder über New York zum Yellowstone Park und anschließend Richtung Süden gen Mexiko und durch die mittelamerikanischen Kleinstaaten. Von dort ist der Sprung nach Südamerika geplant. Wo ich landen werde, wusste ich seinerzeit noch nicht so genau, das sollte sich nach Lust und Verkehrsbedingungen entscheiden. Ein zeitliches Limit hatte ich nicht, ein finanzielles schon, weshalb sich auch der Aufenthalt in den USA sehr kurz gestaltete. Der Dollar war 1984 noch recht teuer und die Preise sehr hoch. Ich beschränkte meinen Aufenthalt deshalb auf den Yellowstone Nationalpark und machte mich dann wie gesagt direkt auf nach Süden zur Grenzstadt El Paso.

Ab Ciudad Juárez, wie El Paso auf der mexikanischen Seite heißt, begann dann ein ruhigeres und entspannteres Reisen, die Menschen waren gelassener, das Leben lief langsamer, alles war nicht so krankhaft reglementiert wie in den USA und ganz wichtig, es war alles bezahlbar. Ab diesem Tag begann meine Reise erst richtig und sie setzte sich ohne viel Planung fort mit der legendären Eisenbahn durch die mexikanische Prärie von Chihuahua nach Los Mochis, entlang der Küste bis nach Mexiko City. Weiter über Palenque in Chiapas, Oaxaca, Guatemala, Honduras und Nicaragua. Ungezählte Orte und Begegnungen reihten sich aneinander, die ein ganzes Buch füllen könnten, aber nie war es anstrengend oder kam an die Grenze der Reizüberflutung. Es gelang mir, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Reisegeschwindigkeit und Ereignisdichte. So legte ich in Poneloya, Nicaragua einen zweiwöchigen "Reiseurlaub" ein. Eine befremdliche Situation, in einem Land, das die Zerstörungen durch das verheerende Erdbeben von 1972 noch lange nicht verwunden hatte und gleichzeitig die Revolution gegen die Somoza-Diktatur verteidigen musste. Damals herrschte der Guerilla-Krieg der Sandinistischen Linken Nicaraguas gegen die mächtigen US-gestützten Conterrevolutionäre. Dennoch, ich habe nie in meinem Leben eine größere Zuversicht und einen größeren Optimismus erlebt als zu dieser Zeit bei den Menschen in diesem Land. Jede helfende Hand wurde dringend benötigt und beinahe wäre ich dort geblieben und hätte in einer Tischlerei Arbeit angenommen. Ein reizvoller Gedanke, der viele Spekulationen ermöglicht.

Statt Tischler zu werden ging es weiter nach Costa Rica, wo ich aber nur ein 72 Stunden Transitvisum bekam, um den Flughafen in San José zu erreichen und nach Ecuador auszureisen. So geschah es auch und ich erreichte endlich den Kontinent, der die letzten zwei Jahre Quell meines Fernwehs war. Das Land der Inkas, die Kordillieren der westlichen Anden mit ihren respekteinflößenden Sechstausendern, das quirlige Treiben der bunten Indiomärkte. All das hatte meine Träume genährt, aber was ich nun tatsächlich vorfand, übertraf meine Erwartungen um ein Vielfaches. Die zwei folgenden Monate waren angefüllt mit unvergesslichen Eindrücken und Begegnungen, die mich tief in das hiesige Leben eintauchen ließen. Und ganz langsam bewegte ich mich durch Ecuador nach Süden bis ins benachbarte Peru. Dort ging es weiter durch die Sechura-Wüste, vorbei an Nasca bis an die nördlichen Ausläufer der Atacama. Natürlich stand auch Machu Picchu auf meiner Liste - ganz oben. Ich wanderte mit meinem Reisegefährten fast drei Tage über den alten Inka Trail durch die Wildnis der Berge entlang des Urubambatals bis nach Inti Punku, dem "Sonnentor" und dem einzigen historischen Zugang zur Inkastadt. Damals gab es kaum Touristen und wir waren tatsächlich alleine in den Ruinen von Machu Picchu unterwegs. Wir erklommen den Huayna Picchu über atemberaubende Terassen und Steiltreppen und erlebten vom Gipfel eine einzigartige Aussicht auf die geheimnisvollste Stadt des längst vergangenen Inkareiches. 

Der Rückweg aus der Cuzco Hochebene führte uns dann nach Taquile, einer Insel im Titicacasee, wo wir ein paar Tage bei einer Indiofamilie herzlich eingeladen waren und unseren langen Weg bis hierher Revue passieren ließen. Mit unserem letzten Geld reisten wir dann langsam zurück nach Lima, verbrachten noch ein paar Tage in der Stadt und traten nicht ohne Herzschmerz die lange Reise zurück nach Europa an. Jamaika, Kuba, Irland und Luxemburg waren die Stationen bevor ich am Samstag, dem 13. Oktober 1984 pünktlich zum 14. Rockpalast meine Heimatstadt Essen erreichte. Was für ein Finale :-)